Drucksache 17 / 10 812 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Fabio Reinhardt (PIRATEN) vom 06. August 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. August 2012) und Antwort Berliner Behörden auf der Suche nach Liebe – Praxis der „Scheineheermittlungen“ bei binationalen Ehen und Partnerschaften in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele binationale Paare haben seit 2008 bei Berliner Standesämtern geheiratet (bitte Anzahl und Anteil an allen in Berlin geschlossenen Ehen angeben sowie nach Jahren aufschlüsseln)? a. Wie viele Ehen wurden im o. g. Zeitraum zwischen Ehepartner/innen deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit geschlossen? b. Welche sind im o. g. Zeitraum die fünf häufigsten Länderkonstellationen binationaler Eheschließungen gewesen? c. Wie viele Ehepartner/innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit haben im o. g. Zeitraum durch die Eheschließung eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erlangt? Zu 1.: Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg erfasst Eheschließungen getrennt nach den Kategorien „beide Eheschließende mit deutscher Staatsangehörigkeit “, „ein Ehegatte mit deutscher und einer mit ausländischer Staatsangehörigkeit“ sowie „beide Eheschließende mit ausländischer Staatsangehörigkeit“. Vor diesem Hintergrund kann zur Anzahl der geschlossenen binationalen Ehen in den Jahren 2008 bis 2011 Folgendes mitgeteilt werden: deutsch/ausländisch 2008 2126 (18,1%) 2009 2586 (20,6%) 2010 2515 (20,3%) 2011 2701 (21,5%) Gesamt 9928 Darüber hinaus liegt eine Statistik zur Anzahl der Eheschließungen vor, bei denen beide Ehegatten die ausländische Staatsangehörigkeit haben. Diese Zahl beinhaltet auch binationale Ehen, die jedoch nicht gesondert statistisch erfasst werden. ausschließlich ausländische Staatsangehörigkeit 2008 218 (1,9%) 2009 237 (1,9%) 2010 255 (2,1%) 2011 270 (2,2%) 980 Zu 1 a.: Siehe Antwort zu 1. Zu 1 b.: Bei Zugrundelegung der sich aus der Antwort zu 1. ergebenden Einschränkung hinsichtlich der Gesamtzahl binationaler Eheschließungen lässt sich bei Beschränkung auf Eheschließungen, bei denen eine Ehegattin /ein Ehegatte deutsche/r und eine/einer mit ausländischer Staatsangehörigkeit beteiligt ist, folgende Aussage treffen: Männer mit deutscher Staatsangehörigkeit haben in den Jahren 2008 bis einschließlich 2011 in erster Linie Frauen mit polnischer, türkischer, russischer, thailändischer und ukrainischer Staatsangehörigkeit geheiratet. Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit schlossen in dem vorgenannten Zeitraum am häufigsten die Ehe mit Männern türkischer, britischer, US-amerikanischer, libanesischer und polnischer Staatsangehörigkeit. In den Jahren 2010 und 2011 standen hier italienische Männer anstelle der polnischen. Zu 1 c.: Die erbetenen Angaben werden statistisch nicht erfasst. Zur Beantwortung wäre es erforderlich, nach einer Identifizierung des in Frage kommenden Personenkreises durch eine entsprechende Auswertung des Datenbestandes aller Behörden jede einzelne Akte zu überprüfen. Dies ist mit einem vertretbaren Aufwand nicht leistbar. 2. Wie viele binationale Paare sind seit 2008 eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen (bitte Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 812 Anzahl und Anteil an allen in Berlin eingegangen Lebenspartnerschaften angeben sowie nach Jahren aufschlüsseln)? a. Wie viele Lebenspartnerschaften wurden im o. g. Zeitraum zwischen Partner/innen deutscher und nicht-deutscher Staatsangehörigkeit geschlossen? b. Welche sind im o. g. Zeitraum die fünf häufigsten Länderkonstellationen binationaler Lebenspartnerschaften gewesen? c. Wie viele Lebenspartner/innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit haben im o. g. Zeitraum durch die Eintragung eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erlangt? Zu 2.: Hierzu existieren weder bei den Standesämtern noch bei dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg statistische Erfassungen. Das zweite Gesetz zur Änderung des Bevölkerungsstatistikgesetzes ist noch nicht in Kraft getreten. Die Daten über geschlossene Lebenspartnerschaften werden daher (noch) nicht von den Standesämtern an die statistischen Ämter übermittelt, da eine gesetzliche Grundlage bislang fehlt. Zu 2 a.: Siehe Antwort zu 2. Zu 2 b.: Siehe Antwort zu 2. Zu 2 c.: Siehe Antwort zu 1 c. 3. Wie häufig haben Berliner Standesämter eine Eheschließung bzw. eingetragene Lebenspartnerschaft verweigert, weil sie Anhaltspunkte dafür sahen, dass eine eheliche oder partnerschaftliche Lebensgemeinschaft nur pro forma abgeschlossen werden würde (bitte seit 2008 nach Jahren und Standesämtern aufschlüsseln)? a. Welche konkreten Anhaltspunkte müssen dafür vorliegen? b. Wie häufig wurde Widerspruch dagegen eingelegt und wie hoch war die Erfolgsquote? c. Welche ermessenslenkenden Weisungen, Rundschreiben etc. existieren hierzu im Land Berlin für Standesbeamtinnen und -beamte (bitte beilegen/ verlinken)? Zu 3.: Die Frage kann nicht beantwortet werden, weil es hierüber keine statistischen Erhebungen gibt. Zu 3 a. und 3 c.: Bei der Wahrnehmung ihrer Auf- gaben als Urkundsperson sind die Standesbeamtinnen und die Standesbeamten nicht an Weisungen gebunden (§ 2 Abs. 2 Personenstandsgesetz). Ein abschließender Katalog über Verdachtskriterien besteht nicht. Die Einzelfälle unterscheiden sich. Um eine möglichst einheitliche Bewertung und Vorgehensweise zu gewährleisten, hat die Senatsverwaltung für Inneres und Sport mit Schreiben vom 10.12.2007 den Standesämtern eine entsprechende Empfehlung an die Hand gegeben. Das Schreiben nebst Anlagen ist in Kopie beigefügt (Anlagen 1 bis 3). Liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass die zu schließende Ehe nach § 1314 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch aufhebbar wäre ("Scheinehe"), so ist die Standesbeamtin /der Standesbeamte gemäß § 13 Abs. 2 Personenstandsgesetz (§ 5 Abs. 4 Personenstandsgesetz alter Fassung ) nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, diesen Umständen nachzugehen. Für die Begründung der Lebenspartnerschaft ist § 1 Abs. 3 Nr. 4 Lebenspartnerschaftsgesetz entsprechend heranzuziehen. Zu 3 b.: Mangels statistischer Erhebungen kann die Frage nicht beantwortet werden. 4. Wie häufig hat die Berliner Ausländerbehörde seit 2008 eine Ermittlung wegen des Verdachts auf eine „Scheinehe“ durchgeführt (bitte nach Jahren aufschlüsseln )? Zu 4.: Siehe Antwort zu 1 c. 5. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte müssen aus Sicht der Berliner Ausländerbehörde vorliegen, um eine Ermittlung wegen des Verdachts auf eine „Scheinehe“ einzuleiten (Kriterienkatalog und entsprechende Verfahrenshinweise bitte auflisten bzw. beilegen/verlinken)? Zu 5.: Der bloße Verdacht oder die Vermutung, dass eine so genannte Scheinehe vorliegen könnte, reicht für sich allein nicht aus, um ein Überprüfungsverfahren (Anhörung der Ehepartnerinnen/der Ehepartner) durchzuführen . Es müssen bereits im Vorfeld konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft oder Lebenspartnerschaft nicht geführt wird oder nicht zu führen beabsichtigt ist. Dabei orientiert sich die Ausländerbehörde an der Entschließung des Rates der EU vom 04.12.1997 (97/C 382/01) über Maßnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen. Danach sind Faktoren, die vermuten lassen, dass es sich um eine Scheinehe handelt, beispielsweise • die Ehegatten sind sich vor ihrer Ehe nie begegnet, • die Ehegatten machen widersprüchliche Angaben hinsichtlich ihrer jeweiligen Personalien, des Umstandes ihres Kennenlernens, des Berufs u. ä., • die Ehegatten sprechen nicht eine für beide verständliche Sprache. Link zur Entschließung nachfolgend: http://europa.eu/legislation_summaries/other/l33063_de.htm 6. Wie viele Befragungen von Ehe- und Lebens- partner/innen hat die Berliner Ausländerbehörde seit 2008 durchgeführt (bitte Anzahl und Anteil an den binationalen Eheschließungen bzw. Lebenspartnerschaften angeben und nach Jahren aufschlüsseln)? a. Wie viele Fragen umfasst der Fragenkatalog zur Feststellung der ehelichen oder partnerschaftlichen Lebensgemeinschaft, der bei Befragungen von Paaren durch die Berliner Ausländerbehörde verwendet wird (Fragebogen bitte beilegen/verlinken )? 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 812 b. Wer hat den Fragebogen erstellt? c. Seit wann kommt der Fragebogen zum Einsatz? d. Welche Folgen hat eine „fehlerhafte“ Beant- wortung der Fragen, und ab wann (Anzahl der Fragen und/oder subjektiver Eindruck der/s Interviewers /in) gilt die Beantwortung als fehlerhaft im Sinne des Scheineheverdachts? Zu 6.: Siehe Antwort zu Frage 1 c. Zu 6 a – 6 c: Einen standardisierten Fragebogen gibt es nicht. Er würde auch wenig Sinn machen. In der Anhörung ist auf die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen. Über die Anhörung wird ein Protokoll gefertigt, das von den Eheleuten zu unterschreiben ist. Eine Kopie des Protokolls wird ausgehändigt. Vor der Anhörung haben die Ehegattinnen/Ehegatten /Lebenspartnerinnen/Lebens-partner eine Erklärung zur Frage des Bestehens eines gemeinsamen Wohnsitzes abzugeben. Die entsprechenden Vordrucke sind beigefügt (Anlagen 4 u. 5). Zu 6 d: Mögliche Folge einer Befragung kann eine Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug sein. Bei der Bewertung des Befragungsergebnisses ist jeweils auf die Gesamtumstände des Einzelfalles abzustellen. 7. Wie viele Ehen bzw. Lebenspartnerschaften wur- den seit 2008 aufgrund einer „fehlerhaften“ Beantwortung des Fragebogens zur „Scheinehe“ bzw. „Scheinlebenspartnerschaft “ erklärt (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? 8. Wie häufig hat die Berliner Ausländerbehörde seit 2008 Ehe- bzw. Lebenspartner/innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit lediglich eine kurzzeitige Aufenthaltserlaubnis erteilt, um ein erneutes Vorsprechen und damit eine erneute Bestätigung über die eheliche/ partnerschaftliche Lebensgemeinschaft zu erzwingen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? 9. Wie viele Fälle von nachgewiesenen „Schein- eheschließungen“ bzw. „Scheinlebenspartnerschaftseintragungen “ gab es seit 2008 in Berlin (bitte Anzahl und Anteil an den gesamten sowie binationalen Eheschließungen bzw. Lebenspartnerschaftseintragungen angeben )? 10. Welche aufenthalts- und strafrechtlichen Konse- quenzen hatten die seit 2008 nachgewiesenen „Scheineheschließungen “ bzw. „Scheinlebenspartnerschaftseintragungen “ (bitte nach Jahren und Tatbeständen aufschlüsseln )? Zu 7. – 10.: Siehe Antwort zu Frage 1 c. 11. Ist dem Senat das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 23. Mai 2012 (Az. 4 V 320/12) bekannt, welches verdachtsunabhängige Befragungen von binationalen Ehepaaren, durch die mögliche „Scheinehen” aufgedeckt werden sollten, für rechtswidrig erklärt hat? Welche Konsequenzen zieht der Senat daraus für die Ermittlungspraxis wegen des Verdachts auf eine „Scheinehe“ der Ausländerbehörde in Berlin? Zu 11.: Unter Bezugnahme auf die Antwort zu Frage 5 wird darauf hingewiesen, dass tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Scheinehe vorliegen müssen, um ein Überprüfungsverfahren (Anhörung der Ehepartner) durchzuführen. Das Verwaltungsgericht Bremen hat in dem angeführten Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die verdachtsunabhängige Befragung von Paaren mittels umfänglichem Fragebogen für unrechtmäßig befunden; insofern sind aus dem Beschluss des VG Berlin keine Konsequenzen zu ziehen. 12. Aufgrund welcher Datensätze bzw. Unterlagen wurden vorstehende Fragen beantwortet und inwieweit wäre es möglich, diese (ggf. in aufbereiteter Form) auf dem Berliner Open-Data-Portal einzustellen und fortlaufend zu aktualisieren? Zu 12.: Die mit dieser Anfrage erbetenen Angaben sind ausschließlich für die Beantwortung dieser Anfrage erhoben worden. Eine Einstellung dieser Daten in das Open-Data-Portal des Landes Berlin wird derzeit nicht erwogen. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die in der Antwort zu Frage 5 in Bezug genommene Entschließung des Rates der EU vom 04.12.1997 (97/C 382/01) bereits im Internet frei zugänglich ist. Berlin, den 30. August 2012 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Sep. 2012) 3 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Senatsverwaltung fOr Ioneros und Sport. Klostorstraße 47, 10179 Berlin Standesämter von Berlin Standesamt I in Berlin nachrichtlich Präsidentin des Kammergerichts IV GeschZ. (bei Antwort bi11e angeben) I B 66.0242147 • Bearbeiter. Herr BrOhl Olenstgebaude: Berlin-Mltte Klosterstraße 47. 10179 Berlin Verl