Drucksache 17 / 10 596 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Alexander Spies (PIRATEN) vom 11. Juni 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Juni 2012) und Antwort Auswirkungen steigender Energiekosten auf Haushalte mit geringem Einkommen in Berlin (I): Strom- und Gassperren Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie vielen Haushalten in Berlin wurden in den letzten zehn Jahren die Strom- oder Gasversorgung gesperrt? (Bitte nach Jahren und Energieträgern getrennt auflisten) Wie viele Berlinerinnen und Berliner waren insgesamt davon betroffen? Zu 1.: Für Aussagen über Versorgungssperren bei der Gasversorgung liegen erst ab 2004 Daten vor. Außerdem ist zu beachten, dass es sich ausschließlich um Tarifkunden handelt. Diese Kundengruppe beinhaltet nicht nur Haushaltskunden, sondern auch Mehrfamilienhäuser und Kleingewerbe. Eine ausschließliche Betrachtung von privaten Haushaltskunden ist daher nicht möglich. Nachstehend die Anzahl der Sperrungen im Gaskundenbereich für die Jahre 2004 bis 2011: 2004: 4.261 2005: 4.721 2006 5.365 2007 4.743 2008: 4.280 2009: 3.900 2010 2.747 2011: 2.380 Eine genaue Erfassung über Stromsperren liegt nicht vor, da die Sperrungen im Berliner Versorgungsgebiet vom Netzbetreiber (Vattenfall Europe Distribution) im Auftrag der Stromlieferanten durchgeführt werden. Zurzeit gibt es in Berlin mehr als 300 Lieferanten. Ebenso wie im Gasbereich werden Haushaltskunden und Gewerbekunden als Tarifkunden bezeichnet, so dass auch hier keine ausschließliche Betrachtung von Haushalten möglich ist. Schätzungsweise werden jedes Jahr fast ca. 25.000 Stromsperrungen in Haushalte und Gewerbe durchgeführt. 2. Wie lange waren die Haushalte in den letzten Jahren im Durchschnitt von einer Liefersperre betroffen? (Bitte nach Energieträgern getrennt ausweisen) Zu 2.: Durchschnittswerte über die Dauer einer Gas- bzw. Stromliefersperre für Haushaltskunden liegen dem Senat nicht vor. Im Regelfall wird von der Gasag die Sperrung innerhalb von einer Woche aufgehoben. Die Sperrzeiträume differieren aber sehr stark von einem Tag bis hin zu einer Dauersperrung. Im Strombereich werden die Unterbrechungen der Anschlussnutzung erfahrungsgemäß nach maximal fünf Tagen wieder beendet. Ca. 80 % der Tarifkunden erhalten nach zwei Tagen wieder Zugang zur Anschlussnutzung. 3. Wie hoch sind die Kosten für von Liefersperren betroffene Haushalte, die sie infolge einer solchen Maßnahme zusätzlich zu den offenen Forderungen zu begleichen haben, bis die Sperrung ihres Anschlusses aufgehoben wird? Zu 3.: Die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg mbH & Co. KG berechnet für die Gasag infolge einer Liefersperre bzw. Wiederinbetriebnahme folgende Gebühren : Sperrgebühren: 49,50 Euro + 5,00 Euro Bearbeitungsgebühr Wiederinbetriebnahmegebühr: 83,30 Euro + 5,00 Euro Bearbeitungsgebühr Der Stromnetzbetreiber Vattenfall Europe Distribution berechnet folgende Entgelte für die Unterbrechung und die Wiederherstellung des Anschlusses: Unterbrechung der Anschlussnutzung: 42,95 Euro Wiederherstellung der Anschlussnutzung: 51,90 Euro. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 596 4. Wie häufig haben Energieversorger auf dem Berliner Energiemarkt in den Jahren seit 2008 privaten Haushalten eine Liefersperre angedroht? (Bitte nach Energieträgern getrennt ausweisen) Zu 4.: Die Gasag hat im Zeitraum 2008 bis 2011 folgende Sperrandrohungen versandt: 2008: 107.441 2009 137.590 2010: 132.610 2011 137.969 Die Vattenfall Europe Sales GmbH erfasst keine Daten über angedrohte Liefersperren. 5. Wie häufig haben sie aufgrund (der Zusage) der Übernahme der Energieforderungen durch Sozialleistungsträger lauf eine angedrohte Liefersperre verzichtet? (Bitte nach Energieträgern und Jahren getrennt ausweisen) Zu 5.: Eine detaillierte Aussage ist nicht möglich, da der Sozialleistungsträger direkt mit den Kundinnen und Kunden und nicht mit dem Energieversorger in Verbindung steht. Betroffene Kundinnen und Kunden, denen eine Sperrandrohung vom Energieversorgungsunternehmen zugestellt wurde, können bei ihrem entsprechenden Leistungsträger ein Darlehen beantragen. In besonderen Härtefällen kann eine Beihilfe gewährt werden. 6. Wie häufig haben Energieversorger infolge der gesetzlich vorgeschriebenen Verhältnismäßigkeitsprüfung seit 2008 auf eine Liefersperre (vorübergehend) verzichtet? Bitte nach Gründen und Jahren getrennt aufschlüsseln) Zu 6.: Dem Senat liegen keine Zahlen über den Verzicht einer vorübergehenden Liefersperre vor. Jedoch werden vor einer angedrohten Liefersperre von den Energieversorgern neben der gesetzlich vorgeschriebenen Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 19 Abs. 2 Gasgrundversorgungsverordnung bzw. Stromgrundversorgungsverordnung soziale Kriterien in Betracht gezogen (siehe auch Antwort zu 7.). Die Gasgrundversorgungsverordnung weist im Gegen- satz zur Stromgrundversorgungsverordnung keine Wertgrenze aus. Bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung ist der Gasversorger berechtigt, die Gasversorgung vier Wochen nach Androhung zu unterbrechen. Um jedoch der Verhältnismäßigkeit für eine Sperrung zu entsprechen, wird von der Gasag eine Sperrung erst ab einem Forderungsbetrag in Höhe von 50 Euro vorgenommen . 7. Welche sozialen Kriterien wie Alter, Krankheit, Behinderung, Schwangerschaft oder im Haushalt lebende Kinder bzw. sonstige Härtefallregelungen (bspw. Minusgrade) sind für Energieversorger Ausschlussgründe für die Ausführung einer angedrohten Liefersperre? (Bitte entsprechende Regelungen ausführen bzw. beilegen) Zu 7.: Die Gasag berücksichtigt im Tarifkunden- bereich vor einer angedrohten Liefersperrung folgende soziale Kriterien: • Weihnachtsfrieden: Es werden jährlich zwischen den Weihnachtsfeiertagen (in der Regel drei Arbeitstage vor dem 24.12. bis einen Arbeitstag nach dem 26.12.) keine Sperrungen vorgenommen. • Bei besonders harten Witterungsverhältnissen wird nicht gesperrt (z.B. Januar bis März 2010 wurden 900 Sperrungen witterungsbedingt ausgesetzt). • Spezielle Prüfung im Fall von Sammelheizungen, wenn mehrere Haushalte von einer Sperrung betroffen sind. Vor einer notwendigen Sperrung wird versucht, eine individuelle Klärung herbeizuführen . • Individuelle Einzelfälle (z.B. schwere Krankheit): Es erfolgt eine individuelle Prüfung und Lösungsfindung . Soziale Kriterien finden auch bei der Androhung einer Stromabschaltung Berücksichtigung und erfolgen insbesondere aus witterungs- und sozialbedingten Gründen . Hier wird im Einzelfall entschieden und zwischen dem Energielieferanten und dem Netzbetreiber abgestimmt . 8. In welcher Art und Weise wird die Einhaltung der Sperrvoraussetzungen in § 19 Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) bei Grundversorger kontrolliert? 9. Welche Kenntnis hat der Senat darüber, inwiefern die übrigen Energieversorger auf dem Berliner Energiemarkt sich daran halten und inwiefern wird die Einhaltung kontrolliert? Zu 8. und 9.: Die Einhaltung der Sperrvoraus- setzungen wird dann kontrolliert, wenn Beschwerden über das Verhalten der Versorger bekannt werden. In den letzten Jahren gab es lediglich eine Beschwerde, die sich allerdings nach Ermittlung des Sachverhalts als unberechtigt erwiesen hat. Im Übrigen sind sämtliche Versorger, unabhängig vom Vorliegen der Eigenschaft als Grundversorger, dazu verpflichtet, sich an die rechtlichen Voraussetzungen für eine Versorgungsunterbrechung zu halten. 10. Wie viele Fälle von Zahlungsverzug und Mahn- verfahren gab es seit 2008 bei Strom- und Gasrechnungen in Berlin? (Bitte für die einzelnen Energieträger und nach Jahren getrennt ausweisen) Zu 10.: Im Zeitraum 2008 bis 2011 hat die Gasag folgende Anzahl von Mahnungen versandt: 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 596 2008: 344.742 2009: 231.306 2010 187.983 2011 192.024 Zusätzlich zu den o.g. Angaben müssen die in der Antwort zu 4. aufgelisteten Sperrandrohungen addiert werden, da sich diese auch als Mahnungen verstehen (2. Mahnstufe). Vattenfall Europe Sales verfügt über Fälle von Zah- lungsverzug und Mahnverfahren kein statistisches Datenmaterial , da es für derartige Erhebungen keine gesetzliche Verpflichtung gibt. 11. Wie hoch sind die offenen Forderungen der Ener- gieversorger gegenüber privaten Haushalten im Berliner Stadtgebiet? Zu 11.: Im Tarifkundenbereich der Gasag beliefen sich die offenen Forderungen auf ca. 6 Mio. Euro (Stand Dezember 2011). Dieser Betrag ist jedoch nur ein Schätzwert, da keine Datenerhebung vorgenommen wird. Für den Tarifkundenbereich der Vattenfall Europe Sales GmbH liegen keine Zahlen vor. Hier beruft sich Vattenfall auf das Betriebsgeheimnis. 12. Welche Beratungsangebote für Menschen mit Energieschulden existieren in Berlin? Zu 12.: In allen anerkannten Schuldner- und Insol- venzberatungsstellen spielt das Thema Energieschulden und entsprechende fachgerechte Beratung selbstverständlich eine wichtige Rolle. Insbesondere für Krisensituationen , wenn z.B. die Abschaltung der Energielieferung droht, werden offene Sprechstunden durchgeführt oder sehr kurzfristig ein Beratungstermin angeboten. In jedem Bezirk gibt es mindestens eine anerkannte Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle. Die Kontaktdaten sind auf der dazugehörigen Webseite der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales unter www.berlin.de/schuldnerberatung veröffentlicht. Darüber hinaus besteht auf der Internetseite der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin e.V. (www.schuldnerberatung-berlin.de) die Möglichkeit, sich online an eine Beratungsstelle zu wenden (datengeschütztes online-Portal). Außerdem stehen auf dieser Webseite verschiedene Ratgeberbroschüren und andere Informationsmaterialien zur Einsicht und zum Download zur Verfügung. Speziell zum Thema Energieschulden existieren in Lichtenberg und Neukölln zwei Beratungsstellen, die als Dienstleister für Vattenfall fungieren (www.vattenfall.de/de/schuldnerberatung.htm). Zur Energieberatung verfügen die Verbraucherzentralen – also auch die VZ Berlin - über ein spezielles Angebotsportal (www.vz-berlin.de/UNIQ134062907732403/Energieberatungder -Verbraucherzentrale-2). 13: Wie viele Haushalte sind in Berlin aufgrund von Sekundärschulden als Abnehmer/innen zurück an die Pflichtversorger auf dem Berliner Energiemarkt, Vattenfall und Gasag, zurückgefallen, weil sie von anderen Energieversorgern nicht mehr bedient werden? Zu 13.: Die Anzahl von Haushalten, die von anderen Energieversorgern nicht mehr mit Strom oder Gas bedient werden und in den Grundversorgungstarif von Gasag und Vattenfall zurückkehren, ist dem Senat nicht bekannt. 14. Hält der Senat den Stromanteil im Regelsatz angesichts der stark steigenden Stromkosten für ausreichend ? Zu 14.: Nach § 27a Abs. 3 SGB XII handelt es sich beim Regelsatz um einen monatlichen Pauschalbetrag zur Bestreitung des Regelbedarfs, über dessen Verwendung die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich entscheiden . Der Regelsatz und damit auch der Anteil der im Regelsatz berücksichtigten Aufwendungen für Energie (Rechengröße) wird jährlich zum 01.01. fortgeschrieben bzw. erhöht. Die Veränderungsrate errechnet sich zu 70 % aus der Preisentwicklung für regelbedarfsrelevante Güter und zu 30 % aus der Nettolohnentwicklung. Inhalt und Höhe der Regelsätze werden bundesgesetzlich geregelt. Insofern ist der Regelsatz insgesamt bedarfsdeckend. 15. Sind dem Senat Fälle bekannt, dass Leistungs- berechtigte nach SGB II und SGB XII ihren Energieliefervertrag mit dem Versorgungsunternehmen gekündigt haben, weil sie sich Energie infolge der stark gestiegenen Preise nicht mehr leisten konnten? Zu 15.: Dem Senat sind derartige Fälle nicht bekannt. 16. Wie steht der Senat zu der Forderung, in Berlin einen Härtefallfonds für Haushalte mit besonderen sozialen Schwierigkeiten einzurichten, die von (drohenden) Energiesperren betroffen sind? Zu 16.: Dem Senat liegen zu einer Forderung der Einrichtung eines Härtefallfonds keine Erkenntnisse vor. 17. Welche Maßnahmen will der Senat ergreifen, um auf das Problem steigender Energiekosten für Haushalte mit geringem Einkommen zu reagieren? Wie steht er zu Forderungen nach Energie-Sozialtarifen, Anpassungen des Regelsatzes für SGB II und SGB XII an die stark gestiegenen Stromkosten, zur Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes § 19 StromGVV sowie § 19 Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) zugunsten der Schutzrechte von Verbraucher/innen und zur Einführung bzw. Erhöhung des Mindestverzugsbetrags in StromGVV bzw. GasGVV? Würde er sich auf Bundesebene dafür einsetzen? 3 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 596 4 Zu 17.: Der Senat ist sich der Problematik der steigenden Energiekosten und der damit verbundenen Zahlungsschwierigkeiten für Haushalte mit geringem Einkommen durchaus bewusst. Wie bereits in der Antwort zu 14. dargelegt, werden die Regelsätze jährlich zum 01.01. angepasst. Die bundesweite Anpassung erfolgt seitens der Bundesregierung unter maßgeblicher Berücksichtigung der allgemeinen Preisentwicklung. Für eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der StromGVV und GasGVV sieht der Senat zurzeit keine Veranlassung. Berlin, den 13. Juli 2012 In Vertretung Christoph v o n K n o b e l s d o r f f …………………………………………… Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juli 2012)