Drucksache 17 / 10 370 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Joachim Krüger (CDU) vom 26. März 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. März 2012) und Antwort 23. August: Tag des Gedenkens für die Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie steht der Senat zum Beschluss des Europa- parlaments, den 23. August (Unterzeichnung des HitlerStalin -Paktes) zu einem Tag des Gedenkens für die „Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime“ einzuführen? Zu 1.: Der Senat respektiert den Beschluss des Euro- paparlaments, insbesondere vor dem Hintergrund der bitteren Erfahrungen der Länder Mittel- und Osteuropas unter der stalinistischen Diktatur, deren Leidensweg mit dem Hitler-Stalin-Pakt besiegelt wurde. Mit dem von Bundespräsident Roman Herzog 1996 proklamiertem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar, der ab 2005 von der UN zum Internationalen Holocaust-Gedenktag ausgerufen wurde, hat Deutschland aber bereits einen eingeführten und weltweit verankerten Gedenktag zur NS-Diktatur, der der besonderen deutschen Verantwortung in Bezug auf die NSVerbrechen auch auf internationaler Ebene Rechnung trägt. Als spezifische deutsche Komponente korrespondiert er mit dem Jahrestag der Novemberpogrome am 9. November sowie mit dem 8. Mai als Jahrestag der Beendigung des von den Nationalsozialisten entfesselten Weltkrieges in Europa. An die SED-Diktatur und damit der Folgen des Stali- nismus für Deutschland erinnert der Jahrestag des Aufstandes am 17. Juni, der Jahrestag des Mauerbaus am 13. August sowie des Mauerfalls am 9. November. 2. Wie beurteilt der Senat die Befürchtung, vorge- tragen von Prof. Dr. Morsch in einem Schreiben des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburger Gedenkstätten vom 19.1.2012 u. a. an den Regierenden Bürgermeister, ein solcher Gedenktag würde Zwietracht sähen, da „Schuld gegeneinander aufgerechnet, Erfahrung von Leid hierar- chisiert, Opfer miteinander in Konkurrenz gebracht und historische Phasen miteinander vermischt werden“? Zu 2.: In dem genannten Schreiben wird das „Ver- mächtnis“ der Präsidenten der Vereinigungen der Überlebenden von Holocaust und Konzentrationslagern zitiert, das diese am 27. Januar 2009 dem Präsidenten des Deutschen Bundestages sowie dem Bundespräsidenten sowie der Stellvertretenden Kommissionspräsidentin, Frau Viviane Reding, übergeben haben. Darin heißt es: „•Die von den Initiatoren des Gedenktages angestrebte Gleichheit im Gedenken an die „Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime“ führt zu unhistorischen Gleichsetzungen und Relativierungen. •Die Einführung dieses Gedenktages wird daher nicht zu Versöhnung und einvernehmlichem Dialog zwischen Opfern, ihren Angehörigen, verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Staaten beitragen, sondern er vertieft Gegensätze , reißt alte Wunden wieder auf und führt zu neuen Auseinandersetzungen und Konfrontationen. •Selbstverständlich erkennen auch wir nicht nur das Leid der Millionen Opfer kommunistischen Terrors an, sondern unterstützen das Bestreben, einen international einheitlichen Gedenktag für sie einzuführen. Ob sich das Datum des 23. August dazu eignet, das mögen weniger Regierungen und Parlamente als vor allem diejenigen beurteilen, die nicht nur in der Zeit der Geltung des Hitler -Stalin-Paktes, also zwischen 1939 und 1941, sondern spätestens seit der Oktoberrevolution 1917 bis zur friedlichen Revolution in Europa 1989/90 unter den kommunistischen Diktaturen gelitten haben.“ Der Senat von Berlin teilt die in dem genannten Schreiben artikulierten Bedenken aller NS-Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg, der Opferverbände der Nationalsozialistischen Diktatur sowie des Zentralrats der Juden in Deutschland, die auch in einer Erklärung von 70 Mitgliedern des Europaparlaments aus verschiedenen Ländern und Fraktionen, darunter des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz, anlässlich des 70. Jahrestages der Wannseekonferenz zum Ausdruck gebracht wurden. Sie gehen dahin, dass die Singularität der NS-Verbrechen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10370 – ohne die der stalinistischen Diktatur gering zu schätzen – in einem gemeinsamen Gedenktag nicht die spezifische Würdigung gerade aus deutscher Sicht finden würde, die ihnen zukommen. Der Senat bekennt sich zum antitotalitären Konsens, wie er von der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages erarbeitet wurde, möchte aber mit Blick auf die spezifische deutsche Verantwortlichkeit seine Erinnerungsarbeit weiterhin an den eingeführten Gedenktagen weiterführen. 3. Gibt es für die Durchführung des Beschlusses des Europaparlaments bereits ein mit den anderen Bundesländern abgestimmtes Vorgehen, im Besonderen mit Brandenburg , bzw. wann ist damit zu rechnen? Zu 3.: Der Senat von Berlin teilt die Einschätzung des Berlin-Brandenburgischen Arbeitskreises der NSGedenkstätten und der Präsidenten aller NS-Opferverbände mit der Landesregierung von Brandenburg. Eine abgestimmte Haltung aller deutschen Bundesländer hierzu gibt es derzeit nicht. Berlin, den 14. April 2012 In Vertretung André Schmitz Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. April 2012) 2