Drucksache 17 / 10 318 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Martin Delius (PIRATEN) vom 27. Februar 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. März 2012) und Antwort Inklusion an Berliner Schulen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Das Abgeordnetenhaus hat die Senats- verwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung im Jahre 2009 nach Unterzeichnung der UNBehindertenrechtskonvention (BRK) durch die Bundesregierung mit der Entwicklung eines Konzeptes für die schulische Inklusion in Berlin beauftragt. Eine umfangreiche Umfrage im Frühjahr 2009 unter Verbänden, Vereinen und Mandatsträgern der Stadt hat das Ergebnis hervorgebracht, dass entgegen Art. 4 Abs. 3 der UN-BRK niemand in die Entwicklung des im Januar 2011 präsentierten Entwurfs „Gesamtkonzept Inklusive Schule“ einbezogen wurde. Wieso wurde bereits an diesem sehr wichtigen Punkt gegen die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen? Zu 1.: Das Gesamtkonzept Inklusive Schule wurde im Verlauf des Jahres 2010 erarbeitet. Während dieser Arbeitsphase waren unterschiedliche Arbeitsgruppen beteiligt, die aus Fachleuten zum jeweiligen Themenkomplex, aus der Verwaltung, aus Schulen und Hochschulen und anderen Bereichen zusammengesetzt waren. Parallel dazu gab es vielfältige öffentliche und fachspezifische Veranstaltungen zum Thema, auf denen ein intensiver Austausch mit den jeweiligen Beteiligten und Interessenvertretern/innen stattfand. Auch die Stellungnahmen der Behindertenverbände, die auf Bundesebene mit der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Facharbeitsgruppe im regen Austausch standen und an der die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft beteiligt war, sind in das Berliner Konzept eingegangen. Das vom Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie als ersten Schritt in die notwendige Entwicklung zur inklusiven Schule am 19.05.2011 begrüßte Konzept bedarf nach Ansicht des Ausschusses aber noch der Bearbeitung hinsichtlich der Inhalte und Rahmenbedingungen. Bei den erforderlichen inhaltlichen Ergänzungen seien vor allem die Bedenken der Experten und betroffenen zu berücksichtigen. Auf Grundlage dieses einstimmigen Beschlusses findet seit September 2011 ein intensiver Austausch mit den Behinderten- und Betroffenenvertretungen und dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung in Konsultationsgesprächen gemäß Artikel 3 Absatz 3 der UN-BRK statt. 2. Die UN-BRK macht es zur Maßgabe, die Betroffenen bei der Entwicklung von Konzepten zu konsultieren und – als getrennter Begriff – aktiv einzubeziehen. Auch die im Juni 2011 beschlossenen behindertenpolitischen Leitlinien des Landes Berlin bestätigen diesen Anspruch der aktiven Einbeziehung. In einem Gespräch mit dem Landeselternausschuss Schule, dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen und dem Elternzentrum Berlin e.V. am 25.10.2011 wurde von der Senatsverwaltung BWF, in diesem Gespräch u.a. vertreten durch den Leiter der Abteilung II, Herrn Pieper, zugesagt, die exakte Begrifflichkeit der aktiven Einbeziehung gemäß Art. 4 Abs. 3 UN-BRK (ggf. auch durch externe Stellen) prüfen zu lassen und das Ergebnis dieser Prüfung mitzuteilen. Dies ist bisher nicht erfolgt. Warum nicht? Bis wann liegt dieses Ergebnis vor? Zu 2.: Das Ergebnis der rechtlichen Prüfung der Begrifflichkeit der „aktiven Teilnahme“ wurde in der Konsultation am 16.12.2011 vorgestellt und besprochen. Dabei wurde folgende Position zur Frage der aktiven Beteiligung bei der Erstellung des Gesamtkonzeptes "Inklusive Schule" durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft vertreten: Die aktive Beteiligung gemäß UN-BRK beinhaltet gemeinsame Sitzungen der Verbände und Betroffenenvertretungen mit den für die Ausarbeitung zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörden oder mit den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses sowie die Anhörung zu einem bereits vorliegenden Entwurf in Form von Konsultationen. Die dabei erfolgten Stellungnahmen sind bei der weiteren Ausarbeitung bzw. Umsetzung Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 318 von Konzepten und Vorschriften maßgeblich zu berücksichtigen. Sie beinhaltet nach Auffassung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft aber nicht, dass den beteiligten Organisationen ein formales Stimmrecht zu den einzelnen Maßnahmen zusteht. Eine solche Auslegung des Artikels 4 Absatz 3 der UN-BRK ist nicht mit der Verfassung von Berlin vereinbar. Geht es um Gesetzgebung, so liegt die alleinige Zuständigkeit bei dem Abgeordnetenhaus als der Vertretung des Volkes. Eine Art Vetorecht bestimmter Organisationen in Bezug auf Gesetzentwürfe würde die Kompetenzen des Abgeordnetenhauses unzulässig beschneiden. 3. Wieso wurden die Schulaufsichten in den Bezirken angewiesen, die Schulen bereits seit 2011 zur Bewerbung als "inklusive Schwerpunktschule" aufzufordern, obwohl diese Schulart bisher nur im vom Abgeordnetenhaus zur Überarbeitung vertagten und nicht abschließend behandelten „Gesamtkonzept inklusive Schule" enthalten ist? Warum handelt die Verwaltung hier ohne eine entsprechende politische Entscheidung? Zu 3.: Es gibt keine Anweisung an die Schulaufsichten, zur Bewerbung als „inklusive Schwerpunktschule“ aufzufordern. Es gibt allerdings seit dem Schuljahr 2010/11 die Möglichkeit, auf der Grundlage eines Konzepts im Rahmen von Schulversuchen Erfahrungen über notwendige Strukturen, Ausstattungen und Unterstützungsnotwendigkeiten für künftige inklusive Schulen zu sammeln. 4. Barrierefreiheit sollte inzwischen für die Berliner Verwaltung eine Selbstverständlichkeit sein und bezieht sich nicht nur auf Rampen und Fahrstühle. Wieso stellt die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Dokumente auch auf mehrfache Nachfrage nicht in barrierefreier elektronischer Form, wie z.B. bei den aktuellen so genannten "Konsultationsgesprächen", an welchen Verbände sehbehinderter, blinder, gehörbeeinträchtigter oder gehörloser Menschen teilnehmen, zur Verfügung? Zu 4.: Eine weitgehend barrierefreie Kommunikation in den Konsultationsgesprächen ist nach einer Erhebung des Bedarfs zu Beginn in Rücksprache mit den Betroffenen, insbesondere den Vertretern/innen der Sehbehinderten-, Blinden- sowie Schwerhörigen- und Gehörlosenverbände, sichergestellt . 5. Werden im Rahmen dieser so betitelten "Konsultationsgespräche" Maßnahmen zur barrierefreien Kommunikation, wie z.B. Videotelefonie oder assistierte Telefonie über Kommunikationsdienste wie Skype o.ä. bereitgestellt? Zu 5.: Maßnahmen der barrierefreien Kommunikation in den Konsultationsgesprächen sind der Einsatz von Gebärdendolmetschern/innen und Schriftsprachendolmetschern/innen. Darüber hinaus wurden den Vertretern/innen der Sehbehinderten- und Blindenverbände die Schriftstücke in barrierefreier Form zugesandt. 6. Im Rahmen dieser „Konsultationsgespräche“ fällt eine Vielzahl von elektronischen Dokumenten wie z.B. Protokollkorrekturen, Stellungnahmen von Verbänden an. Die Handhabung und Existenz dieser Dokumente ist bisher gegenüber der Öffentlichkeit vollkommen intransparent. Wie gedenkt die Bildungsverwaltung die Online-Partizipation im aktuellen „Konsultationsprozess“ und den Zugriff auf die entsprechenden Dokumente, deren Korrekturen und die dazu getätigten Stellungnahmen zu gestalten? Bis wann und in welcher Form wird dies umgesetzt? Zu 6.: Der Zugriff auf die Protokolle und die Stellungnahmen der Verbände und Elternvertreter /innen ist den Teilnehmern/innen der Konsultationsgespräche jederzeit möglich, da mit dem Protokoll der jeweiligen Konsultation im Anhang die entsprechenden Dokumente mitversandt wurden. Im Einzelfall erfolgte auf Wunsch auch eine separate Versendung von Dokumenten. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat verabredungsgemäß nach Eingang der Stellungnahmen der Betroffenenvertretungen und Verbände Ende März 2012 eine Synopse erstellt. Diese Unterlagen wurden auf der Homepage der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft veröffentlicht und werden dem Beirat für die weitere Arbeit zur Verfügung gestellt. 7. Mit Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift 8/2009 (Schulhelfer) wurde das gemäß Haushaltsplan für Schulhelfer zur Verfügung stehende landesweite Budget erstmals nicht mehr zentralisiert verwaltet, sondern anteilig den bezirklichen Außenstellen der Senatsverwaltung zugeteilt. Es existiert keinerlei gesetzliche Grundlage und keinerlei Verwaltungs- oder Ausführungsvorschrift darüber, nach welcher Berechnungsgrundlage die Verteilung dieser Haushaltsposition auf die Bezirke erfolgt. Warum nicht? Bitte erläutern Sie die Berechnung dieser Budgets ausführlich und nachvollziehbar und stellen die auf die Bezirke zugeteilten Budgets seit 2009 je Haushaltsjahr dar, zusammen mit der Anzahl an Schülern und Schülerinnen mit Förderbedarf, für die eine Schulhelfermaßnahme im jeweiligen Bezirk beantragt wurde und dem beantragten Stundenumfang, getrennt nach Förderzentren und Regelschulen. Bitte berücksichtigen Sie hier uneingeschränkt, dass bis 19.06.2011 die Antragsgrundlage der Schulen die VV 8/2009 war und hier die Anzahl beantragter Stunden je Schüler oder Schülerin in den Anträgen enthalten war. Erst am 20.06.2011 trat die VV 7/2011 erstmals ohne Angabe individueller Stundenzahlen in Kraft. 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 318 3 Zu 7.: In der Verwaltungsvorschrift Schule Nr. 8/2009 ist in Abschnitt I, Abs. 5 die Berechnungsgrundlage für die regionalen Budgets festgelegt. Hier heißt es: „Berechnungsgrundlage für den Finanzrahmen der Bezirke (Bezirksbudgets) ist nach Maßgabe der verfügbaren Haushaltsmittel die Anzahl aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (außer Schüler/innen mit den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten „Lernen“ und „Sprache“) der Berliner Schule.“ Dies gilt auch für die Verwaltungsvorschrift Schule Nr. 7/2011. Hier wird unter I. 6. ausgeführt, dass „ ... Berechnungsgrundlage für die Zuordnung der Mittel an die Regionen (...) die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (außer Schülerinnen und Schüler mit den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten „Lernen“ und „Sprache“) der öffentlichen Schulen und Ersatzschulen“ ist. Berechnungsgrundlage für die den regionalen Außenstellen zugemessenen Budgets ist demnach die Anzahl aller Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (außer Schüler/-innen mit den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten „Lernen“ und „Sprache“) einer Region. Schüler/-innen im gemeinsamen Unterricht an Regelschulen werden seit dem Schuljahr 2011/12 mit dem Faktor 8 gewichtet (bis dahin mit Faktor 4). Schü- ler/-innen an Förderzentren sowie Schüler/-innen mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung“ werden dagegen mit dem Faktor 1 gewichtet. Mit dieser unterschiedlichen Gewichtung wird vor allem der Priorität des Schulhelfereinsatzes in der Integration Rechnung getragen. Aus den regionalen Budgets werden die von den Schulaufsichten bewilligten Schulhelferstunden finanziert, die über den Träger „tandem Schulhilfe“ personell abgesichert werden. Die nachfolgende Tabelle informiert über die verfügbaren monatlichen regionalen Budgets im Zeitraum 2009 bis 2011. Bezirke Schuljahr 2009/10 Schuljahr 2010/11 Schuljahr 2011/12 (08/09 bis 07/10) (08/10 bis 07/11) (08/11 bis 07/12) in Euro in Euro in Euro 01 Mitte 52.451,00 36.100,00 35.830,00 02 Frh.-Krz. 46.713,00 48.858,00 51.342,00 03 Pankow 56.498,00 62.409,00 61.222,00 04 Charl.-Wilm. 35.905,00 39.623,00 40.278,00 05 Spandau 35.348,00 42.198,00 43.646,00 06 Stegl.-Zehl. 41.254,00 40.676,00 41.341,00 07 Temp.-Schb. 39.917,00 38.367,00 45.589,00 08 Neukölln 24.680,00 40.059,00 38.469,00 09 Trep.-Köp. 26.052,00 41.711,00 41.672,00 10 Marz.-Helld. 54.329,00 40.515,00 39.260,00 11 Lichtenberg 47.766,00 44.364,00 42.508,00 12 Reinickendorf 48.663,00 53.553,00 54.970,00 HHJ - Haushaltsjahr Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 318 Die Veränderungen der regionalen Budgets im Vergleich der einzelnen Schuljahre ergeben sich aus den veränderten Berechnungsgrundlagen. Die Berechnung der regionalen Budgets für August 2012 bis Juli 2013 wird erstellt und an den Träger „tandem Schulhilfe“ weitergeleitet. Die Darstellung der im Zusammenhang mit den regionalen Budgets erfragten Angaben für den Zeitraum 2009 bis 2012 (Anzahl der Schüler/-innen mit Förderbedarf, für die Schulhelfermaßnahmen beantragt wurden sowie die Anzahl der beantragten Schulhelferstunden getrennt nach Förderzentren und Regelschule) ist in dem für die Beantwortung Kleiner Anfragen verfügbaren Zeitrahmen nicht leistbar. Daten zur regionalen Beantragung und Bewilligung von Schulhelferstunden im gemeinsamen Unterricht und in sonderpädagogischen Förderzentren wurden in 2010 (Stichtag 31.08.2010) für das Schuljahr 2010/11 für ein Controllingverfahren erhoben. Die Tabelle mit der regionsweisen Darstellung wurde im Berichtsauftrag Nr. 20 aus der 04. Sitzung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie vom 01. März 2012 veröffentlicht. Für 2009, 2011 und 2012 liegt diese Darstellung nicht vor. Die Finanzierung der Schulhelferstunden für den sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Autismus“ erfolgt mittels eines separaten landesweiten Budgets und wird durch den Träger „Autismus Deutschland e.V.“ abgesichert. Darüber hinaus wird für Schüler/ - innen mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Hören“ an der Eschke-Schule (Charlottenburg-Wilmersdorf) ein separates Budget zur Verfügung gestellt. Der Schulhelfereinsatz wird durch den freien Träger „Sinneswandel gGmbH“ abgesichert. Berlin, den 07. Mai 2012 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Mai 2012) 4