Drucksache 17 / 10 477 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Claudia Hämmerling (GRÜNE) vom 24. April 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Mai 2012) und Antwort Private Wildtierhaltung – bleiben Natur- und Tierschutz auf der Strecke? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie bewertet der Senat vor dem Hintergrund äußerst spezifischer Bedürfnisse exotischer Tierarten an Klima, Ernährung und sonstige Haltungsansprüche, dass das Risiko einer Überforderung der HalterInnen weit höher ist, als bei der Haltung von Heimtieren? Antwort zu 1: Der Senat teilt die Auffassung, dass die Haltung von Tieren exotischer Arten z.T. deutlich höhere Ansprüche an die Sachkunde von Halterinnen und Haltern sowie die Haltungsbedingungen stellt als die Haltung von Heimtieren. Somit ist auch die Gefahr der Überforderung von Halterinnen und Haltern exotischer Tiere höher, als dies bei Halterinnen und Haltern von Heimtieren der Fall ist. Frage 2: Wie bewertet der Senat die Auffassung, dass sich aus Fehlern bei der Tierhaltung anspruchsvoller Exoten erhebliche Tierschutzprobleme ergeben, da das Land Berlin auf eine Beschlagnahmung und Unterbringung bzw. auf die Versorgung ausgesetzter Tiere nicht vorbereitet ist? Antwort zu 2: Nicht art- und verhaltensgerechte Haltungsbedingungen exotischer Arten können zu Tierschutzproblemen führen. Werden Tiere mangels Erfüllung tierschutzgerechter Haltungsbedingungen erheblich vernachlässigt oder zeigen schwerwiegende Verhaltensstörungen , kann das zuständige Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt (VetLeb) dem Halter/der Halterin das Tier fortnehmen und anderweitig unterbringen. Von dieser rechtlichen Möglichkeit machen die Berliner VetLeb bei Bedarf Gebrauch. Dabei wird u.a. auf Unterbringungsmöglichkeiten zoologischer Einrichtungen, von Tierheimen, Naturschutzorganisationen oder sachkundigen und zuverlässigen Privatpersonen zurückgegriffen . Die nicht selten schwierige Suche nach einer aufnehmenden Stelle wird - wenn erforderlich - nicht nur auf das Land Berlin beschränkt. Frage 3: Wie viele und welche Exoten sind zur Zeit im Tierheim in Falkenberg untergebracht und wie haben sich die Bestände seit Eröffnung des Tierheims in Falkenberg entwickelt, welche Investitionen waren für die Unterbringung dieser Tiere erforderlich und wie hoch waren die Kosten, die dem Tierheim bis 2011 für die Unterbringung dieser Tiere entstanden sind? Antwort zu 3: Da dem Senat die Zahlen nicht vor- lagen, wurde das Tierheim Berlin um Auskunft gebeten. Die Antwort des Tierheims wird wie folgt wiedergegeben : Das Tierheim Berlin versorgt derzeit 107 Exoten, im Einzelnen: 1 Bindenwaran, 5 Grüne Leguane, 1 Kückennatter , 1 Königsnatter, 1 Balkan-Ringelnatter, 3 Kornnattern , 1 Fächerfingergecko, 1 Madagaskar Baumleguan, 1 Goldgecko, 2 Leopardgecko, 23 Bibron-Dickfingergeckos , 14 Bartagamen, 1 Grüne Wasseragame, 1 Quachita Höckerschildkröte, 5 Rotwangen-Schmuckschildkröten , 12 Gelbwangen-Schmuckschildkröte, 10 MississippiHöckerschildkröten , 7 Hieroglyphen-Schmuckschildkröte, 1 Cumberland-Schildkröte, 3 Chinesische Dreikielschildkröten , 1 Südl. Zierschildkröte, 1 Klappschildkröte, 2 Florida -Rotbauch-Schmuckschildkröte, 3 Maurische Landschildkröten , 1 Vierzehen Landschildkröte, 3 Griechische Landschildkröten, 1 Höcker-Schienenschildkröte, 1 Falsche Landkartenschildkröte und 1 Antillen Schmuckschildkröte . Die Entwicklung der Tiereingänge bei den Exoten sieht wie folgt aus: 2009 wurden 511 Tiere aufgenommen . In den Jahren 2010 und 2011 verringerte sich die Anzahl der Exoten auf 242 bzw. 246 Tiere. Im Jahr 2012 wurden bisher 76 Tiere aufgenommen. Der hohe Anfangsbestand im Exotenhaus im Eröffnungsjahr 2009 erklärt sich durch die Übernahme einer „Animal Hording“-Wohnung mit diversen Gecko-Arten. Viele von ihnen konnten im Laufe der Jahre vermittelt werden. Es wird derzeit mit der Aufnahmen von durchschnittlich 240 Tieren pro Jahr im Tierheim gerechnet. Für das Exotenhaus wurden ca. 2 Mio. Euro ausgegeben. Für die jährliche Unterbringung und Versorgung, einschl. Ab- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 477 schreibung und Energiekosten, entstehen Kosten in Höhe von ca. 300.000 Euro. Frage 4: Welche exotischen Tierarten können im Be- darfsfall nicht vom Tierheim betreut werden und welche Alternativen der Unterbringung gibt es für exotische Tiere dieser Arten, wenn sie sichergestellt, beschlagnahmt bzw. wenn ausgesetzte oder herrenlose Tiere dieser Arten untergebracht werden müssen? Antwort zu 4: Gemäß Auskunft des Tierheim Berlins können dort weder giftige oder stark würgende Reptilien (wie Schlangen, Skorpione, Spinnen, Froscharten) noch Krokodile aufgenommen werden, da das Tierheim für eine artgerechte Haltung dieser Tiere nicht ausgelegt ist. Im Einzelfall arbeitet das Tierheim mit anderen Tierschutzeinrichtungen , der Reptilienstation München oder mit Auffangstationen in Nordrhein-Westfalen oder Hessen zusammen (so geschehen z. B. bei einer 45 kg Schnappschildkröte oder einem 1,20 m Krokodil). Siehe auch Antwort zu Frage 2. Frage 5: Wie bewertet der Senat/die Landesregierung die Risiken, dass sich Menschen ohne ausreichende Fachkompetenz aufgrund mangelhafter Aufklärung und Beratung spontan exotische Tiere anschaffen, da sich die Handelswege inzwischen vom üblichen Zoogeschäft in Baumärkte, Gartencenter, auf Tierbörsen und ins Internet verlagert haben? Antwort zu 5: Untersuchungen über die Verschiebung der Handelswege wie auch insbesondere über die Anzahl mittels Internet erworbener exotischer Tiere liegen dem Senat nicht vor. Insbesondere der Internethandel birgt jedoch ein höheres Risiko, dass Menschen, die nicht über die erforderliche Sachkunde verfügen, sich ohne fachkundige Beratung exotische Tiere anschaffen. Frage 6: Wie bewertet der Senat, dass ein Großteil des Wildtierhandels wie z. B. von afrikanischen Flughunden, Chamäleons aus Madagaskar, Fröschen aus Südamerika bis hin zu Korallenfischen aus Südostasien, die zum großen Teil aus Wildfängen stammen, völlig unkontrolliert stattfinden? Antwort zu 6: Der Senat teilt nicht die Meinung, dass der Handel mit dem Artenschutzrecht unterliegenden Arten völlig unkontrolliert stattfindet. Denn er ist je nach Schutzstatus der betreffenden Art verboten oder reglementiert. Frage 7: Wie bewertet der Senat, dass Wissenschaftler zunehmend vor den Folgen dieses weitgehend ungeregelten Wildtierhandels – einerseits für die Wildbestände in den Herkunftsländern, aber auch für die Ökosysteme in den Importländern (Stichwort invasive Arten) und Gesundheitsrisiken für die Halter (Stichwort Zoonosen ) warnen und welche Schlussfolgerungen zieht er daraus? Antwort zu 7: Der Senat nimmt diese Warnungen sehr ernst und schöpft den Rahmen der nationalen wie auch internationalen Bestimmungen aus, um illegalen Handel mit Wildtieren zu unterbinden. Bzgl. der nachweislich gegebenen gesundheitlichen Risiken (Zoonosen), die sich aus dem Umgang mit exotischen Tieren – meist mit vermutlich unbekanntem Gesundheitsstatus – ergeben, ist an erster Stelle auf die Eigenverantwortung des Halters/der Halterin für sich und ggf. seine/ihre Familie zu verweisen. Frage 8: Wie bewertet der Senat, dass nach einer Studie der EU-Kommission zufolge die wirtschaftlichen Schäden in Europa durch terrestrisch lebende invasive Wirbeltiere auf jährlich 1 Milliarde Euro belaufen und welche Konsequenzen zieht er daraus für die private Wildtierhaltung? Antwort zu 8: Der Senat widmet sich dem Thema seit Jahren. Je nach Tierart ist dem Problem differenziert zu begegnen. Private Wildtierhaltung ist nicht immer die Ursache für das Ausbreiten von Neozoen. Das Artenschutzrecht hat diese Fälle betreffend reagiert und zum einen Besitz- und Vermarktungsverbote für den Amerikanischen Biber, die Schnappschildkröte, die Geierschildkröte und das Grauhörnchen ausgesprochen. Zum anderen wurden die Rotwangeschmuckschildkröte und drei Hörnchenarten in die EG-Artenschutzverordnung aufgenommen, um deren Einfuhr verbieten zu können. Frage 9: Welche nicht-heimischen in Berlin lebenden Wildtierarten sind als Neozoen bekannt? a) Wie hoch belaufen sich die jeweiligen Bestands- schätzungen? b) Von welchen Arten und wo gibt es Ansiedlungen? c) In wieweit sind diese Ansiedlungen dauerhaft und reproduzieren? Antwort zu 9: Unter den in Berlin wild lebenden Wirbeltierarten sind dem Senat folgende Neozoen bekannt : Säugetiere Nutria (Myocastor coypus): Bestandsgröße unbekannt. Bislang vereinzelte Vorkommen der Oberhavel und Tegeler See. Besiedlung von Nordwesten her dauerhaft und reproduzierend. Bisam (Ondatra zibethicus): Bestandsgröße unbekannt . In bzw. an zahlreichen Gewässern verbreitet, Vorkommen dauerhaft und reproduzierend. Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus): Bestandsgröße nicht bekannt. Nach krankheitsbedingtem starken Bestandseinbruch Anfang der 90er Jahre nun wieder deutliche Bestandszunahme. Vorkommen auf den meisten Grünflächen Berlins. Reproduzierend; jährliche Jagdstrecke ca. 1.000 Tiere. Mink (Neovison vison): Bestandsgröße unbekannt; vereinzelte Vorkommen entlang größerer Gewässer. Bislang kein Reproduktionsnachweis. 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 477 Waschbär (Procyon lotor): Bestandsgröße unbekannt. Vorkommen in allen Bezirken dauerhaft und reproduzierend . Marderhund (Nyctereutes procyonoides): Bestandsgröße unbekannt. Einzelbeobachtungen in Wäldern. Ansiedlung dauerhaft und reproduzierend. Damhirsch (Cervus dama): Bestandsgröße nicht genau bekannt. Vorkommen im Düppeler und im Spandauer Forst. Reproduzierend; jährliche Jagdstrecke ca. 30-50 Tiere. Mufflon (Ovis ammon): Bestandsgröße im Düppeler Forst schätzungsweise 30-50 Tiere. Reproduzierend; jährliche Jagdstrecke ca. 15 Tiere. Vögel Höckerschwan (Cygnus olor): Brutbestand bei ca 20- 40 Paaren. Brutvorkommen auf Gewässern mit Röhrichtbestand . Ansiedlung dauerhaft und reproduzierend. Kanadagans (Branta canadensis): Populationsgröße ca. 140 Tiere. 1983 entkommen (Tegeler See), seitdem wachsende Population zunächst Oberhavel bei Tegelort, inzwischen brütende auch Tiergarten, Lübars u. a.. Reproduktion mit jährlich 5 bis 10 erfolgreich brütenden Paaren. Mandarinente (Aix galericulata): Gesamtbestand ca. 80-120 Brutpaare. Ausgehend von Freilassungen im Großen Tiergarten Anfang der 1920er Jahre heute an verschiedenen Gewässern. Schwerpunkt ist der Tiergarten als Ausbreitungszentrum (bis 10 Brutpaare), Schlossgarten Charlottenburg und benachbarte Spree mit bis 14 Brutpaare. Ausbreitung nach Nordwesten zum Tegeler See, Tegeler Fließ und nach Südwesten zur Grunewaldseenkette, Unterhavel zwischen Breitehorn und Glienicker Lake. Ansiedlung dauerhaft und reproduzierend . Jagdfasan (Phasianus colchicus): Bestand ca. 120 – 190 Brutpaare. Vorkommen in Bereichen von Feldern und Brachen vorwiegend am Stadtrand. Ansiedlung dauerhaft und reproduzierend. Reptilien Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans): Bestandsgröße unbekannt. Vorkommen von Einzeltieren im Spandauer Forst, Jungfernheide und – sporadisch – in einigen Kleingewässer. Keine Reproduktion . Fische Goldfisch (Carassius auratus), in 9 Gewässern; Teiche und naturnahe künstliche Gewässer, reproduzierend. Silberkarpfen (Hypophthalmichthys molitrix), in 7 Gewässern, Havel und Spree, nicht reproduzierend. Marmorkarpfen (Hypophthalmichthys nobilis), in 8 Gewässern, Havel und Spree, nicht reproduzierend Graskarpfen (Ctenopharyngodon idella), in 6 Ge- wässern, nicht reproduzierend. Schwarzer Zwergwels (Ameiurus melas), in 3 Ge- wässern geringe Bestände, reproduzierend aber rückläufig . Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss), in vier Berliner Gewässern geringe Bestände, nicht reproduzierend . Berlin, den 06. Juni 2012 In Vertretung Christian Gaebler ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Juni 2012) 3