Drucksache 17 / 11 084 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Özcan Mutlu (GRÜNE) vom 15. Oktober 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Oktober 2012) und Antwort Konsequenzen aus dem IQB-Ländervergleich 2011 (2) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Über 60 % der befragten Lehrkräfte wünschen sich mehr Fortbildungen zu Fragen der Binnendifferenzierung und der individuellen Förderung. Plant der Senat das An- gebot in diesem Bereich zu erweitern? 2. Wenn nein, wieso nicht und welche Konsequenzen zieht der Senat aus der Studie? Zu 1. und 2.: Zur inneren Differenzierung werden in diesem Schuljahr 257 Veranstaltungen bzw. Veranstal- tungsreihen angeboten. Derzeit wird eine Fortbildungsoffensive zum Thema „Individuelles Lernen/innere Differenzierung/Umgang mit Heterogenität“ vorbereitet, durch die das umfangreiche Angebot weiter systematisiert und für Schulen und Pädagoginnen und Pädagogen übersichtlich gestaltet wird. Darüber hinaus wird es passgenau für den Bedarf der ein- zelnen Schule bzw. der Pädagoginnen und Pädagogen aufbereitet. 3. Mehr als 80 % der befragten Lehrkräfte gaben an, aufgrund von hoher beruflicher Belastung nicht die ge- wünschten Fortbildungen besuchen zu können. Plant der Senat Maßnahmen zu ergreifen, um den Besuch von Fort- bildungen für Lehrkräfte besser zu ermöglichen? Zu 3.: Zielsetzung der regionalen Fortbildung ist es, durch vermehrte schulinterne Veranstaltungen Fortbil- dung wirksamer für den Transfer in die Schulpraxis und zeitlich entlastender zu gestalten. Bereits jetzt werden die Angebote der regionalen Fortbildung zu ca. 50 % an Schulen - also schulintern – durch-geführt. Beratung und Fortbildung auf Studienta- gen, in pädagogischen Konferenzen, von Fachbereichen und Hospitationen im Unterricht sind Formate, die zu- nehmend in Anspruch genommen werden. 4. Laut einer Pressemitteilung der Kultusministerkonferenz bereiten die Länder mit dem Bund derzeit eine gemeinsame Initiative zur Weiterentwicklung der Sprach- förderung und -diagnostik sowie der Leseförderung vor. Wann wird mit einem Ergebnis gerechnet und welche Kriterien sollen dabei zur Geltung kommen? Zu 4.: Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und die Jugend- und Familienminister- konferenz der Länder (JFMK) haben am 18. Oktober 2012 eine gemeinsame Initiative zur Verbesserung der Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung beschlossen. In einem Forschungs- und Entwicklungsprogramm sollen die Maßnahmen zur Sprachförderung, Sprachdiag- nostik und Leseförderung, die in den Ländern im Elemen- tarbereich, in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I bereits eingeführt wurden, im Hinblick auf ihre Wirksam- keit wissenschaftlich geprüft und weiterentwickelt wer- den. Abschließende Ergebnisse werden voraussichtlich nach Beendigung des fünfjährigen Projekts vorliegen. Kriterien für den Erfolg der Maßnahmen sind u. a. die Steigerung der phonologischen Bewusstheit, des Sprach- verständnisses, des Wortschatzes und der Sprachflüssig- keit und die Steigerung der Kompetenzen im Bereich der Bildungs- und Fachsprache sowie im Lesen. 5. Hat der Senat konkrete Ziele gesetzt, die er bis zur Veröffentlichung der IQB-Ländervergleiche 2012 und 2013 erreichen möchte? a) Wenn ja, wie lauten diese? b) Wenn nein, wieso nicht? Zu 5.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft verfolgt permanent und konsequent das Ziel, die Unterrichtsqualität und den Unterrichtserfolg in Berlin zu verbessern. Zu den Zielen gehören Lese- und Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 084 2 Sprachfördermaßnahmen ebenso wie die Verbesserung der mathematischen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die vielfältigen Angebote zur Steigerung der Unterrichts- qualität und Kompetenzerweiterung der Schülerinnen und Schüler in diesen Bereichen stringent zu vernetzen und die Implementierung von fachlich-didaktischen Konzep- ten zu befördern, wird ein vorrangiges Ziel des nächsten Jahres sein. In diesem Zusammenhang wird die Qualitätsentwick- lung der Grundschule mit der Initiative „Grundschule jetzt“ gestärkt. Im September 2012 gab ein Fachtag zur Schulanfangsphase den Auftakt für eine Veranstaltungs- reihe zu Fragen der Qualitätsentwicklung Grundschule. Auf weiteren Veranstaltungen wird die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genutzt wer- den, um pädagogische Schlüsselthemen der Grundschule - Inklusion, Sprachförderung, Lernkultur, Heterogenität - jeweils untersetzt mit Praxisbeispielen aus der Berliner Schullandschaft - zu thematisieren. In diesem Rahmen wurde im November 2012 auf ei- ner gemeinsamen Sitzung der Schulleitungen aller Grund- schulen und Schulen mit sonderpädagogischem Förder- schwerpunkt das Thema „Leistungen fördern und beurteilen “ in zwei Fachvorträgen von Prof. J. R. (Freie Universität Berlin) und Prof. Dr. M. B. (Institut für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg e.V – ISQ) bearbeitet. Die Schulleitungen erhielten fachliche Informationen zum Thema „Leistung und Leistungsbeurteilung in der Grundschule “, auf deren Grundlage sie den schulinternen und regional bereits begonnenen Austausch über Kriterien der Leistungsbeurteilung, Fragen der Zensurengebung und Anforderungen an den Kompetenzerwerb in der 6- jährigen Grundschule aufgreifen und fortführen können. Der Senat ist sich darüber im Klaren, dass es gelingen muss, den Anteil der Kinder, die schwache Leistungen erbringen, deutlich zu verringern und gleichfalls den An- teil der Kinder zu steigern, die Leistungen im oberen Kompetenzniveau zeigen. Dazu werden die bisherigen Anstrengungen zu erhöhen, aber auch Maßnahmen der Unterstützung für die Lehrkräfte zu prüfen und ggf. neu auszurichten sein. 6. Wie bewertet der Senat den Umstand, dass Berlin erneut in einer bundesübergreifenden Studie zum Schluss- licht gehört? Zu 6.: Der Ländervergleich, in dem 118 Berliner Grundschulen mit 2.600 Viertklässlerinnen und Viert- klässlern beteiligt waren, zeigt, dass jeweils ca. ein Vier- tel die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik nicht oder nur gerade erreichen. Es ist bekannt, dass soziale Faktoren Einfluss auf den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern haben. Dies ist bei der Bewertung der Ergebnisse des Länderver- gleichs demzufolge auch zu berücksichtigen. Nichts- destotrotz müssen sich die Berliner Schulen diesen Her- ausforderungen stellen und die erforderliche Unterstüt- zung erhalten, um Bildungsbenachteiligung abzubauen. Erforderliche Konsequenzen, die in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft gezogen werden, sind der Antwort auf Frage 5 zu entnehmen. 7. Welche Konsequenzen hat der Senat bisher aus früheren internationalen und nationalen Studien wie PI- SA, TIMSS, IGLU sowie aus nationalen Tests wie VE- RA-3, VERA-8 etc. gezogen und welche konkreten Maß- nahmen hat der Senat als Folge der Ergebnisse dieser je- weiligen Studien und Untersuchungen ergriffen? Zu 7.: Zahlreiche Reformmaßnahmen der letzten Jahre sind durch die Ergebnisse der PISA-Studie angestoßen worden, zum Beispiel:  Sprachstanderhebung vor Schuleintritt und verpflichtende vorschulische Sprachförderung bei Sprachför- derbedarf,  Einführung der verlässlichen Halbtagsgrundschule, Ganztagsangebot aller Grundschulen (in offener oder gebundener Form),  Vorziehen des Einschulungsalters, um Kinder - verpflichtend - möglichst frühzeitig in der Schule zu för- dern,  Einführung der Schulanfangsphase, mit flexibler Lernzeit entsprechend den individuellen Lernbedürf- nissen des Kindes, um Schülerinnen und Schülern so- lide Grundlagen für das Weiterlernen ab Jahrgangsstu- fe zu vermitteln,  Ausweitung der Stundentafel (in Jahrgangsstufe 5 um 2 Stunden und in Jahrgangsstufe 6 um 3 Stunden) zur Stärkung des naturwissenschaftlichen Unterrichts,  Verpflichtende Kooperation von Grundschulen mit Kitas und Schulen der Sekundarstufe I zur Optimie- rung der Anschlussfähigkeit der vorschulischen und schulischen Bildung bzw. zur Stärkung der Fachlich- keit des Unterrichts in den Jahrgangsstufen 5 und 6,  Einführung eines Grundwortschatzes in den Jahrgangsstufen 1 - 4 der Grundschule,  Finanzierung des Programms „ErzählZeit“ zur Förderung der Literalität vor allem in den Grundschulen (Erzählen von Märchen durch ausgebildete Erzähle- rinnen und Erzähler),  Initiierung von Maßnahmen zur Prävention von Rechenschwäche ,  Umsetzung der KMK-Standards und der Kompetenzorientierung in die Rahmenlehrpläne und die Lehr- kräftefortbildung,  Einführung standardbasierter zentraler Prüfungen,  Erfassung der Ergebnisse und Implementation eines Rückmeldesystems für Prüfungen und Vergleichsar- beiten,  Auflegung und Ausweitung verschiedener innovativer Projekte wie SINUS, Kontextprogramme, ProLesen- Transfer etc.,  Erarbeitung von Handreichungen für die Lehrkräfte mit folgenden Themen: Wortschatzarbeit im Fachun- terricht der Sekundarstufe I, Lesen in allen Fächern der Sekundarstufe I, systematische Lesekompetenz- entwicklung in heterogenen Lerngruppen,  eine enge Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM) für Fortbil- dungsmaßnahmen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 084 3 Zur Förderung der Lesekompetenz und Sprachbildung wurden überdies umfangreiche Fortbildungen durchge- führt. Seit 2011/12 richten sich die Angebote der Fortbil- dung im Themenfeld durchgängige Sprachbildung ver- mehrt an die Schulen direkt, werden von ganzen Kolle- gien angefragt und schulintern durchgeführt. Damit wird eine größere Anzahl von Lehrkräften und Erzieherinnen bzw. Erziehern erreicht und dem spezifischen Bedarf der Schule Rechnung getragen. Im Schuljahr 2011/12 haben 42 Grundschulen das Angebot der Fortbildnerinnen und Fortbildner für durch- gängige Sprachbildung mit 76 schulinternen Beratungen und Fortbildungen in Anspruch genommen. Es fanden 2011/12 zwei Fachtage zur durchgängigen Sprachbildung statt. Im Schuljahr 2011/12 wurden 68 Sprachbildungskoor- dinatorinnen bzw. Sprachbildungskoordinatoren qualifi- ziert. Ziel ist, bis 2014/15 jährlich 100 Sprachbildungsko- ordinatorinnen/Sprachbildungskoordinatoren zu qualifi- zieren. Sie werden an Schulen mit zusätzlichen Stunden für Sprachförderung installiert, koordinieren die Sprach- bildung an der Schule und erstellen schuleigene Sprach- bildungskonzepte. Darüber hinaus werden seit 2011/12 alle neu eingesetzten Sprachbildungskoordinatorinnen/ Sprachbildungskoordinatoren zu ihren Aufgaben jährlich in 16 Fachnetzwerkkonferenzen informiert, beraten und begleitet. Der Senat plant eine Reform der Lehrerbildung, wozu insbesondere auch die Neugestaltung eines Grundschul- lehramtes mit verpflichtenden Anteilen in mathematischer und sprachlicher Grundbildung im Umfang von je einem Fach gehört. Das Grundschullehramt soll im neuen Lehr- erbildungsgesetz verankert werden. 8. Warum haben die Maßnahmen nach Einschätzung des Senats (bisher) nicht zu den gewünschten Erfolgen und der Verbesserungen vor Ort und bei den SchülerInnen geführt? Zu 8.: Das Umgehen mit Heterogenität und die indivi- duelle Förderung jeder Schülerin und jedes Schülers stel- len eine Herausforderung dar, der sich viele Lehrkräfte in Berlin mit Engagement und Kompetenz stellen. Darauf, dass die zentrale Aufgabe in der Verbesserung der Quali- tät des Unterrichts besteht, macht die Schulentwicklungs- forschung immer wieder aufmerksam. Sie macht aller- dings auch darauf aufmerksam, dass Schulen dafür - ne- ben fachlicher Unterstützung - Zeit für Entwicklungs- schritte benötigen. Dies bringt es mit sich, dass Maßnah- men nicht immer kurzfristig zu den erwünschten Ergeb- nissen führen, sondern langen Atem und konsequente Begleitung benötigen. Der Senat teilt daher nicht die Auffassung, dass die angestoßenen und implementierten Maßnahmen zu keiner Verbesserung der Unterrichtsqualität geführt haben. Nichtsdestotrotz bedarf es weiterer Anstrengungen, damit es gelingt, den Anteil der Kinder, die schwache Leis- tungen erbringen, deutlich zu verringern und gleichfalls den Anteil der Kinder zu steigern, die Leistungen im obe- ren Kompetenzniveau zeigen. Berlin, den 11. November 2012 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Nov. 2012)