Drucksache 17 / 10 090 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 03. Januar 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Januar 2012) und Antwort Durchsetzung des Alkoholverbots im ÖPNV Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Die Kleine Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher das Bundesministerium des Inneren um eine Stellungnahme gebeten. Das Bundesministerium des Inneren hat mitgeteilt, dass grundsätzlich keine Antwortbeiträge zu Angelegenheiten der Bundespolizei im Zusammenhang mit parlamentarischen Anfragen eines Landesparlaments übermittelt werden. Die Bundesregierung und damit die Bundespolizei unterliege ausschließlich dem Kontrollrecht und dem damit korrelierenden Fragerecht des Deutschen Bundestages. Insoweit beruhen die folgenden Antworten allein auf den Zahlen und Daten, die die Landespolizei und die Verkehrsunternehmen zur Verfügung stellen können. Frage 1: Wie viele übermäßig alkoholisierte Fahrgäste wurden in den Jahren 2009, 2010 und 2011 von Sicherheitskräften der BVG oder S-Bahn Berlin GmbH von der Beförderung mit Bussen, Straßenbahnen, U- und S-Bahnen ausgeschlossen (Auflistung bitte nach Verkehrsmittel und Jahr) und wie bewertet der Senat die Zahlen? Antwort zu 1: Die Verkehrsunternehmen haben darauf hingewiesen, dass die Anzahl der Beförderungsausschlüsse gesamthaft ohne Differenzierung hinsichtlich der Ursache erfasst wird. Frage 2: Gegenüber wie vielen übermäßig alkoho- lisierten Fahrgästen wurde auf U- und S-Bahnhöfen Hausverbot von BVG oder S-Bahn Berlin GmbH in den Jahren 2009, 2010 und 2011 ausgesprochen (Auflistung bitte nach Unternehmen und Jahr) und wie bewertet der Senat die Zahlen? Antwort zu 2: Die S-Bahn Berlin GmbH hat auch zu dieser Frage darauf hingewiesen, dass die Erfassung der Anzahl der Hausverbote gesamthaft ohne Differenzierung hinsichtlich der Ursache erfolgt. Die BVG hat mitgeteilt: „Folgende, längerfristige (mind. 1 Jahr) Hausverbote hat die BVG AöR insgesamt ausgesprochen: Jahr Anzahl Hausverbote 2009 1 2010 0 2011 2 Hausverbote werden laut BVG nur bei schweren Straftaten ausgesprochen. Bei unbotmäßigem Verhalten, aufgrund z.B. von Alkoholmissbrauch, werden kurzfristige Platzverweise verhängt, die statistisch nicht erfasst werden.“ Frage 3: Wie häufig wurde die Polizei von Sicher- heitskräften der BVG oder S-Bahn Berlin GmbH in den Jahren 2009, 2010 und 2011 zur Hilfe gerufen, um den Ausschluss von der Beförderung oder ein Hausverbot durchzusetzen (Auflistung bitte nach Unternehmen, Jahr und Strafe) und wie bewertet der Senat die Zahlen? Antwort zu 3: Die S-Bahn Berlin GmbH erfasst nach eigenen Angaben auch die Anrufung polizeilicher Hilfe nur gesamthaft ohne Differenzierung hinsichtlich der Ursache. Die BVG hat darüber informiert, dass ihre Leitstelle Sicherheit (Bereich U-Bahn), bei der die Anforderungen elektronisch erfasst werden, die Polizei zur Unterstützung bzw. zur Anzeigenaufnahme in der folgenden Anzahl an Fällen gerufen hat: Jahr Anzahl Unterstützungen 2009 2.189 2010 1.735 2011 1.922 Eine statistische Erfassung, inwieweit übermäßiger Alkoholgenuss der Anlass war, wird von der BVG nicht vorgenommen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 090 2 Auch bei der Berliner Polizei werden entsprechende, nach Ursachen differenzierende Statistiken nicht geführt. Eine im Jahr 2009 erfolgte einmalige Erhebung der Alarmierung zu Einsätzen im Bereich des ÖPNV durch alle Leitstellen der BVG (d.h. einschließlich der Bereiche Bus und Straßenbahn) ergab 7613 Alarmierungen, woraus insgesamt 7115 Polizeieinsätze resultierten. Anforderungen der S-Bahn Berlin GmbH sind hierbei nicht berücksichtigt. Frage 4: Ist der Senat der Auffassung, dass die Sicherheits- und Ordnungssituation im ÖPNV durch den Verkauf und Konsum alkoholischer Getränke in U- und S-Bahnhöfen beeinträchtigt wird und wenn ja, auf welchen empirischen Befund stützt sich seine Auffassung? Frage 6: Ist der Senat der Auffassung, dass die Sicherheits- und Ordnungssituation im ÖPNV durch den Konsum alkoholischer Getränke in öffentlichen Verkehrsmitteln beeinträchtigt wird und wenn ja, auf welchen empirischen Befund stützt sich seine Auffassung? Antwort zu 4 und 6: Die Freiburger Studie „Street Talk 2008“ bestätigte den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Gewaltbereitschaft grundsätzlich. Weiterhin führte die Münchner Verkehrsgesellschaft 2007/2008 eine Untersuchung zum Thema „Subjektive Sicherheit in der Münchner U-Bahn“ durch, bei der u.a. festgestellt wurde, dass bedrohlich wirkende Fahrgäste wie z.B. Betrunkene einer der Hauptunsicherheitsfaktoren für die subjektive Sicherheit der Fahrgäste darstellen. Dem Senat ist bekannt, dass es weitere wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Alkohol und Gewaltbereitschaft gibt. 1 Die Regelungen in den Hausordnungen der Berliner Verkehrsunternehmen und im Verkehrsverbund BerlinBrandenburg (VBB)-Tarif A tragen der erwiesenen Tatsache Rechnung, dass dem Alkohol eine grundsätzlich enthemmende Wirkung zukommt, und ermöglichen eine angemessene, einzelfallbezogene Reaktion der beauftragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Hausrechtsbefugnissen . Die BVG weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es bei der Problematik nicht um eine isolierte Betrachtung des Aspekts „Alkoholisierung“ gehen dürfe, sondern um ein rücksichts- und respektvolles Miteinander im ÖPNV. Schlechtes Benehmen und Verstöße gegen diese Grundprinzipien können und werden über die bestehenden Regeln (siehe Antwort zur Frage 5) bereits geahndet. Bei einem entsprechend rücksichtsvollem Verhalten würden aber von der BVG auch Fahrgäste befördert , die Alkohol konsumiert haben, zumal gerade beim Thema Alkohol immer wieder darauf hingewiesen wird, das eigene Fahrzeug stehen zu lassen und besser mit dem ÖPNV zu fahren. Nach den Erfahrungen der S-Bahn Berlin GmbH wird nur ein geringer Teil der alkoholisierten Fahrgäste 1 Quelle: Bericht der Projektgruppe des UA FEK „Sicherheit im Öffentlichen Personennahverkehr„, S. 25 ff. http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/imk2007/besch luesse/100601_anlage11.pdf?start&ts=1276591733&file=10060 1_anlage11.pdf auffällig. Hierfür ist nach Einschätzung des Unternehmens der Ort des Alkoholkonsums nicht relevant, wohl aber die Menge. Das Unternehmen hat vielmehr den Eindruck, dass die in den Verkehrsmitteln Alkohol konsumierenden Fahrgäste diesen entlang ihres gesamten Weges - also auch an anderen Orten - konsumieren. Besonders beim Anteil der auffällig werdenden Fahrgäste genügen laut S-Bahn Berlin GmbH die oft kurzen Reisezeiten in den Verkehrsmitteln nicht, um den häufig vorliegenden hohen Alkoholpegel zu erreichen. Auch die BVG AöR hat bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Konsum oder insbesondere der Verkauf von alkoholischen Getränken auf den U-Bahnhöfen die Sicherheits- und Ordnungsfunktion signifikant beeinträchtigt hat. Laut BVG zeigt die Erfahrung, dass die Straftäter /innen bereits vor dem Betreten der U-Bahnhöfe stark alkoholisiert waren und es dann aufgrund der räumlichen Nähe zu anderen Fahrgästen zu Übergriffen gekommen ist. Frage 5: Strebt der Senat ein gesetzliches Verkaufs- und Konsumverbot von alkoholischen Getränken auf Uund S-Bahnhöfen an und wenn ja, wer soll für die Einhaltung des Verbots zuständig und wie hoch soll die Strafe bei Missachtung des Verbots sein? Frage 7: Strebt der Senat ein gesetzliches Konsum- verbot in öffentlichen Verkehrsmitteln an und wenn ja, wer soll für die Einhaltung des Verbots zuständig und wie hoch soll die Strafe bei Missachtung des Verbots sein? Antwort zu 5 und 7: Derzeit bestehen bezüglich alko- holischer Getränke in den Verkehrsmitteln und Bahnhöfen des ÖPNV umfassende Regelungen durch die Hausordnung der Verkehrsunternehmen und den Teil A des VBB-Tarifs. Danach sind Personen, die unter Einfluss alkoholischer Getränke stehen und dadurch eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Betriebes oder für die Fahrgäste darstellen, von der Beförderung ausgeschlossen (§ 3 I Nr. 1 Teil A VBB-Tarif). Weiterhin ist es Fahrgästen untersagt, die Verkehrsmittel mit offenen Getränken zu betreten bzw. diese während der Fahrt zu konsumieren (§ 4 II Nr. 11 Teil A VBB-Tarif). Ebenso ist im Geltungsbereich der BVG-Hausordnung übermäßiger Alkoholkonsum untersagt (§ 3 Nr. 6 BVG-Hausordnung). Ergänzend ist das bloße Verweilen ohne Fahrtabsicht in den öffentlich zugänglichen Bereichen verboten (§ 3 Nr. 9 BVG-Hausordnung). Vergleichbare Regeln enthält die Hausordnung der S-Bahn Berlin GmbH. Als Bestandteil des Hausrechts sind diese Bestim- mungen durch die befugten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchsetzbar. Nach Angaben der BVG wird dies bei schweren Verstößen durch ihr Sicherheitspersonal geahndet. Um diese Beförderungsbedingung noch besser zu verdeutlichen, wird die BVG AöR nach eigenen Angaben in den nächsten Wochen damit beginnen, entsprechende eindeutige Piktogramme auf all ihren Fahrzeugen deutlich sichtbar anzubringen. Das Service- und Sicherheitspersonal werde begleitend den offenen Alkoholkonsum noch konsequenter verfolgen. Ein Verkaufsverbot würde den extra geschaffenen Einkaufsmöglichkeiten in Bahnhofsgebäuden widersprechen . Darüber hinaus stellt sich aufgrund der in den Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 090 3 Antworten zu 4 und 6 beschriebenen Konsummuster generell die Frage der Wirksamkeit. So ist auch die BVG der Ansicht, dass sich ein Verkaufsverbot von alkoholischen Getränken in den Geschäften innerhalb der UBahnhöfe kaum spürbar auf die Sicherheitslage auswirken dürfte, da es weitaus preisgünstiger sei, außerhalb der Bahnhöfe (Supermärkte etc.) alkoholische Getränke zu erwerben, als bei Verkaufsstellen in den Bahnhöfen und auf Bahnsteigen. Dieser Eindruck werde laut S-Bahn Berlin GmbH auch durch das Ergebnis einer gemeinsamen Präventionsaktion gegen Alkohol und Gewalt in Hannover bestätigt. Hier wurde festgestellt, dass kein signifikanter Rückgang sogenannter Rohheitsdelikte zu verzeichnen ist, wenn kein Alkohol verkauft wird. In der Testphase von Juli bis September 2011 hatten sich die Einzelhändler im Bereich Hauptbahnhof/Raschplatz (Hannover) auf Initiative von Stadt, Polizei und Deutscher Bahn AG (DB) darauf verständigt, eine freiwillige Selbstbeschränkung zum Verkauf von Alkohol zum Mitnehmen jeweils freitags und samstags von 22 bis 6 Uhr durchzuführen. Nach Beendigung der Testphase habe die Polizei keinen signifikanten Rückgang der sogenannten Rohheitsdelikte festgestellt. Die Maßnahme sei als nicht wirksam eingestuft worden. Im Ergebnis sieht der Senat daher keine Notwendig- keit für eine erweiternde gesetzliche Normierung von Alkoholverboten im ÖPNV. Frage 8: Ist dem Senat bekannt, dass viele der übermäßig alkoholisierten Fahrgäste im ÖPNV bereits vor Betreten von U- und S-Bahnhöfen und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel Alkohol konsumiert haben, und ist der Senat trotzdem der Auffassung, dass vor diesem Hintergrund ein Alkoholverbot im ÖPNV tatsächlich zur Verbesserung von Sicherheit und Ordnung in öffentlichen Verkehrsmitteln beitragen würde und wenn ja, wie begründet der Senat das? Antwort zu 8: Die Nutzung öffentlicher Verkehrs- mittel durch alkoholisierte Personen, die bewusst auf das Führen von Kraftfahrzeugen oder Fahrrädern verzichten, ist unter anderem auch Ergebnis einer konsequenten Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei Berlin und anderer Träger. Ein generelles Alkoholverbot im Bereich des ÖPNV. Frage 9: Wie viele zur Anzeige gebrachte Ge- waltvorfälle in öffentlichen Verkehrsmitteln gab es in den Jahren 2009, 2010 und 2011 (Auflistung bitte nach Verkehrsmittel und Jahr)? Antwort zu 9: Folgende Delikte werden unter dem Begriff „Gewaltvorfälle“ subsumiert: Körperverletzung, Nötigung, Freiheitsberaubung, Bedrohung und Raub. Die konkreten Zahlen sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Die polizeiliche Kriminalstatistik für 2011 ist noch nicht veröffentlicht, die Zahlen entstammen dem „Polizeilichen Informations- und Kommunikationssystem “ der Landespolizei und sind daher nicht mit den Zahlen der PKS (Polizeiliche Kriminalstatistik, Daten von Landes- und Bundespolizei) vergleichbar. 2009 2010 ÖPNV gesamt 6021 5806 darunter: Bus 585 315 S-Bahn 2393 2146 Straßenbahn 302 143 U-Bahn 1678 843 Quelle: PKS 2011 ÖPNV gesamt 4091 darunter: Verkehrsmittel gesamt* 1722 darunter: Bus 378 S-Bahn 237 Straßenbahn 179 U-Bahn 928 Quelle: Polizei (POLIKS) Frage 10: Bei wie vielen der zur Anzeige gebrachten Gewaltvorfällen in öffentlichen Verkehrsmitteln in den Jahren 2009, 2010 und 2011 wurde Alkoholkonsum beim Täter festgestellt (Auflistung bitte nach Verkehrsmittel und Jahr)? Antwort zu 10: Siehe zu Frage 9. Die Zahlen entstammen dem Polizeilichen Informations- und Kommunikationssystem und sind daher nicht mit den Zahlen der PKS vergleichbar. 2009 2010 2011 ÖPNV gesamt 762 773 811 darunter: Verkehrsmittel gesamt*: 524 287 335 darunter: Bus 110 42 71 S-Bahn 62 20 37 Straßenbahn 77 48 47 U-Bahn 275 177 180 Quelle: Polizei (POLIKS) *Der Unterschied zwischen den Kategorien „ÖPNVGesamt “ und den einzelnen Verkehrsmitteln besteht darin, dass unter ersteren sämtliche Taten im ÖPNV erfasst werden (Geschädigte/r gibt z.B. Tatort „in Bus oder Bahn an“, weiß aber nicht genau, in welchem Verkehrsmittel die Tat erfolgt ist), während beim zweiten eine Tatzuordnung zu einem konkreten Verkehrsmittel möglich ist. Auf Grund von Änderungen der Erfassungsmodalitäten im Betrachtungszeitraum und der systemspezifischen Besonderheiten kann es bei der Zählung zu Wiederholungen bzw. Abweichungen kommen. Berlin, den 08. März 2012 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Mrz. 2012) Jahr Jahr