Drucksache 17 / 11 083 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Özcan Mutlu (GRÜNE) vom 15. Oktober 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Oktober 2012) und Antwort Konsequenzen aus dem IQB-Ländervergleich 2011 (1) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat die jüngst vorgestellten Er- gebnisse des IQB-Ländervergleichs 2011, bei dem Berlin mit am schlechtesten abschneidet? Zu 1.: Der Senat teilt die Einschätzung der Autoren des Berichts über den ersten Ländervergleich zur Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) in der vierten Jahrgangsstufe, nach der deutliche Nachteile für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund bzw. für Schülerinnen und Schüler aus Elternhäusern mit niedrigem sozialem Status festgestellt werden. 2. Welche Konsequenzen zieht der Senat aus den Ergebnissen der Untersuchung? Zu 2.: Es gilt sowohl den Anteil der Schülerinnen und Schüler, die schwache Leistungen erbringen, deutlich zu verringern als auch den Anteil der Schülerinnen und Schüler zu steigern, die Leistungen im oberen Kompetenzniveau zeigen. Die verschiedenen Methoden zur Sprach- und Leseförderung müssen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und weiterentwickelt werden. Dazu bereiten die Länder mit dem Bund derzeit eine gemeinsame Initiative zur Weiterentwicklung der Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung vor. Das Land Berlin wird seine Anstrengungen im Bereich der Lehrerfortbildung insbesondere mit Angeboten zur Binnendifferenzierung und individuellen Förderung intensivieren . 3. Die Berliner Grundschüler/-innen haben in den Be- reichen Lesen und Mathematik Ergebnisse erreicht, die signifikant unterhalb des Mittelwerts liegen. Wie bewertet der Senat dieses und welche Maßnahmen will der Senat ergreifen, um dies zu verbessern? Zu 3.: Auch in diesen Bereichen teilt der Senat die Einschätzung der Autoren des o.g. Berichts, dass insbesondere in den Stadtstaaten bzw. Großstädten eine enge Kopplung zwischen der sozialen Herkunft und den erreichten Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler besteht . Nach Abschluss des bundesweiten Programms zur Steigerung der Effizienz des mathematischnaturwissenschaftlichen Unterrichts in Schulen führt das Land Berlin das Programm an einigen Grundschulen weiter. Die dort erarbeiteten Materialien und Fortbildungsveranstaltungen stehen auch allen anderen Grundschulen zur Verfügung. Hierzu zählen Broschüren zu aktuellen Unterrichtsthemen ebenso wie Aufgabensammlungen zur Kompetenzorientierung. Das Institut für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg richtet zudem eine Aufgabendatenbank ein, in der Lehrkräfte Aufgaben des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen abrufen können, um sie im Unterricht einzusetzen. Im Anschluss an das KMK-Projekt ProLesen ist das Vorhaben ProLesen-Transfer in Berlin als Schulbegleitungsprojekt u.a. mit den Schwerpunkten Lesemotivation und Individualisierung begonnen worden. Die Qualifizierung von Lehrkräften, die Durchführung von Fachtagungen und die Erstellung von Handreichungen u.a. zur Leseförderung, zur Erarbeitung eines Grundwortschatzes und zu Lesepartnerschaften sind seit 2011 Bestandteile des Programms. 4. Wie bewertet der Senat den Umstand, dass mehr als 20 % der SchülerInnen im Bereich Lesen nicht einmal den Mindeststandard entsprechen und welche Maßnahmen will der Senat ergreifen, um dies zu verbessern? Zu 4.: Die Bewertung des Ergebnisses steht im Ein- klang mit der o.g. Einschätzung zu den Auswirkungen des Migrationshintergrunds der getesteten Schülerinnen und Schüler und zur sozialen Kopplung der erbrachten Leistung an die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler. Im Rahmen des Qualitätspakets für Kitas und Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 083 2 Schulen wurden ab Schuljahr 2011/2012 im Bereich der Sprachbildung zwei strukturelle Maßnahmen eingeführt, die mit entsprechender Qualifizierung des pädagogischen Personals unterlegt sind: Schulen müssen ein schuleigenes Sprachbildungskonzept entwickeln und Sprachbildungskoordinatorinnen bzw. Sprachbildungskoordinatoren benennen . Die Fortbildungsangebote wurden inhaltlich angepasst und verstärkt. Berliner Schulen haben ab Juni 2012 die Möglichkeit erhalten, ihr Sprachbildungskonzept extern beurteilen zu lassen. Schulen, die dieses Angebot genutzt haben, erhielten eine umfassende individuelle Rückmeldung (u.a. zur Bestandsaufnahme, zum Einsatz der diagnostischen Verfahren, zur organisatorischen Beschreibung der Fördermaßnahmen, zur Nachvollziehbarkeit und Kohärenz des Konzepts). Ebenfalls im Rahmen des o.g. Qualitätspakets wurde die Expertise „Erfolgreiche Sprachförderung unter Berücksichtigung der besonderen Situation Berlins“ von Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen erstellt. Die Expertise enthält auf über 200 Seiten Empfehlungen für erfolgreiche Sprachbildung unterschiedlicher Reichweite und mit unterschiedlichem Grad der Konkretisierung. In weiten Teilen bestätigt die Expertise den Weg, den Berlin bereits eingeschlagen hat, z.B. im Bezug auf die Verbindung von additiver und integrativer Förderung. Als Konsequenz aus der Expertise werden Handreichungen zur Unterstützung der Lehrkräfte entwickelt: - zur Steigerung der Lesekompetenz zum Thema „Lesen in allen Fächern – individuelle Leseförderung in heterogenen Lerngruppen der Jahrgangsstufen 5 bis 10“, - Überarbeitung der Handreichungen zum Grundwortschatz , - Handreichung Wortschatzarbeit im Fachunterricht im Sekundarbereich I. Darüber hinaus erfolgt eine Überarbeitung aller Rahmenlehrpläne, um Sprachbildung als Aufgabe jedes Faches aufzunehmen. 5. Lediglich die Hälfte der Viertklässler/Innen konnten in Mathematik Kompetenzen nachweisen, die mindestens dem Regelstandard entsprechen, mehr als 25 % haben sogar den Mindeststandard verfehlt. Wie bewertet der Senat dies und welche Konsequenzen zieht der Senat daraus? Zu 5.: Der o.g. Bericht kommt zu dem Schluss, dass ein Unterschied im Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler auszumachen ist, ob die Schülerinnen und Schüler fachfremd oder nicht fachfremd unterrichtet werden. Im Bereich der Mathematik ist die Differenz besonders hoch. Die Empfehlungen der Expertenkommission Lehrerbildung schlagen deshalb vor, für alle Studierenden des Grundschullehramts künftig sowohl das Studienfeld „sprachliche Grundbildung in Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Lernbereich Deutsch)“ als auch das Studienfeld „mathematische Grundbildung (Lernbereich Mathematik)“ verbindlich zu machen. 6. Welche Maßnahmen will der Senat konkret ergreifen , um diese Werte zu verbessern? Zu 6.: Als Maßnahmen werden ergriffen: Reform der Lehrerbildung in der ersten Phase mit der Verbindlichkeit der Studienfelder „sprachliche Grundbildung in Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ sowie „mathematische Grundbildung“, Intensivierung der Lehrerfortbildung mit Angeboten zu Binnendifferenzierung und individueller Förderung, wissenschaftliche Evaluation der Sprachbildungskonzepte mit Blick auf ihre Wirksamkeit, die weitere Qualifizierung schulischer Sprachbildungskoordinatorinnen bzw. Sprachbildungskoordinatoren sowie die Beteiligung Berlins an der gemeinsamen Initiative von Bund und Ländern zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung. 7. Der IQB-Ländervergleich hat ergeben, dass soziale Disparitäten nach wie vor gravierende Auswirkungen auf die erreichten Kompetenzen der SchülerInnen haben. Wie bewertet der Senat, dass in Berlin die ausgeprägtesten sozialen Gradienten in den Bereichen Zuhören und Lesen liegen und welche Konsequenzen zieht der Senat daraus? Zu 7.: Dem wissenschaftlichen Bericht zur ersten Überprüfung der KMK-Bildungsstandards in Mathematik und Deutsch der vierten Jahrgangsstufe zufolge wird die enge Kopplung des sozialen Status der Elternhäuser und des Kompetenzzuwachses der Schülerinnen und Schüler dieser Elternhäuser insbesondere in den Stadtstaaten und in Großstädten mit mehr als 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern evident. In diesem Zusammenhang plant der Senat – neben Maßnahmen zur Verbesserung der Fachlichkeit des Unterrichts – die Ganztagsangebote auszubauen und in ihrer Förderqualität weiterzuentwickeln. 8. Welche konkreten Maßnahmen will der Senat er- greifen, um die zuwanderungsbezogenen Disparitäten zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund zu verringern? Zu 8.: Ein zentrales Ergebnis des o.g. Berichts ist die Erkenntnis, dass bei gleichem Kompetenzniveau in den Bereichen Zuhören und Lesen Jungen eher als Mädchen, Kinder aus zugewanderten Familien eher als Kinder aus Familien ohne Zuwanderungsgeschichte und Kinder aus sozial schwachen Familien eher als Kinder aus sozioökonomisch besser gestellten Familien zusätzliche schulische Sprach- und Leseförderung erhalten. Insgesamt ergibt sich aus dem Bericht, dass Schulen erhebliche Anstrengungen im Bereich der Sprach- und Leseförderung unternehmen. Es wird von den Ergebnissen der o.g. Länderinitiative abhängen, wo im Einzelnen Optimierungsbedarf durch die wissenschaftliche Evaluation gesehen wird. 9. Welche bisherigen Maßnahmen in diesem Bereich wertet der Senat als Erfolg und plant sie deshalb auszubauen ? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 083 3 Zu 9.: Alle bisherigen Maßnahmen zur Sprachförderung , Sprachdiagnostik und Leseförderung stehen gegenwärtig angesichts der Befunde des Berichts in der Auswahl, durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen o.g. Initiative evaluiert zu werden. 10. Die größten Disparitäten für Kinder mit zwei im Ausland geborenen Elternteilen finden sich in Berlin. Wie bewertet der Senat diesen Umstand und welche Maßnahmen plant der Senat zu ergreifen, um die Benachteiligung zu verhindern? Zu 10.: Die größten Disparitäten für Kinder mit zwei im Ausland geborenen Elternteilen befinden sich in allen drei Stadtstaaten, im Bereich Lesen auch in Hessen, im Bereich Zuhören für Kinder mit zwei zugewanderten Elternteilen auch im Saarland sowie im Bereich Mathematik auch in Baden-Württemberg und Niedersachsen . Berlin wirbt seit vielen Jahren für das Erlernen der deutschen Sprache und bietet im Ausland geborenen Elternteilen Sprachkurse in deutscher Sprache an, speziell auch für Mütter von schulpflichtigen Kindern. Die Antworten auf die Fragen 4 und 6 geben darüber hinaus Auskunft, in welcher Art und Weise Berlin auch dem Bedarf von Kindern mit zwei im Ausland geborenen Elternteilen begegnet. Berlin, den 12. November 2012 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Nov. 2012)