Drucksache 17 / 10 790 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Alexander Spies (PIRATEN) vom 23. Juli 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Juli 2012) und Antwort Institutionalisierter Missbrauchsverdacht: Datenabgleiche der Berliner Jobcenter Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Die Kleine Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Kenntnis beantworten kann. Er hat die für die Beantwortung der Fragen erforderlichen Informationen bei der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit (RD BB) eingeholt. 1. Wie viele Datenabfragen nach § 52 Sozial- gesetzbuch (SGB) II haben die Berliner Jobcenter bei welchen Behörden seit 2006 durchgeführt und welche Datensätze wurden dabei übermittelt (bitte nach Jobcentern , abgefragten Stellen und Jahren aufschlüsseln)? Zu 1.: Die Jobcenter selbst führen keine eigenen Abfragen nach § 52 SGB II durch. Der Datenabgleich erfolgt viermal jährlich jeweils zum Quartalsende zentral automatisiert. Die Daten stehen den Jobcentern 18 Monate lang zur abschließenden Bearbeitung zur Verfügung . Eine Auswertung aller seit 2006 durchgeführten Datenabfragen ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. Exemplarisch sind die im Kalenderjahr 2011 abschließend bearbeiteten Datenabfragen aus dem 3. und 4. Quartal 2009 und dem 1. und 2. Quartal 2010 in den nachfolgenden Tabellen 1-5 dargestellt. Eine statistische Auswertung zur Aufschlüsselung nach abgefragten Stellen ist nicht möglich. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 790 Anzahl der Datenüberschneidungsmitteilungen Name des Jobcenters Berlin- 3.Quartal 2009 4.Quartal 2009 1.Quartal 2010 2.Quartal 2010 Summe aller 4 Quartale Neukölln 12.279 9.230 13.871 17.484 52.864 Treptow-Köpenick 6.523 4.130 6.216 9.161 26.030 Steglitz-Zehlendorf 4.988 2.885 5.499 6.951 20.323 Tempelhof-Schöneberg 8.571 5.807 9.284 11.855 35.517 CharlottenburgWilmersdorf 6.145 4.432 6.895 9.410 26.882 Pankow 10.250 5.958 9.738 14.482 40.428 Reinickendorf 5.641 3.733 7.646 9.599 26.619 Spandau 6.683 4.562 7.219 9.981 28.445 FriedrichshainKreuzberg 9.968 6.455 10.077 13.056 39.556 Mitte 12.326 8.393 13.470 17.300 51.489 Marzahn-Hellersdorf 9.853 5.994 9.179 13.081 38.107 Lichtenberg 9.783 5.931 9.965 13.474 39.153 Summe 103.010 67.510 109.059 145.834 425.413 Quelle: RD BB, ZLP vom 06.08.2012 Tabelle 1 Überzahlungssumme (in Euro) Name des Jobcenters Berlin- 3.Quartal 2009 4.Quartal 2009 1.Quartal 2010 2.Quartal 2010 Summe aller 4 Quartale Neukölln 132.404 107.564 328.469 384.526 952.962 Treptow-Köpenick 105.289 107.473 143.418 129.574 485.754 Steglitz-Zehlendorf 66.506 35.619 62.733 71.812 236.671 Tempelhof-Schöneberg 105.396 70.632 107.309 66.676 350.013 CharlottenburgWilmersdorf 82.551 69.705 57.555 129.002 338.811 Pankow 197.091 166.461 307.565 318.795 989.912 Reinickendorf 86.616 58.533 53.607 97.272 296.028 Spandau 202.124 188.101 232.376 263.658 886.259 FriedrichshainKreuzberg 99.692 92.559 127.475 109.126 428.852 Mitte 298.539 122.012 184.477 202.949 807.977 Marzahn-Hellersdorf 127.006 101.337 130.011 180.236 538.590 Lichtenberg 96.155 70.668 241.554 188.772 597.149 Summe 1.599.369 1.190.663 1.976.549 2.142.398 6.908.979 Quelle: RD BB, ZLP vom 06.08.2012 Tabelle 2 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 790 Anzahl an StGB- / OWiG-Verfahren* Name des Jobcenters Berlin- 3.Quartal 2009 4.Quartal 2009 1.Quartal 2010 2.Quartal 2010 Summe aller 4 Quartale Neukölln 222 159 314 475 1.170 Treptow-Köpenick 201 176 260 227 864 Steglitz-Zehlendorf 137 77 91 109 414 Tempelhof-Schöneberg 203 134 189 151 677 CharlottenburgWilmersdorf 139 120 122 186 567 Pankow 431 288 382 587 1.688 Reinickendorf 128 97 115 193 533 Spandau 337 259 345 351 1.292 FriedrichshainKreuzberg 190 175 213 238 816 Mitte 209 217 234 267 927 Marzahn-Hellersdorf 225 167 182 341 915 Lichtenberg 174 134 345 419 1.072 Summe 2.596 2.003 2.792 3.544 10.935 *Verfahren nach dem Strafgesetzbuch bzw. dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Quelle: RD BB, ZLP vom 06.08.2012 Tabelle 3 Gesamtzahl der Überzahlungsfälle Name des Jobcenters Berlin- 3.Quartal 2009 4.Quartal 2009 1.Quartal 2010 2.Quartal 2010 Summe aller 4 Quartale Neukölln 257 186 348 571 1.362 Treptow-Köpenick 265 200 289 282 1.036 Steglitz-Zehlendorf 141 80 93 120 434 Tempelhof-Schöneberg 217 134 190 152 693 CharlottenburgWilmersdorf 180 137 131 221 669 Pankow 442 297 399 633 1.771 Reinickendorf 144 107 118 203 572 Spandau 375 276 352 369 1.372 FriedrichshainKreuzberg 208 192 221 252 873 Mitte 254 228 258 297 1.037 Marzahn-Hellersdorf 296 186 203 389 1.074 Lichtenberg 201 146 357 437 1.141 Summe 2.980 2.169 2.959 3.926 12.034 Quelle: RD BB, ZLP vom 06.08.2012 Tabelle 4 3 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 790 OWi-Quote* in % Name des Jobcenters Berlin- 3.Quartal 2009 4.Quartal 2009 1.Quartal 2010 2.Quartal 2010 Summe aller 4 Quartale Neukölln 86,4% 85,5% 90,2% 83,2% 85,9% Treptow-Köpenick 75,9% 88,0% 90,0% 80,5% 83,4% Steglitz-Zehlendorf 97,2% 96,3% 97,9% 90,8% 95,4% Tempelhof-Schöneberg 93,6% 100,0% 99,5% 99,3% 97,7% CharlottenburgWilmersdorf 77,1% 87,6% 93,1% 84,2% 84,8% Pankow 97,5% 97,0% 95,7% 92,7% 95,3% Reinickendorf 88,9% 90,7% 97,5% 95,1% 93,2% Spandau 89,9% 93,8% 98,0% 95,1% 94,2% FriedrichshainKreuzberg 91,4% 91,2% 96,4% 94,4% 93,5% Mitte 82,3% 95,2% 90,7% 89,9% 89,4% Marzahn-Hellersdorf 76,0% 89,8% 89,7% 87,7% 85,2% Lichtenberg 86,6% 91,8% 96,6% 95,9% 94,0% Summe 87,1% 92,4% 94,4% 90,3% 90,9% *Anteil der StGB-/OWiG-Verfahren an den Überzahlungsfällen Quelle: RD BB, ZLP vom 06.08.2012 Tabelle 5 2. Wie viele Datenabfragen nach § 52a SGB II haben die Berliner Jobcenter beim Zentralen Fahrzeugregister, bei den Melderegistern sowie beim Ausländerzentralregister durchgeführt und welche Datensätze wurden dabei übermittelt (bitte seit 2006 nach Jobcentern, abgefragten Stellen und Jahren aufschlüsseln)? 3. Welche Gründe lagen für die Berliner Jobcenter in welcher Häufigkeit für Datenabfragen nach § 52a SGB II vor (bitte seit 2006 nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln )? Zu 2. und 3.: Daten nach § 52a SGB II werden statistisch nicht erfasst. 4. Wie wird in den Berliner Jobcentern sichergestellt, dass die Abfrage nach § 52a SGB II nur anlassbezogen und zielgerichtet im konkreten Einzelfall erfolgt (vgl. BVerfG vom 22.5.2005 – 1 BvR 2357/04)? Zu 4.: Die Bundesagentur für Arbeit hat hierzu keine spezielle Weisung erlassen. Bei einem Auskunftsersuchen nach § 52a SGB II ist die Rechtslage zu beachten. 5. Inwiefern wird bei Datenabfragen nach § 52a SGB II in der Leistungsakte dokumentiert (bitte Eingabemaske /Datenerfassungsbogen beilegen), a. welche Gründe für die Datenabfragen vorlagen, b. inwiefern zunächst versucht wurde, die Daten bei den Leistungsberechtigten selbst zu erheben, und c. ob Leistungsberechtigte hinterher über die durch- geführte Datenabfrage und ihr Ergebnis informiert wurden? Zu 5a. bis 5c.: Der Anlass für eine Datenabfrage nach § 52a SGB II, wie bspw. Postrückläufer, unvollständige Antragsunterlagen oder Hinweise auf Leistungsmissbrauch , wird ebenso in der Leistungsakte dokumentiert wie das Bemühen, die Daten zunächst beim Leistungsberechtigten selbst zu erheben (bspw. Kopie des Anschreiben an den Kunden). Die mittels Datenabfrage ermittelten Angaben werden im Rahmen von Anhörungen den Kunden bekanntgegeben und sind ebenfalls Teil der Akte. Ein Standardformular existiert nicht. 6. Unter welchen Bedingungen haben die Berliner Jobcenter Daten aus Zeiträumen abgefragt, die längere Zeit vor dem Leistungsbezug zurücklagen und wie häufig kam dies seit 2006 vor? Zu 6.: Daten aus Zeiträumen, die längere Zeit vor dem Leistungsbezug zurücklagen, können im Rahmen von Sanktionsprüfungen nach § 31 SGB II bzw. zur Feststellung von Ersatzansprüchen nach § 34 SGB II abgefragt werden; d. h. wenn eine Person nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob 4 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 790 fahrlässig die Voraussetzungen für die Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft (BG) leben, oder die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer BG leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat. Diese Daten werden statistisch nicht erfasst. 7. Wie viele Kontenabrufe nach § 93 Abs. 8 Abga- benordnung (AO) haben die Berliner Jobcenter seit 2008 durchgeführt und welche Datensätze wurden dabei übermittelt (bitte nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln )? Zu 7.: Diese Daten werden statistisch nicht erfasst. 8. Wie wird sichergestellt, dass Leistungsberechtigte vorher über die Möglichkeit des Kontenabrufs nach § 93 Abs. 8 AO hingewiesen werden und inwiefern wird dies in der Leistungsakte dokumentiert? 9. Wie wird sichergestellt, dass Leistungsberechtigte nachher über die Kontenabfrage nach § 93 Abs. 8 AO sowie das Ergebnis informiert wurden und inwiefern wird dies in der Leistungsakte dokumentiert? Zu 8. und 9.: Der Kontenabruf kann nach den internen Bestimmungen der Bundesagentur für Arbeit nur dann erfolgen, wenn die Daten zur Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen erforderlich sind, ein vorheriges Auskunftsersuchen an den Betroffenen nicht zum Ziel geführt hat oder keinen Erfolg verspricht oder ein formelles Bundesgesetz bestimmt ausdrücklich die Zulässigkeit des Datenabrufes für andere Zwecke. Gegenüber dem Antragsteller bestehen folgende Infor- mationspflichten: Vor der Durchführung eines Kontenabrufes ist der Antragsteller auf die Möglichkeit des Kontenabrufs hinzuweisen, ein pauschaler Hinweis im Rahmen von Vordrucken und Merkblättern ist ausreichend . Nach der Durchführung eines Kontenabrufes ist der Antragsteller auch über das Ergebnis zu informieren. 10. Wie häufig haben Leistungsberechtigte seit 2008 gegen die Kontenabfrage nach § 93 Abs. 8 AO durch die Berliner Jobcenter Widerspruch bzw. Klage eingelegt und wie hoch war die Erfolgsquote (bitte nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln)? Zu 10.: Widersprüche gegen eine Kontenabfrage nach § 93 Abs. 8 AO sind nicht zulässig, da die Kontenabfrage keinen Verwaltungsakt darstellt. 11. Wie häufig hat das Berliner Sozialgericht seit 2008 die Rechtmäßigkeit der Kontenabfrage nach § 93 Abs. 8 AO seit Einführung der Maßnahme überprüft und mit welchem Ergebnis (bitte nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln)? Zu 11.: Auskunft hierzu kann nur durch das Berliner Sozialgericht selbst erfolgen. Informationen konnten in der Kürze der Zeit dort nicht eingeholt werden. 12. In wie vielen Fällen wurden „ungerechtfertigte Leistungszahlungen“ anhand von Kontenabfragen sowie Datenabgleichen zwischen Berliner Jobcentern und anderen Behörden seit 2006 bzw. 2008 entdeckt (bitte nach Anzahl, Jahren, Jobcentern und beteiligten Behörden auflisten)? a. Wie hoch war die Überbezahlung insgesamt (bitte nach Jahren aufschlüsseln) und welche Gründe lagen dafür vor? b. Wie hoch war die Überbezahlung im Durchschnitt (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? c. In wie vielen Fällen handelte es sich tatsächlich um „Leistungsmissbrauch“ (bitte nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln)? d. In wie vielen Fällen wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet und mit welchem Ergebnis (bitte nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln )? e. In wie vielen Fällen wurde ein Strafverfahren eingeleitet und mit welchem Ergebnis (bitte nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln)? f. In wie vielen Fällen wurde der Anspruch auf Arbeitslosengeld II gestrichen (bitte nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln)? Zu 12a. bis 12f.: Die der Bundesagentur für Arbeit bekannten Daten können den vorstehenden Tabellen entnommen werden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 13. Wie viele Mitarbeiter/innen bzw. Personalkapazitäten sind in den einzelnen Berliner Jobcentern für Datenabgleiche nach § 52 SGB II und § 52a SGB II sowie Kontenabfragen nach § 93 Abs. 8 AO vorgesehen (bitte nach Jahren und Jobcentern aufschlüsseln)? Zu 13.: Jedes Jobcenter kann den Einsatz des eigenen Personals eigenständig gestalten, eine detaillierte Abfrage ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. In der Regel erfolgt die Bearbeitung der Datenabgleiche in der laufenden Sachbearbeitung. Berlin, den 27. August 2012 In Vertretung Farhad D i l m a g h a n i Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Sep. 2012) 5