Drucksache 17 / 11 175 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 08. November 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. November 2012) und Antwort Strafvollzug und Behandlung in der Sozialtherapeutischen Anstalt Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Haftplätze werden in der Sozialtherapeu- tischen Anstalt (SothA) der JVA Tegel vorgehalten und wie viel Personal steht zur Verfügung (bitte getrennt nach Bereich I und II angeben)? Zu 1.: In der SothA der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel werden insgesamt 194 Haft-plätze vorgehalten. Davon stehen 160 Haftplätze im Bereich 1 und 34 Haft- plätze im Bereich 2 zur Verfügung. Für die Diagnostik, Behandlung und Betreuung der Inhaftierten des Bereichs 1 sind insgesamt 10,5 Stellen für Psychologinnen und Psychologen und 3 Stellen für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie 50 Stellen für den allgemeinen Voll- zugsdienst vorgesehen. Für Diagnostik, Behandlung und Betreuung der Inhaftierten des Bereichs 2 stehen 3 Stellen für Psychologinnen und Psychologen und 13 Stellen im allgemeinen Vollzugsdienst zur Verfügung. 2. Wie viele Inhaftierte befanden sich in den Jahren 2008 – 2012 jeweils zum Stichtag 1. Januar in der SothA (bitte getrennt nach Bereich I und II angeben)? Zu 2.: Die Gefangenenzahlen in der SothA der JVA Tegel zu den gewünschten Stichtagen lauten wie folgt: Bereich 1 Bereich 2 SothA Gesamtbelegung 2008 141 33 174 2009 135 29 164 2010 144 26 170 2011 146 29 175 2012 127 28 155 3. Wie viele Inhaftierte befinden sich aktuell in der SothA (bitte getrennt nach Bereich I und II angeben)? Zu 3.: Aktuell (7. November 2012) befinden sich 149 Inhaftierte in der SothA, davon 120 im Bereich 1 und 29 im Bereich 2. 4. Welche Therapieangebote mit wie vielen Therapie- plätzen werden für die Inhaftierten jeweils in den Berei- chen I und II der SothA vorgehalten und wie viele dieser Therapieplätze sind derzeit belegt? Zu 4.: Nachfolgende Therapieangebote werden vorge- halten; die entsprechenden Therapieplätze sind derzeit wie folgt belegt: - milieutherapeutischer Behandlungsbereich (gruppenund einzeltherapeutische Arbeit mit überwiegend jun- gerwachsenen Gewaltstraftätern): 22 Haftplätze; der- zeit belegt mit 12 Inhaftierten, - verhaltenstherapeutischer Behandlungsbereich (einzelund gruppentherapeutische Arbeit mit Gewalt- und Sexualstraftätern nach dem Richtlinienverfahren Ver- haltenstherapie): 33 Haftplätze; derzeit belegt mit 27 Inhaftierten, - tiefenpsychologischer Behandlungsbereich (Einzeltherapie sowie ergänzende Gruppentherapie nach den Richtlinienverfahren Tiefenpsycholo- gie/Psychoanalyse, überwiegend mit langstrafigen Gewalt- und Sexualstraftätern, darunter Sicherungs- verwahrte und Strafgefangene mit angeordneter Maß- regel): 33 Haftplätze; derzeit sind 28 Behandlungs- plätze belegt, - kognitiv-behaviorales Gruppentherapieprogramm für Sexualstraftäter mit mittlerem prognostischen Risiko (Bereich 2): 34 Haftplätze; derzeit belegt mit 29 Inhaf- tierten, - Eingangsbereich (umfassende Eingangsdiagnostik und Vorbereitung auf Therapie durch Gruppenbehandlung und Einzelgespräche): 18 Haftplätze; derzeit belegt mit 16 Inhaftierten, - Freigangsbereich (Entlassungsvorbereitung; Vermittlung in Arbeit): 18 Haftplätze; derzeit belegt mit 10 Inhaftierten, Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 175 2 - Vorbereitungsstation (Vorbereitung auf die Aufnahme in die SothA) und Nachsorgestation Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie - APP - (psychiatri- sche Nachsorge): 32 Haftplätze; derzeit belegt mit 27 Inhaftierten. 5. Wie hoch ist – falls festgelegt – die Minimal- bzw. Maximaldauer der angebotenen Therapien? 6. Wie hoch ist die vorgesehene Durchschnittsdauer der angebotenen Therapien? 7. Wie hoch ist die tatsächliche Durchschnittsdauer der angebotenen Therapien? Zu 5 bis 7.: Die Mindestbehandlungsdauer in der SothA untergebrachter Inhaftierter beträgt 20 Monate, die Höchstbehandlungsdauer in der Regel fünf Jahre. Die konkrete Behandlungsdauer richtet sich nach dem zu be- handelnden Störungsbild und kann im Einzelfall die Obergrenze von fünf Jahren auch überschreiten. Die ganz überwiegende Zahl der Behandlungen dauert nicht länger als drei Jahre. Die Behandlungsdauer ist für den Bereich 1 nicht festgelegt, sie beträgt durchschnittlich zwei bis drei Jahre. Im Bereich 2 wird die vorgesehene Behandlungs- dauer von 21 Monaten gelegentlich um einige Monate überschritten, wenn schwere Persönlichkeitsstörungen einzelner Gruppenmitglieder Auswirkungen auf die Gruppendynamik und damit auch auf die Behandlungs- dauer haben. Ein derartiges Vorgehen entspricht der Kon- zeption, deren Ziel nicht das „Abhaken“ bestimmter Module in einer bestimmten Zeit ist, sondern der flexible Umgang mit den Gruppenthemen in Abhängigkeit von der Gruppenzusammensetzung. Die mittlere Behand- lungsdauer im Bereich 2 liegt bei 20 bis 24 Monaten. 8. Wie viele Inhaftierte in der SothA werden derzeit noch nicht therapiert, weil sie auf einen frei werdenden Therapieplatz warten und wie lange ist die durchschnittli- che Wartezeit? Zu 8.: Grundsätzlich beginnt die Therapie in der SothA mit der Aufnahme. Aus diesem Grunde werden im Eingangsbereich während der Zeit, die die Eingangsdiag- nostik in Anspruch nimmt (je nach Reststrafe und Einzel- fallproblematik in der Regel drei bis neun Monate), be- reits zahlreiche Behandlungsangebote (wöchentliche Gruppe mit dem Leiter bzw. der Fachlichen Leiterin der SothA; regelmäßige Einzelgespräche mit dem Gruppen- leiter; wöchentliche Vollversammlungen; Teilnahme an Freizeitgruppen) gemacht. Wartezeiten auf frei werdende Therapieplätze innerhalb des Bereichs 1 gibt es derzeit nicht. Allerdings kommt es wegen der zeitlich gestuften Anfangszeitpunkte des Behandlungsangebotes im Bereich 2 (es handelt sich um eine geschlossene Gruppenbehand- lung) dazu, dass Inhaftierte gelegentlich einige Monate auf den Beginn dieses Behandlungsprogramms warten müssen. Dabei wird strikt darauf geachtet, dass diese Wartezeit nicht dazu führt, dass das Programm nicht mehr bis zu Ende absolviert werden kann. Zudem befinden sich diese Inhaftierten während der Wartezeit in der Regel bereits auf der Vorbereitungsstation der SothA, wo sie mit Behandlungsangeboten (regelmäßige sozialpädagogische Einzelgespräche, wöchentliche Vollversammlungen, strukturierte Freizeitangebote) auf die Gruppentherapie bereits vorbereiten werden. 9. Wie viele Inhaftierte, bei denen die Voraussetzun- gen für eine Verlegung in die SothA nach § 9 Strafvoll- zugsgesetz vorliegen, befinden sich zurzeit im Regelvoll- zug? Zu 9.: Die Frage nimmt vermutlich Bezug auf die In- dikationsstellungen für Sexualstraftäter nach § 9 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Längst nicht bei allen Sexualstraftätern ist eine stationäre sozialtherapeutische Behandlung angezeigt. Die Indikation für die Aufnahme in die SothA wird in der Einweisungsabteilung bzw. vom Psychologische Dienst nach den für eine Indikationsstel- lung relevanten Kriterien Behandlungsnotwendigkeit, Behandlungsbedürftigkeit, Behandlungsfähigkeit und (eingeschränkt) Behandlungsmotivation geprüft. Nur für etwa die Hälfte aller Sexualstraftäter (mit Freiheitsstrafen über zwei Jahren) wird eine solche Indikation gestellt. Alle diejenigen, bei denen diese Indikation bejaht wird, stellen sich unverzüglich in der SothA im Aufnahmege- spräch vor und werden zumeist innerhalb weniger Tage, allenfalls nach wenigen Wochen, aufgenommen, sofern sie sich nicht bereits zuvor auf der sogenannten Vorberei- tungsstation des Hauses (s. Antwort zu 4.) befunden ha- ben. Sie werden sodann (in der Regel nach Durchführung der umfangreichen Eingangsdiagnostik) abhängig vom Störungsbild dem kognitiv-behavioralen, dem verhaltens- therapeutischen, dem tiefenpsychologischen oder dem milieutherapeutischen Behandlungsbereich zugeführt. Auf der Warteliste für die SothA befinden sich derzeit nur neun Inhaftierte, von denen bereits fünf auf der Vor- bereitungsstation innerhalb des Hauses untergebracht sind. Von den verbleibenden vier Gefangenen hat keiner eine Indikation nach § 9 Abs. 1 StVollzG. Die Wartezeit hat in praktisch allen Fällen vollzugliche Gründe (z. B. Erbringen von Abstinenznachweisen als Voraussetzung für eine endgültige Aufnahme) und beläuft sich in aller Regel nur auf wenige Wochen. 10. Wie viele Inhaftierte wurden in den Jahren 2010 – 2012 ohne Abschluss einer begonnenen Therapie entlas- sen, weil das Ende der Haftzeit vor dem Therapieende lag, und wie viele davon haben die Therapie nach der Entlassung abgeschlossen? Zu 10.: Die Therapiemaßnahmen in der SothA orien- tieren sich ausnahmslos am (voraussichtlichen) Entlas- sungszeitpunkt. Da im Bereich 1 keine der angebotenen Therapiemaßnahmen einer bestimmten vorgegebenen Dauer unterliegt, ist dies unproblematisch. Im Bereich 2 hingegen dauert das modulgestützte kognitiv-behaviorale (drei-phasige) Gruppentherapiepro- gramm in aller Regel mindestens 20 Monate. Von daher Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 175 3 werden Inhaftierte mit deutlich kürzerem Strafrest dort nicht aufgenommen. In Einzelfällen ist es aber schon vor- gekommen, dass der Strafrest die Programmdauer gering- fügig unterschritt, dieses Behandlungsangebot jedoch für den Inhaftierten als Methode der Wahl angesehen wurde. In diesen Fällen wird dem Inhaftierten dann das fehlende (letzte) Modul nicht im Rahmen der Gruppe, sondern im Rahmen der begleitenden einzeltherapeutischen Gesprä- che angeboten. Inhaftierte, die ohne Abschluss der Thera- pie aus der SothA entlassen werden mussten, hat es in den letzten 10 Jahren nicht gegeben. Allerdings muss die Therapie in vielen Fällen auch nach Haftende im Rahmen ambulanter Nachsorge (etwa in der Forensisch-Therapeutischen Ambulanz) fortgesetzt werden. Dies liegt aber nicht an schlecht auf die Haftzeit abgestimmten Therapieprogrammen, sondern daran, dass die kriminalitätsverursachenden Faktoren mit Haftende nicht vollständig beseitigt sind, sondern einer längerfristi- gen Weiterbearbeitung bedürfen. In Einzelfällen werden auch Gefangene mit kürzeren Strafresten in die SothA aufgenommen, bei denen ein dringender Behandlungsbe- darf und ein hohes Rückfallrisiko besteht. Der Behand- lungsschwer-punkt besteht in diesen Fällen darin, eine kurze (Rest-)Strafzeit für die Anbindung an eine ambu- lante Nachsorgeeinrichtung zu nutzen. Berlin, den 28. November 2012 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Dez. 2012)