Drucksache 17 / 10 745 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Alexander Spies (PIRATEN) vom 05. Juli 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Juli 2012) und Antwort „Sozialticket“ für den öffentlichen Nahverkehr Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Die Kleine Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nur zum Teil in eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) um eine Stellungnahme gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurde. Sie wurde bei der Beantwortung berücksichtigt. 1. Wie kalkulieren die Verkehrsunternehmen den Preis des „Sozialtickets“ und wie werden mögliche Mindereinnnahmen berechnet (bitte Berechnungsgrundlage der Verkehrsunternehmen bzw. des Senats erläutern und beilegen)? Zu 1.: Die Grundlage für das derzeitige Angebot des Berlin-Tickets S bildet der zwischen der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung, der BVG AöR und der S-Bahn Berlin GmbH geschlossene Vertrag über die Weiterführung Berlin-Ticket S vom 12.12.2007, zu dem bisher drei Ergänzungs- und Änderungsverträge geschlossen wurden. Diese Verträge enthalten insbesondere Regelungen über den Berechtigtenkreis , die Preisgestaltung, den Leistungsumfang, Preisanpassungen , die Durchführung, den Verlustausgleich sowie die Aufteilung der Einnahmen aus dem BerlinTicket S zwischen den Verkehrsunternehmen. Demnach obliegen sowohl Preisanpassungen als auch die Höhe des Verlustausgleiches nicht allein den Verkehrsunternehmen, sondern sind zwischen allen Vertragspartnern einvernehmlich festzulegen. Das Berlin-Ticket S wird nicht gesondert kalkuliert. Maßgeblich ist die Entscheidung, in welchem Umfang das Berlin-Ticket S gegenüber dem kalkulierten Preis für das Normalticket verbilligt abgegeben wird. In dieser Höhe würde den Verkehrsunternehmen ein Verlust entstehen, den das Land Berlin auszugleichen hat. Die Höhe des Verlustausgleichsbetrages basiert also grundsätzlich auf einem Vergleich der Fahrgeldeinnahmen , die einerseits tatsächlich mit dem Tarifangebot „Berlin-Ticket S“ erzielt worden sind und die andererseits ohne dieses Tarifangebot erzielt worden wären. 2. Welche zusätzlichen Einnahmen erhoffen sich die Verkehrsunternehmen durch die Verteuerung des „Sozialtickets“? Zu 2.: Die Erhöhung des Verkaufspreises für das Berlin-Ticket S führt unter dem Strich zu keiner Einnahmeerhöhung für die Verkehrsunternehmen, weil sich auf der anderen Seite der Zuschuss durch das Land Berlin entsprechend vermindert (siehe Antwort zu Frage 1). 3. Haben sich die Verkehrsunternehmen bei der Kal- kulation des Preises des „Sozialtickets“ von einem externen Institut beraten lassen und wenn ja, von welchem und wie teuer war die Dienstleistung? Zu 3.: Die Festlegung des Preises für das Berlin- Ticket S erfolgt einvernehmlich zwischen den Partnern des Vertrages (siehe Antwort zu Frage 1) über die Weiterführung Berlin-Ticket S vom 12.12.2007 ohne Einbindung bzw. Beratung eines externen Institutes. 4. Hält der Senat den landesseitigen Zuschuss an die Verkehrsunternehmen für das „Sozialticket“ für ausreichend ? Zu 4.: In Anbetracht der angespannten Lage des Berliner Landeshaushaltes und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Bezuschussung bei der Einführung des Tickets im Jahr 2005 50% betrug, ist eine Bezuschussung in Höhe von momentan 54,73 % für das Berlin-Ticket S als hohe Subventionsleistung zu werten. Darüber hinaus besteht, auch im Hinblick auf die Schuldenbremse des Bundes und der Länder, kein finanzieller Spielraum. 5. Seit wann ist dem Senat bekannt, dass die Verkehrsunternehmen das „Sozialticket“ zum Januar 2013 erhöhen wollen? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 745 Zu 5.: Der Senat hat in der 25. Senatssitzung am 19.06.2012 die weitere Entwicklung des Preises für das Berlin-Ticket S besprochen. 6. Wie ist das Verfahren zur Tariferhöhung beim „Sozialticket“ im Vergleich zu den „normalen“ Verfahren zwischen Verkehrsunternehmen und Senat? Zu 6.: Die Verkehrsunternehmen haben die alleinige unternehmerische Verantwortung für die Tarife. Dies gilt grundsätzlich auch für das Berlin-Ticket S. Der Unterschied zu den anderen „normalen“ Tarifen besteht darin, dass zum Verlustausgleich, der mit der Anwendung des Berlin-Ticket S verbunden ist, der in der Antwort zur Frage 1 genannte Vertrag zwischen den genannten Beteiligten abgeschlossen wurde. Auf Basis dieses Vertrages werden im Rahmen der regulären Anträge zum gemeinsamen Tarif der im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg zusammenwirkenden Verkehrsunternehmen (VBB-Tarif) auch Änderungen zum BerlinTicket S beantragt. Der Verkehrsverbund BerlinBrandenburg GmbH (VBB) stellt dabei die Tarifanträge namens und in Vollmacht der Verkehrsunternehmen bei der zuständigen Genehmigungsbehörde, die den Antrag entsprechend den Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) bzw. des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) prüft und genehmigt. Das BerlinTicket S ist Bestandteil des VBB-Tarifs (Teil C, Punkt 5.2). 7. In welchem Verhältnis steht der Preis des in Berlin angebotenen „Sozialtickets“ zum entsprechenden Mobilitätsanteil für die Nutzung des Nahverkehrs im Regelsatz von Leistungsberechtigte nach SGB II, XII und Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und wie bewertet der Senat dieses Verhältnis (bitte in Bezug zu den einzelnen Regelbedarfsstufen setzen)? Zu 7.: Der Preis für das „Sozialticket“ und der so- genannte Mobilitätsanteil im Regelsatz für Leistungsberechtigte nach SGB II und SGB XII stehen in keinem Verhältnis zueinander. Bei dem Sozialticket handelt es sich um eine freiwillige , zusätzliche soziale Leistung des Landes Berlin, die es Leistungsberechtigten erlaubt, den öffentlichen Nahverkehr in ganz Berlin an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr, zu weniger als 50% der Kosten eines regulären Umwelttickets zu nutzen. Beim Regelsatz/Regelbedarf im SGB XII/SGB II handelt es sich um einen bundesweit einheitlichen monatlichen Pauschalbetrag zur Bestreitung des Regel- bedarfs, über dessen Verwendung die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich entscheiden. 8. In welchem Verhältnis steht der Preis des in Berlin angebotenen „Sozialtickets“ zum entsprechenden Mobilitätsanteil für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs im sog. statistischen Warenkorb? Zu 8.: Für die Bemessung der Regelsätze wird seit 1989 das so genannte „Statistikmodell“ verwendet, das auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe eine tatsächliche und statistisch abgesicherte Grundlage darstellt. Das alternative Warenkorbmodell hat sich für die Bemessung der Regelsätze als ungeeignet erwiesen, weil es nicht auf statistischen Grundlagen beruhte, sondern auf normativen Entscheidungen in Bezug auf die Auswahl der lebensnotwendigen Güter und der preislichen Bewertung. Insofern können Aussagen zum Verhältnis des Preises des Sozialtickets und dem Mobilitätsanteil im statistischen Warenkorb nicht getroffen werden. 9. Warum existieren in Berlin keine ermäßigten Einzel- und Mehrfahrtenscheine für Geringverdiener/innen und Bezieher/innen von Grundsicherungsleistungen? Zu 9.: Die Möglichkeit, dass die zur Nutzung des Berlin-Tickets S Berechtigten alternativ auch Einzelfahrscheine oder 4-Fahrten-Karten des Ermäßigungstarifs nutzen können, würde zu erheblichen Mindereinnahmen bei den Verkehrsunternehmen führen. Da diese nicht von den Verkehrsunternehmen getragen werden können, wäre eine entsprechende Kompensation durch das Land Berlin erforderlich. Vor dem Hintergrund der hohen Zahl der ggf. Anspruchsberechtigten und der hieraus resultierenden Höhe der Einnahmerisiken für die Verkehrsunternehmen wäre eine fundierte Marktforschung eine unverzichtbare Voraussetzung, um die erforderliche Kompensation durch das Land Berlin quantifizieren zu können. 10. Wie hat sich die Größe des Berechtigtenkreises des Sozialtickets seit 2005 entwickelt (bitte nach Anspruchsberechtigten /Rechtskreisen und Jahren aufschlüsseln)? Zu 10.: Der Berechtigtenkreis für das Sozialticket stellt sich aufgeschlüsselt nach Rechtskreisen im Zeitraum 2005 bis 2011 wie folgt dar (Stichtag ist jeweils der 31.12.): Jahr Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II / Sozialgeld1 Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem SBG XII2 Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem AsylbLG3 insgesamt 2005 579.574 81.512 14.122 675.208 2006 606.120 80.951 13.090 700.161 2007 605.017 86.504 11.906 703.427 1 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit; 2 Quelle: Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Referat I A, Sozialstatistisches Berichtswesen 3 Quelle: Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Referat I A, Sozialstatistisches Berichtswesen 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 745 2008 586.517 92.190 11.143 689.850 2009 593.079 93.183 10.441 696.703 2010 585.029 97.001 11.317 693.347 2011 576.240 101.752 12.054 690.046 11. Wie hat sich die Nutzerquote des „Sozialtickets“ seit 2005 entwickelt (bitte nach Jahren und Anspruchsberechtigten /Rechtskreisen aufschlüsseln)? Zu 11.: Der BVG AöR liegen nur die Angaben zu der durchschnittlichen Anzahl der Kundinnen und Kunden, die pro Jahr das Berlin-Ticket S genutzt haben, vor: 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Ø Anzahl Kunden 90.883 121.700 134.976 136.362 138.754 148.250 147.396 12. Warum wird das „Sozialticket“ nicht in einem neutralen Design ohne Stigmatisierungseffekte gestaltet, so dass die Nutzer/innen nicht als Bezieher/innen von SGB II, SGB XII und Leistungen des AsylbLG zu erkennen sind? Zu 12.: Der „berlinpass“ ist ein Berechtigungs- nachweis im Scheckkartenformat, der von den zuständigen Stellen ausgegeben wird, und die Inhaberinnen /Inhaber neben anderen Vergünstigungen auch für die Nutzung des Berlin-Ticket S legitimiert. Das BerlinTicket S selbst („Fahrkarte“) kann an jeder Verkaufsstelle und an jedem Fahrscheinautomaten ohne Legitimationsnachweis erworben werden. Es unterscheidet sich von anderen Fahrscheinen äußerlich nicht, weist lediglich einen spezifischen Aufdruck aus, ist also nicht stigmatisierend . Bei Fahrscheinkontrollen ist es allerdings unvermeidlich , dass sich der betreffende Fahrgast durch die zusätzliche Vorlage des „berlinpasses“ als Nutzungsberechtigte /Nutzungsberechtigter legitimiert. Eine Stigmatisierung sieht der Senat hierin nicht. 13. Warum haben Bezieher/innen von Wohngeld, Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der Jugendhilfe (SGB VIII) sowie Geringverdiener /innen in Berlin keinen Anspruch auf das „Sozialticket “ - im Gegensatz zu anderen Bundesländern und Kommunen? Was würde es kosten, das Angebot auf diese Personenkreise auszuweiten? Zu 13.: Das Berlin-Ticket S ist eine persönliche Zeitkarte, die aus dem „berlinpass“ mit Lichtbild und einem monatlichen Wertabschnitt besteht. Der „berlinpass “ wird bei den Bürgerämtern der Bezirksämter und von der Zentralen Leistungsstelle für Asylbewerber ausgegeben . Zur Ausstellung ist der Bescheid des JobCenters bzw. des Sozialamtes über die Bewilligung entsprechender Leistungen vorzulegen. Daraus ergibt sich, dass sich der definierte Kreis der Berechtigten auf die Bezieherinnen /Bezieher von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld (gemäß SGB II), Sozialhilfe (gemäß SGB XII), Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz und auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einer/s Leistungsempfängerin /Leistungsempfängers erstreckt. Angaben zur Höhe der Kosten, die die Erweiterung des Berechtigtenkreises verursachen würde, liegen nicht vor. Berlin, den 08. August 2012 In Vertretung Christoph v o n K n o b e l s d o r f f ............................................................ Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. August 2012) 3