Drucksache 17 / 10 436 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Monteiro (SPD) vom 17. April 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. April 2012) und Antwort Studium und Behinderung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Sind dem Senat die Empfehlungen des „Bündnisses barrierefreies Studium“ vom Februar 2012 zur Konkretisierung der Landesaktionspläne zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNBRK ) im Bereich „Studium und Behinderung“ bekannt? Zu 1.: Die Empfehlungen des „Bündnisses barriere- freies Studium“ vom Februar 2012 sind dem Senat bekannt. 2. Wird der Senat die dort gemachten Empfehlungen aufgreifen, um diesen Bereich in den Berliner Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention (Zwischenbericht: DS 16/4265) aufzunehmen und den Aktionsplan diesbezüglich zu präzisieren? Zu 2.: Bei allem integrationspolitischen Handlungs- bedarf an den Berliner Hochschulen sind von den zehn Handlungsempfehlungen des „Bündnisses barrierefreies Studium“ sieben mindestens im Grundsatz erfüllt: Nachteilsausgleich bei Zugang und Zulassung sowie im Studium und bei Prüfungen, Beauftragte für Studierende und Studienbewerber/innen mit Behinderung, Barrierefreiheit , Informations- und Beratungsangebote, Barrierefreie Hoch-schullehre sowie die Finanzierung notwendiger personeller und technischer Unterstützung. In den Vorbemerkungen empfiehlt das o. g. Bündnis gerade nicht, alle Maßnahmen 1:1 in Landesaktionspläne aufzunehmenden. Sondern vielmehr empfiehlt es den regionalen Akteuren und Akteurinnen, nach einer Bestandaufnahme die erforderlichen Maßnahmen in Abhängigkeit der konkreten Situation in Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behinder-tenrechtskonvention aufzunehmen. Auch wenn die zehn behindertenpolitischen Leitlinien des Landes Berlin zur nachhaltigen Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention bis zum Jahr 2020 noch keine Maßnahmen an den Hochschulen enthalten, arbeitet die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft zusammen mit den Berliner Hochschulen bereits seit März 2011 im Bottom-Up-Verfahren daran, die Integration von Studierenden mit Behinderungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiter zu verbessern. Nach einer Bestandsaufnahme auf Basis von Stellungnahmen aller Hochschulen zu den vier Schwerpunkthandlungsfeldern Barrierefreiheit, Verfahren und Rechtsgrundlagen, Beteiligung und Beratung von Studierenden mit Behinderungen sowie Zusammenarbeit mit anderen Leistungsträgern hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft einen Katalog an Best-Practice-Verfahren erarbeitet, die den Hochschulen als Diskussionsgrundlage für die inner- und intrahochschulische Diskussion zur Verfügung gestellt worden ist. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist regelmäßig Thema in der Arbeitsgruppe Menschen mit Behinderungen in Hochschule und Wissenschaft: Mitglieder der Arbeitsgruppe sind die Senatsverwaltungen für Bildung, Jugend und Wissenschaft sowie für Gesundheit und Soziales, die Berliner Hochschulen, der Landesbehindertenbeauftragte sowie Mitglieder des Landesbehindertenbeirats. 3. Gibt es im Land Berlin eine aktuelle Bestandsaufnahme im Bereich Studium und Behinderung, um die auf Landesebene erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Studierenden mit Behinderungen/chronischer Krankheit und zur Unterstützung von Hochschulen und Studentenwerk bei der Schaffung einer Hochschule für alle zu planen und umzusetzen? Zu 3.: Ja, siehe Antwort zu Frage 2. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10436 2 4. An welchen Universitäten und Hochschulen und in welchen Bereichen sieht der Senat die Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um an allen Berliner Hochschulen sicher zu stellen, „dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung … und lebenslangem Lernen haben“ (Art. 24 Nr. 5 UN-BRK)? Zu 4.: Trotz punktueller Probleme z. B. bei der Barrierefreiheit, bei der Finanzierung von Maßnahmen und bei Ermessensentscheidungen beim Nachteilsausgleich wird aus den Stellungnahmen der Hochschulen ersichtlich, welche großen Anstrengungen die Hochschulen unternehmen, um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Jede Hochschule hat in einem oder mehreren Schwerpunkthandlungsfeldern interessante Lösungen implementiert. In den anderen Schwerpunkthandlungsfeldern gibt es in allen Hochschulen vernünftige Lösungen, die allerdings die Möglichkeiten, Studierende mit Behinderungen effektiv zu unterstützen, nicht immer durchgängig ausschöpfen. Für bessere Lösungen wären häufig noch nicht einmal zusätzliche Ressourcen notwendig, sehr wohl aber ein systematischer Austausch der Hochschulen über Verfahren und Methoden. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat den Berliner Hochschulen daher die Entwicklung eines Good-Practice-Verfahrens empfohlen, in dessen Rahmen vorhandene Erfahrungen systematisiert und die unterschiedlichen Lösungen bzw. Verfahrensweisen verglichen und anhand der Ziele in der UNBehindertenrechtskonvention bewertet werden. Auf dieser Basis soll jede einzelne Hochschule bestimmen, welche Gestaltungen und Verfahrensweisen unter Ihren Rahmenbedingungen gut und praxisgerecht zur Zielerreichung beitragen. Dabei hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft die Bereitschaft erklärt, in geeigneter Form zum Gelingen dieses Good-Practice-Verfahrens beizutragen. Die Organisation des Good-PracticeVerfahrens - wie die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventionen selbst - liegt selbstverständlich in der Verantwortung der Hochschulen. Der Senat kommt seiner Aufsichtspflicht nach und erfragt zu erforderlichen Zeitpunkten den Stand der Umsetzung der UN– Behindertenrechtskonvention in den Hochschulen. 5. In welchen Schritten ist geplant, die Chancengleichheit bei Zugang und Zulassung zur Hochschulbildung, Nachteilsausgleiche im Studium und bei Prüfungen, die Barrierefreiheit und die Finanzierung notwendiger personeller und technischer Unterstützung zu verbessern? Zu 5.: Die rechtlichen Regelungen zur Förderung der Chancengleichheit von Studierenden sowie Studienbewerberinnen und Studienbewerbern mit Behinderungen , die vor allem durch die Novellierung des BerlHG und des BerlHZG durch das Abgeordnetenhaus im Mai 2011 beschlossen worden sind, werden in der Antwort auf Frage 6 beschrieben. Die Schritte zur Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention werden in der Antwort auf die Frage 4 beschrieben. 6. Welche gesetzlichen Vorgaben und Ausführungsvorschriften müssen aus Sicht des Senats geändert werden, um das Ziel einer Hochschule für alle zu erreichen, wie z.B. Regelungen zum Nachteilsausgleich bei der Zulassung zu grundständigen wie zu MasterStudiengängen bezogen auf besondere Zugangsvoraussetzungen sowie Auswahlkriterien und Auswahlverfahren oder die Erhöhung der Härtequote für die Zulassung zu grundständigen Studiengängen? Zu 6.: Der durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG abgesicherte Anspruch auf einen Hochschulstudienplatz nach eigener Wahl steht zunächst allen Bürgern und Bürgerinnen zu, die eine Hochschulzugangsberechtigung haben. Nachteile, die gerade auf einer Behinderung beruhen, können dabei ausgeglichen werden, müssen sich jedoch jederzeit an diesem Gleichheitsrecht für alle messen lassen. Mit dem aufgrund einer Vorlage des Senats von Berlin vom Abgeordnetenhaus von Berlin am 12. Mai 2011 beschlossenen Gesetz zur Modernisierung des Hochschulzugangs und zur Qualitätssicherung von Studium und Prüfung wurden insbesondere • § 4 Abs. 7 und § 9 Abs. 2 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) dahingehend geändert, dass neben Studierenden mit Behinderung nunmehr auch ausdrücklich Studienbewerbern und Studienbewerberinnen mit Behinderung für das Zulassungsverfahren Hilfen zur Integration zur Verfügung zu stellen sind. • Mit § 22 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 BerlHG besteht ein Anspruch auf die Organisation des Studiums als Teilzeitstudium, falls die Behinderung einem Vollzeitstudium entgegen stünde. • § 28a BerlHG sichert die Bestellung einer oder eines Behindertenbeauftragten an den Hochschulen institutionell ab: Die oder der Behindertenbeauftragte berät und unterstützt Studierende sowie Studienbewerber und -bewerberinnen mit Behinderungen und wacht hochschulintern über die Einhaltung des § 9 Abs. 2 BerlHG. • Das Berliner Hochschulzulassungsgesetz (BerlHZG) enthält schon länger in § 8 Abs. 4 die Vorgabe, dass ein Nachteilsausgleich bei der Höhe der Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung bzw. bei der Länge der Wartezeit zu gewähren ist, wenn ein Umstand vorliegt, der nicht von dem Bewerber oder Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10436 3 der Bewerberin zu vertreten war. Hierbei sind auch Behinderungen zu beachten. • Hinzu kam im Jahr 2011 in § 7 Abs. 1 S. 2 BerlHZG die ausdrückliche Erweiterung, dass ein Härtefall auch aufgrund behinderungsbedingter Ursachen ausgelöst werden kann, sodass eine entsprechende Vorabzulassung für Behinderte noch einmal gestärkt wurde. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen muss zunächst beobachtet werden. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft begleitet die Entwicklung der Situation von behinderten Bewerbern und Bewerberinnen sowie Studierenden an den Hochschulen. Weitere rechtliche Initiativen, wie z. B. die Erhöhung der Härtefallquote, sind zurzeit nicht geplant und ohne konkrete Hinweise von benachteiligenden Effekten der bestehenden Rechtslage wegen des grundrechtlich abgesicherten Anspruchs aller Bewerber und Bewerberinnen auf einen Studienplatz auch nicht möglich. 7. Wie steht der Senat zu dem Vorschlag, das Amt einer/eines Beauftragten für die Belange der Studierenden mit Behinderungen/chronischer Krankheit (inkl. Mitwirkungsrechte , zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen) im Berliner Hochschulgesetz zu verankern? Zu 7.: Dieser Vorschlag wurde mit dem neuen § 28a BerlHG, der mit dem Gesetz zur Modernisierung des Hochschulzugangs und zur Qualitätssicherung von Studium und Prüfung vom 20.5.2011 in das BerlHG eingefügt worden ist, bereits umgesetzt. Die Regelung sieht im Wesentlichen die (obligatorische) Bestellung eines oder einer Beauftragten für Studierende mit Behinderung vor und bestimmt dessen oder deren Aufgaben und Beteiligungsrechte. Der Senat ist nach wie vor der Überzeugung, dass das Land Berlin damit eine richtige und zukunftweisende Entscheidung getroffen hat. Die angemessene finanzielle und personelle Ausstattung der Funktion der Beauftragten für Studierende mit Behinderung liegt in der Verantwortung der jeweiligen Hochschule. 8. Wie beurteilt der Senat die Regelungen zur Barrierefreiheit im Hamburgischen Hochschulgesetz (§88 HmbHG) als mögliches Vorbild für Berlin und wie hat der Senat auf die Dresdner Erklärung der Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder zur Verbindlichkeit der Barrierefreiheit in bauordnungsrechtlichen Vorschriften reagiert? Zu 8.: Die Regelung des bereits zitierten § 28a BerlHG erscheint dem Senat ausreichend, um den beschriebenen Belangen, insbesondere der behindertengerechten Planung technischer und baulicher Maßnahmen, gerecht zu werden. 9. Gibt es im Land Berlin ein Förderungsprogramm für behinderte und chronisch kranke Nachwuchswissenschaftler /innen, um ihnen Chancengleichheit in der wissenschaftlichen Karriere zu ermöglichen, welches z.B. behinderungsbedingte längere Qualifikationsphasen und einen Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile wie z.B. notwendige personelle und technische Hilfen umfasst? Zu 9.: • In der Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) der Hochschulen gibt es Ermäßigungen für Lehrkräfte (als wissenschaftlicher Nachwuchs) mit Behinderungen. • Die Promotionsordnungen sehen bisher keine Nachteilsausgleiche vor. • Es gibt kein gesondertes Promotionsprogramm für behinderte und chronische kranke Promovierende. • Studierenden mit Behinderungen können jedoch im Rahmen des Elsa-Neumann-Stipendiums des Landes Berlin (nach dem Gesetz zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses (Nachwuchsförderungsgesetz - NaFöG)) ein Promotionsstipendium erhalten. In der Vergangenheit sind ElsaNeumann -Stipendien auch Studierenden mit Behinderungen bewilligt worden. 10. Wenn ja, seit wann und wenn nein, ist ein solches Förderprogramm geplant? Zu 10.: Weitergehende Programme sind nicht geplant. Berlin, den 16. Mai 2012 In Vertretung Dr. Knut Nevermann Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Mai 2012)