Drucksache 17 / 10 443 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 24. April 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. April 2012) und Antwort Stand der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie schätzt der Senat den derzeitigen Stand der psychotherapeutischen Versorgung für Kinder und Jugendliche in Berlin ein? Zu 1.: Nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin hat sich die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen durch die gesetzliche Änderung in § 101 Abs. 4 Satz 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) mit einem Mindestanteil von 20% der allgemeinen Verhältniszahl der Leistungserbringer/innen, die ausschließlich Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch betreuen, verbessert. Hierdurch konnte der Zulassungsausschuss weitere Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten /innen zulassen. Gegenwärtig nehmen in Berlin 264 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten /innen an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung teil. Ihre Tätigkeit wird durch 30 Kinder- und Jugendlichenpsychiater/innen und 36 Fachärzten/innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie unterstützt. Ferner verfügen weitere psychologische Psychotherapeuten/innen sowie Kinderärzte /innen über die Abrechnungsgenehmigung für psychotherapeutische Leistungen bei Kindern und Jugendlichen. Eine Einschätzung dazu, wie viele Kinder und Jugendliche im Land Berlin tatsächlich psychotherapeutisch versorgt werden, ist sehr schwierig, da viele Psychotherapeuten/innen mit Doppelzulassungen (Kinder und Jugendliche/Erwachse-ne) arbeiten. Die interdisziplinäre AG Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Landespsychiatriebeirates hat daher eine entsprechende Anfrage an die Kassenärztliche Vereinigung gerichtet und um Auskunft gebeten. Bisher liegen dazu keine Daten vor. Für den Bereich des Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ist die Versorgung unverändert auskömmlich. Die ambulanten psychotherapeutischen Hilfen nach § 27 SGB VIII (Hilfen zur Erziehung) und nach § 35a SGB VIII (Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche) lagen zum Stichtag 31.12.2011 bei 1276 Hilfen. 2. Welche Folgen wird die im Februar 2012 beschlossene Anpassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für die psychotherapeutische Versorgung für Kinder und Jugendliche in Berlin haben? Zu 2.: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat gemäß § 101 Abs. 1 Satz 6 SGB V durch das Versorgungsstrukturgesetz den Auftrag erhalten, die Bedarfsplanungs-Richtlinie so zu fassen, dass mit Wirkung zum 1. Januar 2013 eine flächendeckende ambulante Versorgung der Bevölkerung sichergestellt ist. Dementsprechend soll auch der am 16. Februar 2012 gefasste Beschluss des G-BA zur Anpassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie bezüglich der Quotenregelung bei der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen erst zum 1. Januar 2013 in Kraft treten. Dieser Beschluss sieht vor, dass zu den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen auch diejenigen Leistungserbringer/innen zu zählen sind, die sowohl Erwachsene wie auch Kinder und Jugendliche behandeln, wenn ihr psychotherapeutischer Leistungsanteil für die Kinder und Jugendlichen 90 % ihrer insgesamt erbrachten psychotherapeutischen Leistungen erreicht. Die Anhebung des zuvor lediglich geforderten 50 % Leistungsanteils für die Kinder- und Jugendlichenbehandlung bewirkt, dass weniger psychotherapeutische Leistungserbringer/innen zu den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen gezählt werden, wodurch zukünftig eine größere Anzahl an originären Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen zugelassen werden kann. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10443 3. Gibt es aus Sicht des Senates Handlungsbedarf hinsichtlich spezifischer Angebote zur psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunftssprache, insbesondere für Flüchtlingskinder? Zu 3.: Zum Thema psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunftssprache und zum Kinder- und Jugendpsychiatrischen und–psychotherapeutischen Versorgungssystem allgemein, wird auf die beiden Antworten des Senates auf die Kleinen Anfragen (KA) Drucksache 16/12985 und Drucksache 16/12938 vom 27.01.2009 verwiesen. Eine Erhebung der Psychotherapeutenkammer zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Jahr 2010 ergab, dass diese Gruppe sowohl im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) als auch im Rahmen der Jugendhilfe (SGB VIII) von Psychotherapeuten/innen mit und ohne Migrationshintergrund behandelt wird. Probleme bestehen insbesondere in der begleitenden Arbeit mit den Eltern durch deren oftmals fehlenden Sprachkenntnisse (s. KA Drucksache 16/12985). Ein Versorgungsmangel besteht nach Auskunft der Ärztekammer Berlin im stationären Bereich an Fachkräften mit besonderen Sprachkenntnissen oder eigenem Migrationshintergrund, was von der Psychotherapeutenkammer Berlin auch für den ambulanten Versorgungsbereich so gesehen wird. Für den Bereich des SGB VIII hat sich der Anteil der Hilfeempfänger/innen ambulanter psychotherapeutischer Hilfen nach § 27 SGB VIII und nach § 35a SGB VIII mit Migrationshintergrund in den vergangenen Jahren nahezu verdoppelt, indem er von ca. 12 % (Stichtag 31.12.2007) auf 23 % (Stichtag 31.12.2011) anstieg. Für Flüchtlingskinder und ihre Familien sowie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit psychoreaktiven Trauma-Folgestörungen oder anderen psychischen Erkrankungen gibt es in Berlin mehrere multiprofessionelle Behandlungs- und Beratungseinrichtungen und spezialisierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen sowie Psychologische Psychotherapeuten/innen (s. Antwort zu Frage 6). Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales hat sich dieser Thematik in den letzten Jahren zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung stärker gewidmet, um die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen insgesamt und besonders für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu verbessern. 4.Seit 01.01.2012 gilt das neue Versorgungs- strukturgesetz, welche Änderungen zieht diese neue Regelung für die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen nach sich? 5.Welche Änderungen ergeben sich in Berlin hinsichtlich der Bedarfsplanung für die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen aufgrund von „sachgerechten Kriterien“ wie z.B. die „demographische Entwicklung“? Zu 4. und 5.: Das Versorgungsstrukturgesetz sieht im Bereich der Bedarfsplanung zwei wesentliche Änderungen vor, die Chancen für eine sachgerechtere und flexiblere Bedarfsplanung in Berlin bieten. Zum einen ist der G-BA nach dem Versorgungsstrukturgesetz verpflichtet, zum 1. Januar 2013 eine neue Bedarfsplanungs -Richtlinie zu erarbeiten und zu erlassen (s. Antwort zu Frage 2). Der G-BA-Unterausschuss Bedarfsplanung ist daher zurzeit intensiv damit befasst, Parameter für die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie zu entwickeln. Zum anderen wird es auf Grund der Neuregelungen des Versorgungsstrukturgesetzes zukünftig die Möglichkeit geben, zum Zwecke der bedarfsgerechten Versorgung aufgrund regionaler Besonderheiten wie Demographie und Morbidität von den Vorgaben dieser neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie abzuweichen. Wie die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie jedoch letztendlich aussehen wird, und welche Folgen sich daraus für die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Berlin aufgrund von „sachgerechten Kriterien“ ergeben werden, ist dem Senat zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt. Vor Inkrafttreten der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie können keine tragfähigen Aussagen über mögliche Änderungen im Hinblick auf die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Berlin getroffen werden. 6. Wie wird in Berlin die bedarfsgerechte psychotherapeutische Versorgung schwer traumatisierter Kinder und Jugendlicher abgesichert? Gibt es hier aus Sicht des Senates Handlungsbedarf, wenn ja, was wird getan? Wenn nein, warum gibt es keinen Handlungsbedarf ? Zu 6.: Schwer traumatisierte Kinder und Jugendliche werden in Berlin nur von wenigen niedergelassenen Psychotherapeuten/innen und Institutsambulanzen behandelt; häufig erfolgt eine stationäre Aufnahme. Aus Sicht der KV Berlin gibt es hier Handlungsbedarf, insbesondere in Bezug auf die Vermittlung muttersprachlicher Therapeuten/innen, ggf. unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes. Im Hinblick auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bleibt es den Zulassungsgremien verwehrt, diese Kriterien bei der Auswahl im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen. Sodann gibt es das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin. Finanzielle Unterstützung zur Durchführung der Angebote in Höhe von rund 135.000 EUR jährlich erhält das Zentrum von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen. Dieses 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10443 3 Haus fördert darüber hinaus die psychotherapeutische Beratungsstelle für politisch Verfolgte XENION mit jährlich ca. 143.000 EUR. Auch hier werden psychosoziale und -therapeutische Hilfen für Kinder und Jugendliche mit traumatischen Fluchterfahrungen angeboten. Dort sind auch Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten /innen tätig. Ferner gibt es seit dem 1. Januar 2012 für Kinder und Jugendliche, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, eine neu geschaffene Anlaufstelle an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters der Charité-Universitätsmedizin http://www.charite.de/charite/presse/pressemitteilungen/ar tikel/detail/trauma_ambulanzen_fuer_gewaltopfer/. In der Trauma-Ambulanz der Charité werden frühzeitig psychotherapeutische Leistungen zur Bewältigung von Gewalterfahrungen angeboten, um Spätfolgen bei den Opfern von Gewalt zu verhindern. Zur Verbesserung der stationären, teilstationären und ambulanten Kinder- und Jugendpsychiatrischen und – psychotherapeutischen Versorgungssituation ist vom Landespsychiatriebeirat eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel eingesetzt worden, die Versorgungslage zu analysieren, Mängel zu kennzeichnen und Handlungsempfehlungen zur Optimierung zu entwickeln. Die Zusammenfassung der Ergebnisse aus den beiden Arbeitsphasen sind in Form von zwei Teilberichten unter www.berlin.de/lb/psychiatrie/beirat/ nachzulesen. Auf der Basis dieser Analysen wurde im Zusammenhang mit der Fortschreibung des Krankenhausplanes 2010 eine Erhöhung der Bettenkapazitäten im stationären/ teilstationären Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie um insgesamt 60 Betten für die regionale Pflichtversorgung und um acht Betten für die überregionale Versorgung festgeschrieben. Die Empfehlungen der AG für die ambulante psychotherapeutische Versorgung wurden zum Teil bei den deutlich angestiegenen Neuzulassungen von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen im Land Berlin mitberücksichtigt. Berlin, den 31. Mai 2012 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Juni 2012)