Drucksache 17 / 10 543 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Andreas Otto und Antje Kapek (GRÜNE) vom 23. Mai 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Juni 2012) und Antwort Kein Ende der Konflikte an der Bernauer Straße im erweiterten Bereich der Gedenkstätte? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie ist der Stand der Verhandlungen mit den Eigentümern an der Bernauer Straße, die durch die Herrichtung des erweiterten Bereiches der Gedenkstätte Bernauer Straße tangiert werden? Antwort zu 1:Seit Einleitung des Bebauungsplanver- fahrens 1-40 im Oktober 2005 konnte das Land Berlin die überwiegende Zahl der für die öffentliche Gedenkstätte „Berliner Mauer“ an der Bernauer Straße erforderlichen Grundstücke erwerben oder Nutzungsvereinbarungen mit den Eigentümern/innen abschließen. Im Kernbereich zwischen Garten- und Brunnenstraße befinden sich nur die beiden Grundstücke Bernauer Straße 13 A und Strelitzer Straße 28 noch nicht in der Verfügungshoheit der Stiftung. Das Gedenkstättenkonzept wird damit nicht in Frage gestellt, da es sich wie beim Grundstück Bernauer Straße 13 A um ein Grundstück handelt, bei dem die Stiftung bereits die Eigentumsanteile des Voreigentümers Bundesimmobilienanstalt inne hat und mit den Eigentümern /innen der restlichen Anteile über einen Grundstückstausch verhandelt. Das Grundstück Strelitzer Straße 28 ist ein bestehendes Wohnhaus und soll langfristig auf dem Wege des freiwilligen Verkaufs für die Stiftung erworben werden. Im erweiterten Bereich zwischen Brunnenstraße und Schwedter Straße vollzieht sich die Grundstücksneuordnung wegen der mit der Umsetzung des Gedenkstättenund städtebaulichen Konzeptes verbundenen Veränderungen auf oder in unmittelbarer Nachbarschaft der davon betroffenen Grundstücke erheblich komplizierter. Um Lösungsmöglichkeiten zu finden, hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ein nahezu über ein Jahr währendes Vermittlungsverfahren initiiert. Nach dessen Abschluss am 11.02.2012 ergibt sich folgender Stand: Bereich Schönholzer Straße: Für vier der für die Gedenkstättenplanung wichtigen Flurstücke der Grundstücke Schönholzer Straße 13/14, 19 und 20 hat der Vermittler aus Sicht der beteiligten Senatsverwaltungen und der Stiftung Berliner Mauer keine den Anforderungen der Eigentümer/innen und den planungsrechtlichen Erfordernissen gerecht werdende Lösung verhandeln können. Die vom Mediator empfohlenen und im Nachgang von Berlin initiierten Verhandlungsangebote wurden von den Eigentümern/innen wegen der für die rechtliche Absicherung des Bebauungsplanes erforderliche verbindliche Regelung des Grundstücksverkaufs als nicht annehmbar abgelehnt. Mit dem Eigentümer des Grundstückes Schönholzer Straße 15/16 verhandelt die Stiftung den Ankauf. Zwei Flurstücksteilflächen, die als schmale Randstreifen der geradlinigen Grundstückstrennung zwischen Gedenkstätte und privaten Baugrundstücken nördlich der Gedenkstätte dienen, will die Stiftung bis zur Erteilung von Baugenehmigungen erwerben . Wegen des in den nächsten Jahren nicht absehbaren Verkaufs von drei Grundstücksteilen bereitet sich die Stiftung darauf vor, das Gedenkstättenkonzept bis Ende 2014 in diesem Bereich ggf. nur auf den für die Stiftung bis dahin verfügbaren Flächen in Form von sog. „Sackgassenlösungen “ zu realisieren. Im Bereich zwischen Ruppiner und Wolliner Straße ist die Stiftung Eigentümerin aller für die Gedenkstätte erforderlichen Flächen. Zwischen Wolliner und Schwedter Straße steht die Stiftung hinsichtlich des Erwerbs zweier für das Gedenkstättenkonzept erforderlicher Teilflächen in konstruktiven Verhandlungen. Der Erwerb eines weiteren Grundstückes wird durch Streueigentum erschwert. Ziel ist, die Grundstücke zu erwerben, um bis Ende 2013 auch diesen Abschnitt der Gedenkstätte fertigstellen zu können. Frage 2: Trifft es zu, dass der Senat und die betrof- fenen Grundeigentümer an einem Mediationsverfahren teilgenommen haben, in dem ein Ergebnis erreicht wurde? Antwort zu 2: Ja, seitens des Senates waren die Se- natsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt und die Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten zusammen mit der Stiftung Berliner Mauer beteiligt. In das Verfahren waren ebenfalls die innerhalb des Bebauungsplangebietes Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 543 von der Planung betroffenen Eigentümer/innen einbezogen . Mit der Abschlusssitzung am 11.02.2012 hat der Mediator Schlussempfehlungen an die Beteiligten für die weiteren Umsetzungsschritte erteilt. Frage 3: Trifft es zu, dass in dem Mediationsverfahren u.a. gegenseitige Klageverzichte und ein zeitlich befristeter Enteignungsverzicht Berlins gegenüber den Grundeigentümern als Einigung erreicht worden? Antwort zu 3: Der Mediator empfahl den auch zum Ende des Vermittlungsverfahrens hin absehbar nicht verkaufsbereiten drei Eigentümerparteien auf eine Normenkontrollklage gegen den Bebauungsplan und auf Klagen gegen Baugenehmigungen für Bebauungsplan konforme Vorhaben zu verzichten. Berlin sollte 20 Jahre auf die Anwendung der Enteignung für die Teilflächen verzichten , für die der Bebauungsplan Gemeinbedarfsfläche „Gedenkstätte Berliner Mauer“ festsetzen wird. Für den Zeitraum danach sprach sich der Vermittler nicht für den zwingenden Verkauf der für das Gedenkstättenkonzept erforderlichen Restflächen aus. Er empfahl beiden Seiten dann, erneut in Verhandlungen einzutreten. Ohne die abschließende Klärung der Bodenordnung ist aber bei Verzicht auf Enteignung die Vollziehbarkeit der Planung und damit das rechtliche Planerfordernis erheblich in Frage gestellt. Berlin wird deshalb unter Wahrung der Planungsziele weiterhin Lösungswege suchen, die den Interessen der Parteien entgegen kommen. Frage 4: Wie bewertet der Senat Verlauf und Ergebnis des Mediationsverfahrens und stuft er Verlauf und Ergebnis als beispielgebend für ähnliche Konfliktlagen ein? Antwort zu 4: Für die städtebauliche Lösung der nördlich der Gedenkstätte befindlichen Baugrundstücke hat das Vermittlungsverfahren zu einer Konsenslösung mit den Anwohnerinnen und Anwohnern und bauwilligen Investoren geführt. Dies wurde jedoch aus Sicht der Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten und der Stiftung Berliner Mauer im Hinblick auf die für die Umsetzung des Gedenkstättenkonzeptes erforderliche abschließende Grundstücksneuordnung nicht erreicht. Sollte es der Stiftung im Bereich Schönholzer Straße bis Ende 2014 nicht gelingen, auf freiwilliger Basis die noch ausstehenden Grundstücksteile zu erwerben, würde dies nur die Realisierung der sog. Sackgassenlösung erlauben. Langfristig könnte für diesen Abschnitt eine völlig neue Planung und Finanzierung der abschließenden Realisierung der Gedenkstätte erforderlich werden. Das Vermittlungsverfahren bietet während des förmlichen Bebauungsplanverfahrens in erheblichen Konfliktlagen eine Möglichkeit zur neutralen Bewertung von privaten und öffentlichen Interessenlagen mit daraus zu entwickelnden Lösungsvorschlägen, die nicht zwangsläufig zur vollständigen Einigung mit allen Akteuren, aber zu einer starken Versachlichung der Diskussion beitragen. Frage 5: Ist das Ergebnis des Mediationsverfahrens in einen Vertrag oder andere schriftliche Übereinkünfte gemündet ? Falls nein - weshalb nicht? Antwort zu 5: Das Ergebnis des Vermittlungsverfah- rens hat der Mediator in der Abschlussveranstaltung am 11.02.2012 in Form von Handlungsvorschlägen schriftlich fixiert und den Verwaltungen sowie den privaten Teilnehmerinnen und Teilnehmern an die Hand gegeben. Zu den danach empfohlenen Verhandlungen mit den nichtverkaufsbereiten Grundstückseigentümerinnen und Grundstückseigentümern kam es bisher nicht, da das Erfordernis Berlins zur Regelung der abschließenden Bodenordnung in das Verhandlungspaket als inakzeptabel abgelehnt wurde. Frage 6: Sind die Bebauungshöhen für die durch den Senat gewünschten Gebäude an der Bernauer Straße auf die Berliner Traufhöhe begrenzt worden? Antwort zu 6: Nein, die Einhaltung der Berliner Traufhöhe wurde nicht als Zielstellung oder Ergebnis des Vermittlungsverfahrens formuliert. Frage 7: Wie ist der Stand der Bebauungsplanver- fahren? Antwort zu 7: Der Bebauungsplanentwurf 1-40a Kern- bereich der Gedenkstätte Berliner Mauer befindet sich nach der Abwägung der zweiten erneuten öffentlichen Auslegung in Vorbereitung zur Beschlussfassung im Senat. Daran wird sich die Befassung des Abgeordnetenhauses mit dem Ziel der Zustimmung zum Ergebnis des Bebauungsplanverfahrens mit nachfolgender Festsetzung anschließen. Für den Bebauungsplanentwurf 1-40b muss die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt auf Grund der erheblichen Änderungen im Rahmen des Vermittlungsverfahrens ebenfalls die zweite erneute öffentliche Auslegung vorbereiten. Dabei muss auch der Umstand der zurzeit absehbaren Ablehnung zur Einbeziehung der abschließenden Bodenordnung berücksichtigt werden. Frage 8: Hat der Senat bzw. hat das Bezirksamt Mitte einen Genehmigungsstopp für weitere neue Gebäude an der Bernauer Straße erlassen oder ist eine Veränderungssperre erlassen worden? Antwort zu 8: Während des Vermittlungsverfahrens sprach sich die Senatsbaudirektorin, Frau Lüscher, für einen Genehmigungsstopp für die geplanten Bauvorhaben entlang der Bernauer Straße aus. Dieser Empfehlung kam das für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständige Bezirksamt nach. Der Mediator sah zum Abschluss des Vermittlungsverfahrens auf Grund der erreichten Konsenslösungen kein Erfordernis für die Weiterführung des Genehmigungsstopps. 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 543 Während des Vermittlungsverfahrens musste ein Antrag auf Bauvorbescheid für die Dauer eines Jahres zurückgestellt werden. Da mit Abschluss des Vermittlungsverfahrens Konsens über die künftige Bautypologie und Bebauungshöhe erzielt wurde und der Bauantragssteller sich verpflichtete den Entwurf entsprechend anzupassen, war der Erlass der Veränderungssperre nicht mehr erforderlich. Frage 9: Wie ist der Stand der Realisierung der Ge- denkstätte und insbesondere des erweiterten Bereiches? Frage 10: Finden gegenwärtig Bauarbeiten auf den Grundstücken im erweiterten Bereich statt und gibt es dafür ausreichende rechtliche Grundlagen? Antwort zu 9. und 10: Der Kernbereich der Gedenk- stätte ist zum 50. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 2011 von den Vertretern/innen aller Verfassungsorgane eröffnet worden und wird von den Besuchern/innen ausgesprochen positiv angenommen. Als besonders aufschlussreich und attraktiv erweist sich das ausgegrabene, konservierte und mit einer gestalterisch anspruchsvollen Überdachung versehene Grenzhaus Bernauer Str. 10 A, („Sondage 3“), das vor wenigen Wochen fertiggestellt wurde. In den unstrittigen und im Eigentum der Stiftung befindlichen Abschnitten der Gedenkstätte Berliner Mauer im Erweiterten Bereich zwischen Ruppiner und Wolliner Straße hat die Stiftung bereits 2011 mit den Bauarbeiten zur Gedenkstätte begonnen. Dieser Bereich ist fertig gestellt und wird am 18.6.2012 in Anwesenheit vom Staatssekretär André Schmitz und Frau Dr. Berggreen-Merkel, Abteilungsleiterin beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Öffentlichkeit übergeben . Diese Bauarbeiten wurden im Rahmen des Mediationsverfahrens nicht in Frage gestellt und im Kostenund Zeitplan realisiert. Die Stiftung sieht nach heutigem Stand im Erweiterten Bereich eine Baudurchführung im Abschnitt Kremmener Straße bis Ende 2013 und im Abschnitt Schönholzer Str. mit den in der Antwort zu Frage 1 erläuterten Einschränkungen (Sackgassenlösung) bis Ende 2014 als machbar und bauordnungsrechtlich als zulässig an. Gegen die gemäß § 63 Bauordnung Berlin (BauOBln) genehmigungsfreien Vorhaben der Gedenkstätte wurden bisher keine Klagen eingereicht. Frage 11: Welche Wegführung für den alten Posten- weg wird auf Basis des Mediationsergebnisses nunmehr geplant? Antwort zu 11: Der alte Postenweg stellt sowohl im Kernbereich als auch im erweiterten Bereich der Gedenkstätte Berliner Mauer das Rückgrat des Gedenkstättenkonzeptes dar. Er ist nach Bewertung des Landesdenkmalamtes seit November 2011 in den nach dem Landesdenkmalrecht zu schützenden Bereich integriert worden . Wegen seiner hohen Authentizität für das frühere Grenzregime konnten die Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten und die Stiftung Gedenkstätte Berliner Mauer dem Vorschlag des Mediators, während des Vermittlungsverfahrens andere Möglichkeiten der Wegeführung zu untersuchen, nach Bewertung aller Vor- und Nachteile nicht folgen. Der Mediator empfahl deshalb für die bauliche Umsetzung der Gedenkstätte die sog. Sackgassenlösung zu Grunde zu legen, die der historischen Führung des Postenwegs entspricht. Danach soll bis zur abschließenden Fertigstellung der Gedenkstätte im Bereich Schönholzer Straße die Begehbarkeit der Gedenkstätte im Bereich des früheren Postenweges in drei Abschnitten ermöglicht werden: - vom Kernbereich kommend über die Brunnenstraße auf einer Länge von ca. 58 m, - von der Ruppiner Straße aus auf ca. 27 m Länge und - in Höhe der nördlich der Bernauer Straße ein- mündenden Wolgaster Straße über ein sog. Fenster auf einer Länge von ca. 59 m. Der Bebauungsplanentwurf nimmt die authentische Führung des früheren Postenwegs für die Ausweisung der Gemeinbedarfsfläche „Gedenkstätte Berliner Mauer“ als planungsrechtliche Grundlage für die Bodenordnung und landschaftsplanerische sowie städtebauliche Entwicklung auf. Berlin, den 28. Juni 2012 In Vertretung R. Lüscher ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Juli 2012) 3