Drucksache 17 / 10 700 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann (GRÜNE) vom 26. Juni 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Juli 2012) und Antwort Rechtsextremistische Strukturen in Berlin-Schöneweide Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie schätzt der Senat die rechtsextremen Struk- turen und ihre Anziehungskraft im rechtsextremen Milieu in Berlin-Schöneweide ein? Zu 1.: 2009 hatte sich im Ortsteil Schöneweide ein rechtsextremistisches Szenelokal als Treffort der aktionsorientierten rechtsextremistischen Szene in Berlin etabliert . In den Folgejahren büßte es aufgrund der Schwäche des Netzwerks „Freie Kräfte“ an Popularität ein. Das Lokal bleibt zwar weiterhin Rückzugsraum, in dem lokal ansässige Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten persönliche Kontakte pflegen und Verabredungen treffen, seine zeitweilige berlinweite Bedeutung hat es jedoch vorerst verloren. Ebenfalls in Schöneweide eröffnete der inzwischen neue Landesvorsitzende der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) im August 2011 ein Ladengeschäft mit einem an Szenebedarf orientierten Angebot. Das Geschäft entwickelte sich schnell zu einem Anlaufpunkt für die lokale rechtsextremistische Szene. Durch das lokale Angebot an Kontakt- und Treffmöglichkeiten sowie vieler dort wohnender Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten (siehe Antwort zur Frage 2) wird Schöneweide auch weiterhin ein Anziehungspunkt für Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten bleiben. Dessen Bedeutung beschränkt sich derzeit jedoch auf dort bzw. in der Nähe wohnende Aktivistinnen und Aktivisten. Eine berlinweite Anziehungskraft hat Schöneweide für Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten derzeit nicht. 2. Welche Kenntnis hat der Senat über die Anzahl der in Schöneweide als Einwohner gemeldete und als Rechtsextreme bekannte Personen? Zu 2.: Derzeit sind etwa 50 dem Senat bekannte Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten in Oberund Niederschöneweide amtlich gemeldet. 3. Wie viele von diesen sind Mitglied in einer rechtsextremen Partei oder Organisation? (Bitte nach Namen der Organisationen und Parteien einzeln auflisten) Zu 3.: Die bekannten Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten gehören überwiegend dem Netzwerk „Freie Kräfte“ an. 4. Welche Kenntnis hat der Senat über die Anzahl der rechtsextremen Übergriffe seit 2002 in Schöneweide? (Bitte nach Jahren und Kategorien gesondert auflisten) Zu 4.: Nach dem bundeseinheitlichen Meldesystem des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes – Politisch Motivierte Kriminalität“ (KPMD-PMK), das seit dem 1. Januar 2003 in Berlin gepflegt wird, gab es in den Ortsteilen Nieder- und Oberschöneweide im Phänomenbereich PMK–Rechts in den Jahren 2003 – 2011 in den drei Deliktsarten folgende Straftaten. Die Terminologie „Übergriffe“ ist im KPMD-PMK nicht enthalten. Deliktsart 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Niederschöneweide Gewalt 1 4 1 6 3 2 4 1 2 Propaganda 8 16 19 17 15 8 21 25 21 sonstige 0 2 10 6 4 4 5 11 16 Oberschöneweide Gewalt 0 0 2 0 0 1 4 0 2 Propaganda 6 7 9 12 11 6 9 5 4 sonstige 1 1 6 1 1 1 6 11 5 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 700 2 5. Welche Kenntnis hat der Senat über die ver- schiedenen rechtsextremen Gruppierungen, die in Schöneweide verkehren? Zu 5.: In Schöneweide agieren insbesondere Ange- hörige des Netzwerks „Freie Kräfte“ (siehe Berliner Verfassungsschutzbericht 2011, S. 92/ 93). Die Mitglieder der im November 2009 verbotenen Kameradschaft „Frontbann 24“ waren überwiegend Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten aus Schöneweide. 6. Wie bewertet der Senat den in der „PMK-Rechts 2011“ geschilderten rassistisch motivierten Mordversuch in Oberschöneweide am 9.10.2011? Wie ist der aktuelle Verfahrensstand? Sind die Ermittlungen abgeschlossen? Wann ist mit einer Anklage zu rechnen? 7. Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass derselbe Täter laut Presseberichten http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizeijustiz /messerangriff-in-jva-ploetzensee-gefangener-stichtvietnamesischen -mithaeftling-nieder/6264992.html nur wenige Monate später einen Mithäftling vietnamesischer Herkunft niedergestochen hat? Zu 6. und 7.: Die Staatsanwaltschaft hat die Ermitt- lungen am 21. Mai 2012 abgeschlossen und gegen den Beschuldigten wegen der beiden Tatvorwürfe Anklage zum Landgericht Berlin erhoben. Es ist nicht Aufgabe des Senats, laufende Strafverfahren zu kommentieren. Auf Angaben zu Einzelheiten des Verfahrens und auf eine Bewertung der Ermittlungsergebnisse wird daher verzichtet. 8. Hält es der Senat für angemessen, einen solchen rassistischen Gewalttäter zusammen mit Menschen mit Migrationshintergrund zu inhaftieren, obwohl dort offensichtlich nicht für die Sicherheit eben dieser garantiert werden kann? Zu 8.: Aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Tier- garten wegen versuchten Totschlags ergaben sich vor der Tat für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Plötzensee keine Hinweise auf eine rassistische Gesinnung des Täters. Auch Erkenntnisse dieser Art hätten die Anstalt nicht in die Lage versetzt, die Tat vorherzusehen und wirksame Präventionsmaßnahmen zu treffen. Um die Bewegungsfreiheit der Gefangenen innerhalb der Anstalt einzuschränken, bedarf es nach dem Strafvollzugsgesetz konkret belegbarer Anhaltspunkte für eine unmittelbar drohende Gefahr von Gewalttätigkeiten. Sie lagen in diesem Fall nicht vor. 9. Wie bewertet der Bezirk einen Bericht auf der rechtsextremen Internetseite „NW-Berlin“ (http://www.nw-berlin.net/2012/04/22/3-berlinerfusballturnier /) über ein „3. Nationales Fußballturnier“? Zu 9.: Da sich die Kleine Anfrage an den Senat richtet, lautet die Antwort aus Sicht des Senats wie folgt: Bei diesem Fußballturnier handelt es sich um eine jährlich stattfindende Veranstaltung der „rechten Szene“ Berlins und Brandenburgs, welche bisher störungsfrei, ohne größere Außenwirkung verlief. Nach der Durchführung der Veranstaltung erfolgte eine Veröffentlichung auf den einschlägigen Seiten im Internet. Es werden immer wieder gering oder gar nicht öffentlichkeitswirksame rechtsextremistische Veranstaltungen durchgeführt, die anschließend im Internet auf einschlägigen Homepages dokumentiert werden. Mit diesen sollen primär interne Strukturen gefestigt und nicht Interessentinnen sowie Interessenten für die Szene gewonnen werden. In diese Kategorie fällt das von Rechtsextremisten durchgeführte Fußballturnier im April 2012. 10. Stimmt die im Bericht getätigte Aussage, dass die Polizei keine Kenntnis von diesem Treffen hatte? („In den letzten Jahren sorgten, wie bereits berichtet, die Staatsorgane für Aufsehen, dieses Jahr war es anders.“). Falls nicht, wo fand es statt und mit wie vielen Teilnehmern fand es statt? Mussten Maßnahmen eingeleitet werden? Zu 10.: Der Polizei Berlin wurden der Veranstal- tungsort sowie die -zeit des Turniers durch die linke Internetplattform „Indymedia“ im Nachhinein bekannt. 11. Wurde bei der Polizei Anzeige erstattet oder ist dem Senat bekannt, ob es sich bei der geschilderten „Intervention durch die Turnierteilnehmer“ gegen einen „bekannte[n] Berliner Linksextremist[en]“ um einen rechtsextremen Übergriff handelt? Zu 11.: Der Senat von Berlin hat keine Kenntnis von der Erstattung einer Strafanzeige. 12. In welchem Kontext fand dieser im Verfas- sungsschutzbericht 2011 (Pressefassung, S. 57) erwähnte Vorfall statt: „So fiel eine Gruppe von Rechtsextremisten im Ortsteil Schöneweide mit dem Rufen von Unterstützungsparolen für den NSU auf“? Zu 12.: Im Rahmen einer Streifenfahrt stellten Poli- zeibeamte eine Gruppe von amtsbekannten Personen der „rechten Szene“ fest, die stark alkoholisiert Parolen mit Bezug zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) skandierten. 13. Wurden Ermittlungsverfahren aufgenommen? Wenn ja, welche und mit welchem aktuellen Verfahrensstand ? Zu 13.: Ein Ermittlungsverfahren wurde nicht einge- leitet, weil die gerufenen Parolen keine strafrechtliche Relevanz aufwiesen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 700 3 14. Wenn der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht (Pressefassung, S. 92) davon schreibt, in Schöneweide „befindet sich eine Vielzahl ihrer Treffpunkte , darunter auch die beiden wichtigsten“ und damit das Lokal „Zum Henker“ und das Ladengeschäft „Hexogen“ gemeint sind, welche sind die weiteren rechtsextremen Treffpunkte in Ober- und Niederschöneweide? Zu 14.: Bei den Objekten „Zum Henker“ und „Hexogen“ handelt es sich mit Zustimmung der Betreiber um regelmäßige Treffpunkte von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten. In Berlin-Schöneweide gibt es mehrere Lokalitäten, die größtenteils ohne Zutun des Betreibers als gelegentliche Treffpunkte von Personen der rechtsextremistischen Szene genutzt werden. Eine Bekanntgabe dieser Objekte findet aufgrund des Datenschutzes und/oder aus zivilrechtlichen Gründen nicht statt. 15. Wenn „Henker“ und „Hexogen“ als die beiden wichtigsten Szene-Treffpunkte betrachtet werden, wie bewertet der Senat den rechtsextremen Treffpunkt in der Lückstraße 58 in Lichtenberg? Nach welchen Kriterien wird die Wichtigkeit für die rechtsextreme Szene bemessen ? Zu 15.: Im aktuellen Berliner Verfassungsschutzbe- richt 2011 werden sämtliche Trefforte von Relevanz für die jeweiligen Teile der rechtsextremistischen Szene genannt. Dazu gehören sowohl die Räumlichkeiten in Schöneweide, die überwiegend von Angehörigen des Netzwerks „Freie Kräfte“ aufgesucht werden, als auch das sogenannte „nationale Jugendzentrum“ in der Lückstraße 58 in Lichtenberg, das vorwiegend von Angehörigen der Autonomen Nationalisten besucht wird. 16. Wie bewertet der Senat ein Feuer im sog. „Bethanien“ in Kreuzberg am 25.12.2011, das in der linken Szene als rechtsextremer Brandanschlag bewertet wird? 17. Da das Feuer im Verfassungsschutzbericht 2011 (Pressefassung, S. 89) nicht bei den vermutlich rechtsextrem motivierten Brandanschlägen aufgezählt wird, welche Gründe sprechen dafür bzw. dagegen? Wie ist der Ermittlungs- bzw. Verfahrensstand? Zu 16. und 17.: Die Ermittlungen der Staatsanwalt- schaft Berlin dauern noch an. Nach Auskunft des Leitenden Oberstaatsanwaltes haben sie bisher keinerlei Anhaltspunkte dafür erbracht, dass es sich um eine rechtsextremistische Tat handeln könnte. Auf Angaben zu Einzelheiten des Verfahrens und auf eine Bewertung der Ermittlungsergebnisse wird unter Bezugnahme auf die Antwort zu 6. und 7. verzichtet. 18. Welche Erkenntnisse hat der Senat zu Störversuchen von Rechtsextremen beim "Fest für Demokratie " am Bahnhof Schöneweide und am Abend bei einem Konzert vom Jugendbündnis "Uffmucken" am Kaisersteg? Wie viele Platzverweise mussten ausgesprochen werden? Wurden Strafverfahren eingeleitet? Wenn ja, weswegen? 19. Stimmen Schilderungen, wonach eine ca. 10- köpfige rechtsextreme Gruppe am Abend erst in unmittelbarer Nähe vom Konzert von der Polizei aufgehalten wurde und dann von den Beamt/innen zum "Henker" geführt wurde? Zu 18. und 19.: Der Polizei Berlin wurde bekannt, dass zwei amtsbekannte Personen der „rechten Szene“ alkoholisiert an dem Fest für Demokratie teilnahmen. Dabei kam es zu einer Beleidigung zum Nachteil eines Veranstalters des Festes. Der Beschuldigte zu der Beleidigung erstattete im Rahmen der Anzeigenaufnahme eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen einen Festteilnehmer. Im Umfeld des Festes für Demokratie hatte die NPD eine Versammlung mit dem Thema „Meinungsfreiheit muss geschützt werden“ angemeldet. Zu dieser Versammlung erschienen am Versammlungsort 18 Personen der „rechten Szene“. Nachdem der Versammlungsleiter nicht erschien und ein selbstständiges Auflösen nicht erkennbar war, erhielten die Personen einen mündlichen Platzverweis und eine Teilgruppe wurde zu dem Lokal „Zum Henker“ begleitet. Im Anschluss an das Fest fand eine Open-Air- Musikveranstaltung unter dem Motto „Uffmucken" auf dem Jugendschiff „Remili" statt. Dort erhielten fünf amtsbekannte Personen der „rechten Szene“ einen mündlichen Platzverweis. 20. Fand an diesem Abend im "Henker" eine Veranstaltung statt? Wenn ja, welche und mit wie vielen Teilnehmer/innen? Zu 20.: Dem Senat von Berlin liegen dazu keine Erkenntnisse vor. 21. Welche Maßnahmen ergreift der Berliner Ver- fassungsschutz gegen den „Brennpunkt“ des Rechtsextremismus Schöneweide? Zu 21.: Der Berliner Verfassungsschutz kommt seinem gesetzlichen Auftrag nach, jährlich und anlassbezogen den Senat, das Abgeordnetenhaus und die Öffentlichkeit über Entwicklungen in allen Risikofeldern der rechtsextremistischen Szene in Berlin zu informieren. Dies geschieht nicht nur im jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht , sondern darüber hinaus auch in Broschüren , Lageanalysen und aktuellen Meldungen sowie Vortragsveranstaltungen. In diesen Veranstaltungen wird entsprechend der Interessen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Thema Rechtsextremismus spezialisiert, Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 700 4 z.B. auf die rechtsextremistische Szene in einzelnen Bezirken. Durch eine enge Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden werden rechtsextremistische Strukturen, Trefforte, Aktionen aufgeklärt und von den zuständigen öffentlichen Stellen gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergriffen . 22. Wie gestaltet sich der vom Senat in Aussicht gestellte "Demokratieplan gegen rechts für Schöneweide “? Wie sieht sie konkrete Umsetzung und der Zeitplan diesbezüglich aus? Zu 22.: Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen befindet sich derzeit gemeinsam mit dem Bezirksamt Treptow-Köpenick in einem Abstimmungsprozess über eine gezielte Unterstützung der Demokratieförderung in Schöneweide. Bereits jetzt finanziert der Berliner Senat in seinem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus Beratungs- und Bildungsangebote, die eine langfristig ausgerichtete Begleitung und Unterstützung der Rechtsextremismusprävention in TreptowKöpenick ermöglichen. Zudem stehen im Rahmen des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken “ Bundesmittel zur Finanzierung zweier „Lokaler Aktionspläne“ (LAP), davon einer im Ortsteil Schöneweide , bereit. Darüber hinaus reichende konkrete Maßnahmen der Rechtsextremismusprävention in Schöneweide können für das Haushaltsjahr 2013 beim Landesprogramm gegen Rechtsextremismus des Berliner Senats beantragt werden, sofern sie nicht bereits durch eine bestehende Förderung aus Landes- oder Bundesprogrammen abgedeckt sind. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen hat vorgeschlagen, diesen Fehlbedarf im Rahmen eines Demokratieplans zusammenzufassen, dessen Ausarbeitung in der Federführung des Bezirksamts Treptow-Köpenick in Anbindung an das bezirksweite „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ geschehen sollte. Berlin, den 12. Oktober 2012 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Nov. 2012)