Drucksache 17 /10 404 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann (GRÜNE) vom 04. April 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. April 2012) und Antwort Rechtsextremismus im Berliner Fußball Ich frage den Senat: Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele gewaltbereite (Kategorie B) und gewalt- suchende (Kategorie C) Fans sind in Berlin (Bitte - soweit möglich - aufgeschlüsselt nach Vereinszugehörigkeit) verzeichnet ? Wie viele dieser Fans sind der rechtsextremen Szene von Berlin zuzuordnen? Zu 1.: Zum Ende der Saison 2010/11 wurden in Berlin insgesamt 147 Personen der Kategorie (Kat.) C und 1.120 der Kat. B den Berliner Vereinen wie folgt zugeordnet: Hertha BSC Berlin: 47 Kat. C, 350 Kat. B 1. FC Union Berlin: 25 Kat. C, 400 Kat. B BFC Dynamo: 75 Kat. C, 350 Kat. B Tennis Borussia Berlin: 0 Kat. C, 20 Kat. B Von den vorgenannten Berliner Problemfans sind 86 Personen bereits ein oder mehrmals mit Straftaten aus dem Bereich der rechtsgerichteten politisch motivierten Kriminalität in Erscheinung getreten. 2. Wie viele Personen, die derzeit in der Datei „Ge- walttäter Sport“ gespeichert sind, sind der rechtsextremen Szene von Berlin zuzuordnen? Zu 2.: Unter den in der Datei „Sportgewalt Berlin“ ge- speicherten Personen befinden sich 34 Personen, die bundesweit als rechtsmotiviert bekannt sind. 3. Wie viele Fälle und welche wurden seit dem Jahr 2007 im Zusammenhang mit in Berlin ausgetragenen Fußballspielen bekannt, in denen Personen a) mit rechtsextremen Parolen beschimpft wurden? b) fremdenfeindlich motiviert tätlich angegriffen und ggf. verletzt wurden? c) sonstigen fremdenfeindlichen Vorfällen ausgesetzt waren? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln) 4. In wie vielen dieser Fälle kam es zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bzw. Verurteilungen? (Bitte nach Straftatbeständen aufschlüsseln.) Zu 3. und 4.: Die bundesweit einheitliche und sys- tematische Erhebung und Darstellung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) wird durch den Kriminalpolizeilichen Meldedienst - Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) gewährleistet. Der KPMD-PMK sieht eine statistische Erfassung von Sportereignissen (auch Fußballspielen) nicht vor. Insofern kann hier nur Auskunft über erfasste PMK-Ermittlungsverfahren in Bezug auf Tatörtlichkeiten, im vorliegenden Fall „in Sportgeländen “ als Erfassungskriterium, erteilt werden. Sollten sich beispielsweise Sachverhalte vor einem Stadion zugetragen haben, sind diese im Sinne der Anfrage nicht recherchierbar. Die Staatsanwaltschaft hat zu den festgestellten Ermittlungsverfahren den Verfahrensausgang recherchiert; die jeweilige Anzahl von Verurteilungen ist in Klammern wiedergegeben. Die erfassten Vorgänge verteilen sich in den Jahren 2007 - 2011 wie folgt: a) Propagandadelikte Im Zusammenhang mit Fußballspielen in Berlin wur- den im Recherchezeitraum die nachfolgend skizzierten Propagandadelikte, d. h. Verstöße gegen §§ 86, 86 a Strafgesetzbuch - StGB - (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, z. B. Deutscher Gruß, Hakenkreuz), unabhängig von der Motivation des Täters, registriert: 2007 = 4 (0) 2008 = 7 (3) 2009 = 7 (2) 2010 = 6 (3) 2011 = 2 (0) b) Gewaltdelikte In vorgenannten Sachzusammenhang wurden im Re- cherchezeitraum keine politisch rechts motivierten Gewaltdelikte registriert. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 404 2 c) Sonstige Delikte Weiterhin wurden die folgenden Verstöße gegen § 130 StGB - Volksverhetzung sowie §§ 185 - 187 StGB – Beleidigung , üble Nachrede bzw. Verleumdung bei der Polizei registriert: 2007 = 2 (2) 2008 = 1 (1) 2009 = 2 (0) 2010 = 0 2011 = 0 5. Wie viele Verurteilungen gab es seit dem Jahr 2007 nach § 46 („Diskriminierung und ähnliche Tatbestände“) der Rechts- und Verfahrensordnung des Berliner Fußballverbandes e.V. durch dessen Sportgericht? (Bitte nach Jahren, verwirklichter Tatbestandsvariante, verhängter Sanktion und Tätergruppen aufschlüsseln.) Zu 5.: Nach Mitteilung des Berliner Fußball-Ver- bandes (BFV) gab es seit 2007 folgende Verurteilungen gemäß § 46 der Rechts- und Verfahrensordnung des Berliner Fußballverbandes e.V.: • 2007 keine Vorfälle bekannt • 2008 1 x Spiel 2. Herren VSG Altglienicke – TuS Makkabi; Rassistische Äußerungen am Spielfeldrand durch angetrunkene Zuschauer, Urteil: Wertung gegen Altglienicke , Sperre für den inaktiven Schiedsrichter 1 x Spiel 1. Herren Reinickendorfer Füchse – TuS Makkabi; Rassistische Äußerungen eines Spielers gegenüber dem Trainer von TuS Makkabi, Sanktion: 3 Monate Spielsperre, Anti-Gewalt Kurs für den Spieler (Arabischer Herkunft), Anzeige durch den Verband bei der Polizei, keine Initiative von TuS Makkabi • 2009 keine Vorfälle bekannt • 2010 1 x Spiel 1. Herren bei Viktoria 89 Massive Beleidigungen gegen einen Torwart, Sanktion: keine; 15-minütige Spielunterbrechung, danach waren Ordner vorhanden und das Spiel wurde zu Ende gespielt • 2011 keine Vorfälle bekannt • 2012 1 x Spiel Landesliga BSV Hürtürkel – TuS Makkabi, Rassistische Äußerungen von außen durch die Zuschauer, Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen Im Jugendbereich sind nach Mitteilung des BFV außer wenigen Beleidigungen keine Vorfälle bekannt. 6. Welche Erkenntnisse hat der Berliner Senat über rechtsextreme Unterwanderungen von Ultra- und Hooligangruppen sowie von Fußballvereinen, Fanclubs und Ordnerdiensten in Berlin? (Bitte Gruppen, Vereine, Clubs etc. benennen) Zu 6.: Ultra- und Hooligangruppen sind grundsätzlich nicht in ihrer Gesamtheit als rechts- motiviert zu bewerten . Dies schließt partielle Überschneidungen der beiden Szenen nicht aus. Zu einer Unterwanderung der genannten Gruppierungen liegen der Polizei Berlin keine Erkenntnisse vor. Dem Berliner Verfassungsschutz liegen ebenso keine Erkenntnisse zu rechtsextremen Unterwanderungen der Ultra- und Hooliganszene, zu Fußballvereinen , Fanclubs oder Ordnerdiensten vor. In Einzelfällen kann eine Zugehörigkeit von Ange- hörigen der „rechten Szene“ zu einer dieser Gruppierungen auf Grund persönlicher Kontakte oder der Affinität zum Fußball gegeben sein. 7. Welche Maßnahmen hat der Senat seit dem Jahr 2007 zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im Fußball ergriffen? Zu 7.: Der Örtliche Ausschuss Sport und Sicherheit (ÖASS) bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport befasst sich seit Februar 2008 auf Grundlage von Beschlüssen der Innenministerkonferenz und der Sportministerkonferenz aus dem Jahr 2007 mit dem Thema Gewalt im Fußball. Dies schließt auch die Themenbereiche Rassismus, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Homophobie ein. Ziel ist es, diesen Phänomenen frühzeitig durch nachhaltige, auf langfristige Wirkung gerichtete, gesamtgesellschaftliche, vernetzte Präventionsmaßnahmen konsequent entgegenzuwirken (zu den Maßnahmen siehe auch unter Zu 11.:, Seite 6 ff.). Im ÖASS sind u. a. die Senatsverwaltungen für In- neres und Sport, für Bildung, Jugend und Wissenschaft, für Justiz und Verbraucherschutz, die Landeskommission „Berlin gegen Gewalt“, der Polizeipräsident in Berlin, die Bundespolizeidirektion Berlin, der Beauftragte des Senats für Integration und Migration von Berlin bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, die Sportjugend Berlin im Landessportbund Berlin (LSB), das Fanprojekt Berlin, die Stadionbetreiber (Olympiastadion Berlin, Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, Sportforum Berlin ), der Olympiapark Berlin, der Berliner FußballVerband und der Nordostdeutsche Fußball-Verband sowie die Vereine Hertha BSC Berlin, 1. FC Union Berlin, BFC Dynamo und Tennis Borussia Berlin vertreten. 8. Welche Fanprojekte zur Bekämpfung von Rechts- extremismus im Fußball gibt es seit dem Jahr 2007 in Berlin? Zu 8.: In Berlin wird bereits seit 1990 das "Fanprojekt Berlin" der Sportjugend Berlin im LSB von der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung gefördert. Ziel des Fanprojektes ist es, die jugendlichen Fans im Umfeld von Hertha BSC, 1.FC Union, dem BFC Dynamo sowie Tennis Borussia mit von Sport und präventiv sozialpädagogisch geprägten Betreuungsangeboten anzusprechen und die Entstehung von Konfliktsituationen im Aufeinandertreffen mit den Anhängern anderer Vereine zu Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 404 3 minimieren (Gewaltminderung und Prävention als Schlüssel zur Deeskalation). Besonderes Augenmerk legt die Projektarbeit auf die Aufklärung der Jugendlichen gegenüber rassistischen und extremistischen Einstellungen u. a. durch themenbezogene Bildungsarbeit (z. B. Besuch von Ausstellungen). Die Förderung von Toleranz und gewaltfreier Konfliktlösung sowie die Vermittlung von demokratischen und humanitären Prinzipien stehen hierbei im Fokus der Bemühungen . Das Fanprojekt hat im Zusammenwirken mit ordnungspolitischen Maßnahmen in den vergangenen Jahren erheblich zur Eindämmung von Gewalt und Extremismus im Umfeld des Fußballs beigetragen und wird auch künftig weitergeführt. Hauptzielgruppe sind 14 - 25 jährige Fans aller so- zialen Schichten, die sich im Umfeld der vorgenannten Vereine aufhalten. Dabei arbeitet das Projekt insbesondere mit auffälligen und gewaltfaszinierten Jugendlichen und Gruppen, die durch gewalttätige Auseinandersetzungen , Vandalismus, sowie durch Ausländerfeindlichkeit, rassistische Äußerungen, antisemitische Schmährufe und sexistische Gesänge im Fußballstadion und dessen Umfeld in Erscheinung treten. 9. Welche Projekte des Berliner Fußballverbandes zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im Fußball gibt es seit dem Jahr 2007? Zu 9.: Der Berliner Fußball-Verband (BFV) bietet Schulungsmodule für Schiedsrichter, Sportrichter und Trainer an, eine jährliche Sensibilisierung beim „Präventionstag “ des BFV und die Thematisierung innerhalb der Betreuerschulung. In Entwicklung befindet sich ein themenspezifisches Modul beim „Betreuerführerschein“. Auf allen rund 300 Sportplätzen Berlins hängt ein Appell des BFV aus, sich gegen Rassismus einzusetzen. Im Rahmen seines Internet-Auftritts hat der Berliner Fußball-Verband unter Soziales - Prävention einen Link „Online-Beratung gegen Rechtsextremismus“ des Vereins Gegen Vergessen - Für Demokratie e. V. geschaltet. 10. Welche Projekte von Berliner Fußballvereinen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im Fußball gibt es seit dem Jahr 2007? (Bitte Projekte nach jeweiligem Verein aufschlüsseln) Zu 10.: Laut Berliner Fußball-Verband ist Tennis Bo- russia Berlin als ein Verein mit jüdischem historischen Hintergrund sehr aktiv in diesem Themenfeld tätig. Er zeigt dies u. a. sehr stark bei Veranstaltungen durch Plakate und ist bei Veranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus durch den Berliner Fußball immer präsent. 11. Welche der Projekte unter 8.-10. hat der Senat in welcher Form unterstützt? (Bitte jeweilige Form der Be- teiligung beschreiben und die jeweils zur Verfügung gestellten Mittel der Höhe nach beziffern) Zu 11.: Die Landeskommission Berlin gegen Gewalt bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport unterstützt den Berliner Fußball-Verband seit April 2008 bei der Gewalt - und Rechtsextremismusprävention, indem sie jährlich Mittel in Höhe von 80.000.- € zur Verfügung stellt. In den Jahren 2008 bis 2012 sind dabei in der Gesamt- förderung die folgenden Anteile zum Thema Rechtsextremismus enthalten: 2008 • Strategien gegen Rechtsextremismus (12 Kurse für je 20 Personen á je 125,00 €) = 1.500,00 € • 350 Banner für die Vereine und Sportplätze, die sich gegen „Rechte Gewalt“ aussprechen = 8.330,00 € • Aktion Frühjahrsputz - das Entfernen von rassisti- schen und diskriminierenden Graffitis von Sportplätzen = 2.500,00 € 2009 • Strategien gegen Rechtsextremismus (drei Kurse für Sportrichter/innen, Schiedsrichter/innen und Übungsleiter/innen á je 700,00 €, eine Veranstaltung 1.400,00 € mit Ergebnisdokumentation á 700,00 €) = 4.200,00 € • Umfrage Jugend zum Thema Rassismus = 2.000,00 € • Erstellen einer Schulungs-DVD für Vereine, die u. a. das Thema Rechtsextremismus beinhaltet = 21.300,00 € 2010 • Erstellen einer Broschüre „No Racism - dieses Spiel dauert länger als 90 Minuten“ = 8.000,00 € • Tagung zum Erfahrungsaustausch zur Gewalt- und Rechtsextremismusprävention = 1.600,00 € 2011 • Open-Space-Veranstaltung zur Bestandsaufnahme und Projektentwicklung = 3.000,00 € • Betreuung der Vereine durch Sozialarbeiter/innen in vier Berliner Schwerpunktbezirken, die bedarfsorientiert auf die Problemlagen der Bezirke eingehen und diese bei Problemlösungen unterstützen. Dabei wurden die Bezirke Lichtenberg und Hohenschönhausen besonders bei Problemlagen zum Thema Umgang mit rechtsextremistischen Vorfällen beraten. Gesamtkosten für den Einsatz der Sozialarbeiter = 28.000,00 € 2012 voraussichtlich (ein Zuwendungsbescheid ist auf Grund der vorläufigen Haushaltswirtschaft noch nicht erteilt worden) • Ausbau und fortlaufende Betreuung der Vereine in den vier Schwerpunktbezirken, anteilig ist auch Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 404 4 immer das Thema Rechtsextremismus enthalten = 12.000,00 € • Entwicklung eines Betreuer-Führerscheins, der auch das Thema Rechtsextremismus beinhaltet = 10.000,00 € • Finanzierung eines Roll-ups in dem sich die einzelnen Vereine u. a. gegen Rechtsextremismus aussprechen = 12.000,00 € Finanziert wird das Fanprojekt Berlin (s. zu Frage 8) gemäß dem „Nationalen Konzept Sport und Sicherheit“ zu zwei Dritteln durch die für Jugend zuständige Senatsverwaltung und zu einem Drittel durch den Deutschen Fußball -Bund und die Deutsche Fußball-Liga. Das Fanprojekt wird jährlich durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft mit rund 140.000 € im Rahmen einer Fehlbedarfsfinanzierung gefördert. 12. Welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechts- extremismus im Fußball plant der Senat künftig zu ergreifen und welche Projekte im Sinne der Nr. 8.-10. in welcher Form zu unterstützen? (Bitte die für die Maßnahmen und Projekte jeweils eingestellten Mittel der Höhe nach beziffern.) Zu 12.: Der Örtliche Ausschuss Sport und Sicherheit wird sich in seiner Arbeit auch künftig gezielt mit dem Themenfeld Rechtsextremismus im Fußball befassen. Über das Jahr 2012 hinaus sind bisher keine weiteren Förderungen von Projekten des Fußballs in Berlin durch die Landeskommission Berlin gegen Gewalt geplant, da die zum bisherigen Projekt des BFV bestehende Förderung Ende 2012 beendet sein wird. Eine Fehlbedarfsfinanzierung des Fanprojekts Berlin durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft ist dagegen für 2013 weiterhin vorgesehen. Berlin, den 24. Mai 2012 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Juni 2012)