Drucksache 17 / 10 243 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Renate Harant, Thomas Kleineidam und Joschka Langenbrinck (SPD) vom 21. Februar 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Februar 2012) und Antwort Hygiene-Vorschriften für Tagesmütter: Werden Probleme gelöst, die es gar nicht gibt? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Seit 2005 wird vergeblich versucht, eine übermäßige Kontrolle von Tagespflegeeltern zu verhindern, in dem Bund, EU und andere Länder davon überzeugt werden, dass Tagespflegeeltern keine Lebensmittelunternehmer/- innen im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 seien. Die kontroverse öffentliche Diskussion knüpfte zudem an die teilweise Fehlinterpretationen des Berliner Leitfadens aus der früheren Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz an. Die Befürchtungen gingen bekanntlich soweit, dass in den Wohnungen der Tagespflegeeltern großküchenartige Einrichtungen vorzusehen seien. Da Tagespflegeeltern sehr wohl regelmäßig Dritten (also nicht Angehörigen der eigenen Familie) Essen zubereiten, sind sowohl die allermeisten Länder als auch der Bund dabei geblieben, dass die eindeutige Definition dazu führt, dass Tagespflegeeltern als Lebensmittelunternehmer /-innen einzuordnen sind. Auch die EUKommission , die für die Rechtsanwendung konkreter einzelner Fallgestaltungen nicht zuständig ist, hat keine davon abweichenden Vorgaben gemacht. Der neue Senat hat sich darauf konzentriert, nicht die Definition des Lebensmittelunternehmers bzw. der Lebensmittelunternehmerin anzugreifen, sondern die Rechtsfolgen und sich daraus ergebenden Pflichten für die Tagespflegeeltern neu zu ordnen. Dazu haben wir jetzt Einvernehmen sowohl mit dem Bund, mit nahezu allen Ländern und einen zustimmenden, einstimmigen Beschluss im Rat der Bürgermeister in Berlin erzielt. Die neue Regelung sieht vor, dass Tagespflegeeltern, auch wenn Sie als Lebensmittelunternehmer/-innen einzuordnen sind, nur einfache, leicht zu erfüllende Pflichten auferlegt werden müssen. Dazu gehören vor allem: Die Tagespflegeeltern erfüllen ihre Registrierungs- pflicht als Lebensmittelunternehmer/-innen, wenn sie sich beim Bezirksamt als Tagespflegeeltern anmelden. Sie müssen (wie bisher auch) geschult sein, dürfen bestimmte Lebensmittel (wie rohes Fleisch in Tatar o. Ä.) nicht verköstigen und brauchen 2 Wasch- bzw. Spülvorrichtungen (z. B. Waschbecken). Besondere Kontrollen sind - auch im Hinblick auf den Schutz der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz - nicht notwendig. Behördliches Handeln kann sich im Schwerpunkt auf Schulungsangebote und Aufklärung über die hygienerechtlichen Vorschriften konzentrieren. Entsprechend werden die Tagespflegeeltern bei ihrer Anmeldung informiert, erhalten Fortbildungsangebote und einen Fragebogen, um im Rahmen einer Selbsteinschätzung beurteilen zu können, ob die hygienerechtlichen Anforderungen, die im Wesentlichen den in Haushalten allgemeinüblichen Standards entsprechen, erfüllt sind. Ein Besuch der Lebensmittelüberwachung ist allenfalls dann erforderlich, wenn sich bei den Fortbildungen oder aus den Fragebögen weiterer Beratungsbedarf ergibt. Im nächsten Schritt wird die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz mit den für die Veterinärund Lebensmittelüberwachung zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bezirke die Umsetzung der erreichten rechtlichen Klarstellungen erörtern. Auf diese Weise soll ein einheitliches Vorgehen in den Bezirken sichergestellt und damit weitere Verwirrung vermieden werden. Mit dem skizzierten Vorhaben für die Tages- pflegeeltern soll eine verlässliche und klare Situation geschaffen werden. 1. Trifft es zu, dass die EU-Kommission die Position vertritt, dass die EU-Lebensmittel-Hygiene-Verordnung nicht für Tagesmütter gilt und wenn ja: warum vertritt der Senat eine andere Position? 2. Wie lässt sich begründen, dass Kindergruppen, wenn sie durch Tagesmütter mit Essen versorgt werden, Hygiene-Vorschriften unterliegen, wie sie für Großküchen gelten und müssten in der Konsequenz nicht kinderreiche Familien mit ähnlichen Auflagen rechnen? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10243 2 Zu 1. und 2: Die allgemeinen Lebensmittel- hygienevorschriften der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 gelten für Lebensmittelunternehmen. Das sind nach EURecht - Verordnung (EG) Nr. 178/2002 - alle Unternehmen, die eine mit der Produktion, der Verarbeitung und dem Vertrieb von Lebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit und Abgabe an Dritte ausführen , gleichgültig, ob sie auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist oder nicht und ob sie in angemieteten und privaten Räumen tätig sind. Nach Auffassung der EU-Kommission sind in der Kindertagesbetreuung in Kindertagespflege im Hinblick auf die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Ergänzend ist die EU-Kommission der Auffassung, dass es nicht die Aufgabe der gemeinschaftlichen Rechtsetzung ist, detaillierte Regelungen zu schaffen und etwa festzulegen, welche Regelungen jeweils für Tagespflegepersonen, die Kinder im Haushalt der Tagespflegepersonen oder in angemieteten Räumen betreuen, gelten. Vielmehr ist es Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, wie das Ziel, dass Kinder, die in einer Tagesbetreuung, etwa durch Tagespflegepersonen , betreut werden, gesundheitlich einwandfrei ernährt werden, erreicht werden kann. Entsprechend sind die Mitgliedstaaten für die Durchsetzung des gemeinschaftlichen und nationalen Regelungswerks und für die entsprechende Information von Tagespflegepersonen verantwortlich. Der Senat ist mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und der Mehrheit der Bundesländer der Auffassung , dass alle Tagespflegepersonen „Lebensmittelunternehmer /-innen“ sind und nur die Tagespflegepersonen , die die Kinder im Haushalt der eigenen Eltern betreuen, ausgenommen sind. Denn im Haushalt der eigenen Eltern werden Kinder im privaten häuslichen Bereich der eigenen Familie betreut, wo lebensmittelrechtliche Vorschriften nicht gelten; auch wenn es sich um kinderreiche Familien handelt. Die Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (LAV) hat dies in ihrer Sitzung am 17. April 2012 beschlossen und den Bund gebeten, auf die Erarbeitung eines kurzgefassten bundeseinheitlichen „Leitfadens für die Lebensmittelhygiene in der Kindertagespflege“ hinzuwirken. 3. Mit welchem Zeitaufwand werden Tagesmütter in Zukunft rechnen müssen, wenn sie die Hygiene-Vorschriften gemäß der EU-Verordnung in vollem Umfang erfüllen? 4. Wie ist die Tatsache zu bewerten, dass durch die Hygiene-Vorschriften Zeit für die Betreuung und Förderung der Kinder verloren geht? 5. Wie groß ist die Gefahr, dass die Arbeit als Tagesmutter durch die zusätzlichen Auflagen an Attraktivität verliert und trotz steigendem Bedarf weniger Tagesmütter gewonnen werden können? Zu 3. bis 5.: Den Tagespflegepersonen werden keine zusätzlichen Aufgaben gestellt. Die Anforderungen, die auf dem EU-Recht basieren, sind einfach, z. B. Vorrichtungen zum hygienischen Händewaschen, leicht zu reinigende Arbeitsflächen, Trinkwasserzufuhr (warm/kalt) und eine Vorrichtung zur Abfalllagerung. Diese räumlichen Anforderungen werden von jedem Haushalt, der auf gesunde Ernährung eingestellt ist, erfüllt. Den weiteren Anforderungen wie z. B. die Registrierungspflicht und die Verpflichtung zu Eigenkontrollen , kann und wird unkompliziert und praxisgerecht Rechnung getragen. 6. Wie soll die strenge Überwachung, ob alle 1300 Tagesmütter die Auflagen einhalten, von den Bezirken personell und finanziell umgesetzt werden? Zu 6.: Das behördliche Handeln wird sich, diese Haltung ist in der LAV abgestimmt und trägt der Flexibilität des EU-Lebensmittelhygienerechts Rechnung, im Schwerpunkt auf Schulungsangebote und Informationen über die hygienerechtlichen Vorschriften konzentrieren. 7. Hat der Senat Verständnis dafür, dass den Tagesmüttern und den Eltern die Auflagen unverhältnismäßig und überflüssig erscheinen, da in den letzten fünf Jahren keine hygienischen Beanstandungen gegenüber Tagesmüttern bekannt wurden? Zu 7.: Der Senat schätzt die gute Betreuungsarbeit der Berliner Tagespflegepersonen sehr und das Ziel, seine Aufgabe, für eine gesundheitlich unbedenkliche Ernährung von Kindern in Tagespflege zu sorgen, wird durch Unterstützung und Beratung der Tagespflegepersonen erreicht. Entsprechend werden in Abstimmung zwischen den Jugend- sowie den Veterinärund Lebensmittelaufsichtsämtern gemeinsame Schulungen der Tagespflegepersonen durchgeführt, die sehr positiv aufgenommen werden. Lebensmittelhygienische Maßnahmen der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter beziehen sich ausschließlich auf die für eine lebensmittelrechtliche Kontrolle erforderlichen Räumlichkeiten der Tagespflegestelle insbesondere der Küche und dem Sanitärbereich und verlaufen in einer beratenden Atmosphäre mit dem Ziel, die Kompetenz und die Sicherheit der Tagespflegepersonen zu stärken. Berlin, den 30. Mai 2012 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Juni 2012)