Drucksache 17
/
10 498
Kleine Anfra
g
e
17. Wahlperiode
Kleine Anfrage
des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE)
vom 10. Mai 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Mai 2012) und
Antwort
Wie kommt die Initiative für Selbstbestimmung
und Akzeptanz sexueller Vielfalt (ISV) an
den Schulen voran?
Die Drucksachen des Abgeordnete
nhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen.
Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschr
ift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefa
x: 6 61 78 28.
Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre
Kleine Anfrage wie folgt:
1. An wie vielen Berlin
er Schulen wurden in-
zwischen Ansprechpersonen für Diversity und sexuelle
Vielfalt benannt und an wie vielen Schulen fehlt eine sol-
che Ansprechperson noch (bitte nach Schultyp und Bezirk
auflisten)? Wie wurden diese Personen für ihre Aufgaben
qualifiziert? Wie sind diese Ansprechpersonen für Schü-
ler*innen erreichbar? Gibt es Vorgaben für die Etablie-
rung und Ansprechbarkeit, für die Information der jewie-
ligen Schulöffentlichkeit?
2. Wie gedenkt der Senat die sehr schleppende Ein-
führung von Ansprechpersonen für Diversity und sexuelle
Vielfalt an den Schulen zu beschleunigen? Wann wird es
an jeder Schule eine solche Ansprechperson geben? Wel-
che Unterstützung und welche Anreize gehen von Seiten
der Schulverwaltung für ein solches Engagement aus?
Zu 1. und 2.: An den öffentlichen Grundschulen und
öffentlichen Schulen mit sonderpädagogischen Förder-
schwerpunkten soll bis zum Beginn des Schuljahres
2012/13 jeweils eine Ansprechperson benannt werden.
Hierzu sind die Schulen im Mai 2012 aufgefordert wor-
den.
Die aktuellen Zahlen zum
Stichtag 22. Mai 2012:
Bezirk/Region Personen
benannt
01 4
02 6
03 4
04 5
05 2
06 6
07 4
08 3
09 3
10 5
11 2
12 6
Summe 50
Im Verlauf des Schuljahres 2012/13 soll an allen öf-
fentlichen Berliner Schulen eine solche Ansprechperson
benannt werden.
Für die bereits vorhandenen Ansprechpersonen wer-
den Fachgespräche und Fortbildungen angeboten. In den
Fachgesprächen werden Aufgaben und Ausgestaltung der
Funktion thematisiert. Die Erreichbarkeit der Ansprech-
person wird schulintern festgelegt.
3. Gibt es inzwischen – wie in Beschlusspunkt 4 der
Mitteilung zur Kenntnisnahme vom 16.02.2010 (Drs.
16/2978) angekündigt – Schüler*innenlotsen zum Thema
sexuelle Vielfalt im Sinne einer peer-to-peer-Kom-
munikation? Wenn ja: An wie vielen Schulen (bitte nach
Schultyp und Bezirk auflisten)? Wenn nein: Warum ist
dieses Ziel noch nicht angegangen worden und wie soll es
erreicht werden?
4. Mit welchen Instrumenten, Mitteln, Kooperations-
partner*innen werden die Schüler*innenlotsen in ihrer
Aufgabe gefördert und unterstützt und worin bestehen
ihre konkreten Aufgaben?
Zu 3. und 4.: In Berlin gibt es Schüler/-innenlotsen zur
Hilfe im Straßenverkehr und Konfliktlotsen/-innen zur
Unterstützung von Schülern/-innen im Konfliktfall. Kon-
fliktlotsen/-innen werden in Berlin nach den Standards
des Berliner Konfliktlotsenmodells in Anlehnung an die
Vorgaben des Bundesverbands für Mediation ausgebildet.
Sexuelle Vielfalt ist kein eigenständiger Themenkomplex
im Rahmen der Ausbildung. Mediation orientiert sich an
den – häufig im Konflikt verletzten – Grundbedürfnissen
und Gefühlen des Menschen, unabhängig von Geschlecht,
Herkunft, Kultur, Religion oder sexueller Orientierung.
Konfliktlotsen/-innen werden an ihren Schulen ausgebil-
det und betreut. Eine Erfassung der Schulen, die nach
dem Konfliktlotsenmodell arbeiten, liegt nicht vor. Auf-
grund der bestehenden erfolgreichen Struktur in diesem
Bereich ist nicht geplant, eigene Schüler/-innenlotsen für
sexuelle Vielfalt auszubilden.
Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wa
hlperiode
Drucksache 17 / 10 498
5. Welche Schritte wurden bisher unternommen, um
die in Beschlusspunkt 3 der Mitteilung zur Kenntnis-
nahme vom 16.02.2010 (Drs. 16/2978) ergänzend ge-
nannten Punkte zur Umsetzung von Diversity-Ansätzen in
der Schüler*innenschaft und mit jungen Menschen in den
Tätigkeitsfeldern der Jugendhilfe umzusetzen?
Zu 5.: Unter fachlicher Begleitung durch das Jugend-
netzwerk Lambda Berlin-Brandenburg werden Multipli-
katoren/-innen der Schülerschaft zu den Themen Homo-
und Trans*phobie in Workshops
(nach dem Peer to Peer
Ansatz) geschult und zur Umsetzung von individuellen
Projekten angeregt sowie bei der Umsetzung unterstützt.
6. Welche Schritte wurden zur im Beschlusspunkt 3
festgelegten Initiierung von sensibilisierender und Ängste
abbauender Elternarbeit unternommen? Welche Defizite
existieren nach Ansicht des Senats in diesen Bereichen
noch und wie sollen sie überwunden werden? Mit wel-
chen Mitteln und Instrumenten soll diese Arbeit kon-
tinuierlich schultypübergreifend und in allen Schulen des
Landes Berlin verstetigt werden?
Zu 6.: Ein mehrsprachiger
Elternbrief zu gleichge-
schlechtlichen Lebensweisen steht in den Übersetzungen
deutsch-türkisch, deutsch-arabisch und deutsch-russisch
zur Verfügung. Weiterhin ist
die Elternbroschüre „Mein
Kind ist das Beste, was mir je passiert ist!“ erarbeitet
worden, in der Eltern und Verwandte Familiengeschich-
ten über das Coming-out ihrer lesbischen, schwulen, bise-
xuellen und trans* Kinder erzählen. Auf dem Bildungs-
server Berlin-Brandenburg gib es im Themenbereich
Sexuelle Vielfalt eine Seite für Eltern mit Materialien und
Adressen.
Die Elternarbeit soll im Schuljahr 2012/13 in Zusam-
menarbeit mit den schulischen Kontaktpersonen für sexu-
elle Vielfalt verstetigt werden.
7. Warum spielt der Umgang von Schulen mit Di-
versity und sexueller Vielfalt entgegen der Zielsetzung
von Beschlussnummer 5 der Mitteilung zur Kenntnis-
nahme vom 16.02.2010 (Drs. 16/2978) bisher keine Rolle
bei der Bewertung durch die Schulinspektion? Wie und
bis wann gedenkt der Senat diesen Missstand zu beheben?
Zu 7.: Im Rahmen von Schulinspektionen wird eine
Vielzahl von Daten erhoben, die auch Rückschlüsse auf
den Umgang mit Diversity und sexueller Vielfalt zulas-
sen. Dabei handelt es sich um Indikatoren wie “niemand
wird ausgegrenzt” oder “die
Lehrkraft sorgt für eine
angstfreie Unterrichtsatmosphäre”, die während der Un-
terrichtsbeobachtungen bewertet werden. Hierzu gehören
auch Indikatoren wie “in der
Schule wird Wert auf ein
respektvolles Miteinander gelegt”, “auf Gewaltvorfälle,
Vandalismus, Diskriminierung, Ausgrenzung und Mob-
bing wird sofort und angemessen reagiert”, “der mit-
menschliche Umgang ist in der Schule auf allen Ebenen
höflich und wertschätzend”. Diese werden bei Befragun-
gen und Interviews zur Schulkultur evaluiert.
Hinzu kommen in der zweiten Runde der Schulin-
spektionen seit Beginn des Schuljahres 2011/12 ergän-
zende Qualitätsmerkmale. Ein Beispiel ist das Merkmal
“Demokratieerziehung”, das den Indikator “die Anerken-
nung von Vielfalt wird im Selbstverständnis der Schule
deutlich” enthält.
Grundsätzlich evaluiert di
e Schulinspektion auf der
Grundlage eines Qualitätstableaus, das vom Handlungs-
rahmen Schulqualität in Berlin abgeleitet wird. Der Hand-
lungsrahmen Schulqualität wird zurzeit überarbeitet.
8. Wurden, wie in der in Frage 7 genannten Be-
schlussnummer angekündigt, die Förderkriterien von
Schulen in freier Trägerschaft angepasst in Hinblick auf
den Umgang mit Diversity und sexueller Vielfalt? Wenn
ja: in welcher Weise? Wenn nein: Warum ist dies noch
nicht geschehen, was ist bislang unternommen worden
und geplant, wann ist mit der Realisierung dieses Se-
natsbeschlusses zu rechnen?
Zu 8.: Die Voraussetzungen für die Genehmigung ei-
ner Schule in freier Trägerschaft als Ersatzschule sind in
Art. 7, Absätze 4 und 5 des Grundgesetzes abschließend
festgelegt. Nach § 101 des Berliner Schulgesetzes stellt
das Land Berlin den Trägern von genehmigten Ersatz-
schulen zweckgebundene Zuschüsse zur Verfügung. Die
Zuschüsse für genehmigte Ersatzschulen betragen bei
beruflichen Schulen 100 Prozent der Personalkosten der
Ersatzschulen (tatsächliche Personalkosten), höchstens
93 Prozent der Personalkosten entsprechender öffentlicher
Schulen (vergleichbare Personalkosten) und bei allgemein
bildenden Schulen 93 Prozent der vergleichbaren Perso-
nalkosten. Darin enthalten ist ein Zuschuss für Sachkosten
und die Kosten, die dem Träger für die Beschaffung und
den Betrieb der erforderlichen Schulräume entstehen.
Berechnungsgrundlage für die vergleichbaren Personal-
kosten sind die Beträge für Vergütungen und Löhne ent-
sprechender Lehrkräfte und sonstiger schulischer Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter als Angestellte oder Arbeiter
an öffentlichen Schulen.
Der Umgang mit Diversity und sexueller Vielfalt darf
genehmigten Ersatzschulen mit Blick auf die grundgesetz-
lich garantierte Privatschulfreiheit nicht vorgeschrieben
werden. Da es zudem einen höchstrichterlich anerkannten
Zuschussanspruch von Schulen in freier Trägerschaft gibt,
kämen Förderkriterien im Umgang mit Diversity und
sexueller Vielfalt einem unzulässigen Eingriff in die Pri-
vatschulfreiheit gleich. Gleichwohl werden die Privat-
schulträger auf die für den öffentlichen Schulbereich
geltenden Vorgaben hingewiesen und aufgefordert, die
Ziele in ihren Schulen gl
eichwertig anzustreben.
2
Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wa
hlperiode
Drucksache 17 / 10 498
3
9. Wurde inzwischen das in Punkt 5 der Initiative
„Berlin tritt ein für Selbst
bestimmung und Akzeptanz
sexueller Vielfalt“ beschlossene Best-Practice-Leitbild für
den Umgang mit Diversity und sexueller Vielfalt in
Schulen entwickelt? Wo wurde bzw. wird dieses ve-
öffentlicht? Wie wird erreicht, dass das Thema in der
Schullandschaft ist und tatsächlich beispielgebend wirken
kann?
Zu 9.: Bis zum Jahresende 2012 ist geplant, für jeden
Schultyp eine Modellschule als Beispiel für den Umgang
mit Diversity und sexueller Vielfalt zu benennen. Ge-
meinsam mit diesen Schulen soll dann jeweils ein Best-
Practice-Leitbild entwickelt werden. Die Ergebnisse des
Prozesses werden auf dem Bildungsserver Berlin-
Brandenburg veröffentlicht.
10. Wurden inzwischen alle Schlüsselpersonen im Be-
reich Schule zum Thema Diversity und sexuelle Vielfalt
qualifiziert? Wenn nein: Wie viele der Schlüsselpersonen
haben bereits an einer Qualifizierung teilgenommen und
wie viele noch nicht? Waru
m wurden Schulleiter*innen
noch nicht zu diesem Thema qualifiziert? Welche weite-
ren Ebenen wurden noch nicht erreicht und warum nicht?
Wie ist die weitere Planung?
Zu 10.: Für Schlüsselpersonen im Bereich Schule
wurden bisher Fortbildungen
auf freiwilliger Basis ange-
boten. Teilnehmerzahlen werden statistisch nicht erfasst.
Die Themen Diversity und sexuelle Vielfalt wurden zum
Schuljahr 2011/12 in die Führungskräftequalifizierung in
Zuständigkeit des Landesinstituts für Schule und Medien
Berlin-Brandenburg (LISUM) aufgenommen. Das Fort-
bildungsangebot für die Schlüsselpersonen wird kontinu-
ierlich weiterentwickelt.
Berlin, den 29. Mai 2012
In Vertretung
Mark Rackles
Senatsverwaltung für Bildung,
Jugend und Wissenschaft
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Juni 2012)