Drucksache 17 / 10 840 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 14. August 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. August 2012) und Antwort Wie kann die Vermögensabschöpfung bei Straftaten zur Opferhilfe beitragen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit der Ver- mögensabschöpfung nach §§ 73 ff. Strafgesetzbuch (StGB)? Zu 1.: Die Möglichkeit der Vermögensabschöpfung ist ein wesentliches Instrument im Rahmen der effektiven Strafverfolgung. Dem Tatanreiz für die Begehung von Straftaten kann entgegengewirkt werden, wenn unrechtmäßig erworbene Vermögensvorteile konsequent wieder entzogen und Tatvorteile den Geschädigten zügig zurückerstattet werden. Die Vermögensabschöpfung fördert so das öffentliche Vertrauen in den Rechtsstaat. Zudem entzieht sie kriminellen Organisationen das „Betriebskapital“ und verhindert weitere Straftaten. Ermittlungen zu Finanztransaktionen tragen ferner zur Aufklärung von Straftaten selbst bei. Die sogenannte Rückgewinnungshilfe dient überdies den Opfern und damit dem Täter-OpferAusgleich . 2. Wie viele dieser vermögensabschöpfenden Maßnahmen wurden von 2006 bis 2011 durchgeführt (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? 3. Wie hoch war die Gesamtsumme der nach §§ 73 ff. StGB abgeschöpften Vermögen in der Zeit von 2006 bis 2011 (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Zu 2. und 3.: Die Staatsanwaltschaft Berlin führte für den abgefragten Zeitraum zwar Statistiken über die abgeschöpften Gewinne aus Straftaten. Eine Auswertung dieser Statistiken hinsichtlich der einzelnen vermögensabschöpfenden Maßnahmen ist aber aufgrund der Umstellung der Software bei der Staatsanwaltschaft und der Amtsanwaltschaft nur noch durch eine händische Auswertung möglich. Im Hinblick auf die Vielzahl der Verfahren und Maßnahmen ist eine solche Auswertung im Rahmen der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Zu den erzielten Gesamtsummen hat die Staatsanwaltschaft indes folgende Auskünfte erteilt: 1. Verfall Einziehung (€) - Verfall von Wertersatz -: Jahr 2006 Jahr 2007 Jahr 2008 Jahr 2009 a) vorläufig sichergestellt: 2.253.017,99 48.734.289,56 53.443.662,60 41.082.275,85 b) gerichtlich eingezogen: 211.062,78 649.871,50 19.940,26 96.346,94 c) außergerichtlich eingezogen: 321.463,11 304.785,59 317.819,33 268.798,78 Summe b) +c) Insgesamt: 532.525,89 954.657,09 337.759,59 365.145,72 Jahr 2010 Jahr 2011 a) vorläufig sichergestellt: 8.329.170,35 9.997.996,05 b) gerichtlich eingezogen 30.261,30 42.234.056,99 c) außergerichtlich eingezogen 305.510,33 583.121,17 Summe b)+ c) Insgesamt: 335.771,63 42.817.178,16 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 840 2 Der im Jahre 2011 gerichtlich eingezogene und in 2012 haushaltswirksam eingegangene Betrag basiert im Wesentlichen auf einem Einzelfall. In einem Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Wertpapierhandelsge- setz ordnete die Wirtschaftsstrafkammer hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 42.225.647,63 € rechtskräftig den Verfall an. 2. Rückgewinnungshilfe Zur Befriedung von Entschädigungsansprüchen der aus den Straftaten Verletzten hat die Staatsanwaltschaft Vermögenswerte in folgender Höhe gesichert (€): Jahr 2006 Jahr 2007 Jahr 2008 Jahr 2009 gesichert: 3.767.952,42 1.629.398,33 6.960.918,74 13.325.188,95 Jahr 2010 Jahr 2011 gesichert: 7.525.012,04 5.217.124,58 4. Wie bewertet der Senat die Effektivität der Umset- zung der Vermögensabschöpfung nach §§ 73 ff. StGB in Berlin? 5. Inwiefern besteht nach Auffassung des Senates ein Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung des Instruments Vermögensabschöpfung? Zu 4. und 5.: In den staatsanwaltschaftlichen Spezial- abteilungen für Wirtschaftskriminalität und Organisierte Kriminalität wird das Instrument der Vermögensabschöpfung gezielt eingesetzt. Darüber hinaus prüfen die Strafverfolgungsbehörden die Voraussetzungen für solche Maßnahmen in jedem Einzelfall. Eine Ursache für die Ungeeignetheit eines Falls ist zum Beispiel die Vermögenslosigkeit der Beschuldigten. Eine Kollisionslage besteht zudem zwischen dem Interesse an einer strafrechtlichen Gewinnabschöpfung bzw. Rückgewinnungshilfe einerseits und dem nicht nur in Haftsachen bestehenden strafprozessualen Beschleunigungsgebot anderseits. Das erfolgreiche Aufspüren von Tatgewinnen erfordert nicht selten Ermittlungen zu Kontoguthaben oder Immobilienkäufen im Ausland, die arbeits- und zeitaufwändige Ersuchen im Wege der internationalen strafrechtlichen Rechtshilfe notwendig machen. Nicht in allen ausländischen Staaten - nicht einmal in der Europäischen Union – besteht die Möglichkeit an eine Zentralstelle wie hierzulande an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht heranzutreten, die dank eines automatisierten Abrufs der Kontoinformationen nach § 24 c Kreditwesengesetz in der Lage ist, umfassend Auskunft darüber zu erteilen, welche Banken für welche natürlichen oder juristischen Personen ein Konto unterhalten. Zur weiteren Steigerung des staatlichen Zugriffs auf inkriminierte Vermögenswerte wurden in der Staatsanwaltschaft neben der mit der Vermögensabschöpfung besonders befassten Wirtschaftsfachabteilung in den anderen Hauptabteilungen spezielle Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner installiert. Sie werden unterstützend im Rahmen der verfahrensrechtlichen Umsetzung und Abwicklung der getroffenen Maßnahmen tätig. Eine erste Fortbildungsrunde des Personals ist bereits abgeschlossen . Hinsichtlich der Effektivität des geltenden Vermö- gensabschöpfungsrechts haben sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder bereits unter Zustimmung Berlins auf der Herbstkonferenz im November 2011 mehrheitlich dafür ausgesprochen, zur Verbesserung der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität die Bundesministerin für Justiz aufzufordern, u. a. geeignete gesetzliche Reglungsvorschläge für die Stärkung der Vermögensabschöpfung vorzulegen. Diesen Überlegungen kann hier nicht vorgegriffen werden. Unabhängig davon wäre eine Verfahrensvereinfachung für die Geschädigten zu begrüßen. 6. Wie beurteilt der Senat die Möglichkeit, konfis- ziertes Tätervermögen im Interesse eines verstärkten Opferschutzes als Zurückgewinnungshilfe an Opfer von Straftaten auszukehren? 7. Wie häufig wurde in der Zeit von 2006 bis 2011 in Berlin Gebrauch von dieser Möglichkeit gemacht? Zu 6. und 7.: Es besteht derzeit keine rechtliche Mög- lichkeit, konfisziertes Tätervermögen aus Maßnahmen der staatlichen Gewinnabschöpfung im Interesse eines verstärkten Opferschutzes allgemein an Opfer von Straftaten auszukehren. Einnahmen aus gerichtlich angeordnetem Verfall oder Einziehung und Einnahmen, weil eine Angeklagte oder ein Angeklagter sich zum Beispiel in der Hauptverhandlung mit der außergerichtlichen Einziehung der bei ihr bzw. ihm sichergestellten Vermögenswerte einverstanden erklärt hat, fließen dem Landeshaushalt zu. Hiervon zu unterscheiden ist die Sicherung von Ver- mögensgegenständen durch die Staatsanwaltschaft zur Befriedigung von Entschädigungsansprüchen der aus den Straftaten Verletzten, d. h. zur Rückgewinnungshilfe. Dieses Geld kann insoweit nicht zur Unterstützung anderer Opfer oder von spezialisierten Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen eingesetzt werden. Hinsichtlich der Beurteilung der Rückgewinnungshilfe durch den Senat wird auf die Antwort zu Frage 1. Bezug genommen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 840 3 Durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungs- hilfe und der Vermögensabschöpfung vom 24. Oktober 2006, das mit Wirkung vom 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist, wurde bereits auf Bundesebene prozessual sichergestellt , dass der durch eine Straftat erlangte Vermögensvorteil dann nicht an die Täterin bzw. den Täter zurückfällt , wenn der Verfall oder der Verfall des Wertersatzes (§§ 111 b bis 111 l der Strafprozessordnung [StPO] i. V. m. §§ 73, 73 a Strafgesetzbuch) deshalb nicht angeordnet werden kann, weil die Verletzten, denen ein Anspruch erwachsen ist, unbekannt sind oder weil sie ihre Ansprüche nicht geltend machen. § 111 i Abs. 5 StPO regelt insoweit, dass wenn - beginnend ab Rechtskraft eines Strafurteils - innerhalb einer Frist von 3 Jahren die Geschädigte bzw. der Geschädigte keine Ansprüche geltend macht, das beschlagnahmte Vermögen dann im Wege des Auffangrechtserwerbs auf den Staat übergeht. Hinsichtlich der Anzahl der Rückgewinnungsmaß- nahmen und deren Gesamtergebnis darf auf die Antwort zu den Fragen 2. und 3. Bezug genommen werden. Berlin, den 04. September 2012 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Sep. 2012)