Drucksache 17 / 10 103 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Canan Bayram (GRÜNE) vom 12. Januar 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Januar 2012) und Antwort Förderung von Integration - gegen Diskriminierung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Auf welcher Basis und nach welchen Kriterien erfolgt die Zusammensetzung von Klassen an Berliner Schulen? Welchen Einfluss spielen dabei die Herkunftssprache und der Religionsunterricht? Zu 1.: Grundlage für jegliches Handeln in der Berliner Schule ist das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG), die Verfassung von Berlin (VvB) und das Schulgesetz für Berlin (SchulG). Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG und Artikel 10 Abs. 2 VvB verbieten die Bevorzugung oder Benachteiligung von Personen unter anderem aufgrund ihrer Sprache oder Herkunft. Die Zusammensetzung von Klassen ist geregelt gem. § 15 SchulG (Unterricht für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache) insbes. in Abs. 1: „Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache werden mit allen anderen Schülerinnen und Schülern gemeinsam unterrichtet, soweit sich aus Absatz 2 und der auf Grund des Absatzes 4 erlassenen Rechtsverordnung nichts anderes ergibt.“ Darüber hinaus in Abs. 2: „Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache , die die deutsche Sprache so wenig beherrschen, dass sie dem Unterricht nicht ausreichend folgen können und eine Förderung in Regelklassen nicht möglich ist, sollen in besonderen Lerngruppen zusammengefasst werden, in denen auf den Übergang in Regelklassen vorbereitet wird. Die Kenntnisse in der deutschen Sprache werden bei der Aufnahme in die Schule durch die Schulleiterin oder den Schulleiter oder durch eine von ihr oder ihm beauftragte Lehrkraft auf Grund wissenschaftlich gesicherter Testverfahren festgestellt.“ Für die Grundschule gilt gem. § 8 Abs. 2 Grundschul- verordnung – GsVO (Organisation des Unterrichts): „Aus den bestehenden Lerngruppen der Schulanfangsphasen rückt in jedem Schuljahr ein Teil der Schülerinnen und Schüler in die Jahrgangsstufe 3 auf. Gleichzeitig werden die neu eingeschulten Kinder in die bestehenden Gruppen aufgenommen und so integriert, dass möglichst gleich große Lerngruppen entstehen. Hierbei ist auf Heterogenität vor allem in Hinblick auf die sprachlichen Vorkenntnisse und das potenzielle Leistungsvermögen der Kinder zu achten. Bei der Neubildung von Klassen in der Jahrgangsstufe 3 werden bestehende Gruppenbindungen im Rahmen der organisatorischen Möglichkeiten erhalten, sofern pädagogische Erwägungen dem nicht entgegen stehen.“ Auch für die Zusammensetzung von Klassen an den weiterführenden Schulen spielt weder die Religionszugehörigkeit noch die Herkunftssprache eine Rolle. Vielmehr erfolgt die Zusammensetzung ggf. unter Berücksichtigung z.B. von erster, zweiter oder dritter Fremdsprache oder von Wahlfächern. Wünsche nach Teilnahme am Religionsunterricht können für die Stundenplangestaltung von Bedeutung sein und daher bei der Klassenkomposition eine Rolle spielen. 2. Welche Arten von besonderen Lerngruppen im Sinne von § 15 Berliner Schulgesetz und § 17 Grundschulverordnung sind in Berlin vorhanden? (Bitte getrennt nach Art der Lerngruppe, Anzahl und Bezirk auflisten .) Zu 2.: Paragraph 15 des Schulgesetzes für Berlin wird in den Paragraphen § 17 der Grundschulverordnung bzw. der Sekundarstufe I-Verordnung konkretisiert. Die dort angesprochene besondere Lerngruppe ist die Klassenart „Lerngruppe für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“. Weitere Arten von Lerngruppen gibt es nicht. Hinsichtlich der gewünschten Daten wird auf die Antwort auf die Kleine Anfrage 17/10071 verwiesen. 3. Welche anderen Formen von besonderen Klassen zur Sprachförderung bestehen (z.B. Förderklassen)? Zu 3.: Alle Kinder und Jugendlichen, die aufgrund einer schulinternen Feststellung die Sprache Deutsch nicht ausreichend beherrschen, um dem Unterricht zu Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 103 folgen, erhalten Sprachförderung. Das gilt sowohl für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache als auch für einsprachig Deutsch aufgewachsene Schülerinnen und Schüler. Die Sprachfördermaßnahmen können sowohl im Rahmen des Fachunterrichts (integrativ) als auch zusätzlich zum Unterricht der Stundentafel (additiv) durchgeführt werden. Für die vielfältigen Organisationsformen des integrativen und additiven Förderunterrichts gibt es keine festgelegten Bezeichnungen . Die Schulen verwenden Namen wie Förderklasse , Fördergruppe, Sprachgruppe u.ä. 4. Welche Verfahren werden zur Messung des Sprach- standes von den Berliner Schulen eingesetzt? Zu 4.: Ab Eintritt in die Kita erfolgt die regelmäßige Dokumentation der Sprachentwicklung in der deutschen Sprache in einem Sprachlerntagebuch. Für die Kinder, die keine Kindertageseinrichtung besuchen, wird vor der Einschulung mit dem Instrument „Deutsch Plus“ festgestellt, ob die deutschen Sprachkenntnisse für eine erfolgreiche Teilnahme am Schulunterricht ausreichen. Für die Sprachstandsfeststellung in der Grundschule steht kein standardisiertes Verfahren zur Verfügung. An den Berliner Schulen werden überwiegend folgende Instrumente eingesetzt: die „Lerndokumentation Sprache“ (LdS/FörMig), die „Lernausgangslage Berlin“ (LauBe), die „Profilanalyse nach Grieshaber“, „Niveaubeschreibungen nach Reich/Döll“ oder die „Hamburger Schreibprobe “. Schulen greifen zur Einschätzung des Sprachstandes auch auf Ergebnisse der Sprachstandsfeststellung im vorschulischen Bereich und auf die schulärztliche Eingangsuntersuchung zurück. 5. In welchen Sprachen wird den Erziehungs- berechtigten der Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache das Ergebnis der Sprachstandsfeststellung mitgeteilt? Wie wird sicher gestellt, dass die Erziehungsberechtigten das Ergebnis sprachlich verstehen können? Zu 5.: Die Ergebnisse der im Rahmen von § 15 SchulG erfolgten Sprachstandsfeststellungen werden den Eltern in der Verkehrsprache Deutsch schriftlich mitgeteilt . In der Regel haben Eltern ohne ausreichende Deutschkenntnisse nachbarschaftliche, freundschaftliche oder offizielle Hilfe beim Umgang mit Behördenpost. Für sehr wichtige Gespräche mit Eltern ohne Deutschkenntnisse muss für eine Übersetzung Vorsorge getroffen werden (z.B. Gemeindedolmetscher/in). 6. Mit welchen Indikatoren werden die Fortschritte und Erfolge der Lerngruppen gemessen? Gelten diese Indikatoren berlinweit? Wer hat sie festgelegt? Zu 6.: Die Lehrkräfte in Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse dokumentieren die Lernfortschritte jeder Schülerin und jedes Schülers in geeigneter Form. Neben der Erhebung von bildungsbiographischen Daten und den Informationen der Sprachstandsfeststellung enthält die Dokumentation den Förderplan samt der über die Zeit erforderlichen Anpassungen. Die Indikatoren ergeben sich aus dem Rahmenplan „Deutsch als Zweitsprache“ und den Rahmenlehrplänen der Fächer. Aus der Gesamtheit der Daten ergeben sich die Förderinhalte und der Zeitpunkt für einen teilweisen oder sofortigen Übergang in eine Regelklasse. In der Regelklasse kann es weiterhin erforderlich sein, Fördermaßnahmen durchzuführen. 7. Wie lange bleiben die Schülerinnen und Schüler in der besonderen Lerngruppe zum Erlernen der deutschen Sprache? (Bitte getrennt nach Lerngruppe und Bezirk auflisten.) Zu 7.: Die Geschwindigkeit des Lernfortschritts bei neu zugereisten Kindern und Jugendlichen ohne Deutschkenntnisse hängt zum einen davon ab, ob die Schülerin oder der Schüler in der Herkunftssprache alphabetisiert wurde. Darüber hinaus hängt er in hohem Maße von außerschulischen Aspekten ab: von der Familiensituation, von dem Aufenthaltsstatus, den Wohnbedingungen oder Gesundheitsdefiziten und Traumata in Folge von Flucht. Das hat zur Folge, dass die Verweildauer in der Lerngruppe für „Neuzugänge“ nicht allgemein festgelegt wurde, sondern im Einzelfall erfolgt. Den neu zugezogenen Schülerinnen und Schülern soll es in möglichst kurzer Zeit gelingen, Deutsch zu lernen und auch sozialen Anschluss an ihre Mitschülerinnen und Mitschüler zu erlangen. Die Lerngruppen für „Neuzugänge “ sind so organisiert, dass der Übergang in eine Regelklasse individuell je nach Lern- und Integrationstempo des einzelnen Schülers/der einzelnen Schülerin gestaltet werden muss. Dabei sind auch Mischformen der Beschulung möglich, so dass die Kinder und Jugendlichen in einigen Fächern sehr schnell am Regelunterricht teilnehmen, die gezielte Sprachbildung aber noch längere Zeit in der Lerngruppe erfolgt. 8. Wann und unter welchen Voraussetzungen können Schülerinnen und Schüler in die Regelklasse wechseln? 9. Welcher Austausch besteht zwischen Lerngruppen von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache und den Regelklassen z.B. in Form gemeinsamen Unterrichts in bestimmten Fächern? Zu 8. und 9.: Ich verweise auf die Antworten zu den Fragen 6. und 7. 10. Wie wird die gleichberechtigte Partizipation der Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache gewährleistet? Zu 10.: Zur Wahrung der Bildungschancen hat sich als ersten Schritt der Integration in die Berliner Schule das Modell der Lerngruppen für „Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse “ als erfolgreich erwiesen. Volle Partizipation 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 103 3 setzt allerdings ausreichende sprachliche und fachliche Kenntnisse voraus. Auf dem Weg dahin ist von Anfang an auf die Entwicklung der dafür erforderlichen Personalkompetenzen Augenmerk zu richten: Schülerinnen und Schüler, die sich im Prozess des Spracherwerbs befinden, müssen sich Lernmethoden aneignen und lernen ihr Verhalten und ihre Kenntnisse einzuschätzen. Auch diverse Formen der sprachlichen Kommunikation (entschuldigen, nachfragen, danken, streiten/sich verteidigen, beschwichtigen ) sind von Anfang an Teil der Erziehung, weil sie die Grundlage für eine demokratische Schule und Gesellschaft sind. Berlin, den 07. Februar 2012 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Feb. 2012)