Drucksache 17 / 11 301 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Alexander J. Herrmann (CDU) vom 03. Dezember 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Dezember 2012) und Antwort Hochwassergefahr in Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie bewertet der Senat aktuell und zukünftig das Risiko von Überschwemmungen und Hochwasser in Berlin? Antwort zu 1: Nach europäischer Hochwasserrisiko- managementrichtlinie (HWRM-RL), umgesetzt im Was- serhaushaltsgesetz (WHG), wurde die Bewertung des Hochwasserrisikos durch die Senatsverwaltung für Stadt- entwicklung und Umwelt (SenStadtUm) bis Ende 2011 vorgenommen. Hochwasserrisiken verbunden mit Über- schwemmungen bestehen für Abschnitte der Erpe, der Müggelspree mit Gosener Wiesen, der Panke, des Tegeler Fließes sowie der Unteren Havel. Frage 2: Welche detaillierten Zahlen und Statistiken liegen dieser Einschätzung (bitte unterteilt nach Bezirken und Jahren) zugrunde? Antwort zu 2: Für die Ermittlung der maßgebenden Kenngrößen wurden im Land Berlin folgende Verfahren eingesetzt:  Pegelstatistik  Niederschlag-Abfluss-Modelle (Hydrologisches Modell ) gekoppelt mit numerisch-hydraulischen Modellen Bei der Pegelstatistik werden die Jahreshöchstwerte einer Abfluss- oder Wasserstandsreihe einer statistischen Hochwasserhäufigkeitsanalyse unterzogen. Der empiri- schen Verteilung dieser Abfluss- oder Wasserstandsreihen wird eine theoretische Verteilungsfunktion angepasst und aus dieser heraus das 100-jährliche Hochwasserereignis extrapoliert. Die zu ermittelnden Jährlichkeiten sollten dabei nicht größer sein, als die dreifache Länge der Be- obachtungsreihe. Für die Ermittlung des HQ100 wurden deshalb Pegel ausgewählt, die mehr als 30 Jahre auf- zeichnen. So werden an den Tiefwerder Wiesen seit 48 Jahren Wasserstände und Abflüsse aufgezeichnet, am Pegel Köpenick seit 81 Jahren die Wasserstände. Der zu- grunde gelegte Beobachtungszeitraum für den Pegel Kö- penick wurde auf 39 Jahre verkürzt, um die hochwasser- entlastenden Maßnahmen im Einzugsgebiet der Spree zu berücksichtigen. Mit Niederschlag-Abfluss-Modellen können Abflüsse vorgegebener Jährlichkeiten mit Bemessungsniederschlä- gen berechnet werden. Dabei wird dem simulierten Ab- fluss die gleiche Jährlichkeit zugeordnet wie dem Bemes- sungsniederschlag. Diese Methode wurde im Land Berlin für Panke, Tegeler Fließ und Erpe angewendet. Nach Er- mittlung der Abflüsse mit einem Niederschlag-Abfluss- Modell (N-A-Modell) werden diese mit Hilfe eines hyd- raulisch-numerischen Modells in Wasserstände im Ge- wässer überführt werden. Die aus der Pegelstatistik bzw. den Modellberechnun- gen resultierenden Wasserspiegel werden mit dem Digita- len Geländemodell (DGM) verschnitten. Hieraus erhält man als Ergebnis die Grenzen der Ausuferung. Die bei einem Hochwasser mit einer Auftrittswahr- scheinlichkeit von einmal in 100 Jahren überschwemmten Flächen betragen:  Erpe: 0,33 km²  Müggelspree : 1,8 km²  Gosener Wiesen: 2,5 km²  Panke: 0,51 km²  Tegeler Fließ: 0,90 km²  Untere Havel mit Tiefwerder Wiesen und Breitehorn: 2,00 km² Frage 3: Gibt es vor diesem Hintergrund seitens des Senats die Absicht, in Berlin Überschwemmungsgebiete festzusetzen? Antwort zu 3: Für die unter 2 genannten Gebiete wer- den Überschwemmungsgebiete zunächst vorläufig (ab Januar 2013) gesichert und bis Ende 2013 festgesetzt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 301 2 Frage 4: Wie bewertet der Senat in diesem Zusam- menhang den infolge des weitläufigen Berliner Wasser- netzes mit Flüssen und Seen vorhandenen natürlichen Überschwemmungsschutz? Antwort zu 4: Die Flussseen im Bereich von Spree und Havel haben grundsätzlich eine retendierende Wir- kung. Allerdings sind die Wasserstände im Berliner Was- sernetz stark durch die Stauhaltungen geprägt. Diese Stauhaltungen bewirken wiederum, dass die Rückstaube- reiche bis weit oberhalb der Wehre ihre Wirkung entfal- ten. Im Rahmen der Aufstellung von Hochwasserrisiko- managementplänen bis Ende 2015 werden alle Maßnah- menoptionen zur Minimierung des Risikos unter Beach- tung signifikanter Nutzungsansprüche untersucht. Frage 5: Welche Gebiete in den Berliner Bezirken sind gegebenenfalls im Einzelnen als Hochwasserschutz- räume vorgesehen? Antwort zu 5: An der Panke (Bezirk Pankow und Mit- te) werden die vorhandenen Hochwasserrückhaltebecken optimiert. Durch Aufweitungen, Laufverlängerungen und Erhöhung der Rauheit im Bereich der Parkanlagen (Schlosspark Niederschönhausen, Bürgerpark wirken die- se retendierend. An der Erpe (Bezirk Treptow-Köpenick) wird der Be- reich nördlich der Landesgrenze (LSG Erpetal) in Ab- stimmung mit dem Land Brandenburg als Retentionsraum aktiviert. Die Möglichkeit und Effektivität weiterer Rückhalte- möglichkeiten wird im Rahmen der Aufstellung der Hochwasserrisikomanagementpläne untersucht. Frage 6: Welche Auswirkungen auf die Siedlungsge- biete wären insoweit hinsichtlich Grundwasseranstieg /Überflutungsgefährdungen infolge Hochwasserausgleich zu erwarten? Antwort zu 6: Sämtliche Maßnahmen zum Hochwas- serausgleich dürfen keine nachteiligen Auswirkungen auf angrenzende Siedlungsgebiete nach sich ziehen. Frage 7: Welche Steuerungsmechanismen zur Scha- densvermeidung sind in den einzelnen Gebieten vorgese- hen? Antwort zu 7: Ziel der HWRM-RL ist die Verringe- rung des Risikos hochwasserbedingter nachteiliger Folgen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kultur- erbe und die wirtschaftlichen Tätigkeiten. Hierzu werden bis Ende 2015 erstellt. Für diese sind angemessene und an das gefährdete Gebiet angepasste Ziele und Maßnahmen zu identifizieren, z.B. aus den Bereichen Flächenvorsorge, Natürlicher Wasserrückhalt, technischer Hochwasser- schutz, Bauvorsorge, Risikovorsorge, Vorhaltung und Vorbereitung der Gefahrenabwehr und des Katastrophen- schutzes. Frage 8: Wie werden Grundstückseigentümer als Hochwasserbetroffene im Bedarfsfall vom Land Berlin entschädigt? Antwort zu 8: Der Bundesgesetzgeber misst der priva- ten Bau- und Verhaltensvorsorge zur Prävention bzw. Minderung von Hochwasserschäden einen hohen Stel- lenwert bei. So bestimmt § 5 Absatz 2 des Wasserhaus- haltsgesetzes: "Jede Person, die durch Hochwasser betrof- fen sein kann, ist im Rahmen des ihr Möglichen und Zu- mutbaren verpflichtet, geeignete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor nachteiligen Hochwasserfolgen und zur Schadensminderung zu treffen, insbesondere die Nutzung von Grundstücken den möglichen nachteiligen Folgen für Mensch, Umwelt oder Sachwerte durch Hochwasser an- zupassen." Der gesetzliche Vorrang privater Vorsorge bei Be- grenzung auf die Zumutbarkeit entspricht dem Grundsatz der Privatautonomie und Eigenvorsorge, dem Haushalts- grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und dem Sozialstaatsgebot. Dies bedeu- tet, dass nicht beliebig jedes Schadenspotential angehäuft und ausschließlich dem staatlichen Schutz unterstellt wer- den darf. Neben baubezogener Vorsorge kommt deshalb insbesondere auch der Abschluss einer Elementarscha- densversicherung gegen Hochwasserschäden in Betracht. Eine Entschädigung der Hochwasserbetroffenen durch das Land Berlin kommt nach den gesetzlichen Regelun- gen nur dann in Betracht, wenn die öffentliche Hand ihrer Pflicht zur rechtzeitigen Information und Warnung der Bevölkerung über Hochwasserereignisse (§ 79 Absatz 2 WHG) nicht nachgekommen ist und insoweit eine Amts- pflichtverletzung vorliegt. Daneben haften staatliche Stel- len auch wie jeder Private deliktisch bei widerrechtlicher und schuldhafter Verletzung des Rechtsgüter von Dritten auf Schadensersatz (§ 823 Bürgerliches Gesetzbuch). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 301 3 Frage 9: In welchem Umfang wird durch den Senat vor einer etwaigen Festsetzung von Überschwemmungs- gebieten eine Beteiligung der betroffenen Anlieger si- chergestellt? Antwort zu 9: Nach Bekanntmachung der Allgemein- verfügung (ab Januar 2013) zur vorläufigen Sicherung der Überschwemmungsgebiete liegen Text und Karten in den Bezirksämtern sowie bei SenStadtUm zur Einsichtnahme aus. Entsprechend § 76 (4) wird die Öffentlichkeit über die vorgesehene Festsetzung der Überschwemmungsge- biete in 2013 informiert und Möglichkeit zur Stellung- nahme gegeben. Darüber hinaus sind auf der Homepage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Informationen zu Hochwassersituation allgemein sowie zu den Überschwemmungsgebieten, zu den rechtlichen Konsequenzen und zu den Möglichkeiten der Schadens- minderung zeitgleich mit der Bekanntmachung verfügbar. Berlin, den 27. Dezember 2012 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Jan. 2013)