Drucksache 17 / 10 815 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE) vom 06. August 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. August 2012) und Antwort Beruhigungszellen: Wird der EGMR beachtet? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Gab es in Berlin auch Unterbringungen in sog. Be- ruhigungszellen, wie sie der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) am 7. Juli 2011 für menschenwürdewidrig rügte (konkret: nackt für sieben Tage in der Beruhigungszelle)? Zu 1.: Nein. 2. Gibt es in Berlin einheitliche Vorgaben für die Anordnung einer besonderen Unterbringung? Zu 2.: Im Berliner Justizvollzug ist die Unterbringung von Gefangenen in besonders gesicherten Hafträumen ohne gefährdende Gegenstände durch die Vorgaben der §§ 88, 89 und 92 Strafvollzugsgesetz nebst den dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften, die §§ 70, 71 und 74 Jugendstrafvollzugsgesetz Berlin sowie die §§ 49, 50 und 53 Untersuchungshaftvollzugsgesetz Berlin geregelt. Demnach kann die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum als besondere Sicherungsmaßnahme angeordnet werden, wenn bei Gefangenen in erhöhtem Maße Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht. Wie alle besonderen Sicherungsmaßnahmen darf auch die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend nur soweit aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck erfordert. Sind Gefangene in besonders gesicherten Hafträumen untergebracht, werden sie alsbald und in der Folge möglichst täglich vom Arzt aufgesucht. 3. Welche konkreten Vorgaben für die Art und Weise der Unterbringung in sog. Beruhigungszellen bestehen in Berlin (Kleidung, Gegenstände, Dauer)? Zu 3.: In den Justizvollzugsanstalten des Landes Berlin ist allgemein übliche Praxis, dass Gefangene vor der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum Anstaltskleidung erhalten. Dadurch soll der Gefahr begegnet werden, dass Gefangene in der Unterbringung in der eigenen Kleidung an verborgene gefährliche Gegenstände gelangen. Damit korrespondierend werden den Gefangenen für die Dauer der Unterbringung auch alle persönlichen Gegenstände mit Gefährdungspotenzial (z. B. Schmuck wie Halsketten, Armbanduhren oder Feuerzeuge) abgenommen. Sofern im Einzelfall eine Fixierung von Gefangenen in der Unterbringung notwendig ist, erfolgt eine personale Überwachung mit direktem Sichtkontakt durch Sitzwachen . Die Unterbringungsdauer richtet sich nach der Lage des jeweiligen Einzelfalles; maßgeblich hierfür ist der Zweck der Maßnahme (siehe Antwort zu Frage 1). Im Übrigen unterliegt auch die Maßnahme der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände - wie alle sonstigen Beschränkungen auf dem Gebiet des Strafvollzuges - dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . 4. Wie häufig wurde im ersten Halbjahr 2012 die Unterbringung in der sog. Beruhigungszelle angeordnet? Wie lang waren die durchschnittlichen und die zehn längsten Verweildauern? Zu 4.: Im ersten Halbjahr 2012 wurde im Berliner Justizvollzug in 285 Fällen eine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände angeordnet. Dabei betrug die durchschnittliche Verweildauer in der Unterbringung 15 Stunden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 815 Die zehn längsten Verweildauern können nachstehender Aufstellung entnommen werden: 1) 240 Std. = 10 Tage (Justizvollzugskrankenhaus Berlin) 2) 239 Std. = 9 Tage, 23 Std. (Justizvollzugsanstalt Moabit) 3) 168 Std. = 7 Tage (Justizvollzugskrankenhaus Berlin) 4) 160 Std. = 6 Tage, 16 Std. (Justizvollzugskrankenhaus Berlin) 5) 146 Std. = 6 Tage, 2 Std. (Justizvollzugskrankenhaus Berlin) 6) 137 Std. = 5 Tage, 17 Std. (Justizvollzugskrankenhaus Berlin) 7) 97 Std. = 4 Tage, 1 Std. (Justizvollzugskrankenhaus Berlin) 8) 96 Std. = 4 Tage (Justizvollzugsanstalt Moabit) 9) 93 Std. = 3 Tage, 21 Std. (Justizvollzugskrankenhaus Berlin) 10) 87 Std. = 3 Tage, 15 Std. (Justizvollzugskrankenhaus Berlin) Anzumerken ist, dass die Unterbringungsfälle im Justizvollzugskrankenhaus Berlin zum ganz überwiegenden Teil im Zusammenhang mit psychiatrischen Erkrankungen bzw. akuter Suizidalität angeordnet werden mussten. 5. Welche Konsequenzen wurden aus dem Beschluss des EGMR für den Berliner Vollzug gezogen? Zu 5.: Entfällt, siehe meine Antwort zu Frage 1. Berlin, den 24. August 2012 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Sep. 2012) 2