Drucksache 17 / 10 860 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 21. August 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. August 2012) und Antwort Entwicklung der Prozesskostenhilfe in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie hoch waren die Aufwendungen des Landes Berlin für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) in den Jahren 2006 bis 2011? Zu 1.: Die Aufwendungen des Landes Berlin für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PkH) beliefen sich im Betrachtungszeitraum auf folgende Beträge: Jahr Ordentliche Gerichtsbarkeit Sozialgerichtsbarkeit Verwaltungsgerichtsbarkeit Arbeitsgerichtsbarkeit 2006 14.057.617 Euro 397.345 Euro 277.206 Euro 2.210.901 Euro 2007 13.746.118 Euro 612.799 Euro 252.699 Euro 2.113.833 Euro 2008 13.902.009 Euro 818.039 Euro 318.151 Euro 2.140.876 Euro 2009 13.252.971 Euro 1.265.788 Euro 364.239 Euro 2.340.895 Euro 2010 14.532.406 Euro 1.525.735 Euro 324.514 Euro 2.397.256 Euro 2011 13.911.908 Euro 1.728.937 Euro 342.898 Euro 2.274.899 Euro 2. Wie hoch waren in den Jahren 2006 bis 2011 die Rückflüsse aus zuvor gewährter Prozesskostenhilfe, und welche Nettobelastung ergibt sich hieraus für den Berliner Haushalt? Sofern hierzu kein Datenmaterial verfügbar ist: Warum findet keine gesonderte Erfassung zurückgezahlter Prozesskostenhilfe statt? Zu 2.: Zur Höhe der Rückflüsse aus zuvor gewährter Prozesskostenhilfe kann derzeit für den Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz keine Aussage getroffen werden. Die Vereinnahmung der entsprechenden Zahlungen erfolgt in den gerichtlichen Einnahme-Titeln 111 01 (ordentliche Gerichtsbarkeit) bzw. 111 09 (Fachgerichtsbarkeiten). Eine gesonderte Erfassung der Rückflüsse findet generell nicht statt. In der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz ist jedoch im Juni 2012 eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, die den Auftrag hat zu prüfen, ob Maßnahmen ergriffen werden können, die es künftig ermöglichen, eine separate Erfassung der einzelnen Einnahmebereiche vorzunehmen . In der Arbeitsgerichtsbarkeit werden Rückflüsse ebenfalls nicht gesondert erfasst. Die nach § 59 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) gezahlten PkH-Anwalts- kosten werden nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) (GebührenverZNr 9007) wie Gerichtskosten eingezogen. Daher sind sie von diesen nicht zu trennen. 3. Wie hoch war in den Jahren 2006 bis 2011 der An- teil der gewährten Prozesskostenhilfe, der durch Zahlungen an beigeordnete Rechtsanwälte (ohne Pflichtverteidiger ) bedingt ist? Sofern hierzu kein Datenmaterial verfügbar ist: Warum werden hierzu keine statistischen Erhebungen geführt? Zu 3.: Die Höhe des Anteils der gewährten Prozess- kostenhilfe, der durch Zahlungen an beigeordnete Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (ohne Pflichtverteidigerinnen und Pflichtverteidiger) bedingt ist, ist nicht bezifferbar , da entsprechende statistische Erhebungen nicht durchgeführt werden. Der Auftrag der in der Antwort zu Frage 2. bereits erwähnten Arbeitsgruppe erstreckt sich jedoch auch auf die Frage, ob und inwieweit künftig im Bereich der Ausgaben nach Gebühren und Auslagen differenziert werden kann. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 860 Dessen ungeachtet ist davon auszugehen, dass schätz- ungsweise etwa 98 % der Ausgaben auf Zahlungen an beigeordnete Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte entfallen . Im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit beträgt der An- teil 100 %, da es im Arbeitsgerichtsverfahren keine Pflichtverteidigerinnen und Pflichtverteidiger gibt und somit Pflichtverteidigerkosten nicht entstehen. 4. Wie erklärt sich der Senat die Entwicklung in den Jahren 2006 bis 2011? Zu 4.: Anhand der oben in der Antwort zu Frage 1. dargestellten Zahlen ist erkennbar, dass die Aufwendungen für Prozesskostenhilfe in den letzten Jahren relativ konstant geblieben sind. Ein starker Anstieg der Ausgaben wie in den Jahren 1998 bis 2006 im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit konnte nicht mehr verzeichnet werden. Wesentliche Ursachen für den seinerzeitigen Anstieg waren der Anstieg der Erwerbslosigkeit und die damit einhergehende Verschlechterung der Einkommensverhältnisse sowie die Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung durch das Inkrafttreten des RVG im Jahre 2004. Lediglich im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit haben sich die Ausgaben für Prozesskostenhilfe mehr als vervierfacht . Dies ist zurückzuführen auf die allgemeine Geschäftsentwicklung, insbesondere auf den enormen Anstieg der sogenannten „Hartz IV-Verfahren“, in denen die Klägerinnen und Kläger in der Regel die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllen. Dementsprechend hat sich die Zahl der Prozesskostenhilfebewilligungen in diesem Bereich im Zeitraum 2007 bis 2011 (für 2006 liegen keine statistischen Daten vor) mehr als verdoppelt. Allein im Vergleich zum Jahr 2010 ist der Anteil der Prozesskostenhilfebewilligungen an den erledigten Verfahren im Jahr 2011 um 2,2 % gestiegen . 5. Sind dem Senat Missbrauchsfälle im Zusammen- hang mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe bekannt, die in den Jahren 2006 bis 2011 aufgetreten sind, und wenn ja, worin bestehen diese und wie hoch ist der daraus entstandene Schaden? Zu 5.: Dem Senat sind Missbrauchsfälle im Zusam- menhang mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe in dem Zeitraum von 2006 bis 2011 nicht bekannt geworden . In diesem Zusammenhang ist § 124 Nr. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) von Bedeutung, der im Falle einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Prozesskostenhilfe auch die nachträgliche Aufhebung der Bewilligung ermöglicht. Missbrauchsfälle werden in der ordentlichen Gerichtsbarkeit statistisch nicht erfasst. Zu Anzahl und Schwere solcher Fälle liegen folglich keine Daten vor. Es liegen auch keine statistischen Erhebungen darüber vor, in wie vielen Fällen im Geschäftsbereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter den Voraussetzungen des § 124 ZPO im vorgenannten Zeitraum widerrufen worden ist, weil einer Antragstellerin bzw. einem Antragsteller durch Täuschung oder absichtliche oder grob nachlässig gemachte unrichtige Angaben zu Unrecht Prozesskostenhilfe bewilligt wurde. Aus den Fachgerichtsbarkeiten liegen in Bezug auf die Fragestellung ebenfalls keine entsprechenden Erkenntnisse vor. 6. Sieht der Senat im Bereich der Verwaltungspraxis (Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen, Rückforderung der gewährten Prozesskostenhilfe etc.) Verbesserungsbedarf und wenn ja, worin besteht dieser, und welche Einsparpotenziale könnten damit erzielt werden? Zu 6.: Zu beachten ist, dass es sich bei der Ent- scheidung über die Bewilligung und den Widerruf gewährter Prozesskostenhilfe um eine Justizverwaltungsangelegenheit handelt. Die Prüfung der Voraussetzungen für die Bewilligung oder den Widerruf von Prozesskostenhilfe obliegt daher nicht den Gerichtsverwaltungen, sondern den dafür nach den jeweiligen Geschäftsverteilungsplänen zuständigen Richterinnen und Richtern sowie den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern, die ihre Entscheidungen unabhängig und frei von Weisungen treffen (§ 1 Gerichtsverfassungsgesetz und § 9 Rechtspflegergesetz ). Die Bewilligungspraxis der zuständigen Rechtspflegeorgane entzieht sich daher von vornherein einer Steuerung durch Dienst- und Verwaltungsanweisungen . Der Senat geht jedoch davon aus, dass die zur Entscheidung Berufenen diese Aufgabe nach Recht und Gesetz und in jeder Hinsicht verantwortungsvoll erledigen . Berufsanfängern werden umfangreiche Fortbildungsangebote unterbreitet. Berlin, den 17. September 2012 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Okt. 2012) 2