Drucksache 17 / 10 598 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Lompscher (LINKE) vom 12. Juni 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Juni 2012) und Antwort Zukunft der archäologischen Zeugnisse im Zuge der Baumaßnahmen der Verlängerung der U-Bahnlinie 5 und künftiger Bauvorhaben in der historischen Mitte Berlins Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welcher Forschungsstand zum archäo- logischen Erbe in der historischen Stadtmitte bildete die Grundlage für die Planungen der U5-Verlängerung und wie nimmt der Senat auf eine Aktualisierung des Forschungsstandes für weitere Bauvorhaben in diesem Stadtgebiet Einfluss? Antwort zu 1: Den Planungen zur U5-Verlängerung lag der Stand Ende der 1990er Jahre zugrunde, bei dem der Erhaltungszustand des mittelalterlichen Rathauses noch ungewiss war. Aus Gründen beschränkter Mittel werden für die Erlangung von Planungsreife kleinere archäologische Sondierungen beispielsweise im Bereich des Großen Jüdenhofs in diesem Stadtgebiet durchgeführt . Frage 2: Wann und von wem ist die Entscheidung ge- fällt worden, die Grabung im Bereich des künftigen U5- Bahnhofs "Rathaus" als „Rettungsgrabung“ durchzuführen ? Antwort zu 2: Alle in Verbindung mit Bauvorhaben stehenden archäologischen Grabungen werden als Rettungsgrabungen bezeichnet. Gegebenenfalls wird dabei die Erhaltung von ergrabenen Bodendenkmalen vertraglich geregelt, so auch die des mittelalterlichen Rathauses . Frage 3: Teilt der Senat die Einschätzung, dass die Genehmigung einer Rettungsgrabung angesichts der bekannten zeitgenössischen Berichte über die Einschüttung der Keller des Alten Rathauses mit Sand, damit spätere Generationen dessen Relikte möglichst wohl erhalten freilegen könnten (liegen im Landesdenkmalamt gedruckt vor), einer groben Fahrlässigkeit gleichkommt? Antwort zu 3: Die an den Landeskoordinaten zu ermessende genaue Lage des mittelalterlichen Rathauses war nicht bekannt und wurde erst durch die Grabung ermittelt. Zudem war der herausragende Erhaltungszustand (1,4 m Schichtenfolge seit dem 13. Jahrhundert in den Fußböden der Ratsgewölbe bis um 1800) nicht bekannt und auch nicht zu erwarten. Die Trassenführung der U-Bahn ist an Zwangspunkte durch das Vorhandensein bestehender Tunnel östlich des Rathauses gebunden, was dazu führt, dass Teile des mittelalterlichen Rathauses von der Schlitzwand der U-Bahn betroffen sind, insbesondere bei Errichtung des Bahnhofs Berliner Rathaus. Insoweit stellt die Rettungsgrabung eine im Interesse der Landesgeschichte von Berlin und der Einbeziehung von archäologischen Zeugnissen in die Planung unverzichtbare Maßnahme dar. Frage 4: Welche Festlegungen enthalten die Be- schlüsse zur Planfeststellung der U5-Verlängerung in Bezug auf die Erkundung, Dokumentation, planerische Einbeziehung und bauliche Sicherung von archäologischen Zeugnissen und wie wird deren Einhaltung durch den Senat sichergestellt? Antwort zu 4: Der Planfeststellungsbeschluss SenStadt VII E 32 vom 27.06.2011 enthält auf den Seiten 30/31 folgende Ausführungen: „Die durch Grabungsarbeiten ermittelten archäologischen Befunde fanden noch keine Berücksichtigung in der Umweltverträglichkeitsstudie , da sie sich als unerwartet reichhaltig erwiesen. Bei den vorlaufenden archäologischen Rettungsgrabungen vor dem Berliner Rathaus wurden wider Erwarten gut erhaltene Kellerreste (Schiffe 1 und 2) des ehemaligen Rathauses gefunden. Dies hat zu einer Umplanung des Bahnhofs Berliner Rathaus geführt, um die Schiffe 1 und 2 sowie östliche Teile des Schiffes 3 zu erhalten. Die westlichen Teile des Schiffes 3 und Schiff 4 können aufgrund der durch den Anschluss an den Bestandstunnel Richtung Alexanderplatz vorgegebenen Trassierung in Verbindung mit den notwendigen Bahnsteigmindestbreiten nicht erhalten werden. Sie wurden z. T. bereits Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 598 anlässlich früherer Bauarbeiten vernichtet. Die bei den Grabungen entdeckten Kellerreste mehrerer Patrizierhäuser können wegen der aus Fluchtweggründen erforderlichen Breite der Ausgangstreppe nicht erhalten bleiben. Durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 11.06.2009* wurde zwischen der BVG und dem Landesdenkmalamt für Denkmalschutz hierüber Einvernehmen hergestellt.“ *Anm.: Der Vertrag ist zwischenzeitlich durch Nach- träge gemäß den Befunden, Terminen und Kosten fortgeschrieben . Die Einhaltung überwacht das Landesdenkmalamt ggf. iVm der Planfeststellungsbehörde. Das mittelalterliche Rathaus bleibt in seinen drei süd- lichen und seinem vierten östlichen Schiff erhalten. Das dritte östliche Schiff sowie die westlichen Teile der Schiffe 3 und 4 gehen verloren (s. Planfeststellungsbeschluss ). Von 26 Pfeilern verbleiben 22 im Boden. Der Senat plant ein Sicherungsbauwerk für die Einrichtung eines Archäologischen Fensters im Bereich des Bahnhofs Berliner Rathaus, das die Einsehbarkeit in das mittelalterliche Rathaus ermöglichen soll. Frage 5: Wie lange werden die archäologischen Grabungen in der historischen Stadtmitte andauern, die im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Verlängerung der U-Bahnlinie 5 stehen? Antwort zu 5: Die Grabungen werden bis einschließ- lich 2014 andauern und Bereiche der ehemaligen Königstraße , der acht westlichen Joche des mittelalterlichen Rathauses, der Gerichtslaube und des Turmes des Rathauses umfassen. Weiterhin wird ein Tiefschnitt im Bereich des Bahnhofs Museumsinsel in 2013 angelegt. Frage 6: Welche zeitlichen und ggf. weiteren Restriktionen bestehen für die archäologischen Grabungen im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben Verlängerung der U-Bahnlinie 5? Antwort zu 6: Die Grabungen sind mit dem Bauablauf des U-Bahnbaus abgestimmt. Frage 7: Wie beurteilt der Senat den archäologischen Wert der bisherigen Ausgrabungen und Funde? Antwort zu 7: Die Grabung gilt als eine der be- deutendsten Grabungen im Berliner Zentrum, da die Erhaltung der seit dem Mittelalter überlieferten Befunde und Funde herausragend ist. Erstmals in Berlin können im Bereich von rund 20 Grundstücken die bauliche Entwicklung und die soziale Struktur der Bewohner seit 1220 bis 1945 rekonstruiert werden. Frage 8: Wie sollen die nach dem Willen des Senats dauerhaft an Ort und Stelle zu erhaltenden Relikte des Alten Rathauses und der Gerichtslaube vor Schäden durch die ca. 32 m tief anzulegende Schlitzwand des neuen UBahnhofs geschützt werden (sowohl durch die Schlitzwand selbst als auch durch das für ihre Ausführung benötigte schwere Gerät)? Antwort zu 8: Durch eine vorherige Translozierung werden die zu erhaltenden Relikte des mittelalterlichen Rathauses gesichert. Wie in der Antwort zu 4 ausgeführt, wurde vom Senat zusammen mit der BVG zum Erhalt großer Teile der archäologischen Befunde (altes Rathaus) entschieden, auf den südwestlichen U-Bahn-Zugang zu verzichten. Stattdessen wird aus verkehrlichen sowie Sicherheitsgründen ein südöstlicher Zugang vorgesehen. Teile der Schiffe 3 und 4 (s. Antwort zu 4) sowie möglicherweise auch ein kleiner Teil der Gerichtslaube (dies ist erst nach der Ausgrabung genau bekannt) können aufgrund der Errichtung der Schlitzwand für den U-BahnTunnel nicht in situ erhalten werden. Durch den Schlitzwandbagger sind keine Beschädigungen der zu erhaltenden Teile (Schiffe 1 und 2 sowie teilweise 3 und 4) zu erwarten, da er von der dem Rathaus abgewandten Seite arbeitet. Er wird also nicht die Relikte befahren. Frage 9: Welche archäologischen Funde werden nach derzeitigem Planungsstand nicht in situ erhalten werden können und wann sind die nach Auffassung von Senat und Vorhabenträger erforderlichen Abbrüche vorgesehen? Antwort zu 9: Im Bereich der Trasse/desBahnhofs werden die baulichen Überreste von rund 20 Grundstücken beseitigt. Das Rathaus bleibt in großen Teilen im Boden (siehe Antwort zu 4.) bzw. wird teilweise geborgen (siehe Antwort zu 8.). Frage 10: Welche Gründe sprechen gegen eine Über- arbeitung der Planung und ggf. Änderung des Planungsrechtes , um z. B. die Fundamente des mittelalterlichen Rathauses vollständig zu erhalten und öffentlich zugänglich zu machen? Antwort zu 10: Eine scharfe seitliche Verschwenkung oder Tieferlegung der U5 ist aufgrund des in seiner Lage und Anbindungshöhe festgelegten Bestandstunnels, der vom Alexanderplatz bis zur Rathausstraße/Jüdenstraße reicht, sowie der zulässigen Trassierungsparameter im UBahnbau technisch nicht möglich. Aufgrund der bestehenden baulichen Gegebenheiten sowie der einzuhaltenden Regelwerke und Vorschriften erübrigt sich eine Befassung mit planungsrechtlichen Konsequenzen. Frage 11: Wie werden die von Überbauung bzw. Zer- störung bedrohten archäologischen Funde dokumentiert und materiell gesichert? Antwort zu 11: Die seit 2009 andauernde Rettungs- grabung dient der Sicherung und Dokumentation der 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 598 3 Befunde und Funde. Funde werden geborgen, restauriert und im Museum für Vor- und Frühgeschichte eingelagert. Geplant ist eine Sonderausstellung 2013/14 im Neuen Museum SMB/SPK. Frage 12: Welche baulichen und konzeptionellen Vor- stellungen existieren für die Präsentation der archäologischen Funde in Form von „Archäologischen Pfaden“, „Archäologischen Fenstern“ oder ähnlichem und wie und mit wem sind diese Konzepte mit interessierten und sachkundigen Akteur/innen aus der Wissenschaft und der Bürgerschaft kommuniziert worden? Antwort zu 12: Innerhalb des Archäologischen Pfads ist im Bereich des mittelalterlichen Rathauses zukünftig in Abhängigkeit von der Haushaltslage ein Archäologisches Fenster vorgesehen geplant. Ungeachtet dessen wird das Ärchäologische Fenster im Bahnhof hergerichtet . Die Kommunikation fand in zwei Workshops der Historischen Kommission zu Berlin e.V. 2011 und in der öffentlichen und bereits mehrfach gezeigten Ausstellung „Archäologie und Stadtplanung in Berlin“ statt. Die Workshops sind veröffentlich in: „Alte Mitte – Neue Mitte? Positionen zum historischen Zentrum von Berlin“ Herausgeber: Historische Kommission zu Berlin e.V., Berlin 2012, Berliner Wissenschafts-Verlag, ISBN 978-3- 8305-3053-4, 39 €. Frage 13: Welche Kosten sind für die Präsentation der archäologischen Funde prognostiziert und eingeplant und wann sollen erste Bauabschnitte fertig gestellt werden? Antwort zu 13: Für das voraussichtlich 2016/17 ent- stehende Sicherungsbauwerk wird derzeit mit 8,5 Mio € gerechnet, die in die mittelfristige Finanzplanung des Senats eingestellt werden sollen. Berlin, den 11. Juli 2012 In Vertretung Regula Lüscher ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juli 2012)