Drucksache 17 / 11 095 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 18. Oktober 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Oktober 2012) und Antwort Stand der Vollzeitpflege und familienähnlichen stationären Unterbringung von Kindern und Jugendlichen nach den Regeln der Jugendhilfe in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Standards der Berliner Pflegekinderhilfe sind nach den Anforderungen des Bundeskinderschutzgesetzes seit dem 11.04.2012 (Zeitpunkt der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller Drs. 17/ 10280) verändert worden? 2. Wenn noch keine Veränderungen der Standards vorgenommen worden sind, wann werden diese dann vorgenommen ? 3. Welcher Stand der berlineinheitlichen Vertrags- gestaltung in der Pflegekinderhilfe ist derzeit erreicht? 5. Welche Notwendigkeiten zur Überarbeitung der AV-Pflege gibt es? Zu 1., 2., 3. und 5.: In der Pflegekinderhilfe (PKH) be- stehen in Berlin folgende Arbeitsgrundlagen zur Gewährleistung des Qualitätsstandards: 1. Fachliche Anforderungen zu den wesentlichen Schlüsselprozessen „Überprüfung“ von Bewerberinnen und Bewerber, „Vermittlung“ eines Pflegekindes und „Beratung und Begleitung“ in der Pflegekinderhilfe, 2. Leitfäden zur Feststellung der Eignung und Auswahl von Erziehungspersonen in der Pflegekinderhilfe sowie zur Ermittlung eines erweiterten Förderbedarfs bei Vollzeitpflege und teilstationärer Familienpflege, 3. ein Konzept zur Krisenpflege, 4. ein Curriculum zu Pflegeelternschulung sowie zur Fort- und Weiterbildung für Pflegepersonen, 5. einheitliche Pflegevertragsmuster für die Vollzeit- pflege, die Teilstationäre Familienpflege und die Krisenpflege sowie 6. die Ausführungsvorschriften (AV) über Hilfe zur Er- ziehung in Vollzeitpflege und die Ausführungsvorschriften über die Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen für Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege und teilstationärer Familienpflege. Entsprechend den Anforderungen des Bundeskinder- schutzgesetzes werden derzeit insbesondere die unter Nr. 1 genannten Punkte überprüft. Die fachlichen Standards für Vollzeitpflege haben sich insgesamt bewährt, jedoch werden mögliche Veränderungsnotwendigkeiten sorgfältig und unter Beteiligung der Jugendämter geprüft. Die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwaltung und 4 Bezirke beteiligen sich an einem extern unterstützten Projekt zur Optimierung der Geschäftsprozesse im Rahmen der ‚Service Stadt Berlin’. Um die komplexen Verfahren und Abläufe im Bereich der Vollzeitpflege (z.B. Werbung, Auswahl und Schulung geeigneter Pflegeeltern, Vermittlung eines Pflegekindes, Beratung und Begleitung der Pflegeeltern) zu vereinheitlichen und zu optimieren, werden diese Prozesse im Rahmen des Projekts untersucht und standardisiert. Ziele dieses Projektes sind insbesondere berlineinheitliche Verfahren und Standards im Rahmen der Vertragsgestaltung der Jugendämter mit den beauftragten freien Trägern auf Grundlage des Anforderungsprofils der Pflegekinderdienste . 4. Welche Auffassung hat der Berliner Senat von der Rechtsnatur des sog. „Pflegevertrages“ (zwischen wem bestehen welche Vertragsverhältnisse, welcher Rechtsnatur ist das Verhältnis zwischen Pflegeeltern und Jugendamt)? Zu 4.: Der Pflegevertrag wird zwischen Jugendamt und Pflegeperson geschlossen (vgl. AV-Pflege Nummer 10 und § 29 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AG KJHG) Berlin). Der Pflegevertrag ist ein zivilrechtlicher Vertrag. Das Ver- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 095 2 waltungsgericht Göttingen hat dazu ausgeführt (vgl. 2 A 94/11, vom 12.01.2012): "Bei der Vollzeitpflege handelt es sich um eine Unterart der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII. Diese Vorschrift gibt allein den Personensorgeberechtigten einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Anspruchsinhaber ist damit ausschließlich der Personensorgeberechtigte (vgl. Urteil der Kammer vom 24.02.2005 - 2 A 424/03 -). Nur dort, wo dies, wie z.B. in § 37 Abs. 2 SGB VIII, ausdrücklich geregelt ist, haben auch Pflegepersonen bestimmte Ansprüche. Daneben wirken sie naturgemäß bei der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII mit. Die konkrete Ausgestaltung des Pflegeverhältnisses durch einen Pflegevertrag ist demgegenüber ausschließlich zivilrechtlicher Natur (BGH, Urteil vom 06.07.2006 -III ZR 2/06 -, NJW 2006, 2553; OVG Berlin, Urteil vom 21.10.1982 - 6 B 35/81 -, FEVS 32, 251; OVG Münster, Urteil vom 23.01.1986 - 8 A 1600/84 -, FEVS 35, 374; Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, § 33 Rn. 16; Stähr in: Hauck/Haines, § 33 Rn. 22)." 6. Hält die Senatsverwaltung die Entscheidung, Heil- pädagogische Pflegestellen abzuschaffen in der Nachschau als fachlich richtige Entscheidung, wenn ja warum, wenn nein, was ist zu ändern? Zu 6.: Mit der zum 01.07.2004 in Kraft getretenen Ausführungsvorschriften über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege und teilstationärer Familienpflege (AVPflege ) wurden die Leistungen für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche in Vollzeitpflege gem. § 33 Satz 2 achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) angepasst. Die für diesen Personenkreis bis dahin vorgehaltenen „Heilpädagogischen Pflegestellen“ gem. Nr. 19 Pflegekindervorschriften (PKV) wurden von der Angebotsform der Vollzeitpflege mit erweitertem Förderbedarf gem. Nr. 4 AV-Pflege ersetzt. Die Praxis zeigt, dass sich oft erst im Verlaufe der Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie besondere Beeinträchtigungen des Pflegekindes herausstellen, sodass ein erweiterter Förderbedarf angezeigt ist. Das bedeutet einerseits , dass Pflegefamilien grundsätzlich geeignet sein müssen, sich auf schwierige Entwicklungssituationen eines Pflegekindes einzustellen. Andererseits ist es fachlich notwendig und richtig, die Leistungsgewährung in dieser Hilfeform an dem im Rahmen der Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII ermittelten tatsächlichen Förderbedarf auszurichten und in den Zusammenhang der tatsächlich erreichten Ziele zu stellen. Die Veränderung der Angebotsformen war deshalb richtig und hat sich bewährt . 7. Welche fachliche Einschätzung nimmt die Senats- verwaltung zum Stand der Erziehungsstellen ein? 8. Gibt es hinsichtlich der Erziehungsstellen Weiter- entwicklungsbedarf, wenn ja welchen? Zu 7. und 8.: Das Angebot der „familienanalogen Betreuung “ wurde in Berlin vor 15 Jahren konzipiert. Es handelt sich dabei um ein trägerbezogenes Leistungsangebot für Kinder mit komplexen Hilfebedarfen, die nicht in größeren Gruppenzusammenhängen leben können. Die Leistung wird durch Träger der freien Jugendhilfe in einem institutionellen Rahmen erbracht. Die Nutzung der Infrastruktur einer Einrichtung wie z. B. die fachliche Begleitung der Erzieherinnen und Erzieher durch Leitung und Koordination, die Sicherung von Supervision und Fortbildung, die kollegiale Fallberatung, Teamsitzungen und fachlicher Austausch sind Bestandteil der Leistung. Das Leistungsangebot „Familienanaloge Angebote“ gehört zum Spektrum der stationären Leistungsangebote auf der Grundlage der §§ 34, 35 und 35a SGB VIII und ist vorrangig für die Unterbringung von Kindern unter 6 Jahren vorgesehen. Das Angebot ist für die Zielgruppe sehr geeignet und hat sich bewährt. Ein Weiterentwicklungsbedarf besteht insbesondere bezogen auf die Entwicklung von Verselbstständigungsmöglichkeiten für Jugendliche, die bereits langfristig in diesem Angebot gefördert wurden. Dabei soll die langjährige Betreuungskontinuität erhalten bleiben. Die Vertragskommission Jugend (VK Jug) wird sich 2013 mit dem Thema befassen . 9. Welchen Stand haben andere Formen der familien- ähnlichen Unterbringung für Kinder und Jugendliche in Berlin erreicht? Zu 9.: In Berlin werden ca. 500 Plätze in den An- geboten mit alternierend innewohnender Betreuung vorgehalten , die in der Regel mit ca. 90 % ausgelastet sind. 10. Welche rechtlichen Probleme gibt es hinsichtlich der temporär innewohnenden Fachkräfte in familienähnlichen Einrichtungen und wie werden diese behoben? Zu 10.: Das Arbeitszeitmodell des Leistungsangebotes Wohngruppen mit alternierend innewohnender Betreuung (WAB) wurde vom Landesamt für Gesundheit und technische Sicherheit (LAGetSi) geprüft. Sollte eine Veränderung der Rahmenleistungsbeschreibung notwendig sein, wird der Anpassungsbedarf in der VK Jug beraten und im Einvernehmen mit den Verbänden der Leistungserbringer vereinbart. 11. Inwieweit werden Pflegeeltern dazu ermutigt, etwa die Vormundschaft oder Pflegschaft für ihr Pflegekind zu übernehmen? Zu 11.: Die Übernahme der Vormundschaft für ein Pflegekind kann - besonders bei jüngeren Kindern und auf Dauer angelegter Vollzeitpflege - die Einbindung des Pflegekindes und den Zusammenhalt der Pflegefamilie unterstützen. In Fällen schwieriger Kooperation und Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Pflegefamilie und/oder bei älteren Kindern in Vorbereitung der Verselbstständigung , kann es jedoch von Bedeutung sein, dass die gesetzliche Vertretung des Kindes außerhalb des Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 095 3 Betreuungsverhältnisses liegt. Die Jugendämter prüfen die Verhältnisse im Einzelfall und beraten die Pflegeeltern entsprechend. Über die Vormundschaft entscheidet das Familiengericht. Die Jugendämter unterstützen das Familiengericht in allen Fragen der Vormundschaft (vgl. Drs. 17/10008). Berlin, den 20. November 2012 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Nov. 2012)