Drucksache 17 / 10 305 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Özcan Mutlu (GRÜNE) vom 12. März 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. März 2012) und Antwort Rassistischer Übergriff auf Schüler/-innen in der S-Bahn Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat den rassistischen Übergriff auf eine Kreuzberger Schulklasse am 20.12.2012 in der SBahn zwischen Ostbahnhof und Alexanderplatz und wie hat der Senat bisher darauf reagiert? 5. Wann und wie hat die Bildungssenatorin von dem Vorfall erfahren? 6. Wie gedenkt der Senat den betroffenen Schüler/- innen zu helfen? 7. Weshalb sah sich die Bildungssenatorin bisher nicht dazu veranlasst, öffentlich zu dem Vorfall Stellung zu nehmen? 8. Wurde seitens der Bildungsverwaltung bzw. durch die Bildungssenatorin Kontakt zur betroffenen Schulklasse und den Schüler/-innen aufgenommen? Zu 1., 5., 6., 7. und 8.: Der Senat verurteilt jegliche Form rassistischer Übergriffe, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit . Die Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat Stellung zu den Übergriffen auf die Schulklasse genommen. Anlässlich der bundesweiten Schweigeminute im Mai 2012 für die Opfer der rechtsextremistischen Morde hat die Senatorin zum Beispiel auch die Angriffe auf die Berliner Schulklasse und die Brandanschläge auf einen Jugendclub verurteilt und zu Zivilcourage aufgerufen . Die Schulleiterin hat den Vorfall umgehend gemeldet und erforderliche Maßnahmen in Abstimmung mit der Schulaufsicht und der Schulpsychologie eingeleitet. Die Schule hat die Polizei und die zuständige Schulrätin in die Beratung zum Umgang mit dem Vorfall einbezogen . Es wurde ein geeignetes Projekt zur Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus (ReachOut) am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg für die betroffenen Schülerinnen und Schüler gefunden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ReachOut haben den Vorfall in der Schule gemeinsam mit der Klasse nachbereitet. Die Erzieherinnen und Erzieher der Schule haben darüber hinaus mit den Schülerinnen und Schülern die Ereignisse besprochen. An die Eltern wurde seitens der Schule ein Informationsbrief geschickt. Im Zuge der Aufarbeitung des Vorfalls initiierte der zuständige Bezirksstadtrat für Schule im Beisein der Leitung der regionalen Schulaufsicht ein Gespräch bei der S-Bahn. 2. Mit welchen Konsequenzen muss die S-Bahn aufgrund der unterlassenen Hilfeleistung rechnen? Zu 2.: Eine unterlassene Hilfeleistung ist nicht fest- zustellen. 3. Wie wird sichergestellt, dass Angestellte der S- Bahn Berlin und der BVG in Zukunft angemessen handeln und den Betroffenen bei rassistischen Übergriffen helfen? 9. Welche konkreten Maßnahmen plant der Senat, damit solche Situationen in Zukunft unterbunden werden können? 10. Mit welchen konkreten Maßnahmen möchte der Senat in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für das Thema Zivilcourage schaffen? Zu 3., 9. und 10.: Die Deutsche Bahn geht gegen jeg- liche Form rassistischer Angriffe und Beleidigungen in den Zügen vor, unabhängig wer diese verursacht. In Projekten wie "Bahn-Azubis gegen Hass und Gewalt" beschäftigt sich die Deutsche Bahn aktiv mit dieser gesamtgesellschaftlichen Thematik. Tausende junge Auszubildende haben sich seit Start des Wettbewerbs für Toleranz , Offenheit und Zivilcourage eingesetzt. In den Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 305 2 Kundendienst gehört die Thematik selbstverständlich zum Inhalt. Der Umgang mit rechtsradikalem Verhalten von Fahrgästen wurde für die eingesetzten Triebfahrzeugführerinnen und Triebfahrzeugführer der S-Bahn Berlin zu-letzt in einer umfassenden Deeskalationsschulung (EU-Projekt Xenos) behandelt. Nach dem Vorfall vom Februar d. J., bei dem eine Kreuzberger Grundschulklasse in einem S-Bahn-Zug durch einen Fahrgast rassistisch beleidigt wurde, wurden Vertreterinnen und Vertreter der Schule, der Bildungsverwaltung und des Bezirks zu einem Gespräch eingeladen . Die Beteiligten kamen nach Kenntnis aller Details zu dem Schluss, dass dem Triebfahrzeugführer kein Fehlverhalten vorzuwerfen war. Als positives Ergebnis des Treffens entstand zudem die Idee, ein gemeinsames Schulprojekt durchzuführen. 4. Wie lauten die Anweisungen, die für Polizisten in einer solchen Situation gelten? Zu 4.: Grundsätzlich haben Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte im Rahmen der geltenden gesetzlichen Grundlagen alle Maßnahmen zu treffen, um Straftaten zu verhindern, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden sowie die Aufklärung und Verfolgung begangener Straftaten sicherzustellen. Ein Unterstützungsangebot für Opfer und Zeuginnen und Zeugen rechtsmotivierter Straftaten wird zum Beispiel mittels Handzetteln oder über das Infotelefon unterbreitet. Zudem werden Wege zu psychosozialer und finanzieller Hilfestellung sowie weiterer Betreuung auch bei Behörden und im Justizverfahren aufgezeigt. 11. Welches Budget war für Prävention rechtsextrem motivierter Übergriffe in den Jahren 2009, 2010 und 2011 für Schulen und Jugendeinrichtungen jeweils vorgesehen und welche sind für 2012 und 2013 im Haushalt geplant? Zu 11.: Mit dem Jugendprogramm „respectABel – Aktion Berlin“ werden jährlich Projekte der außerschulischen Jugendbildung - oft in Verbindung mit politischer Bildung - von Jugendeinrichtungen, Jugendverbänden und temporären Projektgruppen gefördert. Im Rahmen des Jugendprogramms hat das Land Berlin für derartige Projekte zur Stärkung von Demokratie und Toleranz sowie gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Jahren 2009, 2010 und 2011 Haushaltsmittel in Höhe von jeweils 175.000,00 € zur Verfügung gestellt. Dieser Betrag ist im Haushaltsplanentwurf jeweils auch für die Jahre 2012 und 2013 vorgesehen. Im Jahr 2012 sind vor allem Projekte in Verbindung mit Schulen geplant. 12. Welche Maßnahmen und Programme plant der Senat, um Kinder und Jugendliche besser vor rechtem Gedankengut zu schützen bzw. sie aufzuklären? 13. In welcher Art und Weise wird in den Bildungseinrichtungen das Thema Rechtsextremismus behandelt und welche Maßnahmen und Programme zur Prävention werden in den Schulen durchgeführt? Zu 12. und 13.: Aufklärung über rechtsextremistisches Gedankengut und den Schutz davor ist ein wichtiger Bestandteil politischer Bildung von jungen Menschen, sowohl im Kontext von Schule, als auch im außerschulischen Bildungsbereich. Die politische Bildung stellt somit auch einen Schwerpunkt der Jugendarbeit (vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII) dar. Auch die Jugendverbandsarbeit (§ 12 SGB VIII) mit der Arbeit des Landesjugendrings (LJR) sowie der acht Jugendbildungsstätten setzt diesen Schwerpunkt. Die Umsetzung des Jugendprogramms „respectABel - Aktion Berlin“ sowie des Bundesprogramms „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt , Toleranz und Demokratie“ werden auch in Zukunft diese Arbeit unterstützen und ergänzen. Die in den „Themenbezogenen Informationsveran- staltungen (TIV)“ angebotenen Präventionsmedien können kostenfrei im Rahmen des „Programms Polizeiliche Kriminalprävention“ (ProPK) im Internet unter dem Link „http://www.gsbl.extrapol.de/propkmedienportal/“ bezogen werden. Daneben werden durch die Polizei Berlin auf Anfrage entsprechende Veranstaltungen in Schulen und Bildungseinrichtungen durchgeführt. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus gehört zur Regelaufgabe der Berliner Schule und ist in den Rahmenlehrplänen verankert. Bereits in der Grundschule ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenrechte und Diskriminierung von Minderheiten die Thematisierung rechtsextremistischer Vorfälle und Ideologien. Das Thema Rechtsextremismus ist im Rahmenlehrplan für dass Fach Sozialkunde der Sekundarstufe I in der Doppeljahrgangsstufe 7/8 für alle Schulformen implizit enthalten: Im Themenfeld 1 „Jugendliche und Politik“ lautet der Kompetenzbezug: „Die Schülerinnen und Schüler begreifen unterschiedliche Interessen sowie gewaltfreie Lösungen von Interessenkonflikten als wesentliche Merkmale einer pluralistischen Gesellschaft , beschreiben und erörtern Handlungsstrategien und leiten aus ihren Ergebnissen ihre Handlungen her.“ Im Themenfeld 3 „Menschenrechte“ analysieren die Schülerinnen und Schüler „aufgabengemäß den Grad der Verwirklichung der Menschenrechte im internationalen Kontext sowie in ihrer Lebenswelt, bewerten diesen und beurteilen die Bedeutung von Menschenrechten vor dem Hintergrund des Zivilisationsprozesses.“ In der Doppeljahrgangsstufe 9/10 setzen sich die Schülerinnen und Schüler im Themenfeld 1 „Demokratie als Herrschaftsform“ mit den zentralen Prinzipien der Demokratie, mit Demokratie ablehnenden Orientierungsund Handlungskonzepten auseinander sowie mit gesellschaftlichen Gegenstrategien. Sie erläutern Formen und Möglichkeiten demokratischer Mitwirkung, untersuchen Formen der politischen Kultur und erörtern zugrunde liegende Werthaltungen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 305 3 Im Fach Geschichte ermöglicht die Doppeljahrgangsstufe 9/10 im Themenfeld „Demokratie und Diktatur“ die Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Rechtsextremismus im Nationalsozialismus und die Aktualisierung des Themas. In der Sekundarstufe II sieht der Rahmenlehrplan im Fach Politikwissenschaft im Themenfeld „Gegner der Demokratie“ die explizite kriterienorientierte Auseinandesetzung mit dem politischen Extremismus, mit entsprechenden Theorien, seiner Praxis, mit aktuellen Tendenzen und Verbindungen vor. Antisemitismus, Nationalismus , Neonazismus und „Neue Rechte“ sind neben Islamismus , Rassismus, Linksradikalismus und Terrorismus weitere Aspekte der Beschäftigung mit diesem Themenkomplex. Das Fach Geschichte ermöglicht in der Sekundarstufe II ebenfalls die Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Rechtsextremismus im Nationalsozialismus. Aktualisierungen des Themas sind ausdrücklich vorgesehen (siehe Schulgesetz § 1). Im Projekt „Standpunkte gegen Rechtsextremismus“ werden in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ jährlich Referendarinnen und Referendare in einer Seminarreihe mit den Grundzügen des Rechtsextremismus vertraut gemacht und präventive Handlungsmöglichkeiten im schulischen Zusammenhang erörtert. Unterschiedliche Materialien zur Demokratieförde- rung und Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus von der Grundschule bis zur gymnasialen Oberstufe sind in Kooperation mit dem American Jewish Committee (AJC) entwickelt und den Schulen zur Verfügung gestellt worden. Eine Broschüre „Handeln gegen Rechtsextremismus an Berliner Schulen“ wurde in Kooperation mit der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) e.V. und dem Beauftragten des Senats für Integration und Migration den Schulen zur Verfügung gestellt. Das Medienforum Berlin stellt zum Thema Rechts- extremismus den Berliner Lehrkräften Bücher, Zeitschriftenaufsätze und Medien zur Verfügung. Berlin, den 06. Juli 2012 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Juli 2012)