Drucksache 17 / 10 644 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Claudia Hämmerling (GRÜNE) vom 20. Juni 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Juni 2012) und Antwort Forschungsergebnisse bei Tierversuchsvorhaben Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Treffen Informationen zu, dass das LAGESO in Berlin zugleich Genehmigungsbehörde und kontrollierende Behörde für Tierversuche ist? Zu 1.: Ja 2. Wie bewertet der Senat in diesem Zusammenhang, dass in anderen Kommunen jeweils andere Behörden kontrollieren als genehmigen, um jeglichen Verdacht auf Befangenheit von vornherein auszuschließen? Zu 2.: Die Zuständigkeit der jeweiligen Behörden richtet sich nach den entsprechenden Zuständigkeitsregelungen in den einzelnen Ländern; die Genehmigung von Tierversuchsvorhaben, die Überwachung der Versuchseinrichtungen und das etwaige Ergreifen von Maßnahmen müssen unabhängig davon stets entsprechend der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften erfolgen. Dem Senat liegen keinerlei Anzeichen in Form etwaiger Verdachtsmomente vor, die eine Initiative zu einer gesetzlichen Änderung notwendig erscheinen lassen. 3. Welche Aufgaben haben die Tierschutzbeauf- tragten der Forschungseinrichtungen und in welcher Form findet eine Zusammenarbeit mit den Kontrollbehörden statt? Zu 3.: Die Aufgaben der Tierschutzbeauftragten sind in § 8b des Tierschutzgesetzes geregelt. Sie sind verpflichtet , auf die Einhaltung von Vorschriften, Bedingungen und Auflagen im Interesse des Tierschutzes zu achten, die Einrichtungen und die mit den Tierversuchen und mit der Haltung der Versuchstiere befassten Personen zu beraten, zu jedem Antrag auf Genehmigung eines Tierversuchs Stellung zu nehmen und innerbetrieblich auf die Entwicklung und Einführung von Verfahren und Mitteln zur Vermeidung oder Beschränkung von Tierversuchen hinzuwirken. Die Tierschutzbeauftragten sind bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht an Weisungen gebunden und dürfen wegen der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht benachteiligt werden. Die Tierschutzbeauftragten sind der zuständigen Be- hörde zur Auskunft verpflichtet. Die Stellungnahmen zu Tierversuchen sind auf Verlangen vorzulegen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) bindet die Tierschutzbeauftragten grundsätzlich in den Schriftverkehr mit den Antragstellerinnen und Antragstellern mit ein. Andersherum sollte der Schriftverkehr der Forschungseinrichtungen an die Behörde ebenfalls grundsätzlich über die Tierschutzbeauftragten laufen. Bei Kontrollen der Versuchseinrichtungen und Tierversuche sollen die Tierschutzbeauftragten zugegen sein. Bei unangekündigten Kontrollen ist das jedoch nicht immer zu gewährleisten. Es gibt darüber hinaus einen Arbeitskreis der Berliner Tierschutzbeauftragten, an dem auch die zuständige Behörde teilnimmt. Hier werden allgemeine tierschutzrechtliche Probleme erörtert und Lösungen erarbeitet. Die Tierschutzbeauftragten sollen im Übrigen Vor- schläge oder Bedenken tierschutzrechtlicher Art unmittelbar der in der Einrichtung entscheidenden Stelle vortragen , damit Abhilfe geschaffen werden kann. Wenn sie dort keine Veränderungen tierschutzrelevanter Sachverhalte erwirken können und mit vermeidbaren Schmerzen, Leiden oder Schäden bei den Tieren zu rechnen ist, kann die zuständige Behörde unterrichtet werden. 4. Welche Rolle spielt die Tierversuchskommission in den Genehmigungsverfahren und wie ist sie zusammengesetzt ? Zu 4.: Die Kommission nach § 15 Tierschutzgesetz unterstützt die zuständige Behörde bei der Entscheidung über die Genehmigung von Tierversuchen. Die Tierversuchskommission hat eine beratende Funktion. Sie nimmt zu jedem Antrag Stellung und soll sich insbesondere dazu äußern, ob wissenschaftlich begründet ist, dass Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 644 • die Tierversuche unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes unerlässlich sind, • es keine anderen Methoden zur Erreichung des verfolgten Zweckes gibt, • die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden ethisch vertretbar sind, • nicht mehr Tiere vorgesehen sind, als für die Beantwortung der Fragestellung unter Berücksichtigung biometrischer Verfahren unerlässlich ist und • Schmerzen, Leiden oder Schäden den Tieren nur in dem Maße zugefügt werden, als es für den verfolgten Zweck unerlässlich ist. Letztendlich empfiehlt die Kommission um Zu- stimmung, nachdem alle offenen Fragen geklärt wurden oder um Ablehnung, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Dem Votum der Kommission wird üblicherweise gefolgt. Abweichungen sind gegenüber dem zuständigen Bundesministerium zu begründen. Die Kommission besteht in Berlin aus sieben Mit- gliedern mit jeweils zwei Vertreterinnen bzw. Vertretern. Vier Mitglieder und ihre Vertretung werden von der zuständigen Behörde (LAGeSo) direkt benannt. Ausgewählt werden Personen aus der Wissenschaft, die die wesentlichen Fachgebiete, in denen Tierversuche durchgeführt werden, abdecken. Zwei Mitglieder und deren Vertretung werden aus den Vorschlagslisten von Tierschutzorganisationen ausgewählt, während ein Mitglied und seine Vertretung speziell in der Tierethik (Philosophie) ausgebildet wurden. 5. Welche Informationen haben die Genehmigungsbehörden derzeit über den Erfahrungsgewinn aus den einzelnen Tierversuchsvorhaben? Zu 5.: Derzeit liegen kaum Informationen über den mit einem Tierversuch verbundenen Erkenntnisgewinn vor, zumal eine retrospektive Betrachtung der Versuche gesetzlich bisher nicht vorgesehen ist. Nur in besonderen Einzelfällen wird bei Abschluss des Versuchsvorhabens nach den Ergebnissen gefragt. 6. Welche Überlegungen gibt es im Senat hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes geplanten Bewertung von Forschungsergebnissen aus Tierversuchen hinsichtlich der Behörde, die diese Bewertung künftig vornehmen soll? 7. Wer soll diese Bewertung künftig vornehmen und ist geplant diese Bewertung öffentlich zugänglich zu machen und wenn nein, warum nicht? Zu 6. und 7.: Eine retrospektive Bewertung von Tier- versuchen ist im Zusammenhang mit der Umsetzung der Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU mindestens für alle Versuche, bei denen nichtmenschliche Primaten verwendet werden und Versuche, die als schwer eingestuft sind, vorgeschrieben. Sie kann auch für alle anderen Versuchsvorhaben vorgesehen werden. Die rückblickende Bewertung soll von der für die Genehmigung zuständigen Behörde vorgenommen werden. Dabei ist beabsichtigt, die Bewertung gemeinsam mit der sogenannten nichttechnischen Projektzusammenfassung zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung selbst ist durch das Bundesinstitut für Risikobewertung vorgesehen. 8. Wo wird die Qualität der Forschungsergebnisse aus Tierversuchen derzeit bewertet und wer evaluiert die Forschungsergebnisse hinsichtlich der Vertretbarkeit der dafür erforderlichen Tiertötungen vor dem Hintergrund des grundrechtlich verbrieften Anspruchs auf Tierschutz? Zu 8.: Die Qualität der Forschungsergebnisse wird derzeit hauptsächlich durch die wissenschaftliche Gemeinschaft im Rahmen der Veröffentlichung von Ergebnissen in wissenschaftlichen Journalen oder auf Kongressen bewertet. Eine Bewertung erfolgt auch durch die Fördergremien der Geldgeber für Forschungsprojekte und Forschungspreise wie Deutsche Forschungsgemeinschaft , Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und diverse andere Forschungsförderer, denen regelmäßig Rechenschaft über den Erfolg der Forschung gegeben werden muss. Eine spezielle Evaluierung der Forschungsergebnisse im Hinblick auf die Vertretbarkeit des Einsatzes von Tieren und den damit verbundenen Belastungen bzw. Tiertötungen erfolgte bislang nicht. 9. Wie bewertet der Senat die Auffassung, dass bis- her versäumt wurde, Maßstäbe zu definieren, die eine ethische Abwägung der Genehmigungsfähigkeit von Tierversuchen ermöglichen und wenn ja, wie will sich der Senat dafür einsetzen, dass dies schnellstmöglich nachgeholt wird? Zu 9.: Dem Senat ist ein Versäumnis dergestalt, dass es keine definierten Maßstäbe für eine Prüfung der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen gibt, nicht bekannt. Im Genehmigungsverfahren erfolgt stets eine Güterabwägung in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit zwischen subjektiven Leiden oder Schädigungen der Tiere einerseits und den durch die Versuche erzielbaren Erkenntnissen andererseits. In Berlin wird der Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit außerdem damit Rechnung getragen, dass in der Tierversuchskommission Tierethiker mit über die Genehmigungsfähigkeit der Tierversuche beraten. Berlin, den 11. Juli 2012 In Vertretung Sabine Toepfer-Kataw Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Juli 2012) 2