Drucksache 17 / 10 441 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 20. April 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. April 2012) und Antwort Ehemalige Heimkinder II Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Maßnahmen hat der Senat von Berlin ergriffen, um sicherzustellen, dass die finanziellen Maßnahmen (bspw. Zahlungen aus dem Fonds) nicht auf Renten und Transferleistungen angerechnet werden? 2. Gibt es im Land Berlin Fälle, in denen Betroffene derzeit wegen der unklaren Rechtslage keine Anträge stellen können bzw. die Bearbeitung der Anträge ausgesetzt wurde? Wenn ja, wie viele Fälle sind dies? 3. Wurden im Land Berlin untergesetzliche Regelungen bzw. Vereinbarungen getroffen, die die Nichtanrechnung von Fondszahlungen auf Renten und Transferleistungen festlegen und so den Betroffenen, den Erhalt der Leistungen ohne Gegenrechnung ermöglichen, wenn ja welche, wenn nein, warum nicht? Zu 1. - 3.: Die am Fonds beteiligten Länder unterstreichen die Empfehlung des Runden Tisches Heimerziehung, dass die Leistungen aus dem Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“ den Betroffenen anrechnungsfrei auf andere Sozialleistungen gewährt werden (vgl. Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung, Finanzierung und Verwaltung des Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“ in der Drs. 17/0064). In seiner Sitzung am 20.04.2012 hat der Lenkungsausschuss des Fonds - Heimerziehung (West) festgestellt, dass der Erlass einer sondergesetzlichen Regelung bzgl. der Nichtanrechnung der Leistungen aus dem Rentenersatzfonds in den Hilfesystemen des SGB II und SGB XII entbehrlich ist (vgl. www.fondsheimerziehung .de). Entsprechend wurde mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und den kommunalen Spitzenverbänden eine Verständigung erzielt, dass nach entsprechender rechtlicher Würdigung Leistungen aus dem Rentenersatzfonds auf der Grundlage dieser Regelungen nicht als Einkommen anzurechnen sind. Das BMAS wird die Bundesagentur für Arbeit über diesen Beschluss entsprechend informieren. Darüber hinaus werden die kommunalen Spitzenverbände die Kommunen über diesen Sachverhalt und Beschluss des Lenkungsausschuss in Kenntnis setzen und auf eine adäquate Anwendung hinweisen. Sie unterstützen ein entsprechendes Verwaltungshandeln bei den Kommunen. Die gemeinsame Umsetzung der genannten Vorgänge wird zurzeit in den zuständigen Stellen des Bundes, der Länder und der Kommunen bearbeitet. Gesonderte Regelungen für Berlin sind nicht erforderlich und nicht vorgesehen. Ehemaligen Heimkindern, denen während ihrer Heimunterbringung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1949 und 1975 Unrecht und Leid zugefügt wurde, sollen finanzielle Hilfen gewährt werden, soweit heute noch Folgeschäden oder ein besonderer Hilfebedarf aufgrund der Heimerziehung im vorgenannten Zeitraum bestehen und diese nicht über die Hilfe- und Versicherungssysteme abgedeckt werden können. Die Leistungen aus dem Fonds werden auf der Grundlage einer dreiseitigen Vereinbarung zwischen dem Betroffenen, der Anlauf- und Beratungsstelle und dem Bundesamt für zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) geleistet. Die Anträge werden gemeinsam vorbereitet, vom Betroffenen und von der Berliner Anlauf- und Beratungsstelle unterschrieben und an das BAFzA weitergeleitet. Nach einer Schlüssigkeitsprüfung werden die Mittel durch die Berliner Anlauf- und Beratungsstelle ausgezahlt. Bei der Mehrzahl der bereits bearbeiteten Anträge kommt schon auf Grund der persönlichen Einkommenssituation eine Anrechnung in den Hilfesystemen des SGB II und SGB XII nicht in Betracht. Die Entscheidung, ob und wann ein Antrag auf Leistungen aus dem Fonds gestellt wird, liegt bei den Betroffenen selbst. Die Berliner Anlauf- und Beratungsstelle weist in der Beratung bei der Antragsaufnahme auf den o.g. Sachstand hin. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10441 2 4. Wie viele Betroffene haben seit Beginn des Jahres Anträge auf Fondsleistungen gestellt (Bitte auch Angaben über ehemalige Heimkinder der DDR)? Zu 4.: Bisher haben 300 Betroffene ihr Interesse an Leistungen aus dem Fonds geäußert. In 200 Fällen sind Leistungen beantragt worden. Aus dem Personenkreis der ehemaligen DDR-Heimkinder haben bisher 60 Betroffene ihr Interesse an Leistungen geäußert. Die Einrichtung eines Fonds für vergleichbare Leistungen an ehemalige DDR-Heimkinder befindet sich zurzeit in Vorbereitung. Anträge können noch nicht gestellt werden. 5. Inwieweit ist dem Senat bekannt, dass die Betroffenen in der Glaubhaftmachung ihrer vorgetragenen Heimerfahrungen (z.B. Verpflichtung zur Erklärung der Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht) zu einem hochschwelligen anspruchsverhindernden Beweisantritt aufgefordert werden, der vom RTH und weiteren Beteiligten nie gewollt war? Zu 5.: Derartige Fälle sind nicht bekannt. 6. Inwieweit sind dem Senat von Berlin die Gründe bekannt, die dazu geführt haben, dass die den Betroffenen gegen ihren Willen abverlangte so genante Verzichtserklärung nunmehr – wie auch beim Fonds Heimerziehung Ost - fallengelassen worden ist? Zu 6.: In seiner Sitzung am 29.02.2012 hat sich der Lenkungsausschuss mit den von der Ombudsperson und den Anlauf- und Beratungsstellen vorgebrachten Hinweisen zur aktuellen Verzichtserklärung befasst und sich die grundsätzliche Überarbeitung der Verzichtserklärung zum nächstmöglichen Zeitpunkt vorgenommen. Der Lenkungsausschuss hat weiterhin beschlossen, dass bereits unterzeichnete und des Weiteren unterzeichnete Verzichtserklärungen ab sofort unter Vorbehalt gestellt werden. Mit der Überarbeitung der Verzichtserklärung wurde eine Arbeitsgruppe (vgl. www.fondsheimerziehung .de) beauftragt. 7. Innerhalb welches Zeitrahmens werden die eingegangenen Anträge bearbeitet und beschieden werden? (Bitte in Tagen angeben)? Zu 7.: Nach Vorlage aller Unterlagen beim BAFzA und nach der im Rahmen des Beratungsprozesses erreichten Verständigung über die Leistungen erfolgt die Auszahlung in der Regel innerhalb einer Frist von 10 Tagen. 8. Ist bei dem Rentenersatzfonds sichergestellt, dass auch diejenigen ehemaligen Heimkinder Ersatzleistungen erhalten, die als Kinder (jünger als 14 Jahre und deshalb nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt) erzwungene Arbeit leisten mussten? Zu 8.: Leistungen aus dem Rentenersatzfonds kommen ausschließlich Personen zu Gute, die als Kind oder Jugendliche/r in den Jahren 1949 bis 1975 in der Bundesrepublik Deutschland in einer vollstationären Einrichtung zum Zwecke der öffentlichen Erziehung untergebracht waren und eine Minderung von Rentenansprüchen aufgrund nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge erlitten haben (vgl. § 9 Satzung des Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975”). Bei Kindern unter 14 Jahren kann nicht von einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit ausgegangen werden. Die Leistungsvoraussetzungen sind nicht gegeben. 9. Inwieweit ist geplant, die Akteneinsicht, das Kopieren der Akten und die Übergabe durch die regionale Anlauf- und Beratungsstelle an den Fonds zu organisieren und gibt es zwischen Fonds und Anlaufstellen Kooperationsvereinbarungen? Zu 9.: Ein Verfahren, das das Kopieren der Akten und die Übergabe durch die regionale Anlauf- und Beratungsstelle an den Fonds organisiert, ist nicht geplant. Die Zusammenarbeit zwischen dem Fonds und den Anlauf- und Beratungsstellen geschieht auf der Grundlage der Verwaltungsvereinbarung und der Satzung. 10. Welche weiteren Maßnahmen der öffentlichen Kommunikation plant die Senatsverwaltung, um die Leistungen des Fonds als Angebot an ehemalige Heimkinder öffentlich stärker wahrnehmbar zu machen? Zu 10.: Das Angebot der Berliner Anlauf- und Beratungsstelle hat durch verschiedene Veröffentlichungen in der Tagespresse bereits einen sehr hohen Bekanntheitsgrad, der durch informelle Netze weitergetragen wird. Die Angebote werden außerdem auf einem eigenen Internet-Auftritt (www.abeh-berlin.de) veröffentlicht. Für die zweite Jahreshälfte 2012 plant die Anlauf- und Beratungsstelle u.a. die Auslage von Faltblättern (Flyer) z.B. in den Bür-gerämtern. 11. Welche Maßnahmen plant die Senatsverwaltung unter dem Gesichtspunkt der „Prävention und Zukunftsgestaltung“ (siehe Abschlussbericht des RTH S.39), dass heutige Kinder und Jugendliche in der Leistungsbewilligung und Leistungsgewährung der Jugendhilfe besser geschützt sind, nicht (wieder) Opfer von erzieherischem Unrecht zu werden? Zu 11.: Die Ergebnisse des Runden Tisches Heimerziehung wurden bei der Verabschiedung des Bundeskinderschutzgesetzes berücksichtigt. Im Rahmen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10441 3 dieses Gesetzes wurde u.a. das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) derart geändert, dass die Partizipation von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Jugendhilfe einen höheren Stellenwert erhalten. Träger der Jugendhilfe sind nunmehr verpflichtet, Konzepte zur Partizipation und zum Beschwerdemanagement vorzulegen , um einen Trägervertrag und eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII zu erhalten. Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung erarbeitet derzeit die dafür notwendigen Standards. Unabhängig davon werden die Träger der Jugendhilfe in den Beratungsgesprächen bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft aufgefordert, im Sinne des Kinderschutzes ihre Konzepte anzupassen und Partizipation als Schlüsselprozess in der Qualitätsentwicklungsvereinbarung als Bestandteil des Trägervertrages zu identifizieren. Berlin, den 10. Mai 2012 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Mai 2012)