Drucksache 17 / 10 076 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Franziska Becker (SPD) vom 06. Dezember 2011 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Januar 2012) und Antwort Nutzung der Potenziale der Industriekultur in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Rolle spielt aus Sicht des Senats die Industriekultur in und für Berlin? Antwort zu 1: Aus Sicht des Senats spielt die Industriekultur in und für Berlin eine bedeutende Rolle: Historisch gehörte Berlin im 19. und 20. Jahrhundert zu den bedeutenden Industriemetropolen sowohl Deutschlands als auch Europas. Zwischen 1885/90 und 1940 war Berlin ein Zentrum der modernen Großindustrie. Weltweit bekannte und tätige Industrieunternehmen wie Siemens, AEG und Borsig haben in Berlin ihren Anfang genommen. Architektonische Zeugnisse dieser Entwicklung finden sich noch heute im gesamten Stadtgebiet. In der Berliner Denkmalliste sind ca. 400 Objekte als Denkmale der Industrie, der Technik und des Verkehrs verzeichnet. Nach Ende des 2. Weltkrieges und bedingt durch die Teilung der Stadt verlor Berlin seine führende Rolle als „Elektropolis“. Viele Industrieunternehmen verlagerten ihren Hauptsitz in die Bundesrepublik. Nach der Wiedervereinigung vollzog die Berliner Industrie einen erheblichen Strukturwandel, in dessen Folge eine Reihe von Standorten geschlossen und eine Vielzahl von Arbeitsplätzen abgebaut wurden. Gleichzeitig ging jedoch aus dem Strukturwandel eine moderne und sehr wettbewerbsfähige Industrie hervor. Heute produzieren knapp 800 Unternehmen zum Teil an historischen Standorten in Berlin innovative Produkte für den internationalen Weltmarkt . Ein herausragendes Beispiel für die Verbindung von Innovation und Tradition ist die Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute Siemensstadt in Spandau, wo das Unternehmen Siemens heute noch seinen weltweit größten Produktionsstandort hat. Das Erbe der Industriekultur hat auch eine hohe Bedeutung für die Identität der Stadt. Prägend für das Stadtbild sind die punktuell vorhandenen Silhouetten historischer Industrieanlagen. Dazu zählen im Innenstadtbereich vor allem die ehemaligen Schaltstationen und Umspannwerke der BEWAG von Hans Heinrich Müller. Die Erhaltung und Pflege aller Industriedenkmale ist ein zentrales Anliegen der Berliner Denkmalpolitik. Das dies in der Praxis Erfolg hat, zeigen u.a. die mit den Eigentümerinnen und Eigentümern abgestimmten Erhaltungskonzepte für Bauten der Siemensstadt , der Elektrizitätswirtschaft und der Berliner U-Bahn. Auch eine Reihe von Industriestandorten und –bauten erfahren attraktive Nachnutzungen im Bereich Wohnen, Gewerbe oder Kultur. Erst durch die Nachnutzung tragen die Standorte wesentlich zur Attraktivität und baukulturellen Qualität der Stadt bei. Insofern ist es vorrangiges Bestreben des Senats, die Entwicklung Berlins als moderne Industriestadt mit alten und neuen hochwertigen Industrienanlagen zu unterstützen . Ein positiver Ausblick dazu: seit 2010 verzeichnet die Industrie in der Stadt auch wieder ein Wachstum. Frage 2: Gibt es seitens des Senats Überlegungen, die Potenziale der Industriekultur mit konkreten Maßnahmen zu nutzen? Wenn ja, mit welchen Maßnahmen? Antwort zu 2: Die Industriekultur Berlins wurde an- fangs vom Maschinenbau, dann von der Elektroindustrie geprägt. Mit der Entwicklung eines Berliner Beitrags zur Europäischen Route der Industriekultur für das Erbe der Elektropolis Berlin knüpft die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt an diese Tradition an. Der Berliner Denkmaltag am 17. April 2012 widmet sich anlässlich des 40. Jahrestages der Verabschiedung der UNESCO-Welterbekonvention dem Thema „Welterbepotential Elektropolis Berlin“. Das Landesdenkmalamt und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt planen eine Fotoausstellung, um auf das Erbe der Industriekultur aufmerksam zu machen. Der Senat betrachtet diese Aktivitäten auch als einen Identität stiftenden Beitrag zum „Aktionsprogramm Elektromobilität Berlin 2020“. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 076 Frage 3: Inwiefern sieht der Senat Chancen, das Thema Industriekultur in die Überlegungen zur Stärkung der Kreativwirtschaft in Berlin zu integrieren? Antwort zu 3: Mit den räumlichen Anforderungen der Kultur- und Kreativwirtschaft hat sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt innerhalb eines Gutachtens aus dem Jahr 2008 intensiv beschäftigt. Die Ergebnisse sind in den Berliner Kulturwirtschaftsbericht eingeflossen. Hoch attraktive Gebäude für die Kreativbranchen sind traditionelle Gewerbe- und Industriebauten oder -höfe der Jahrhundertwende, die sich durch Lagegunst und/oder räumlich/architektonische Qualitäten auszeichnen. Auch unter ökonomischen Aspekten wird die Nachnutzung altindustrieller Bauten bevorzugt. Näher beschrieben wird die Katalysatorwirkung der Kultur- und Kreativwirtschaft auf den Entwicklungsprozess von Standorten oder ganzen Quartieren. Die zentralen und bekannten Locations sind dabei Imageträger und Prototypen des Raumtypus „Innerstädtische Umbruchs-quartiere“ und stellen sich als Ausgangsorte für eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung dar. Einzelheiten sind dem Kulturwirtschaftsbericht unter http://www.berlin.de/projektzukunft/fileadmin/user_uploa d/pdf/magazine/kuwibericht_2008_inhalt.pdf zu entnehmen . Frage 4: Welche Möglichkeiten sieht der Senat, um das Thema Industriekultur mit den Maßnahmen und Handlungsfeldern des Tourismuskonzepts Berlin - Handlungsrahmen 2011+ zu verzahnen? Antwort zu 4: Die Sehenswürdigkeiten Berlins, die spezifische Geschichte der Stadt, das Kulturangebot und die besondere Atmosphäre sind die wichtigsten Faktoren einer Reiseentscheidung zugunsten Berlins. In diesem Rahmen ist die Industriekultur Bestandteil des breitgefächerten attraktiven touristischen Angebotes der Stadt. Zu diesem Thema werden von verschiedenen Einrichtungen (z.B. Büro für Industriekultur Berlin und StattReisen) bereits spezielle Stadtführungen angeboten. Orte der Industriekulturlandschaft Berlins sind z.B. das Radialsystem, die Kulturbrauerei, der Tresor (Heizkraftwerk Mitte), das E-Werk und der Hamburger Bahnhof. Mit dem Tourismuskonzept Berlin – Handlungsrahmen 2011+ ist das Thema Industriekultur durch das Handlungsfeld „Stärkung des Kultur- und Eventtourismus “ verbunden. In diesem Kontext sieht die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung durchaus noch Möglichkeiten einer stärkeren Vernetzung mit dem touristischen Marketing und unterstützt diese. Voraussetzung ist, dass die mit der Industriekultur verbundenen Einrichtungen und Unternehmen die entsprechenden Objekte attraktiv gestalten sowie interessante Events entwickeln und für den Tourismus anbieten. Frage 5: Welche Rolle spielt nach Ansicht des Senats das Thema Industriekultur im Rahmen der Städtebauförderung ? Antwort zu 5: Städtebauförderung kommt in Berlin vorrangig in Quartieren mit geringer Entwicklungsdynamik gemäß den Ergebnissen des Monitoring soziale Stadtentwicklung zum Einsatz. Industriekultur ist im Rahmen der integriert angelegten Städtebauförderung zwar kein eigenständiger Handlungsschwerpunkt, dennoch spielen je nach Gebiet die Erhaltung und Entwicklung des kultur- und bauhistorisch wertvollen Erbes und die Ermöglichung zukunftsträchtiger Nachnutzungen ehemals industriell genutzter Bereiche eine wichtige Rolle im Rahmen von ganzheitlichen, quartiersbezogenen Aufwertungsstrategien (Beispiel: ehemaliges Sanierungsgebiet Oberschöneweide). Frage 6: Welche Bedeutung haben nach Ansicht des Senats die thematisch verwandten Museen (insb. technisch orientierte und regionalhistorisch orientierte Museen) zur Stärkung der Industriekultur in Berlin? Antwort zu 6: Die thematisch verwandten Museen können nach Ansicht des Senats zur Stärkung der Industriekultur beitragen. Sie besitzen, dies trifft vor allem auf das Technikmuseum Berlin zu, hervorragende Exponate, die unmittelbar Auskunft über die Bedeutung der Berliner Industriekultur geben. Durch besondere Events oder Sonderausstellungen kann die Aufmerksamkeit und Informationsweitergabe zum Thema Industriekultur noch erhöht werden. Allerdings sind hierbei die Träger der Museen die eigentlichen Akteure, die diesen Prozess in Gang setzen müssen. Frage 7: Inwiefern wäre – auch vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Wirtschaftsregion sowie einer gemeinsamen Regionalgeschichte – aus Sicht des Senats eine Abstimmung mit dem Land Brandenburg zum Thema Industriekultur sinnvoll? Antwort zu 7: Aus Sicht des Senats ist eine Ab- stimmung mit dem Land Brandenburg zum Thema Industriekultur vor dem Hintergrund der gemeinsamen Wirtschaftsregion sinnvoll und Grundlage einer gemeinsamen Planung für den Metropolenraum. Vernetzt zu arbeiten stärkt aus Erfahrung die Themenfelder. Dies betrifft sowohl die Nutzung, Entwicklung und Vermarktung historischer Industriedenkmäler als auch die Entwicklung neuer Industriestandorte als andere Kultur der Zukunft. Der Fortschrittsbericht über die Zusammenarbeit zwischen den Ländern Brandenburg und Berlin für den Zeitraum 2009 – 2011, welcher derzeit in Abstimmung ist, greift das Thema bereits auf. Berlin, den 13. Februar 2012 In Vertretung R. Lüscher ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Feb. 2012) 2