Drucksache 17 / 10 880 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 23. August 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. August 2012) und Antwort Wie lange dauern Strafverfahren in Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie lange dauerte in den Jahren 2006 bis 2011 in den Verfahren, in denen öffentliche Klage erhoben wurde, durchschnittlich der Zeitraum vom Eingang dieser bis zur Erledigung vor dem Amtsgericht Tiergarten? Zu 1.: Zwar wird die Verfahrensdauer vor dem Amts- gericht (bundesweit) statistisch erfasst, es erfolgt dabei jedoch keine Differenzierung nach der Art der Einleitung des Verfahrens. In den nachfolgenden Zahlen sind daher nicht nur diejenigen Verfahren enthalten, die auf die Erhebung der öffentlichen Klage hin eingeleitet wurden, sondern auch weitere Verfahrensarten. Bezüglich des Anteils dieser jeweiligen Verfahrensarten an den insgesamt vor dem Amtsgericht geführten Verfahren wird auf die Antwort zu 4. Bezug genommen. Die Verfahrensdauer sämtlicher vor dem Amtsgericht Tiergarten geführten Verfahren hat sich entsprechend der nachfolgenden Tabelle entwickelt: Jahr 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Verfahrensdauer in Monaten 4,8 4,8 4,5 4,3 4,0 3,3 2. In wie vielen Fällen wurde in dem Zeitraum von 2006 bis 2011 (insgesamt sowie jeweils pro einzelnem Jahr) das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. StPO angewendet? 3. In wie vielen Fällen wurde im angegebenen Zeit- raum das besonders beschleunigte Verfahren nach § 418 StPO beantragt und durchgeführt? Zu 2. und 3.: Die Anzahl der insgesamt nach §§ 417 ff der Strafprozessordnung (StPO) geführten beschleunigten Verfahren wird bundesweit erfasst und ergibt sich aus der nachstehenden Tabelle. Diese enthält auch Zahlen zur Durchführung des besonders beschleunigten Verfahrens, die der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten mitgeteilt hat: Jahr 2006 2007 2008 2009 2010 2011 insgesamt Anzahl der beschleunigten Verfahren gemäß §§ 417 ff StPO 2.823 3.053 2.850 2.888 3.208 3.254 18.076 darunter besonders beschleunigtes Verfahren 709 551 517 752 855 858 4.242 Die Zahl der Anträge im besonders beschleunigten Verfahren wird nicht in Verfahrensstatistiken erfasst. Das Verhältnis zwischen Anträgen und Durchführungen wird jedoch aus den folgenden Zahlen deutlich, die die Leiterin der Amtsanwaltschaft mitgeteilt hat. Diese beziehen sich nicht auf die jeweiligen Verfahren, sondern auf die einzelnen Personen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 880 2 Jahr 2006 2007 2008 2009 2010 2011 insgsamt Personen, gegen die das besonders beschleunigte Verfahren beantragt worden ist 815 656 598 828 954 1039 4.890 Personen, gegen die das besonders beschleunigte Verfahren durchgeführt worden ist 720 608 556 791 910 993 4.578 4. In welchem Verhältnis steht die Anzahl der besonders beschleunigten Verfahren zu den übrigen Verfahrenszahlen ? Zu 4.: Bezüglich der Datenlage wird auf die Antwort zu 2. und 3. Bezug genommen. Zur besseren Übersichtlichkeit sind in der nachfolgenden Tabelle die Zahlen derjenigen beschleunigten Verfahren nach §§ 417 ff StPO, die nicht als besonders beschleunigte Verfahren (bbV) geführt wurden, getrennt ausgewiesen. Zudem wurde auf die Mitteilung derjenigen Einleitungsarten verzichtet, deren Anteil unter einem % lag. Jahr 2006 2007 2008 Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil Strafverfahren vor dem Amtsgericht 53.985 100% 55.868 100% 58.430 100% darunter eingeleitet durch: Anklage 37.470 69,4% 39.143 70,1% 41.331 70,7% Antrag nach § 417 StPO ohne bbV 2.114 3,9% 2.502 4,5% 2.333 4,0% Antrag nach § 417 StPO im bbV 709 1,3% 551 1,0% 517 0,9% Antrag nach § 76 Jugendgerichtsgesetz (JGG) 1.582 2,9% 1.403 2,5% 1.480 2,5% Einspruch gegen Strafbefehl* 11.456 21,2% 11.720 21,0% 12.222 20,9% Sonstige (jeweils < 1 %) Jahr 2009 2010 2011 Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil Strafverfahren vor dem Amtsgericht 51.693 100% 46.945 100% 47.158 100% darunter eingeleitet durch: Anklage 34.413 66,6% 30.145 64,2% 30.047 63,7% Antrag nach § 417 StPO ohne bbV 2.136 4,1% 2.353 5,0% 2.396 5,1% Antrag nach § 417 StPO im bbV 752 1,5% 855 1,8% 858 1,8% Antrag nach § 76 JGG 1.592 3,1% 1.762 3,8% 1.775 3,8 % Einspruch gegen Strafbefehl* 12.063 23,4% 11.075 23,6% 11.380 24,1 % Sonstige (jeweils < 1 %) * beantragt durch Staatsanwaltschaft bzw. Amtsanwaltschaft, nicht durch Finanzbehörde 5. Ist bei den beschleunigten/besonders beschleunigten Verfahren eine Tendenz hinsichtlich der Anzahl der durchgeführten Verfahren zu beobachten und wenn ja, wie ist diese zu begründen? Zu 5.: Die Entwicklung der Anzahl der beschleu- nigten/besonders beschleunigten Verfahren lässt sich den Tabellen zu 2. und 3. entnehmen. Eine Tendenz lässt sich daraus noch nicht erkennen. 6. Gibt es nach Auffassung des Senates eine Korrela- tion dieser Zahlen mit der zahlenmäßigen Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens? Zu 6.: Die Anteile der jeweiligen Verfahrensarten an den vor dem Amtsgericht Tiergarten geführten Strafverfahren lassen sich der Tabelle zu 4. entnehmen. Darüber hinaus kann der Senat keine Korrelation feststellen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 880 3 7. Bestätigen die in Berlin gemachten Erfahrungen die Erwartung, dass eine kurz nach der Tat stattfindende Hauptverhandlung stärkere spezial- und generalpräventive Wirkungen entfalten kann als eine zeitlich von der Tat deutlich abgesetzte Hauptverhandlung im „Normalverfahren “? Zu 7.: Grundsätzlich ist eine zügige Verfahrenserle- digung sowohl für die Beschuldigten als auch aus verfahrensökonomischen und fiskalischen Gründen begrüßenswert . Die Berliner Strafjustiz hält daher an der Verfolgung dieses Zieles fest. 8. Für welche Delikte und Deliktsgruppen wäre das beschleunigte/besonders beschleunigte Verfahren nach der in Berlin gemachten Erfahrung geeignet und in welchen Fällen wird es derzeitig überwiegend tatsächlich angewendet? Zu 8.: Die Geeignetheit für die Durchführung des be- schleunigten/besonders beschleunigten Verfahrens ist jeweils im Einzelfall nach den einschlägigen rechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Weder die gesetzlichen Regelungen der §§ 417 ff StPO noch Nr. 146 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) knüpfen dabei an Delikte oder Deliktsgruppen an. Voraussetzung für die Durchführung des beschleunigten Verfahrens ist vielmehr, dass die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet und keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe von einem Jahr zu erwarten ist. Wegen der Besonderheiten des besonders beschleunigten Verfahrens, in dem eine unmittelbare Aburteilung im Anschluss an die Festnahme aus dem Gewahrsam heraus erfolgen soll, müssen dort im Hinblick auf § 127 Abs. 2 StPO zusätzlich die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls vorliegen. An dementsprechend geeigneten Fällen fallen nach den Erfahrungen in Berlin im besonders beschleunigten Verfahren hauptsächlich Diebstahlstaten an, darunter sowohl Ladendiebstahl als auch besonders schwere oder qualifizierte Fälle im Sinne der §§ 243, 244 des Strafgesetzbuches (StGB). Weitere Verfahren stammen regelmäßig aus dem Bereich der Urkundsdelikte, der Vergehen gegen das Aufenthaltsgesetz (in einfach gelagerten Fällen ), der Vergehen gegen die Abgabenordnung (illegaler Zigarettenhandel), des Betruges (insbesondere Zech- oder Tankbetrug), der Sachbeschädigungen (insbesondere Graffiti), der Verkehrsdelikte nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder §§ 316, 315 c StGB sowie teilweise aus dem Bereich der Körperverletzungen und weiterer Aggressionstaten. Bei den beschleunigten Verfahren, die nicht im An- schluss an die Festnahme, sondern auf Vorladung des auf freien Fuß befindlichen Beschuldigten stattfinden, ist in einer Vielzahl der Verfahren das Erschleichen von Leistungen nach § 265a StGB Gegenstand der Anklage. 9. Wie lange dauerte in den Jahren 2006 bis 2011 (wieder bitte insgesamt sowie jeweils pro einzelnem Jahr) durchschnittlich der Zeitraum zwischen Bekanntwerden einer Straftat und entsprechender Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Polizei oder die Staats- bzw. Amtsanwaltschaft und der diesbezüglichen Abschlussverfügung der Staats- bzw. Amtsanwaltschaft (soweit möglich , bitte ich hierbei zu differenzieren zwischen Ermittlungsverfahren die durch Einstellung abgeschlossen wurden und jenen, in denen öffentliche Klage, d.h. Anklage, Antrag nach § 417 StPO, Antrag auf Erlass eines Strafbefehls , Antrag nach § 76 JGG erhoben bzw. beantragt wurde)? Zu 9.: Zwar wird der Zeitraum zwischen der bei Be- kanntwerden einer Straftat erfolgenden Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch die Polizei bzw. durch die Staatsanwaltschaft bzw. Amtsanwaltschaft und der Abschlussverfügung durch die Staatsanwaltschaft bzw. Amtsanwaltschaft bundesweit statistisch erfasst. Als gesonderte Abschlussart werden dabei jedoch nur die Anklagen ausgewiesen, nicht die übrigen erfragten Abschlussarten . Eine Differenzierung danach, ob diese Anklagen zum Amtsgericht oder zum Landgericht erhoben werden, findet dabei nicht statt. Die in der nachstehenden Tabelle enthaltenen Verfahrensdauern lassen sich daher nicht in Beziehung zu den in der Tabelle zu 4. enthaltenen Verfahrenszahlen setzen. Zahlen für das Jahr 2006 liegen nicht vor. Jahr 2007 2008 2009 2010 2011 Durch-schnitt durchschnittliche Dauer des Ermittlungsverfahrens in Monaten 3,9 3,8 3,8 3,9 3,8 3,84 Dauer bei Verfahrensabschluss durch Anklage 4,7 4,6 4,6 4,9 4,5 4,26 Berlin, den 18. September 2012 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Sep. 2012)