Drucksache 17 / 10 505 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 11. Mai 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Mai 2012) und Antwort Teuer und rechtswidrig – Gebühren für die Erteilung einer Verlassenserlaubnis im Rahmen der Residenzpflicht Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. i. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Personen haben im vergangenen Jahr bei der Ausländerbehörde Berlin eine so genannte Verlassenserlaubnis nach § 12 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) beantragt? 2. In wie vielen Fällen wurde die Erlaubnis für Reisen in ein anderes Bundesland (einschließlich Brandenburg ) erteilt? Zu 1. und 2.: Diese Daten werden statistisch nicht er- fasst. Soweit ausländerbehördliche Daten für die Steuerung von Verwaltungsprozessen oder politische Leitentscheidungen benötigt werden, erfolgt grundsätzlich eine Auswertung des Ausländerzentralregisters bzw. des Fachverfahrens der Ausländerbehörde. Vorliegend kann die erbetene Zahl allerdings nicht ermittelt werden, weil weder die Anträge auf Erteilung einer Verlassenserlaubnis noch die Art der Entscheidung zu den Daten gehören, die vom Fachverfahren erfasst werden. Eine Ermittlung würde daher die Durchsicht einer Vielzahl von Ausländerakten erfordern, was aus verwaltungsorganisatorischen Gründen nicht zu leisten ist. 3. In wie vielen Fällen wurde eine Gebühr für die Er- teilung einer Verlassenserlaubnis a) für Reisen nach Brandenburg b) für Reisen in andere Bundesländer erhoben ? Zu 3.: In keinem Fall wurde eine Gebühr für die Er- teilung einer Verlassenserlaubnis erhoben. Da das Aufenthaltsgesetz für die Verlassenserlaubnis – anders als für eine Vielzahl anderer aufenthaltsrechtlicher Verwaltungsakte – kein Schriftformerfordernis vorsieht (vgl. § 77 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG), wird die Verlassenserlaubnis formlos erteilt. Spricht der oder die Betroffene vor, wird die Erlaubnis mündlich erteilt und in der Ausländerakte vermerkt. Wird die Verlassenserlaubnis per E-Mail erbeten, bestätigt die Ausländerbehörde ebenfalls per E-Mail, dass die Verlassenserlaubnis erteilt und in der Ausländerakte vermerkt wurde. Darüber hinaus darf jeder Ausländer und jede Aus- länderin, dessen bzw. deren Aufenthaltsbereich beschränkt ist, auch ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde jederzeit zur Wahrnehmung von Terminen bei Behörden und Gerichten den Aufenthaltsbereich verlassen (vgl. § 12 Abs. 5 S. 3 AufenthG). Ein Gebührentatbestand ist in keinem Fall erfüllt. Die Erteilung der Verlassenserlaubnis erfolgt daher ausnahmslos gebührenfre 4. Falls Frage 1, 2, oder 3 nicht beantwortet werden kann: Aus welchem Grund werden diese Daten nicht erhoben? Zu 4.: Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. 5. Wie hoch ist die Gebühr für die einmalige Er- teilung einer Verlassenserlaubnis nach § 12 Abs. 5 AufenthG und wie bemisst sich ihre Höhe? Zu 5.: Wie bereits zu Frage 3 ausgeführt, wird die Verlassenserlaubnis selbst formlos und gebührenfrei erteilt . Beantragt der/die Betroffene ausdrücklich eine Bescheinigung über eine ihm nach § 12 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bereits mündlich erteilte Verlassenserlaubnis bzw. eine Bescheinigung über das gesetzlich normierte Recht auf Verlassen gemäß § 12 Abs. 5 S. 3 AufenthG, wird hierfür eine Gebühr von 10 Euro erhoben. Rechtsgrundlage ist § 47 Abs. 1 Nr. 9 Aufenthaltsverordnung Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 505 (AufenthV). Die Höhe der Gebühr ergibt sich aus der Rechtsgrundlage. 6. In welchen Fällen und für welche Personen- gruppen wird von der Ausländerbehörde eine Gebühr für die Erteilung einer Verlassenserlaubnis erhoben? Zu 6.: Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 7. Ist dem Senat das Urteil des Oberverwaltungs- gerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Oktober 2011 bekannt, welches die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Halle bestätigt, wonach das Erheben von Gebühren für die Erteilung einer Verlassenserlaubnis rechtswidrig ist und insbesondere § 47 Abs. 1 Nr. 9 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) als Rechtsgrundlage für eine solche Gebühr nicht in Betracht kommt, weil es sich bei der Erteilung einer Verlassenserlaubnis nicht um eine von dieser Norm erfassten „Bescheinigung auf Antrag“ handelt? Zu 7.: Das Urteil ist dem Senat bekannt. 8. Auf welcher rechtlichen Grundlage werden von der Ausländerbehörde dennoch weiterhin Gebühren für die Erteilung einer Verlassenserlaubnis nach § 12 Abs. 5 AufenthG erhoben? Zu 8.: Auf die Antwort zu Frage 5 wird verwiesen. 9. In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, Drs. 16/14314, erklärte der Senat im April 2010, nach wie vor Gebühren auf der Grundlage von § 47 Abs. 1 Nr. 9 AufenthV erheben zu wollen. Wird der Senat mit Blick auf das o.g. Urteil des OVG Sachsen-Anhalt diese Position überdenken und den grundsätzlichen Verzicht auf die Gebührenerhebung in Erwägung ziehen (bitte begründen)? Zu 9.: Der Senat sieht keinen Anlass, die bisherige Praxis der Berliner Ausländerbehörde zu ändern. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Sachsen- Anhalt gebietet keinerlei Schlussfolgerungen für die Berliner Praxis und vermag den Senat auch im Übrigen nicht zu überzeugen. Der Entscheidung lag eine Verwaltungspraxis zugrunde lag, die sich von der Berliner Praxis wesentlich unterscheidet. Im betreffenden Landkreis in Sachsen-Anhalt wurde die Verlassenserlaubnis nach Erhebung der Gebühr schriftlich erteilt, ohne dass die Betroffenen zuvor einen entsprechenden Antrag auf Ausstellung der Bescheinigung gestellt hatten (vgl. Randnummern 12 und 29 des Urteils). Nur zu diesem Fall, in dem die Bescheinigung über den eigentlich formlosen Verwaltungsakt den Betroffenen geradezu aufgedrängt wurde, verhält sich das Gericht. Die Entscheidung überzeugt aber auch inhaltlich nicht. Das Gericht leitet aus der Gesetzgebungshistorie des § 47 Abs. 1 Nr. 9 AufenthV ab, dass die Gebühr nur erhoben werden darf, wenn die Ausstellung der Bescheinigung einer Sachprüfung bedarf. Dies sei bei einer Bescheinigung , die im Moment der Erteilung des zugrunde liegenden Verwaltungsaktes ausgestellt werde, nicht der Fall. Wollte man dieses Erfordernis einer Sachprüfung für richtig erachten, hätte dies aber einen Wertungswiderspruch zufolge: In einem Fall, in dem der/die Betroffene gemäß § 12 Abs. 5 S. 3 AufenthG von Gesetzes wegen reisen darf – z.B. um in Potsdam die Eheschließung zu beantragen – und hierüber eine Bescheinigung wünscht, müsste die Gebühr von 10 € erhoben werden. Denn in diesem Fall müsste die Ausländerbehörde beim Ausstellen der Bescheinigung in der Sache prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Erfolgt die Reise hingegen aus sonstigen privaten Gründen – z.B. zum Besuch eines/einer Verwandten – und würde die Verlassenserlaubnis erteilt, wäre die Bescheinigung hierüber nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Sachsen-Anhalt gebührenfrei. Denn in diesem Fall erfordert das Ausstellen der Bescheinigung keine weitergehende Sachprüfung gegenüber dem Erlass des Verwaltungsaktes. Dass es im Ergebnis nicht richtig sein kann, wenn die unmittelbar vom Gesetz Begünstigten schlechter stehen als jene, die eine Verlassenserlaubnis beantragen müssen, liegt auf der Hand. 10. Wie beurteilt der Senat die Erhebung einer Gebühr für die Erteilung und Ausstellung einer Verlassenserlaubnis in Höhe von 10 Euro angesichts eines Betrags von 5,11 Euro monatlich, der nach Ansicht des OVG Berlin im Rahmen der Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz zur Deckung des Bedarfs an persönlicher Mobilität vorgesehen ist (vgl. Rundschreiben I Nr. 20/2003 über das Asylbewerberleistungsgesetz)? Zu 10.: Die Verlassenserlaubnis wird gebührenfrei er- teilt. Es gibt für die Betroffenen keine rechtliche Pflicht, sich hierüber eine gebührenpflichtige Bescheinigung ausstellen zu lassen. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde hinsichtlich der Verlassenserlaubnisse ist äußerst großzügig. In den Anwendungshinweisen heißt es dazu unter anderem: „Von § 12 Abs. 5 S. 1 sollte großzügig Gebrauch gemacht werden. […] Eine Versagung sollte dabei grundsätzlich nur ausnahmsweise erfolgen, etwa wenn Erkenntnisse vorliegen, dass der Betroffene nicht nach Berlin zurückkehren wird oder er beabsichtigt, sich strafbar zu machen.“ (vgl. Vorläufige Anwendungshinweise der Ausländerbehörde Berlin Teil A ( VAB.A.12.5) 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 505 3 Anderen Behörden und der Polizei dürfte bekannt sein, dass Verlassenserlaubnisse in Berlin praktisch ausnahmslos erteilt werden. Das Fehlen einer Bescheinigung über die erteilte Verlassenserlaubnis stellt weder eine Ordnungswidrigkeit noch eine Straftat dar. Möchte der/die Betroffene, die erteilte Verlassenserlaubnis gegenüber Polizeibehörden oder anderen Stellen dokumentieren, so ist der/die Betroffene nach Auffassung des Senats für diesen Aufwand zu Recht gebührenpflichtig . Beschwerden von Betroffenen liegen dem Senat nicht vor. Berlin, den 08. Juni 2011 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Juli 2012)