Drucksache 17 / 10 711 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller (LINKE) vom 03. Juli 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Juli 2012) und Antwort Vorbehalte gegen männliche Erzieher? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele männliche Erzieher arbeiten nach Kenntnis des Senats zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Berliner Kindertagesstätten und wie hoch ist deren Anteil prozentual an der Gesamtzahl der pädagogischen Fachkräfte in den Einrichtungen? Zu 1.: Lt. Statistik der Kinder- und Jugendhilfe (Stand 01.03.2011) sind 816 männliche Erzieher in den Berliner Kindertagesstätten beschäftigt. Bezogen auf alle Erzieherinnen und Erzieher beträgt der Anteil 4,8 %. Von den insgesamt 18.867 beschäftigten pädagogischen Fachkräften sind 1.025 Männer, das entspricht einem prozentualen Anteil von 5,4 %. 2. Wie viele männliche Bewerber gab und gibt es für einen Seiteneinstieg in den Erzieherberuf und wie viele dieser Interessenten sind gegenwärtig bereits in den Einrichtungen beschäftigt? Zu 2.: Lt. Statistik über die Schülerinnen und Schüler an den Berliner Fachschulen für Sozialpädagogik im Schuljahr 2010/2011 befanden sich 205 Männer in der berufsbegleitenden Teilzeitausbildung. Seit Schaffung der Quereinsteigerregelungen im April 2010 hat die KitaAufsicht bis Ende Juni 2012 für 260 Männer Anträge auf berufsbegleitende Teilzeitausbildung genehmigt (von insgesamt 1177 Anträgen). 3. Wie bewertet der Senat aus fachlicher Sicht die Forderung, mehr männliche Erzieher für die Kita zu gewinnen und welche Maßnahmen sieht er als sinnvoll an, um dies auch im Rahmen des Kitaausbauprogramms erfolgreich zu realisieren? Zu 3.: Der Senat unterstützt ausgleichstellungs- politischen Erwägungen die Förderung von männlichen Erziehern. Im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil an männlichen pädagogischen Fachkräften bei 2,4 % (Berlin 4,5 %) in Kindertagesstätten. Frühkindliche Erziehungsaufgaben sind noch immer eher Frauen zugeordnet. Auch junge Männer benötigen deshalb im Berufsorientierungsprozess nachhaltige Anreize traditionelle Rollenmuster bei der Berufswahl zu durchbrechen und auch Berufe im sozialen, pflegerischen und erzieherischen Bereich einzubeziehen . Vor diesem Hintergrund fördert der Senat die Durchführung des jährlich stattfindenden Boys' Day und eine damit verbundene geschlechtersensible Berufsorientierung in den Schulen. 2012 haben 31 % der Berliner Boys' Day Teilnehmer sich mit dem Berufsbild des Erziehers befasst und ein Schnupperangebot in einer Kindertagesstätte besucht. Eine geschlechtergerechte und geschlechterbewußte Pädagogik gehört zum Bildungsauftrag in der Kindertagesbetreuung . Zu deren Umsetzung bedarf es auch männlicher Fachkräfte, damit Kinder in der Bildungs- und Erziehungsarbeit sowohl Männer wie Frauen erleben und als Vorbilder – auch für die Entwicklung der eigenen Geschlechtsidentität - wahrnehmen. Die Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Erziehern wird in der Alltagspraxis meist als wechselseitig bereichernd empfunden auch im Hinblick auf die Reflexionsprozesse. Es zeigt sich, dass die berufsbegleitende Teilzeitaus- bildung verstärkt für Männer von Interesse ist. Durch den Ausbau weiterer Ausbildungsplätze in diesem Bereich kann es auch gelingen, den Männeranteil in diesem Berufsfeld zu erhöhen. 4. Sind dem Senat Vorbehalte bei Eltern gegen männliche Erzieher in Kindertagesstätten bekannt und wenn ja, wie sind diese aus Sicht des Senats begründet? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10711 Zu 4.: Dem Senat sind keine grundsätzlichen Vorbe- halte gegen männliche Erzieher bekannt. Vereinzelt gibt es Nachfragen im Kleinkindbereich (Krippe), bei denen es um das Pflegen/Wickeln der Kinder geht. In diesen Fällen werden intensive Elterngespräche mit dem pädagogischen Personal und den Trägervertretern geführt, um Vorbehalte im Umgang mit den Kindern auszuräumen. Es handelt sich aber tatsächlich nur um Einzelfälle, einschlägige Elternbeschwerden liegen der Kita-Aufsicht nicht vor. Das Gegenteil ist der Fall, in der Regel sind die Eltern sehr angetan, wenn männliche Erzieher auch und vor allem im Elementarbereich tätig sind (vgl. auch Antwort zu 6.). 5. Inwieweit ist im Rahmen des Bundes- modellprogramms „Mehr Männer in Kitas“ der Umgang mit Vorbehalten gegenüber männlichen Erziehern Gegenstand von Untersuchungen und welche Ergebnisse liegen dem Senat diesbezüglich vor? Welcher Handlungsbedarf ergibt sich daraus nach Meinung des Senats? Zu 5.: Lt. Aussage des zuständigen Referats im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist die Forschung zum genannten Thema im engeren Sinn nicht Gegenstand des Bundesprogramms „Mehr Männer in Kitas“. Das Thema "Vorbehalte gegen männliche Erzieher"/„Generalverdacht“ ist aber für alle Europäischen Sozialfonds (ESF)- Modellprojektträger ein relevantes Thema und mehrere von ihnen beschäftigen sich damit auch explizit. Sie führen innerhalb ihres Einflussbereichs Gesprächsrunden und Fortbildungen durch und entwickeln Konzepte zur Beratung. Fachlich unterstützt werden sie dabei von der Koordinationsstelle „Männer in Kitas“, die für die Projektträger unter anderem zwei Themenworkshops dazu in Berlin durchgeführt hat. Die Koordinationsstelle arbeitet dabei mit der Berliner Beratungsstelle „Kind im Zentrum – Sozialtherapeutische Hilfen für sexuell missbrauchte Kinder und ihre Familien“ zusammen. Als Produkt der Modellphase wird von den ESFModellprojektträgern gemeinsam eine Handreichung zum Thema erstellt, die bundesweite Verbreitung finden soll. 6. Welche Maßnahmen hält der Senat für not- wendig und geeignet, um möglichen Vorbehalten von Eltern gegenüber Männern im Erzieherberuf entgegenzuwirken ? Zu 6.: Eine Studie, die im Juni 2010 zum Thema „Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben wurde, weist unmissverständlich nach, dass die Türen der Kindertagesstätten für Männer weit geöffnet sind und die wenigen dort anwesenden männlichen Fachkräfte von allen Erhebungsgruppen (Eltern, Leitungen, Trägerverantwortliche) als große Bereicherung für die pädagogische Arbeit wahrgenommen und geschätzt werden. Männliche Auszubildende und Erzieher nehmen die ihnen entgegengebrachte Offenheit und Wertschätzung in der Regel wahr und fühlen sich in Kindertageseinrichtungen willkommen. Männliche Erzieher gelten bei den Befragten als eine Bereicherung für die Kinder, weil davon ausgegangen wird, dass sie die Vielfalt an Angeboten erhöhen und die Kitas mit Interessen und Sichtweisen bereichern können, die bislang nur wenig berücksichtigt werden. Mehrheitlich wird die Meinung vertreten, dass Kinder durch geschlechterheterogene Kita-Teams erweiterte Lernmöglichkeiten zur Bildung der eigenen Geschlechtsidentität erhalten. Die verschiedenen Erhebungsgruppen sehen durch geschlechterheterogene Kita-Teams zudem eine bessere Unterstützung der Kinder bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben gewährleistet. Obgleich durchaus ein nennenswerter Anteil der Be- fragten bestätigte, dass das Thema männliche Erzieher auch mit dem Gedanken an möglichen Missbrauch verknüpft sei, gaben dennoch 86 Prozent der Eltern an, dass sie ihr Kind in der Kita bedenkenlos einem männlichen Erzieher anvertrauen würden. Die Notwendigkeit von konkreten Maßnahmen gab es bisher nicht, da sich Vorbehalte (wie auch unter 4. erläutert ) stets auf konkrete Situationen beziehen und immer im persönlichen Gespräch mit den Eltern, dem pädagogischen Personal sowie den Trägern ausgeräumt werden konnten. Der Senat hält die Entwicklung einer praxistauglichen Handreichung zum Thema Umgang mit dem „Generalverdacht “ im Kitaalltag für sinnvoll. 7. Welche Maßnahmen sieht der Senat als not- wendig und sinnvoll an, um angehende Erzieherinnen und Erzieher bereits in der Ausbildung auf Vorbehalte gegen Männer im Erzieherberuf und den Umgang damit vorzubereiten ? Sind entsprechende Ausbildungsinhalte verankert und wenn nein, warum nicht? Was wird der Senat tun? Zu 7.: Im Rahmenlehrplan für die Ausbildung zur Er- zieherin/zum Erzieher finden sich in mehreren Themenfeldern entsprechend zu erwerbende Kompetenzen und verpflichtend zu unterrichtende Ausbildungsinhalte, ohne dass der Begriff „Vorbehalte gegen Männer im Erzieherberuf “ explizit genannt wird. Im Rahmenlehrplan werden im Themenfeld 5 „Beruf- liche Identität und professionelle Perspektiven entwickeln “ die eigenen Motive zur Berufswahl sowie die Selbst- und die Fremdwahrnehmung der Berufsrolle thematisiert. Ziel dabei ist, die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen zu reflektieren und ein professionelles Selbstverständnis zu entwickeln. Das gegenwärtige Berufsbild der Erzieherin/des Erziehers wird dabei mit sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen in Beziehung gesetzt. Supervision und Intervision sind verbindliche Ausbildungsinhalte in diesem Themenfeld. 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10711 Im Themenfeld 2 „Kommunizieren und kooperieren“ wird Kommunikation und Kooperation als zentrale Handlungsfähigkeit von Erzieherinnen und Erziehern genannt. Sie müssen auch mit Eltern und anderen an der Erziehung Beteiligten Gespräche führen, Konflikte erkennen und verbalisieren. Im Themenfeld 9 „Kinder und Jugendliche in be- sonderen Lebenslagen unterstützen“ wird auffälliges Verhalten von Kindern und Jugendlichen im Lebens- und Entwicklungszusammenhang genannt. Hierbei wird Gewalt im Leben von Kindern und Jugendlichen, im Besonderen sexuelle Gewalt thematisiert. Als zu erwerbende personale Kompetenz wird im Spannungsfeld von „sich einlassen und abgrenzen, professionelle Nähe und Distanz“ gesprochen. Im Themenfeld 15 „Organisation, Recht und Ver- waltung“ werden Kinderschutz und Umgang mit Kindeswohlgefährdung thematisiert. Im Themenfeld 4 „Entwicklung der personalen und gesellschaftlichen Identität von Kindern und Jugendlichen unterstützen und begleiten“ wird die Vermittlung von Werten und Normen durch Erzieherinnen/Erzieher bei der Identitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen thematisiert. Dabei werden als personale Kompetenzen Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Wertschätzung des anderen aber auch professionelle Distanz genannt. 8. Wie wird der Senat dem Bedarf an Quali- fizierungsangeboten für pädagogische Fachkräfte zum Umgang mit Vorbehalten gegenüber männlichen Erziehern in der Elternarbeit entsprechen? Welche diesbezüglichen Angebote gibt es bereits? Was ist geplant? Zu 8.: Das Thema „Vorbehalte gegen männliche Er- zieher“ ist als Querschnittsthema in verschiedenen Fortbildungsangeboten enthalten und wird bei Bedarf und aktuellem Bezug bearbeitet. Eingebettet ist die Frage in den Fachdiskurs „Geschlechterbewusste pädagogische Arbeit mit Mädchen und Jungen in der Kita". Das bedeutet konkret, dass Mädchen und Jungen in der Kita Männer (Erzieher) und Frauen (Erzieherinnen) brauchen, die ihnen in gendergerechter und inklusiver pädagogischer Arbeit eine vielseitige Entwicklung und Bildung ermöglichen, die nicht durch stereotype Geschlechterrollen beschränkt und eingeengt werden. Die Bildungsansätze sollten an den Lebenswelten von Mädchen und Jungen ansetzen, so wie es das Berliner Bildungsprogramm vorsieht. Benötigt werden Erzieherinnen und Erzieher, die bereits im Kitaalltag Strategien von Geschlechtergerechtigkeit verfolgen . Dies ist eine qualitative Fragestellung, d.h. die Reduzierung auf quantitative Erhöhung von Männern (oder Verminderung der Frauenanteile) hat nichts mit Qualität zu tun, sondern muss eingebettet sein in die Inhalte geschlechterbewusster Arbeit von Männern und Frauen für Mädchen und Jungen. Mögliche Vorbehalte sind in der Elternzusammenarbeit entsprechend zu entkräften . Im Rahmen des Fachdiskurses „Geschlechterbewusste pädagogische Arbeit mit Mädchen und Jungen in der Kita“ werden im Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) mehrtägige Fortbildungen angeboten: ƒ "Starke Mädchen - starke Jungen: Geschlechterbewusste Pädagogik als Schlüssel für Bildungsprozesse in der Kita" ƒ "Mädchen-Jungen-Chancengleichheit: Ver- ankerung geschlechterbewusster Pädagogik in der Konzeption" ƒ "Inklusion als Leitungsaufgabe! 20-tägige Weiter- bildungsreihe 2012-2013" ƒ "Männer in die Kitas - oder: Was Erzieher alles können sollen. Sensibilisierung für die Rolle des Pädagogen" ƒ Erziehungspartnerschaft – Kooperation mit Eltern und persönliche Grenzen Einen fachlichen Einstieg in die Thematik gibt die vom Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut BerlinBrandenburg im März 2010 herausgegebene Handreichung für Fachkräfte „Starke Mädchen - Starke Jungen! Geschlechterbewusste Pädagogik als Schlüssel für Bildungsprozesse in der Kita“. Im September dieses Jahres wird eine internationale Konferenz der Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ in Zusammenarbeit mit der Humboldt Universität Berlin und mit der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin Strategien, Erfahrungen und Perspektiven des Themenfeldes erarbeiten. 9. Was wird der Senat tun, um durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit für den Erzieherberuf und seine Anerkennung und Wertschätzung unabhängig vom Geschlecht zu werben? Zu 9.: Der Senat betont in vielfältiger Weise die wachsende Bedeutung und hohe Qualität des Erzieherinnenberufs und Erzieherberufs. So hat sich der Senat bspw. im November letzten Jahres an der Messe JobAktiv (veranstaltet von der Bundesagentur für Arbeit) mit einem Info-Stand zum Beruf der Erzieherin/des Erziehers beteiligt und wird sich auch künftig bei ähnlichen Veranstaltungen engagieren. 3 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10711 4 Im Frühjahr hat der Senat das BAGE-Projekt (Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiative e.V.) „Männer in Elterninitiativen und Kinderläden“ bei der Herausgabe der Broschüre „Erzieher_In werden – Wege in den Beruf“ unterstützt. Weiter ist der Senat derzeit zum Thema Fachkräftebedarf mit den wichtigen Akteurinnen und Akteuren in diesem Handlungsfeld im Gespräch und wird entsprechende Maßnahmen initiieren. Berlin, den 02. August 2012 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. August 2012)