Drucksache 17 / 10 734 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 09. Juli 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Juli 2012) und Antwort Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Akzeptanz sexueller Vielfalt in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche wissenschaftlichen Untersuchungen sind zur Umsetzung von Beschlusspunkt 18 der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ (ISV) (Drucksache 16/2291) in Auftrag gegeben worden? Liegen inzwischen die Ergebnisse all dieser Studien vor? 2. Worin sieht der Senat die zentralen Erkenntnisse dieser Studien? 3. Welche Konsequenzen für politisches Handeln sollen aus den Ergebnissen dieser Studien gezogen werden ? Welcher Forschungsbedarf wurde mit den Studien gedeckt und welcher neue Forschungsbedarf hat sich dadurch gegebenenfalls ergeben? 4. Hält der Senat die bisher umgesetzten Studien für ausreichend zur Erforschung und Reflexion der Lebenssituation von LSBTI-Menschen in Berlin, der Ursachen von Diskriminierung aufgrund von sexueller oder geschlechtlicher Identität bzw. Orientierung und der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung der Akzeptanz sexueller Vielfalt über einen längeren Zeitraum? Zu 1. – 4.: Im Einzelnen wurden vom Land Berlin folgende Studien in Auftrag gegeben: • Studie „Konflikte zwischen der Lesben- und Schwulen-Community und anderen gesellschaftlichen Teilgruppen“ (Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Bernd Simon) • Studie „Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen. Eine Befragung zu Verhalten, Einstellungen und Wissen zu LSBT und deren Einflussvariablen “ (Humboldt-Universität zu Berlin unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Ulrich Klocke) • Studie „Lebenssituation und zu Diskriminierungserfahrungen schwuler und bisexueller Männer“ (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Bernd Simon und Dr. Anne Bachmann) • Studie „Wirksamkeit von Strategien und Methoden zur Bekämpfung von homophoben Diskriminierungen zum Schutz und zur Förderung der Akzeptanz sexueller Vielfalt (ces – centrum für qualitative evaluations- und sozialforschung). Die Studien liegen den Fachabteilungen vor und be- finden sich zurzeit in der redaktionellen Überarbeitung bzw. der internen fachlichen Auswertung. Um Rückschlüsse hinsichtlich des weiteren politischen Handelns und Forschungsbedarfs aus den einzelnen Studien ableiten zu können, ist eine Gesamtbetrachtung, auch unter Einbeziehung der von der Lesbenberatung durchgeführten Studie geboten und sinnvoll, deren Ergebnisse auf einer Fachtagung voraussichtlich im September 2012 vorgestellt werden. Der Senat kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Einschätzung treffen, ob die bisher umgesetzten Studien für die Erforschung und Reflexion der Lebens- und Diskriminierungssituation von LSBTI-Menschen in Berlin ausreichend sind. 5. In der Mitteilung zur Kenntnisnahme vom 22. Februar 2011 (Drucksache 16/3903, Punkt 19) wurde auf Kooperationen der LADS mit drei Partnern in „relevanten Themenzusammenhängen“ verwiesen. Wie sieht diese Zusammenarbeit konkret aus? Existieren inzwischen weitere Vernetzungen und Kooperationen in diesem Bereich? Zu 5.: Durch die sehr gute Zusammenarbeit zwischen der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) und dem renommierten Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien der Humboldt-Universität, Frau Prof. Dr. Susanne Baer, können die Berliner Antidiskriminierungsberatungsstellen qualifizierte Rechtseinschätzungen zu Fragen oder Problemen aus der Beratungspraxis erhalten. Die Rechtseinschätzungen veröffentlicht die LADS als Broschüre bzw. auf der LADS-Website http://www.berlin.de/lb/ads/studien/index.html. In regelmäßigen Abständen organisiert die LADS Beratungsnetzwerktreffen , an denen auch die für die Antidiskriminierungsberatung für lesbische, schwule, bi- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 734 sexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI zuständigen Träger wie Schwulenberatung, Lesbenberatung/LesMigraS, Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg sowie der Sonntagsclub teilnehmen . Bei diesen Treffen haben die Trägerinnen und Träger die Möglichkeit, sich nicht nur mit anderen merkmalsspezifischen Beratungsstellen, sondern auch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und wissenschaftlich arbeitenden Institutionen zu vernetzen und sich auszutauschen. So besteht auch unter der gemeinsamen Zielsetzung der Stärkung des Diskriminierungsschutzes mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte, das wissenschaftlich und politikberatend arbeitet, eine gute themenfeldbezogene Kooperation. Zum Thema Menschenrechte und sexuelle Identität ist ein vertiefender Austausch mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) von Seiten der LADS vorgesehen . Im Rahmen der Maßnahmen des Senats zur Re- habilitierung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten verurteilten homosexuellen Männern hat die LADS mit dem „Center for the Study of Discrimination based on Sexual Orientation“ am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität zusammengearbeitet. Der Leiter des Instituts, Prof. Dr. Dr. Hans-Joachim Mengel war sowohl bei der Durchführung des Fachsymposiums am 17. Mai 2011, an dem auch unterschiedliche LSBTI Organisationen teilgenommen haben, als auch zur Erstellung der Expertise „Strafrechtliche Verfolgung homosexueller Handlungen in Deutschland nach 1945. Verfassungsrechtliche, verfassungspolitische und völkerrechtliche Erwägungen“ beteiligt. Zum selben Thema sowie im Zusammenhang der in der ISV beschriebenen Zielsetzung der Geschichtsdokumentation und zur Ehrung von LSBT Persönlichkeiten im öffentlichen Raum kooperiert die LADS mit dem Schwulen Museum. Das Schwule Museum hat hierzu mehrere Expertisen für die LADS erstellt wie Vorschläge zur Ehrung von LSBT-Persönlichkeiten in den Berliner Bezirken, eine Expertise über den schwulen Juristen Dr. Fritz Flatow sowie eine Bestandsaufnahme über die Homosexuellenverfolgung und Verurteilungen gegen homosexuelle Handlungen in Deutschland nach 1945. Diese Kooperationen werden fortgesetzt, insbesondere im Rahmen des Koordinierungsgremiums „Geschichte von Lesben, Schwulen und transgeschlechtlichen Menschen erforschen und dokumentieren!“, das laut Senatsbeschluss vom 17. April 2012 (Drs. 17/0277) ein Konzept zur Förderung der berlinbezogenen Erforschung und Dokumentation der strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Männer und der Diskriminierung von Lesben, Schwulen und transgeschlechtlichen Menschen in der frühen Bundesrepublik und der DDR entwickeln soll. Über die LADS Akademie pflegt die LADS des Weiteren einen intensiven Kontakt mit dem Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien/Strategien von Gleichstellungspolitiken und Herausforderungen der HU Berlin sowie mit dem Studiengangsmanagement im Bereich "Gender und Diversity- Kompetenz" an der FU Berlin. Seit 2010 ist sowohl die ISV als auch das Thema der sexuellen Identität immer wieder ein Schwerpunktthema der regelmäßig stattfindenden Besuche von Studierenden dieser Universitäten. Dabei werden auch die in Berlin tätigen LSBTI Organisationen vorgestellt und für die Vorteile eines regelmäßigen Austausches mit der Praxis geworben. 6. Wurde das in der in Frage 5 genannten Drucksache für das Jahr 2011 angekündigte Konzept mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft zur Förderung der Vernetzung und Kooperation zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen, dem Land Berlin, Vereinen , Trägern und Initiativen inzwischen erstellt? Wenn nein: Warum nicht? Wenn ja: Was beinhaltet dieses Konzept und wie wird es in der Praxis wirksam? Zu 6.: Das Konzept sieht vor, freie Träger, Vereine und Initiativen anlassbezogen zusammenzubringen, um einen fachlichen Austausch zu ermöglichen. Daraus resultierte, dass beispielsweise im Rahmen der von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Auftrag gegebenen Studie "Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen. Eine Befragung zu Verhalten, Einstellungen und Wissen zu LSBT und deren Einflussvariablen " die freien Träger fortwährend bei der Planung und der Diskussion sowie der ersten Würdigung der Ergebnisse einbezogen wurden. Grundsätzlich ist der Berliner Senat daran interessiert, dass sich aus den anlassbezogenen Kooperationen mittelfristig auch ein kontinuierlicher Austausch ergibt und dadurch die weitere Vernetzung befördert wird. 7. Wie beurteilt der Senat die Umsetzung des Auftrags einer Gesamtevaluation der ISV durch das „centrum für qualitative evaluations- und sozialforschung e.v.“ (ces)? Zu 7.: Das Land Berlin hat die Ergebnisse der Ge- samtevaluation mit Interesse zur Kenntnis genommen. Bei einer von der LADS organisierten Fachtagung am 07. Mai 2012 im Louise-Schroeder-Saal im Roten Rathaus wurden die Ergebnisse den beteiligten LSBTI- und Nicht-LSBTI-Organisationen, queerpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen sowie den teilnehmenden Senatsverwaltungen vorgestellt. Im weiteren Verfahren sind themenspezifische Fachrunden vorgesehen , die u.a. auch auf den einzelnen Ergebnissen aus der Gesamtevaluation gründen. 8. In welcher Form soll die wissenschaftliche Be- gleitung und Evaluation der fortzusetzenden und auf Dauer zu stellenden Maßnahmen der ISV sichergestellt werden? Zu 8.: Eine Fortführung der Evaluation ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgesehen. Berlin, den 22. August 2012 In Vertretung Barbara L o t h Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Sep. 2012) 2