Drucksache 17 / 11 224 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE) vom 12. November 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. November 2012) und Antwort Anti-Gewalt-Training: Qualitätsstandards? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Anbieter veranstalten in Berlin im Auftrag der Justiz Anti-Gewalt-Trainings? Zu 1.: Fünf Träger der freien Jugendhilfe führen in Berlin Anti-Gewalt-Trainings auf der Grundlage einer jugendrichterlichen Weisung durch. Diese Trainings sind eine ambulante Maßnahme der Jugendhilfe nach dem Jugendgerichtsgesetz. Sie werden mit inhaltlich unter- schiedlichen Schwerpunktsetzungen und unterschiedli- cher Dauer (Kurz- und Langzeitkurse) umgesetzt. 2. Wie viele Jugendliche und Heranwachsende absolvierten im ersten Halbjahr 2012 auf staatsan- waltliche oder gerichtliche Initiative hin ein Anti-Gewalt- Training? Wie viele im Gefängnis, wie viel außerhalb? Zu 2.: Im 1. Halbjahr 2012 wurden insgesamt 109 Ju- gendliche und Heranwachsende durch Urteil bzw. Einstel- lungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten angewiesen, an einem Anti-Gewalt-Training, Anti-Gewalt-Seminar bzw. Anti-Gewalt-Kurs teilzunehmen. Unter Berücksichtigung, dass auch Jugendliche und Heranwachsende am Anti-Gewalt-Training teilnahmen, die noch im 2. Halbjahr 2011 eine entsprechende Wei- sung erhalten hatten, wurden die Anti-Gewalt-Trainings im ersten Halbjahr 2012 als:  Anti-Gewalt-Kurs von 124 Jugendlichen und Heranwachsenden (Umfang je Kurs 30 Stunden) und  Sozialer Trainingskurs von 84 Jugendlichen und Heranwachsenden (Umfang je Kurs 120 Stunden) absolviert. In der Jugendstrafanstalt gibt es verschiedene Angebo- te im genannten Bereich: Zwei Honorarkräfte bieten pro Jahr drei Kurse mit dem Titel „Deeskalationstraining“ an. Die Kurse mit jeweils 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmern dauern je- weils drei Monate und finden zweimal pro Woche á drei Stunden statt. Die „Violence Prevention Network“ bietet zudem unter dem Titel „Abschied von Hass und Gewalt “ jährlich einen Kurs mit 38 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an. Zum ständigen jährlichen Angebot der Jugendstrafanstalt gehört darüber hinaus das so genannte „Konfliktlotsentraining“ mit 27 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im ersten Halbjahr 2012. In der sozialthera- peutischen Abteilung der Jugendstrafanstalt wird halb- jährlich eine Deliktbearbeitungsgruppe „Gewalt“ durchgeführt , die jeweils 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat. Im ersten Halbjahr haben insgesamt 47 inhaftierte Ju- gendliche und Heranwachsende einen Anti-Gewalt- Trainingskurs abgeschlossen. Unter Berücksichtigung der bereits im ersten Halbjahr begonnenen, aber noch nicht beendeten und der noch im zweiten Halbjahr stattfinden- den Kurse werden bis zum Jahresende voraussichtlich 132 Inhaftierte einen entsprechenden Kurs abgeschlossen ha- ben. In der Jugendarrestanstalt werden keine klassischen Anti-Gewalt-Trainingskurse durchgeführt. Vielmehr führt die Jugendarrestanstalt seit 2005 ein eigenes Trainings- programm, das Modulare Kompetenztraining, im Wo- chenrhythmus durch. Das Training deckt die Bereiche Aggression und Gewalt durch verschiedene Module ab. 3. Gibt es Qualitätsstandards für Anti-Gewalt- Trainings in Berlin? Welche konkret? Zu 3.: Die von Jugendlichen und Heranwachsenden auf Grund einer jugendgerichtlichen Weisung absolvier- ten Anti-Gewalt-Kurse und Soziale Trainingskurse wer- den von Trägern der freien Jugendhilfe mit Berlineinheit- lichen Standards umgesetzt. Diese geben die Inhalte und Struktur der Leistung sowie die erforderliche Qualifikati- on der Trainerinnen und Trainer vor. Die Durchführung bzw. Umsetzung wird auf der Grundlage von Trägerver- trägen, die zwischen der für Jugend zuständigen Senats- verwaltung und den Trägern der freien Jugendhilfe abge- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 224 2 schlossen sind, gewährleistet. Zu den Qualitätsstandards konkret gehören u.a. die Festschreibungen:  zur jeweiligen Zielgruppe und den zu erreichenden Richtungs- und Handlungs-zielen,  zu den angewandten Methoden,  zu den personellen Voraussetzungen,  zu den Regelleistungen (z.B. Gruppengröße i.d.R. 5 - 7 Teilnehmerinnen/Teilnehmer, Leitung durch zwei sozialpädagogische Fachkräfte),  zu den Maßnahmen der Qualitätsentwicklung (z.B. regelmäßige Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Teilnahme an trägerinterne Praxisbe- ratung und Fachveranstaltungen, externe Supervi- sion),  zum durchzuführenden Qualitätsdialog zu den Qualitätsebenen, Struktur-, Prozess- und Ergebnis- qualität zwischen dem vertragsgebundenen Träger, der Fachstelle der für Jugend zuständigen Senats- verwaltung und den für die Jugendlichen/Heran- wachsenden zuständigen Jugendämtern sowie darü- ber hinaus  zur Beschäftigung von festangestellten sowie auf Honorarmittelbasis arbeitenden sozialpädagogischen Fachkräften. Hier ist ein Prozentsatz im Verhältnis von 80/20 anzusetzen, damit Kompetenz im Leistungsbereich gewährleistet und die notwendige Flexibilität sichergestellt werden kann (vgl. Rund- schreiben Jugend Nr. 7/2005). 4. Auf welche methodisch-theoretischen Grundla- gen stützt sich die Trainingsarbeit? Wird die Moti- vation für die Gewalthandlung regelmäßig in das Trainingsprogramm einbezogen? Zu 4.: Das jeweilige Training wird auf der Grundlage fachlich anerkannter Methoden der sozialen Gruppenar- beit mit straffällig gewordenen jungen Menschen durch- geführt. Die Träger der freien Jugendhilfe arbeiten nach unterschiedlichen Schwerpunktthemen und konzeptionell unterschiedlichen pädagogischen Ausrichtungen. Die Umsetzung erfolgt auf der Grundlage von  sozialkognitiv orientierten Trainings,  konfrontativ orientierten Trainings,  handlungs- und erlebnisorientierten Trainings,  verhaltenstheoretisch orientierten Trainings oder  psychoanalytisch orientierten Trainings. Welche Trainings jeweils konkret zum Einsatz kom- men, entscheidet der jeweilige Leistungsanbieter in Ab- hängigkeit von der Konzeption und dem Vorhandensein einer entsprechenden Zusatzqualifikation bzw. zertifizier- ten Zusatzausbildung. Die Bearbeitung der Motivation für die Gewalthand- lung ist ein immanenter Bestandteil aller Trainingspro- gramme. 5. Welche Qualifikation müssen die Anbieter von Anti-Gewalt-Trainings aufweisen? Zu 5.: Die Anbieter von ambulanten Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz (Anti-Gewalt-Kurse und Sozia- le Trainingskurse) sind vertraglich an die Umsetzung der Berliner Standards gebunden. Dazu gehört der Einsatz sozialpädagogischer Fachkräfte, die über eine persönliche und fachliche Qualifikation verfügen, die dem besonderen Hilfebedarf und dem spezifischen Auftrag des Leistungs- angebotes entspricht. Sozialpädagogische Fachkräfte be- nötigen eine zertifizierte Zusatzausbildung oder Zu- satzqualifikation für die entsprechende Trainingsmethode. 6. Gibt es Fortbildungsangebote für Anti-Gewalt- TrainerInnen in Berlin? Zu 6.: Das Thema „Umgang mit Gewalt“ ist in vielen Seminarangeboten des Sozialpädagogischen Fortbil- dungsinstitutes Berlin-Brandenburg (SFBB) für Fachkräf- te der Kinder- und Jugendhilfe enthalten. Die Anti- Gewalt-Trainer-Ausbildung wird laufend veranstaltet und gut nachgefragt. Das SFBB hält hierzu folgendes Angebot vor:  Antigewalt- und Kompetenztrainerinnen und Kompetenztrainer in der Jugendhilfe,  Deeskalationstraining I – Handlungsfähigkeit in Gewaltsituationen,  Deeskalationstraining II – Aufbauseminar,  Umgang mit hoch eskalierten Konflikten – Grundkurs und Aufbaukurs,  Konfliktmanagement und Mediation,  Systemischer Umgang mit Angst, Wut und Gewalt ,  Mit theaterpädagogischen Methoden Konflikte „spielend“ zu bearbeiten,  Umgang mit „schwierigen“ Situationen – lösungsorientiert denken und handeln. Die Kurse werden evaluiert, die Inhalte werden stän- dig den neuen Erkenntnissen aus Wissenschaft und Praxis angepasst. 7. Gibt es statistische Erhebungen zum Erfolg von Anti-Gewalt-Trainings? Wird die Rückfallquote erhoben? Weshalb nicht? 8. Werden die Berliner Anbieter von Anti-Gewalt- Trainings extern wissenschaftlich evaluiert? Von wem und was sind die Ergebnisse? Zu 7. und 8.: Anti-Gewalt-Trainings werden in Berlin sowohl von einer Vielzahl von Anbietern als auch in Form vielfältig differenzierter Angebote im Bereich der „Anti-Gewaltarbeit“ durchgeführt. Die einzelnen Anbieter evaluieren ihre Angebote entsprechend ihres Qualitäts- managements. Eine systematische Zusammenführung der Ergebnisse, insbesondere unter dem Aspekt der Wirk- samkeitsprüfung ist für das Jahr 2013 geplant. Berlin, den 03. Januar 2013 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Jan. 2013)