Drucksache 17 / 11 296 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 30. November 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Dezember 2012) und Antwort Vollzugslockerungen in den Einrichtungen des geschlossenen Männervollzugs Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie haben sich die verschiedenen Formen der Voll- zugslockerungen und die Gewährung von Hafturlaub in den Jahren 2008 bis 2012 jeweils in den einzelnen Teilan- stalten der Justizvollzugsanstalten des geschlossenen Männervollzugs quantitativ entwickelt (bitte nach Art der Lockerung bzw. Hafturlaub unterscheiden)? Zu 1.: Die quantitative Entwicklung der Urlaubs-, Ausgangs- und Freigangsmaßnahmen im geschlossenen Männervollzug ist den nachfolgenden Tabellen zu ent- nehmen. Die Angaben beruhen auf den von den Justiz- vollzugsanstalten übermittelten Zahlen. Diese liegen für das Jahr 2012 noch nicht vor. Sie werden erst nach Ab- schluss des Kalenderjahres 2012 seitens der Justizvoll- zugsanstalten übermittelt. Urlaub gemäß §§ 13, 15, 35, 36, 43, 124 Strafvoll- zugsgesetz (StVollzG) Anzahl der Genehmigungen pro Jahr: Jahr JVA Charlottenburg JVA Plötzensee JVA Mo- abit JVA Tegel Summe *TA I TA II TA III *SothA TA V TA VI JVA Tegel gesamt 2008 809 138 6 0 6 23 609 523 510 1.671 2.624 2009 987 79 1 1 4 1 435 250 88 779 1.846 2010 805 69 13 0 0 15 896 469 121 1.501 2.388 2011 1.100 14 4 0 8 24 933 701 235 1.901 3.019 * TA = Teilanstalt / SothA = Sozialtherapeutische Anstalt Ausgang gemäß §§ 11, 15, 35, 36, 43 StVollzG Anzahl der Genehmigungen pro Jahr: Jahr JVA Charlottenburg JVA Plötzensee JVA Mo- abit JVA Tegel Summe *TA I TA II TA III *SothA TA V TA VI JVA Tegel gesamt 2008 5.703 1.124 12 1 32 80 2.391 1.710 2.019 6.233 13.072 2009 7.436 652 13 3 35 2 2.642 1.815 1.268 5.765 13.866 2010 5.938 520 20 18 20 68 4.227 2.827 1.513 8.673 15.151 2011 5.530 154 37 0 188 107 3.990 3.076 1.401 8.762 14.483 * TA = Teilanstalt / SothA = Sozialtherapeutische Anstalt Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 296 2 Freigang gemäß § 11 StVollzG Anzahl der Genehmigungen pro Jahr: Jahr JVA Charlotten- burg JVA Plötzensee JVA Mo- abit JVA Tegel Summe *TA I TA II TA III *SothA TA V TA VI JVA Tegel gesamt 2008 0 0 0 0 0 0 35 0 0 35 35 2009 0 0 0 0 0 0 26 0 0 26 26 2010 0 0 0 0 0 0 41 0 0 41 41 2011 0 0 0 0 0 0 39 0 0 39 39 * TA = Teilanstalt / SothA = Sozialtherapeutische Anstalt Zu dieser Tabelle ist anzumerken, dass Strafgefange- ne, die für den Freigang geeignet sind, in die JVA des Offenen Vollzuges verlegt werden. Eine Ausnahme bil- den die in der SothA untergebrachten Strafgefangenen, die auch nach der Zulassung zum Freigang in der JVA Tegel verbleiben. 2. Welche Maßnahmen hat der Senat unternommen, um eine möglichst frühzeitige Resozialisierung aller In- haftierten unter Einsatz der gebotenen Eingliederungs- maßnahmen zu forcieren? Zu 2.: Die Chancen für eine gelungene Integration Haftentlassener sind in erheblichem Maße davon abhän- gig, dass Hilfesysteme inner- und außerhalb des Justiz- vollzuges sowie eingeleitete und einzuleitende Maßnah- men bestmöglich aufeinander abgestimmt sind. Deshalb beteiligen sich alle Haftanstalten des Männervollzuges bereits seit 2009 an aus Mitteln des Europäischen Sozial- fonds geförderten Projekten im Aufgabenbereich Über- gangsmanagement. Neben der Prozessoptimierung vor- handener Verfahrensabläufe in den Justizvollzugsanstal- ten selbst sowie dem Identifizieren und Erproben transfer- tauglicher "best-practice-projects" in Europa liegt ein Schwerpunkt der Projekte im Aufbau stabiler ressort- und trägerübergreifender Netzwerkstrukturen mit dem Ziel, die soziale Integration Haftentlassener zu verbessern und ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu befördern. Hierbei ist der Justizvollzug zwingend auf durchgängige Unterstützung Externer angewiesen. In insgesamt fünf von sieben integrationsrelevanten Themenfeldern konnten zwischenzeitlich operative ress- ort- und trägerübergreifende Arbeitskreise etabliert wer- den, die regelmäßig zusammenkommen. Lösungsorien- tiert wird hier für die Vorteile gleitender Übergänge in der Entlassungsvorbereitung sensibilisiert und es werden ge- meinschaftlich zielführende Kooperationsstrukturen ent- wickelt. 3. Wie stellt der Senat sicher, dass bei jeder Entlas- sung von Inhaftierten wegen Strafverbüßung ein entspre- chendes Übergangsmanagement, zwingend vorausgehen de Lockerungsmaßnahmen zur Erprobung und eine ent- sprechende Entlassungsbegleitung inklusive sozialthera- peutischer Krisenangebote sichergestellt sind? Zu 3.: Der Wiedereingliederungsprozess Inhaftierter ist durch unterschiedliche Phasen und Übergänge gekenn- zeichnet. Soweit es das Zeitfenster der konkreten Entlas- sungsvorbereitung betrifft, ist dies in § 15 StVollzG ein- deutig geregelt. Im Focus der Entscheidung steht hier die objektive Eignung des Gefangenen für die jeweilige Maßnahme. Flankierend gibt es in den Justizvollzugsan- stalten regelmäßige Gruppentrainings und Einzelbera- tungsangebote zur Vorbereitung der individuellen Entlas- sungssituation. Hier arbeitet der Berliner Justizvollzug traditionell mit verschiedenen Trägern der Freien Straffäl- ligenhilfe zusammen. Für Gefangene, die in der SothA der JVA Tegel behandelt werden, sieht § 124 StVollzG zur Vorbereitung auf die Entlassung eine Beurlaubung von bis zu sechs Monaten vor. Von diesem Instrument profitieren insbesondere Risikotäter, indem ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, unter den kontrollierten Bedingungen einer engen Begleitung durch eine Fach- dienstmitarbeiterin bzw. einen Fachdienstmitarbeiter den Übergang in die Freiheit zu bewältigen. 4. Was unternimmt der Senat, damit die zu Haftbeginn im Rahmen des Einweisungsverfahrens für die Inhaftier- ten gestellte Legalprognose regelmäßig fachdienstlich überprüft und gegebenenfalls so angepasst wird, dass frühzeitige Lockerungen einen möglichst hohen Resozia- lisierungserfolg und eine möglichst niedrige Rückfallquo- te ermöglichen? Zu 4.: Die Behandlungsuntersuchung gem. § 6 StVollzG mündet bei Straflängen über einem Jahr in der Regel in einem Vollzugsplan gemäß § 7 StVollzG. Die Fortschreibung der Planung unterliegt zeitigen Überprü- fungsvorgaben, die je nach Haftdauer zwischen drei und zwölf Monaten liegen. Bei Gefangenen mit kurzen Rest- strafen von weniger als einem Jahr entspricht der Voll- zugsplan einer Integrationsplanung und ist von Beginn an auf die Anbindung an externe Einrichtungen ausgerichtet. Die legalprognostische Ersteinschätzung im Rahmen des Einweisungsverfahrens wird regelhaft bei jeder Voll- zugsplanfortschreibung überprüft und entsprechend dem Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 296 3 Erkenntnisstand aktualisiert. Bei verschiedenen Fallgrup- pen (Gewalt- und Sexualstraftäter mit einem Strafmaß von über zwei Jahren, zu lebenslanger Freiheitsstrafe ver- urteilte Strafgefangene sowie Strafgefangene mit ange- ordneter bzw. vorbehaltener Sicherungsverwahrung) wird vor Entscheidungen, die für den Vollzugsverlauf relevant sind (z. B. Prüfung der Eignung für Vollzugslockerungen) der psychologische Dienst einbezogen. Es wird eine Un- tersuchung (besonders gründliche Prüfung) durchführt, deren Ergebnisse in einer fachpsychologischen Stellung- nahme dokumentiert und in der Regel in der Vollzugs- plankonferenz vorgetragen und diskutiert werden. Im Berliner Justizvollzug wurden Erhebungs- und Dokumentationsinstrumente entwickelt, die seit vielen Jahren in allen Vollzugsanstalten im Einsatz sind und regelmäßig aktualisiert werden. In diesen standardisierten Arbeitsinstrumenten für Behandlungsuntersuchung, Voll- zugsplan, Vollzugsplanfortschreibung und Stellungnahme zur vorzeitigen Entlassung müssen Prognoseeinschätzun- gen vorgenommen und ggf. Veränderungen gegenüber früheren Einschätzungen kenntlich gemacht und begrün- det werden. Mit verschiedenen qualitätssichernden Maß- nahmen werden die Fachdienste in die Lage versetzt, Prognoseeinschätzungen fachgerecht durchführen zu kön- nen. Zu nennen sind insbesondere Fortbildungsveranstal- tungen, Fallseminare, in-house-Schulungen und Supervi- sion, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fachdienste die erforderlichen Kenntnisse vermittelt wer- den und der anstalts- bzw. bereichsübergreifende profes- sionelle Austausch der Fachdienstkräfte gefördert wird. 5. Gibt es bereits Überlegungen zu Standards eines modernen Resozialisierungsvollzugs im Rahmen der Vorbereitung für einen Entwurf eines Gesetzes über den Strafvollzug im Land Berlin? Zu 5.: Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbrau- cherschutz hat bereits federführend an der Erarbeitung eines länderübergreifenden Musterentwurfes für ein Lan- desstrafvollzugsgesetz mitgewirkt. Der Musterentwurf trägt den Anforderungen an einen konsequent am Resozi- alisierungsgedanken sowie an rechts- und sozialstaatli- chen Erwägungen ausgerichteten Strafvollzug Rechnung, indem er die Einführung eines in der Regel standardisier- ten Diagnostikverfahrens vorsieht, das eine zügige und genaue Analyse von Ursachen, die der Straffälligkeit zu Grunde liegen, ermöglicht. Dabei wird der Blick nicht nur auf Defizite, sondern auch auf die Fähigkeiten der Gefan- genen und deren Stärkung gerichtet, mit dem Ziel, einer erneuten Straffälligkeit entgegenzuwirken. Überdies wird von Beginn der Haftzeit an ein deutlicher Schwerpunkt auf die Eingliederung der Gefangenen in das Leben in Freiheit gelegt. Eine Erweiterung der Möglichkeiten der Erprobung in Lockerungen ist ebenso vorgesehen wie Anreize zur Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen. Der Entwurf enthält darüber hinaus eine Evaluationsklausel, die die Justizverwaltung verpflichtet, die Wirksamkeit der eingesetzten Instrumente und Verfahren im Hinblick auf eine Verbesserung der Legalprognose zu überprüfen. Mit- telfristig kommt dies einer Verbesserung der Rückfallquo- te zugute. 6. Wann ist mit der Vorlage eines Referentenentwurfs für ein Gesetz über den Strafvollzug im Land Berlin zu rechnen, welchen Zeitplan und welche Möglichkeiten zur öffentlichen Erörterung plant der Senat? Zu 6.: Ein Referentenentwurf wird im Laufe des kommenden Jahres erarbeitet. Der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz ist daran gelegen, im Rah- men der in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Ber- liner Verwaltung vorgesehenen Anhörung beteiligter Fachkreise und Verbände aber auch drüber hinaus in an- gemessener Form die Erfahrungen und Erkenntnisse von Beschäftigten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern freier Träger und eines möglichst breiten Teils der Fachöffent- lichkeit in den Gesetzgebungsprozess mit einfließen zu lassen. Berlin, den 03. Januar 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Januar 2013)