Drucksache 17 / 10 511 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 18. Mai 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Mai 2012) und Antwort Akzeptanz sexueller Vielfalt im Alter Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie unterstützt der Senat Maßnahmen und Angebote, die das selbstbestimmte Leben von LSBTTISenior *innen fördern? Sieht der Senat weiteren Handlungsbedarf in diesem Bereich? Zu 1.: Der Senat unterstützt solche Angebote in viel- fältiger Weise. Aus Zuwendungsmitteln der Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (LADS) werden gefördert: das Projekt „Netzwerk Anders altern“ bei der Schwulenberatung gGmbH sowie der Treffpunkt für Frauen/Lesben, insbesondere im Alter und mit Behinderungen des Rad und Tat e.V. (RuT). Der Umbau einer Immobilie für das Projekt „Lebensort Vielfalt“, das Anfang Juni 2012 seine Arbeit aufgenommen hat, wurde aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin gefördert . Der Senat sieht weitere Handlungsbedarfe, LSBTfreundliche Wohnangebote zu schaffen. Er unter-stützt im Rahmen seiner Möglichkeiten die Initiative des Trägers RuT zur Schaffung eines Frauen Kultur und WohnenProjektes . 2. Über welche Erkenntnisgrundlagen verfügt der Senat bezüglich der Lebenssituation und der Bedürfnisse und Förderbedarfe von LSBTTI-Senior*innen an sich und speziell in Berlin? Zu 2.: Dem Senat bekannte Studien weisen darauf hin, dass die Lebenssituationen von Lesben und Schwulen im Alter häufig durch Einsamkeit geprägt sind sowie durch Erfahrungen der Diskriminierung und strafrechtlichen Verfolgung in der Jugendzeit, welche wiederum häufig zu Verschweigen und Tabuisierungen im familiären und sozialen Umfeld führen. Über die Lebenssituationen, Bedürfnisse und Förderbedarfe trans- und intergeschlechtlicher Menschen im Alter liegen dem Senat bisher keine systematischen Erkenntnisse vor. 3. Welche Bestandsaufnahme und welche Schlussfolgerungen resultierten aus der vom Senat für 2011 geplanten Thematisierung der Akzeptanz sexueller Vielfalt im Alter im Landespflegeausschuss? Zu 3.: Der Landespflegeausschuss (LPA) hat auf seiner Sitzung am 23.2.2011 einen Beschluss gefasst, mit dem er die Ziele des Abgeordnetenhausbeschlusses zur Akzeptanz sexueller Vielfalt unterstützt und seinen Mitgliedsorganisationen Maßnahmen empfiehlt, wie z. B. die Qualifizierung der Pflegekräfte zum Thema sexuelle Vielfalt, die Entwicklung diesbezüglicher Standards und die Bereitstellung spezifischer Pflegeangebote. http://www.berlin.de/pflege/gremien/beschluss.html#40. Eine Befragung von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen im Rahmen der Evaluation der ISV zeigte, dass Diversitykonzepte und die Akzeptanz sexueller Vielfalt zwar in ca. einem Drittel der ambulanten und stationären Pflegeund Wohneinrichtungen bekannt sind, ein Informationsund Sensibilisierungsbedarf aber gleichzeitig sehr deutlich ist. (Siehe Evaluationsbericht Seite 18, http://www.berlin.de/imperia/md/content/lb_ads/gglw/isv/bericht_gesam tevaluation_isv_final_bf.pdf?start&ts=1337178962&file=bericht_gesam tevaluation_isv_final_bf.pdf) Die Ergebnisse der Befragung werden am 13.6.2012 im LPA vorgestellt und ggf. im Hinblick auf weitere Schritte erörtert. In diesem Zusammenhang bietet das Projekt „Jo weiß Bescheid“ zielgruppenspezifische Fortbildungen für Mitarbeitende in Pflegeberufen an. 4. In welcher Weise wurden – wie in der Mitteilung zur Kenntnisnahme vom 22.2.2011 auf Drs. 16/3903 festgelegt – die Pflegestützpunkte aktiv in den Prozess der Umsetzung der Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt (ISV) einbezogen? Zu 4.: Über die Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt (ISV) wurde in der Arbeitsgemeinschaft Berliner Pflegestützpunkte, in der alle Pflegestützpunkte vertreten sind, gesprochen. Im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung der Pflegestützpunkte, insbesondere bei Beratung und beim Case-Management, finden Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 511 geäußerte individuelle Neigungen und Wünsche, darunter die aus sexuellen Orientierungen bzw. Identitäten herrührenden , grundsätzlich Berücksichtigung. Die Thematik Diversity mit dem Schwerpunkt „sexuelle Identität“ ist beispielsweise unter der Rubrik pflegerelevante Kenntnisse der Sozialwissenschaften zu Familie und soziales Netzwerk in die Qualifizierung der Pflegeberater der AOK Nordost integriert. 5. In welcher Weise wurden die Berliner Leitlinien der Seniorenpolitik um das Ziel der Akzeptanz sexueller Vielfalt und Selbstbestimmung ergänzt? Welche Konsequenzen zieht der Senat aus der Erkenntnis der ISVEvaluierung des „centrum für qualitative evaluations- und sozialforschung“ (ces), die Leitlinien würden zwar als nützliches Arbeitsmaterial beurteilt, aber zu wenig beachtet ? Zu 5.: Die Seniorenpolitik Berlins berücksichtigt im Kontext von Diversity-Konzepten unterschiedliche Interessen von besonderen Zielgruppen und Lebenslagen Älterer . Dazu zählen auch Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle. In den derzeit in Fortschreibung befindlichen Berliner Leitlinien der Seniorenpolitik wird es sinngemäß u a. heißen : Der Senat setzt sich für die Belange älterer Lesben, Schwuler, Bisexueller und trans- und intergeschlechtlicher Menschen aktiv ein und verurteilt jede Diskriminierung dieser Menschen. Im Grundsatz wünscht sich der Senat eine stärkere Einbindung dieser Personengruppen in die Arbeit der seniorenpolitischen Gremien, damit auch von hier eine spezifische Beratung im Hinblick auf die Belange von älteren und alten Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans- und intergeschlechtlichen Menschen erfolgen kann. 6. In welcher Weise wurden bislang, wie in den wohlfahrtspflegerischen Zielen in der Anlage 1 des Rahmenfördervertrags zwischen dem Land Berlin und den Wohlfahrtsverbänden vom 16. Dezember 2010 festgelegt, a) Standards für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt entwickelt, b) Mitarbeiter*innen und Leitungskräfte zum Thema Diversity und sexuelle Identität qualifiziert und fortgebildet, c) Akzeptanz sexueller Vielfalt als Ziel in das Qualitätsmonitoring geförderter Projekte und Träger aufgenommen, d) zielgruppenspezifische Informationsmaterialien entwickelt und bereitgestellt? Zu 6.: Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrts- pflege in Berlin sind eingebunden in die: - aktive Gestaltung der sozialen Arbeit im Land Berlin, - Mitwirkung an der Herstellung einer zeit- und be- darfsgerechten gesundheitlichen und sozialen Versorgung , - Verhinderung und Reduzierung sozialer Benachteiligung , Ausgrenzung und Not, - interkulturellen Öffnung, Förderung der ehrenamtlichen Arbeit und des gesellschaftlichen Engagements sowie weiteren Querschnittsthemen und - sozialpolitischen Begleitung und Beförderung der Umsetzung landespolitischer Maßnahmen. Die Anlage 1 zum Rahmenvertrag (BRV) gemäß § 79 Abs.1 SGB XII formuliert darüber hinaus allgemeine wohlfahrtspflegerische Ziele der Verbände. In seiner Summe bildet der Zielkatalog die Ziele und Aktivitäten aller Verbände ab. Daraus ergibt sich, dass nicht alle genannten Ziele und Aktivitäten zwangsläufig von jedem Wohlfahrtsverband ausgeführt werden. Die Wohlfahrtsverbände erstellen im Rahmen der o. g. Leitziele eine auf die Spitzenverbandsförderung abgestimmte Jahresplanung, die auch die Förderung der Akzeptanz sexueller Vielfalt berücksichtigen soll. Sie sind hierbei selbstständig in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben (u. a. § 5 SGB XII). Zu den speziellen Fragen der Buchstaben a) bis d) liegt zurzeit noch kein ausreichendes Datenmaterial vor. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales ist im Gespräch mit den Wohlfahrtsverbänden, welche Ziele von diesen in den Jahresberichten ausführlicher dargestellt werden sollen. Eine konkrete Festlegung zu einzelnen Zielen ist aufgrund noch zu klärender Fragen im Rahmen der verbandlichen Selbstständigkeit noch offen. 7. Wie wird die Einhaltung der in Frage 6 benannten Ziele, Standards und Anforderungen kontrolliert? Gibt es Sanktionsmöglichkeiten für den Fall, dass sie nicht ernsthaft verfolgt werden? Zu 7.: Der Rahmenfördervertrag sieht den Grundge- danken einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit vor. Diese beinhaltet u. a., dass die rechtliche, fachliche und organisatorische Selbstständigkeit der Wohlfahrtsverbände bei der Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben gewahrt bleibt. In diesem Zusammenhang ist ein fachlicher Austausch zu festgelegten Zielen, Standards und Anforderungen vorzusehen. Darüber hinaus sieht der Rahmenfördervertrag keine Sanktionsmöglichkeiten vor. 8. Welche Kooperation zwischen öffentlichen Einrichtungen, Bezirksverwaltungen und freien Trägern existieren in diesem Bereich? Welche Möglichkeiten sieht der Senat, um Kooperationen dieser Art weiter ausbauen? Zu 8.: Es bestehen anlassbezogene Kooperationen zwischen Senatsverwaltungen, Bezirksverwaltungen, Organisationen der Altenhilfe und Nichtregierungsorganisationen , z. B. fand im November 2011 eine gemeinsame Veranstaltung des Bezirksamts Kreuzberg und des Berliner Arbeitskreises Lesben und Schwule im Alter (BALSAM) unter Beteiligung der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen und des Instituts für Gerontologische Forschung und weiterer Akteure statt. 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 511 9. Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus der Feststellung der ces-Evaluation zur ISV, Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit seien im Alter nach wie vor stark tabuisiert? Zu 9.: Gegenüber der Beobachtung einer weiter be- stehenden Tabuisierung von Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit im Alter sieht der Senat auch die zunehmende Enttabuisierung und Sensibilisierung für die spezifischen Lebensgeschichten und –situationen älterer Lesben, Schwuler, Bisexueller und transgeschlechtlicher Menschen. Diese Enttabuisierung und Sensibilisierung wird der Senat durch verschiedene Maßnahmen, u. a. im Rahmen der Weiterentwicklung der Initiative „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ fortsetzen. 10. Gibt es landesgeförderte oder sonstige Fortbil- dungs- und Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich? Zu 10.: Das in der Antwort zu Frage 3 erwähnte Fort- bildungsangebot für Beschäftigte im Pflegebereich wird im Rahmen des Projekts „Jo weiß bescheid – Fortbildungen für verschiedene Berufsgruppen“ von der LADS durch Zuwendungen gefördert. Berlin, den 26. Juni 2012 In Vertretung Barbara Loth Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Juli 2012) 3