Drucksache 17 / 11 119 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Özcan Mutlu (GRÜNE) vom 24. Oktober 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Oktober 2012) und Antwort Gefährdung durch Feinstaub und CO2 an Berliner Schulen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wann wurden zuletzt an Berliner Schulen Feinstaub - und CO2-Untersuchungen vorgenommen und wie sehen die Ergebnisse dieser Untersuchungen aus? (sortiert nach Bezirk und Schule) Zu 1.: Im Zusammenhang mit länderübergreifenden Programmen wurden in den letzten Jahren einzelne exemplarische Räume in zwei Grundschulen unter Be- rücksichtigung verschiedener Reinigungs- und Lüftungs- regime untersucht. Darüber hinaus wurden auch auf Eu- ropäischer Ebene Berliner Schulen im Rahmen des Pro- jektes SINPHONIE untersucht. Dem LAGeSo liegen bis- her keine Untersuchungsergebnisse darüber vor. Die Zu- ständigkeit für diese Untersuchungen liegt beim Umwelt- bundesamt im Fachbereich Innenraumhygiene. 2. Wie werden die Grenzwerte der EU-Feinstaubverordnung , die für die Außenluft gelten, in den Klassen- räumen überprüft und eingehalten? Zu 2.: Ein Vergleich von Staubbelastungen der Innen- raumluft mit den Grenzwerten der Außenluft hinsichtlich des möglichen Gesundheitsrisikos ist nicht zulässig. Demzufolge können diese Grenzwerte auch nicht heran- gezogen werden. 3. Welche Behörden/Ämter sind für derartige Untersuchungen zuständig und welche gesetzlichen Regelun- gen/Vorgaben gibt es diesbezüglich? Zu 3.: Es gilt das Prinzip der Eigenverantwortung des Dienstherrn bzw. des Arbeitgebers, die Regelungen des Arbeitsschutzes einzuhalten. Die für Gesundheit zustän- digen Überwachungsbehörden (für Schülerinnen und Schüler das bezirkliche Gesundheitsamt und für Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Dienstkräfte das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin - LAGetSi) überprüfen i. d. R. anlassbezogen lediglich die Wahrnehmung dieser Ei- genverantwortung im Rahmen ihrer gesetzlichen Befug- nisse. 4. Wie beurteilt der Senat die Gefahr, die durch die zu hohen Belastungswerte durch CO2 und Feinstaub in Berliner Schulen entsteht und welche Maßnahmen wur- den/werden seitens des Senats unternommen, um dieser Gefahr zu begegnen? Zu 4.: Schwebstaub ist die Gesamtheit der luftgetra- genen Teilchen in der Außen- oder Innenraumluft. Von gesundheitlichem Interesse sind insbesondere solche Fraktionen, die eingeatmet werden können. Je kleiner die Partikel sind, desto weiter können sie in die Atemwege eindringen, wobei ultrafeine Partikel über die Lungen- bläschen bis ins Blut gelangen können. Die Partikel wer- den im Wesentlichen anhand ihrer Korngröße unterschie- den, wobei es sich nicht um eine scharfe Trennung han- delt. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Partikel kleiner 10 µm (PM10; PM = particulate matter) als „Feinstaub “ bezeichnet, da diese Fraktion als ein Maß zur Beurteilung von Feinstaubbelastungen in der Außenluft her- angezogen wird. Nach heute üblicher Sprachregelung handelt es sich bei der in PM10 enthaltenen feineren Fraktion PM2,5 um den eigentlichen Feinstaub. Während die „gröberen“ Schwebstaubanteile zwischen 2,5 und 10 µm vornehmlich im oberen Atemwegsbereich ihre Wir- kung entfalten, dringen die sog. alveolengängigen Stäube mit Partikelgrößen kleiner 2,5 μm (PM2,5) bis tief in die Lunge ein. Partikelgrößen kleiner als 0,1 μm, sogenannte ultrafeine Partikel (UFP), können nach Inhalation bis in die Blutbahn gelangen. In Abhängigkeit von ihrer Größe, Morphologie, chemischen Zusammensetzung usw. wer- den Feinstaubpartikel in Zusammenhang mit Reizerschei- nungen im Nasen-Rachenraum, mit Atemwegs- und Lun- generkrankungen, mit Herz-Lungen-Problemen bis hin zur Auslösung von Lungen-/Bronchialkrebs in Zusam- menhang gebracht. In Schulräumen, die regelmäßig ge- nutzt werden, ist die Schwebstaubkonzentration üblicher- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 119 2 weise höher als in der Außenluft. Dies hängt u.a. auch von der Art der Nutzung, der Zahl der Schülerinnen und Schüler, der Raumgröße, dem Lüftungsverhalten etc. ab. Beim „Feinstaub“ in Klassenräumen handelt es sich dabei überwiegend um die „gröberen“ PM10-Anteile. Ein Vergleich von Staubbelastungen der Innenraum- luft mit der Außenluft ist hinsichtlich eines möglichen Gesundheitsrisikos aufgrund anderer Quellen, der damit zusammenhängenden anderen chemischen Zusammenset- zung und größtenteils unbekannter Dosis-Wirkungs- beziehungen nicht zulässig. Hierzu fehlen noch Untersu- chungen. Unabhängig davon ist auch nach Ansicht des Um- weltbundesamtes (UBA) in Bezug auf den gegenwärtigen Kenntnisstand davon auszugehen, dass Partikel jeglicher Art und Herkunft gesundheitsschädliche Wirkungen ha- ben können. Die Innenraumlufthygiene-Kommission (IRK) beim UBA stellt fest, dass erhöhte Feinstaubkon- zentrationen in Innenräumen hygienisch unerwünscht sind, ohne dass damit bereits eine konkrete Aussage zum Gesundheitsrisiko verbunden ist. Eine Verringerung der Staubkonzentrationen der Luft dient damit der Vorsorge vor vermeidbaren Belastungen. Kohlendioxid (CO2) ist mit ca. 400 ppm (parts per million), das sind ca. 0,73 g/m³, natürlicher Bestandteil der Außenluft. In Innenräumen wird die Konzentration vorwiegend durch die Ausatemluft, die ca. 6 % Kohlendi- oxid enthält, durch die sich dort aufhaltenden Personen beeinflusst. Weitere Faktoren sind das Raumvolumen, die Aktivitäten, die Luftwechselrate und die Raumnutzung. Die Kohlendioxidkonzentration in Innenräumen wird des Weiteren als allgemeiner Indikator für menschliche Emis- sionen organischen Ursprungs einschließlich der Geruch- stoffe für die Beurteilung der hygienischen Raumluftsi- tuation genutzt. Erhöhte Kohlendioxidkonzentrationen in der Innen- raumluft von Schulen führen zwar nicht zu unmittelbaren gesundheitlichen Risiken, sie weisen vielmehr auf einen Lüftungsmangel und damit auf eine abträgliche hygieni- sche Situation hin. Bereits Innenraumluftkonzentrationen über 1000 ppm werden als ein Indikator für unzureichen- de Luftwechselraten angesehen. In zahlreichen Studien wird auf eine deutliche Zunahme von Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel und Konzentrationsschwäche bei erhöhten Kohlendioxidkonzentrationen über 1500 ppm hingewiesen. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der Innenraumlufthygiene-Kommission des UBA und der Obersten Landesgesundheitsbehörden hat im Sinne einer „Lüftungsampel“ folgende Leitwerte festgelegt:  < 1000 ppm: hygienisch unbedenklich, keine weiteren Maßnahmen  1000-2000 ppm: hygienisch auffällig, Luftwechsel soll erhöht werden  2000 ppm: hygienisch inakzeptabel, es muss gelüftet werden, weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Belüftbarkeit (u.U. auch durch sensorgesteuer- te Fensteröffnung oder andere Raumbelüftungssys- teme) müssen eingeleitet werden. Diese Einteilung wurde auch in die Technische Regel für Arbeitsstätten (ASR A3.6, Ausgabe 1/2012), die den Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und der Arbeits- hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftli- che Erkenntnisse für das Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten wiedergibt, übernommen. Eine ausreichende Lüftung ist neben der Vermeidung stofflicher Belastungen (z.B. flüchtiger organischer Ver- bindungen aus Bauprodukten) in der Innenraumluft von Schulen eine unabdingbare Grundlage, um die hygienisch unerwünschten Feinstaub- und CO2-Konzentrationen zu reduzieren und damit potenzielle Risiken zu vermindern. 5. Inwieweit wurden SchulleiterInnen und Elternund SchülerInnenvertreter über hohe Belastungswerte durch Feinstaub und CO2 und der davon ausgehenden Gefahr informiert? Zu 5.: Die Informationen an die Schulleitung waren und sind nach wie vor erforderlich. Sofern Belastungswerte vorliegen, welche eine Ge- sundheitsgefahr nicht ausschließen, erfolgt selbstverständ- lich eine Information der schulischen Gremien durch die Schulleitung. 6. Inwieweit hat die Senatsschulverwaltung als für die Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes verantwortliche Stelle mit den Schulträgern staubbinden- de Reinigungsverfahren für Unterrichtsräume vereinbart, um eine Gesundheitsgefährdung von SchülerInnen und dem Lehrpersonal zu vermeiden? Zu 6.: Mit Rundschreiben II Nr. 82/2005 „Feinstaub in Schulen“ vom 9.9.2005 hat die damalige Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport über die potentielle Belastung von Feinstaub in Schulgebäuden informiert und Handlungsempfehlungen für organisatorische Maßnah- men und Reinigungsleistungen erteilt. Diese Handlungs- empfehlungen sind mit den bezirklichen Schulbehörden einvernehmlich erstellt worden und gelten selbstverständ- lich auch weiterhin. 7. Wie viele finanzielle Mittel stehen örtlichen Schulträgern und den Schulen konkret für die Reinigung der Schulen und den schulischen Einrichtungen zur Verfü- gung? (sortiert nach Bezirken und Schultypen) 8. Wie ist die Entwicklung der Finanzmittel für den Bereich der Schulreinigung in den letzten fünf Jahren? (sortiert nach Schultyp, Jahr und Bezirk) Zu 7. und 8.: Bei den Schulen in bezirklicher Schul- trägerschaft wäre für eine angemessene Beantwortung der Fragen eine entsprechende Abfrage bei sämtlichen Bezir- ken Voraussetzung, da hierfür nur die Bezirke über die gewünschten Angaben verfügen. Da eine solche Abfrage arbeits- und damit zeitintensiv ist, kann diese in dem zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung ste- henden Zeitrahmen nicht geleistet werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 119 3 9. Welche sonstigen und konkreten Maßnahmen hat der Senat ergriffen, um die Feinstaub- und CO2- Belastung in Schulen zu vermindern? Zu 9.: Die Notwendigkeit der Sicherstellung von der Gesundheit zuträglichen Innenraumluft ergibt sich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Dienstkräfte aus der Arbeitsstättenverordnung, Anhang Anforderungen an Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1 im Zusammenhang mit der ASR 3.6. (http://www.baua.de/de/Themen-von-AZ /Arbeitsstaetten/ASR/pdf/ASR-A3- 6.pdf?__blob=publicationFile&v=2). Für Schülerinnen und Schüler gelten die Empfehlungen der Innenraumkommis- sion beim Umweltbundesamt (nachzulesen im "Leitfaden für die Innenraumhygiene in Schulgebäuden" des Um- weltbundesamtes). Das Infektionsschutzgesetz im § 36 fordert einen Hygieneplan, der die Spezifika der jeweili- gen Schule berücksichtigt. In dem Rahmen-Muster- hygieneplan für Berlin wird auf die Notwendigkeit der Erstellung von Lüftungs- und Reinigungsplänen auf der Grundlage des o.g. Schulleitfadens hingewiesen. Bei kon- sequenter Umsetzung dieser Pläne können Feinstaub- und Kohlendioxidgehalte wirksam reduziert werden. Die Er- stellung und Umsetzung dieser Pläne ggf. mit Unterstüt- zung durch sog CO2-Ampeln wird als wesentliche Maß- nahme zur Verbesserung der lufthygienischen Bedingun- gen angesehen. 10. Wie bewertet der Senat das Landesuntersuchungsprogramm in öffentlichen Einrichtungen (LUPE 1) – Interventionsstudie zur Verminderung der Feinstaubkon- zentration in Grundschulen bekannt und wie bewertet der Senat die Ergebnisse der Untersuchungen? 11. Welche Konsequenzen zieht der Senat aus den Ergebnissen des Programms für seine Arbeit und welche konkreten Maßnahmen hat der Senat infolge der oben genannten Untersuchungsergebnisse ergriffen?? Zu 10. und 11.: Nach landeseigenen Untersuchungen zur Innenraumluftqualität in Schulen wurde auf Anregung der Länder-Arbeitsgruppe Umweltbezogener Gesund- heitsschutz (LAUG) unter aktiver Beteiligung der (dama- ligen) Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz eine länderübergreifende Arbeitsgrup- pe zum Thema Feinstaub in Schulen gebildet. Über das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo) wurde die Landesmessstelle für Gefahrstoffrecht und In- nenraumhygiene im Landeslabor Berlin-Brandenburg (LLBB) mit der Teilnahme an LUPE beauftragt. Die bun- desweiten Untersuchungen erfolgten mit abgestimmter Messstrategie und vergleichbaren Messmethoden. Die Ergebnisse und Erfahrungen aus dieser Zusam- menarbeit sind bereits in den Leitfaden für Innenraumhy- giene in Schulgebäuden der Innenraumlufthygiene- Kommission (IRK) beim Umweltbundesamt eingeflossen. Sowohl zur gesundheitlichen Bedeutung von Feinstaub als auch zur gesundheitlichen Bewertung von Kohlendi- oxid in der Innenraumluft wurden unter Beteiligung der Landesmessstelle im Landeslabor Berlin-Brandenburg (LLBB) Veröffentlichungen der Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der IRK und der Obersten Landes- gesundheitsbehörden bekanntgemacht. Im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes wurde mit einem Schreiben der damaligen Senatsverwal- tung für Gesundheit, Umweltschutz und Verbraucher- schutz an die zuständigen Senatsverwaltungen und Be- zirksämter auf den o.g. Schulleitfaden hingewiesen, ins- besondere auch auf das Defizit hinsichtlich der Einhal- tung der Leitwerte für den Luftqualitätsindikator Kohlen- dioxid. Die Beachtung der vorliegenden Erkenntnisse wurde dabei empfohlen (Schreiben in Zusammenhang mit bevorstehenden Schulsanierungen aus Mitteln des Kon- junkturpaketes vom 21.04.2009). Die Hinweise organisa- torischer Art gelten ebenso für den normalen Schulbe- trieb. 12. Hat der Senat infolge der Ergebnisse der genannten Untersuchung weitere Untersuchungen auf Schadstof- fe in Klassenräumen durchgeführt? a) Wenn ja, wie lauten die Ergebnisse? b) Wenn nein, wieso nicht? Zu 12.: Diese Thematik ist in vielen Bundesländern und im europäischen Ausland (z.B. in Österreich) hinrei- chend untersucht. Wichtig ist nun die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. Durch den Einsatz von sog. CO2 –Ampeln in Klassenräumen kann durch das Lehrerpersonal zeitnah mit entsprechenden Lüftungsmaßnahmen reagiert werden. Weiterführende Untersuchungen werden in Schulen nach energetischer Sanierung empfohlen, die möglicher- weise ohne Beachtung entsprechender Lüftungskonzepte ggf. mit technischer Unterstützung zur Verschlechterung der Innenraumluft führen können. Berlin, den 19. November 2012 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Dez. 2012)