Drucksache 17 / 10 180 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller (LINKE) vom 07. Februar 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Februar 2012) und Antwort Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flücht- linge wurden in den Jahren 2006 bis 2011 in Berlin in Obhut genommen (bitte nach Jahren und nach Nationalität und Geschlecht getrennt auflisten)? Zu 1.: In Obhut genommene unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Jahr Männlich Weiblich Gesamt 2006 197 65 262 2007 183 73 256 2008 156 57 213 2009 151 62 213 2010 233 108 341 2011 175 82 257 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 180 2. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat vor, auf welchen Wegen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nach Berlin gelangen und welche Rolle spielt dabei eine Anreise per Flugzeug? Zu 2.: Die Daten zur Einreise der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge werden nicht statistisch erfasst. Im Rahmen des Erstgesprächs zur Inobhutnahme gibt die Mehrheit der Minderjährigen an, über den Landweg nach Deutschland eingereist zu sein. Ca. 30 % berichten von einem Flug in ein unbekanntes Land bzw. eine unbekannte Stadt. Erkenntnisse darüber, wie viele der Minderjährigen per Flugzeug direkt in Berlin angekommen, liegen nicht vor. 3. Wie viele der aufgenommenen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge waren zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme jünger als 18 und älter als 16 Jahre? 4. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge waren zum Zeitpunkt ihrer Einreise jünger als 16 Jahre? Zu 3. und 4.: In Obhut genommene unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (Angaben in %) Jahr Vietnam Libanon (einschließlich Palästinenser) Afrika Russische Förderation Andere Länder 2006 66,6 9,5 6,2 2,1 15,6 2007 74,2 8,4 3,0 1,8 12,6 2008 51,7 12,2 20,9 3,8 11,4 2009 47,5 12,0 17,8 5,5 17,2 (davon 34,8 Afghanistan) 2010 24,8 17,0 24,0 8,9 25,3 (davon 35,1 Afghanistan) 2011 7,0 18,3 20,2 19,9 34,6 (davon 44,9 Afghanistan) In Obhut genommene unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter 16 Jahre 16 bis 17 Jahre Gesamt Jahr Männlich Weiblich Männlich Weiblich 2006 177 58 20 7 262 2007 158 63 25 10 256 2008 130 50 26 7 213 2009 100 52 51 10 213 2010 118 52 115 56 341 2011 84 45 91 37 257 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 180 5. Wie viele unbegleitete minderjährige Flücht- linge befanden sich zum 31.12.2010 sowie zum 31.12.2011 in der Erstaufnahme- und Clearingstelle und wie viele in Nachfolgeeinrichtungen der Jugendhilfe in den Bezirken (bitte bezirklich aufschlüsseln)? Zu 5.: Zum Stichtag 31.12.2010 befanden sich insgesamt 74 und zum 31.12.2011 insgesamt 59 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in der Erstaufnahmeund Clearingstalle (EAC). Unterbringung in Nachfolgeeinrichtungen 31.12.2010 Bezirksamt Unter 16 16/17 Minderjährig insgesamt Junge Voll- jährige Jugendhilfe insgesamt Mitte 20 30 50 9 59 Fr-Kr 15 12 27 15 42 Pankow 16 26 42 7 49 Cha-Wi 12 32 44 12 56 Spandau 10 10 20 11 31 Ste-Zehl 16 28 44 13 57 Te-Schö 21 28 49 8 57 Neukölln 17 26 43 1 44 Tre-Kö 9 23 32 11 43 Ma-Hel 21 13 34 10 44 Lich 16 32 48 8 56 Rckdorf 11 20 31 7 38 Summe 184 280 464 112 576 Unterbringung in Nachfolgeeinrichtungen 31.12.2011 Bezirksamt Unter 16 16/17 Minderjährig insgesamt Junge Voll- jährige Jugendhilfe insgesamt Mitte 27 18 45 22 67 Fr-Kr 14 17 31 15 46 Pankow 11 32 43 13 56 Cha-Wi 8 34 42 15 57 Spandau 14 20 34 12 46 Ste-Zehl 10 26 36 17 53 Te-Schö 15 31 46 9 55 Neukölln 18 23 41 8 49 Tre-Kö 12 21 33 7 40 Ma-Hel 9 24 33 16 49 Lichtenberg 10 26 36 12 48 Reinickendorf 11 22 33 16 49 Summe 159 294 453 162 615 Die Bezirksnamen sind wie folgt abgekürzt: Fr-Kr: Friedrichshain-Kreuzberg Ch-Wi: Charlottenburg-Wilmersdorf Ste-Zehl: Steglitz-Zehlendorf Te-Schö: Tempelhof-Schöneberg Tre-Kö: Treptow-Köpenick Ma-He: Marzahn-Hellersdorf 6. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurden im Jahre 2010 sowie im Jahre 2011 mit welcher Begründung abgeschoben und inwieweit wurden dabei die Rechte der Kinder und Jugendlichen nach dem SGB VIII und der UN-Kinderrechtskonvention berücksichtigt? Zu 6.: Die Anzahl der abgeschobenen unbegleiteten Minderjährigen und die jeweiligen Gründe für die Abschiebungen werden in der Ausländerbehörde Berlin nicht statistisch erfasst und können daher nicht mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden. Nach qualifizierter Schätzung 3 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 180 liegt die jährliche Zahl im niedrigen einstelligen Bereich. Im Verwaltungsvollzug der Ausländerbehörde werden die rechtlichen Rahmenbedingungen beachtet. 7. Welche wesentlichen Gründe sind nach Kenntnis des Senats ursächlich für die unbegleitete Flucht von Kindern und Jugendlichen aus ihren jeweiligen Herkunftsländern und welche Trends sind hier erkennbar? Zu 7.: Angaben zu den Fluchtgründen werden ebenfalls nicht statistisch erfasst. Im Rahmen des Erstgesprächs und der weiteren Sozialanamnese wird zur Einschätzung der persönlichen Situation im Herkunftsland und den damit verbundenen Belastungen, denen das Kind oder der/die Jugendliche ausgesetzt war, auf die Gründe eingegangen, die zur Flucht geführt haben. Ca. 30 % verlassen ihr Heimatland aufgrund der dort herrschenden politischen Situation. Hierzu gehören Herkunftsländer wie Afghanistan, Libanon (Palästinenser/innen) und die Russische Föderation (insbesondere Dagestan) sowie Guinea (Conakry). Aufgrund der familiären Situation, oft auch in Verbindung mit vorherrschenden Traditionen wie Beschneidung und Zwangsverheiratung oder innerfamiliären Auseinandersetzungen, organisieren Familienangehörige oder sogenannte Helfer die Ausreise bei ca. 40 % der Minderjährigen. Kinder unter 14 Jahren teilen oft nur mit, dass sie von den Eltern oder Großeltern ins Ausland geschickt worden seien. Wirtschaftliche Gründen spielen vor allem bei dem Herkunftsland Vietnam die größte Rolle, wobei die Zahl der neu ankommenden Minderjährigen seit Mitte 2011 deutlich rückläufig ist. Die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge aus Afghanistan und der russischen Föderation hingegen ist deutlich angestiegen , wie sich der Tabelle zu 1. entnehmen lässt. 8. Wie bewertet der Senat nach seinen Erfahrungen die Chancen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge für einen gesicherten Aufenthaltsstatus, für Bildung und Ausbildung als Voraussetzung für eine gelingende Integration in unser Gemeinwesen? Zu 8.: Unbegleitete Minderjährige erhalten einen gesicherten Aufenthaltsstatus, wenn sie aus berechtigten Gründen aus ihrem Heimatland geflüchtet sind oder unverschuldete Abschiebungshindernisse bestehen. Einem unbegleiteten Minderjährigen/einer unbegleiteten Minderjährigen , der/die als Asylberechtigte/r anerkannt wurde oder dem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, wird eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 bzw. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt. Diese wird für drei Jahre erteilt und verfestigt sich sodann zur Niederlassungserlaubnis . Sofern subsidiärer Schutz nach § 25 Abs. 3 AufenthG gewährt wurde, besteht für Minderjährige die Möglichkeit der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter den erleichterten Voraussetzungen des § 35 AufenthG, vgl. § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG. 9. Welche Planungen gibt es bezüglich der Behandlung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge auf dem demnächst öffnenden Großflughafen „Willy Brandt“? Ist vorgesehen, das Flughafenasylverfahren auch auf Kinder und Jugendliche anzuwenden? 11. Welche Maßnahmen hat der Senat von Berlin bisher ergriffen, um die Anwendung des Flughafenasylverfahrens auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu verhindern und welche Ergebnisse liegen bisher vor? 12. Was gedenkt der Senat in seiner Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Bundespolizei zu unternehmen, um das Kindeswohl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge auch auf dem Flughafen „Willy Brandt“ zu gewährleisten? Zu 9., 11. und 12.: Der Flughafen befindet sich auf Brandenburger Gebiet. Betrieben wird die Flughafenunterbringung von der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg. Zuständig für die Durchführung des Flughafenasylverfahrens sind das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Bundespolizei. Aufgrund dieser Gesetzeslage liegen alle Planungs- und Verfahrensfragen für den Betrieb der Einrichtung gänzlich außerhalb der Entscheidungsgewalt des Landes Berlins. Auf die Bundestagsdrucksachen 17/8218 und 17/8095 wird hingewiesen. 10. Welchen Standpunkt bezieht der Senat von Ber- lin im Hinblick auf die Einhaltung der Rechte unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge insbesondere bezüglich der Gewährleistung des Kindeswohls? Zu 10.: Das Handeln des Senats ist bestimmt vom Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN Kinderrechtskonvention ). Zur Gewährleistung des Kindeswohls erfolgt eine Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII für alle minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge unter 18 Jahren mit anschließender Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe. Berlin, den 16. März 2012 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Mrz. 2012) 4 Jahr In Obhut genommene unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Unterbringung in Nachfolgeeinrichtungen 31.12.2010 Bezirksamt Unterbringung in Nachfolgeeinrichtungen 31.12.2011 Bezirksamt Unter 16