Drucksache 17 / 10 474 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Claudia Hämmerling (GRÜNE) vom 03. Mai 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Mai 2012) und Antwort Wie will der Senat einen schonenden Umgang der ForscherInnen mit Versuchstieren sicherstellen ? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele der im Jahr 2011 genehmigten Tierver- suchsvorhaben nach §7 Abs. 1 Tierschutzgesetz und der 395 Vorhaben mit dem Einsatz von Wirbeltieren wurden kontrolliert und wie häufig fanden die Kontrollen statt und erfolgten sie mit oder ohne Voranmeldung? Zu 1.: Die Zahl der „Vorhaben mit dem Einsatz von Wirbeltieren“ setzt sich aus den 2011 genehmigten 224 Tierversuchsvorhaben sowie 166 Vorhaben behördlich bestätigter, anzeigepflichtiger Eingriffe und Behandlungen an Wirbeltieren zusammen. 2011 wurden von diesen 390 Vorhaben 10 vor Ort kontrolliert. Von 10 Tierversuchsvorhaben wurden die Tierversuchsaufzeichnungen nach § 9a Tierschutzgesetzt (TSchG) überprüft. Eine Kontrolle der Durchführung von Eingriffen und Behandlungen im Rahmen von Tierversuchen vor Ort erfordert in der Regel eine Voranmeldung. 2. Für wie viele der 383 527 Versuchstiere, die im Jahr 2010 in Tierversuchen verbraucht bzw. getötet wurden , bestand demnach überhaupt die Möglichkeit auf eine unabhängige Überwachung der Haltungs- und Versuchsumstände ? Zu 2.: Die Möglichkeit einer tierschutzbehördlichen Überwachung der Haltungs- und Versuchsumstände bestand grundsätzlich für jedes einzelne dieser Tiere. Die Anzahl der Überprüfungen ist abhängig von der Personalausstattung der zuständigen Behörde. 3. Wie viele Personalstellen stehen für die Überwa- chung von Tierversuchen zur Verfügung? 5. Ist die Überwachung der Tierversuche einzige Aufgabe dieses Kontrollpersonals und wenn nicht, welchen zeitlichen Umfang machen diese Kontrollen an der Gesamtarbeitszeit aus? Zu 3. und 5.: Im für die Überwachung von Tierversuchen zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) stehen derzeit 3 Vollzeitstellen für das Aufgabengebiet zur Verfügung, die mit Tierärzten besetzt sind. Reine Kontrolltätigkeiten umfassen ungefähr 10 bis 20 % ihrer Arbeitszeit. In der verbleibenden Arbeitszeit werden ebenfalls Aufgaben im Tierversuchsbereich wahrgenommen , insbesondere die Prüfung von Tierversuchsanträgen und -anzeigen. Neben der behördlichen Überwachung unterliegen Tierversuche der Überprüfung der von den Tierversuchseinrichtungen bestellten, in ihren Aufgaben weisungsfreien Tierschutzbeauftragten gemäß § 8b TSchG. Diese Tierschutzbeauftragten sind u. a. verpflichtet, „auf die Einhaltung von Vorschriften, Bedingungen und Auflagen im Interesse des Tierschutzes zu achten“. In den Einrichtungen, in denen Tierversuche an Wirbeltieren durchgeführt werden, waren im Jahre 2010 46 Tierschutzbeauftragte bestellt und durch die zuständige Behörde bestätigt worden. Diese Personen haben ebenfalls ein Hochschulstudium der Veterinärmedizin, alternativ der Medizin oder Zoologie abgeschlossen und müssen die erforderlichen Fachkenntnisse und die erforderliche Zuverlässigkeit haben. 4. Wie häufig werden die einzelnen Tierversuchsan- lagen jeweils pro Jahr überprüft? Zu 4.: In Berlin gibt es 70 Einrichtungen, in denen Tierversuche an Wirbeltieren durchgeführt werden. Diese Einrichtungen wurden 2010 30 mal und 2011 34 mal von Behördenpersonal überwacht. Alle Einrichtungen, in denen Tierversuche an Wirbeltieren durchgeführt werden, werden zudem kontinuierlich von den Tierschutzbeauftragten kontrolliert. 6. In welchen Tierversuchsanlagen außer dem MDC gab es bei welchen Tierversuchsvorhaben in den vergangenen fünf Jahren Tierschutzverstöße? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10474 Zu 6.: In den letzten fünf Jahren wurden in folgenden Tierversuchseinrichtungen Verstöße festgestellt: Bayer Health Care, Bernstein Centrum, Charité - Uni- versitätsmedizin Berlin, Deutsches Herzzentrum, Deutsches Rheumaforschungszentrum Berlin, Freie Universität Berlin, Humboldt Universität Berlin, Insect Services GmbH, Landeslabor Berlin-Brandenburg, Leibniz - Institut für Gewässerökologie, Lise-Meitner-Schule, MaxPlanck -Institut für Infektionsbiologie, Max-PlanckInstitut für Molekulare Genetik, Robert-Koch-Institut, Umweltbundesamt. Diese wurden bei der Durchführung folgender 111 Tierversuchsvorhaben begangen: • 12 angezeigte Tierversuchsvorhaben nach § 8 Abs. 7 TSchG, • 70 genehmigungspflichtige Tierversuchsvorhaben nach § 8 Abs. 1 TSchG, • 5 angezeigte Eingriffe und Behandlungen zur Her- stellung, Gewinnung, Aufbewahrung oder Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organen nach § 10a TSchG, • 23 Eingriffe und Behandlungen zur Aus-, Fortoder Weiterbildung nach § 10 TSchG, • 1 angezeigte Organentnahme nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TSchG. 7. Welche Verstöße waren das konkret? 8. Welche Auflagen/Sanktionen wurden durch die zuständigen Kontrollbehörden erteilt? Zu 7. und 8.: Es wurden folgende Verstöße ermittelt: • Eingriffe entgegen § 6 Abs. 1 Satz 6, 7, 8 oder 9 TSchG nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig angezeigt (1 Verstoß), • Versuche an Wirbeltieren entgegen § 8 Abs. 1 TSchG ohne die erforderliche Genehmigung durchgeführt (21 Verstöße), • ein Vorhaben oder eine Änderung entgegen § 8a Abs. 1, 2 oder 4 TSchG nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitigt angezeigt (17 Verstöße), • entgegen § 9 Abs. 3 TSchG nicht für die Einhaltung der Vorschriften des § 9 Abs. 1 oder 2 TSchG gesorgt (8 Verstöße), • Aufzeichnungen entgegen § 9a TSchG nicht, nicht richtig oder nicht vollständig gemacht, nicht unterzeichnet , nicht aufbewahrt oder nicht vorgelegt vollständig (35 Verstöße), • entgegen § 10 Abs. 3 TSchG nicht für die Einhaltung der Vorschriften des § 10 Abs. 1 oder 2 gesorgt (3 Verstöße) und • entgegen § 1 Abs. 1 Versuchstiermeldeverordnung eine Meldung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig gemacht (26 Verstöße). Es wurden Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, die zu einer Verwarnung mit/ohne Verwarnungsgeld oder einem Bußgeld führten. 9. Welche Rolle spielen Tierschutzverstöße bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit neuer Tierversuchsvorhaben an der jeweiligen Forschungseinrichtung? Zu 9.: Adressat der Genehmigung eines Tierversuchs- vorhabens ist der/die verantwortliche Leiter/Leiterin des Versuchsvorhabens und sein/ihre Stellvertreter/ Stellvertreterin , nicht die jeweilige Forschungseinrichtung. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 TSchG darf eine Genehmigung eines Versuchsvorhabens nur erteilt werden, wenn keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des/der verantwortlichen Leiters /Leiterin und seines/ihrer Stellvertreters/ Stellvertreterin ergeben. Bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit eines Tierversuchsvorhabens wird geprüft, ob einer /eine dieser Verantwortlichen rechtswidrig gehandelt hat. Ggf. können sich aus einer solchen Tatsache Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit ergeben. Dieser Fall ist noch nicht vorgekommen. 10. Treffen Vorwürfe zu, dass im MDC ca. zehn ver- schiedene Missstände in der Tierhaltung seitens der Kontrollbehörden dokumentiert wurden, wobei z. B. Tiere verhungert sind, verletzte Tiere nicht behandelt wurden und sogar Tierversuche vorgenommen wurden für die es keine Genehmigung gab? Zu 10.: Die Vorwürfe treffen zum Teil zu. Es wurden jedoch keine Tierversuche durchgeführt, die nicht genehmigt waren, sondern es wurden Tierarten gehalten, die zum Überprüfungszeitpunkt nicht Bestandteil der Haltungserlaubnis nach § 11 TSchG waren. Das MaxDelbrück -Centrum (MDC) hat unmittelbar nach dem Überprüfungszeitpunkt eine entsprechende Haltungserlaubnis eingeholt. 11. Wie rechtfertigt der Senat die Genehmigung und Förderung der Ausweitung der Tierversuche um 17% ausgerechnet in dieser Forschungseinrichtung, in der das Tierschutzgesetz missachtet und die Versuchstiere unter tierquälerischen Bedingungen gehalten und völlig unnötigen Leiden ausgesetzt wurden? Zu 11.: In einer Einrichtung, in der Tierversuche durchgeführt werden, ist der/die jeweilige verantwortliche Leiter/Leiterin eines Tierversuches Adressat von behördlichen Maßnahmen. In der angesprochenen Einrichtung sind sehr viele verantwortliche Leiter/Lei-terinnen mit der Durchführung von Tierversuchen befasst. Eine Kollektivhaftung der gesamten Einrichtung ist nach deutschem Recht nicht zulässig. Auch wenn der Träger einer Einrichtung Inhaber einer Erlaubnis für das Halten von Versuchstieren nach § 11 Abs. 1 TSchG ist, ist stets eine „für die Tätigkeit verantwortliche Person“ benannt, gegen die sich ggf. Anordnungen der Behörde richten. Zusätzlich ist § 16a TSchG zu beachten, wonach „...die zuständige Behörde ... die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen“ trifft. Die zuständige Behörde kann insbesondere demjenigen, der „wiederholt oder grob zuwidergehandelt“ und dadurch den gehaltenen oder betreuten Tieren erhebliche oder länger anhaltende 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10474 3 Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden zugefügt hat, das Halten oder Betreuen von Tieren untersagen. Sie kann insbesondere die Einstellung von Tierversuchen anordnen, die ohne die erforderliche Genehmigung oder entgegen einem tierschutzrechtlichen Verbot durchgeführt werden. „Wiederholte oder grobe Zuwiderhandlungen“ wurden in der angesprochenen Einrichtung nicht festgestellt . 12. Welche Maßnahmen plant der Senat, damit sich derart gravierende Tierschutzverstöße wie beim MDC nicht wiederholen? Zu 12.: Die oben dargelegten gesetzlichen Möglich- keiten sind ausreichend, um grobe oder wiederholte Verstöße zu ahnden. Zwischen dem Träger der Einrichtung und der Leitung des LAGeSo wurden und werden aber zudem Gespräche mit dem Ziel geführt, die Tierschutzbeauftragten des MDC durch Änderung innerbetrieblicher Anweisungen oder Satzungen noch besser in die Lage zu versetzen, Ihren gesetzlichen Verpflichtungen (siehe oben) nachzukommen. Darüber hinaus sollen die verantwortlichen Leiter/Leiterinnen der Tierversuchsvorhaben bezüglich ihrer Verantwortung für die Durchführung von Tierversuchen fortgebildet werden. 13. Wie bewertet der Senat die Auffassung, dass mehr Transparenz bei Tierversuchsvorhaben und die Veröffentlichung von Tierschutzverstößen bei der Forschung im Internet eine wirkungsvolle Präventivmaßnahme für einen schonenderen Umgang der Forscher mit den Versuchstieren wäre und wenn ja, wird der Senat künftig solche Missstände veröffentlichen? Zu 13.: Der Senat sieht in einer verstärkten Ausbil- dung und Fortbildung der für die Durchführung von Tierversuchen Verantwortlichen die beste Präventivmaßnahme zur Vermeidung von Verstößen gegen tierschutzrechtliche Vorgaben. Die Veröffentlichung von Verstößen ist nach Auffassung des Senats keine wirkungsvolle Präventivmaßnahme . Eine rechtliche Regelung zur Rechtfertigung der Veröffentlichung von Daten über Verstöße und Ordnungswidrigkeitsverfahren besteht nicht. Berlin, den 23. Mai 2012 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Juni 2012)