Drucksache 17 / 11 339 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Martin Delius (PIRATEN) vom 11. Dezember 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Dezember 2012) und Antwort Quo Vadis Gemeinschaftsschulen in Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele und welche Gemeinschaftsschulen im Land Berlin besitzen eine Schülervertretung nach den §§ 83-85 SchulG Berlin? Wie viele und welche Gemeinschaftsschulen im Land Berlin führen regelmäßig Voll- versammlungen durch? Welche Unterstützung erhalten Gemeinschaftsschulen in Berlin vom Senat, um partizipa- tive und demokratische Strukturen auszubauen? Zu 1.: Selbstverständlich besitzen auch alle Gemein- schaftsschulen (GemS) gesetzlich vorgesehene Schüler- vertretungen und organisieren eigenverantwortlich die entsprechenden Versammlungen der Selbstverwaltungs- gremien. Besondere Unterstützung auch zum Ausbau par- tizipativer und demokratischer Strukturen haben die Ge- meinschaftsschulen in der Pilotphase durch die Unterstützung eines zentral organisierten Qualifizierungsteams und spezielle Tagungen zu diesem Thema erhalten. Wo er noch nicht bestand, wurde z.B. nach der Tagung zum Thema Partizipation („Beteiligung macht stark“ im September 2010) der Klassenrat in GemS eingeführt. – Die Schulen werden in dieser Hinsicht auch weiter durch Maßnahmen etwa der regionalen Fortbildung oder durch entsprechende Programme unterstützt. 2. Welche Maßnahmen sind im Senat in Planung, um Gemeinschaftsschulen als Versuchs- oder Modellschulen bzw. als Reformschulen in Berlin zu etablieren, in denen reformpädagogische oder moderne Konzepte der Schul- und Unterrichtsentwicklung entwickelt und erprobt wer- den können? Sieht der Senat hierzu eine Änderung des §17a SchulG als notwendig an? Zu 2.: Alle Gemeinschaftsschulen erhielten zur Reali- sierung ihrer modellhaften Schulentwicklungsaufgaben und zur Umsetzung der damit verbundenen reformpäda- gogischen Konzepte zusätzliche personelle und sächliche Mittel (für die Organisation der Schulentwicklung, für Fortbildung und Qualifizierung) sowie entsprechende zentrale und dezentrale Qualifizierungs- und Unterstüt- zungsangebote (s. auch Antworten auf die Punkte 3, 4, 7 und 8). Nach der Koalitionsvereinbarung 2011 wird die Pi- lotphase Gemeinschaftsschule fortgeführt und weiter wis- senschaftlich begleitet und evaluiert. Die bestehenden Ausstattungsstandards zur Unterstützung des Starts (Fort- bildungsbudget, zusätzliche Stellenanteile) werden für neue Gemeinschaftsschulen für jeweils zwei Jahre beibe- halten. Eine Änderung des §17a Schulgesetz (SchulG) ist da- her nicht erforderlich. 3. Nach der Begleitstudie 2012 setzten 8 von 11 Ge- meinschaftsschulen – trotz hohem Aufwand - im Schuljahr 2011/12 geplante binnendifferenzierte und individua- lisierte Arrangements in ihrer Didaktik um. Dort gab und gibt es z.B. unterschiedliche Aufgabenformate und Lern- büros für die heterogene bzw. vielfältige Schülerschaft. Welchen Maßnahmen ergreift der Senat, damit im laufen- den Schuljahr 2012/2013 und in Zukunft tatsächlich alle Gemeinschaftsschulen die zentralen Ideen der Pilotphase tatsächlich umsetzen, wie z.B. die Binnendifferenzierung und die Individualisierung des Lernens sowie die Abkehr von äußerer Leistungsdifferenzierung und von sonstigen Maßnahmen zur Selektion? Zu 3.: Die in den Berichten der wissenschaftlichen Begleitung dokumentierten Fortschritte hinsichtlich der Realisierung binnnendifferenzierter und individualisie- render Arrangements sind gerade auch im Hinblick auf die relativ kurze Entwicklungszeit als enormer Fortschritt zu werten. Die Fortsetzung dieser Entwicklung wird durch die in Punkt 1 und 2 geschilderten Maßnahmen und weitere Unterstützungen von regionaler Fortbildung und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wis- senschaft bei der Weiterentwicklung von Differenzierungskonzepten und adäquaten Formen der Leistungsbe- urteilung gewährleistet. Die „Abkehr von äußerer Leistungsdifferenzierung “ als Organisationsprinzip ist verpflichtend für die GemS. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 339 2 4. Frau Quandt vom Verband Bildung und Erziehung betonte in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Ju- gend und Familie am 18.10.2012, dass Methoden und Arrangements, wie z.B. Binnendifferenzierungen oder selbstregulierendes Lernen Teile des Rahmenplans Grundschule seien. Offensichtlich werden jene didakti- schen sinnvollen Maßnahmen aber nicht oder nur teilwei- se umgesetzt. Kann der Senat dies bestätigen? Wenn ja: Welche Ursachen führt der Senat für das Problem an? 5. Sieht der Senat es als sinnvoll an, die Erkenntnisse zur Schulentwicklung, die im Rahmen der Pilotphase Gemeinschaftsschule gewonnen wurden, auch auf Grund- oder Sekundarschulen in Berlin anzuwenden? Wenn ja, was plant der Senat hierzu konkret, was hat er bereits ge- tan und was wird er in Zukunft tun? 6.2 75% der Gemeinschaftsschulen führen erfolgrei- che individuelle Lernberatungen oder Lernprozessreflexi- onen durch (z.B. mit der Hilfe von Portfolios, Logbü- chern, Kompetenzrastern...). Welche Ursachen kann der Senat dafür nennen, dass 25% der 11 untersuchten Ge- meinschaftsschulen auf jene sinnvollen und modernen Leistungsdokumentationen und Rückmeldungen nicht zurückgreifen und welche Maßnahmen ergreift der Senat, um Gemeinschaftsschulen bei der Einführung von Lern- beratungen oder Lernprozessreflexionen zu unterstützen? Zu 4., zu 5. und 6.2: Die Umsteuerung hin zu stärker selbstregulierendem Lernen sowie zur nachhaltigen und breiten Entfaltung von Methoden und Arrangements zur Binnendifferenzierung ist nur als langfristiger Prozess zu realisieren. Während die entsprechenden Bemühungen im Grundschulbereich schon weiter fortgeschritten sind, hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissen- schaft in den letzten Jahren auf diesem Gebiet auch im Zusammenhang mit der Schulstrukturreform erhebliche Anstrengungen unternommen: etwa durch das Qualitäts- paket, das Qualifizierungsprogramm, die Verpflichtung, ein Differenzierungskonzept zu entwickeln oder die Überprüfung der Fortschritte bei binnendifferenzierenden Maßnahmen durch die Schulinspektion. Diese Bemühun- gen werden fortgesetzt, die Berichte der wissenschaftli- chen Begleitung werden veröffentlicht (siehe auch Ant- wort zu 12.). 6.1 In den Naturwissenschaften erzielen viele Schü- ler/-innen in Gemeinschaftsschulen – so die Begleitstudie 2012 - eher schlechtere Ergebnisse. Wie plant der Senat die von der Begleitstudie herausgearbeiteten Ursachen - Unterrichtsausfälle und Lehrerwechsel im laufen Schul- jahr - in Zukunft zu beheben, um die Leistung der Schü- ler/-innen in dem Bereich zu stärken bzw. um die not- wendigen strukturellen Bedingungen für gute Schülerleis- tungen zu schaffen? Zu 6.1: Bei den Ergebnissen in den Naturwissenschaf- ten ist zu berücksichtigen, dass die Resultate der Lern- standserhebungen zunächst einmal große Erfolge der Ge- meinschaftsschulen in den Bereichen Schreiben und Lesen ergeben haben. Hierauf konzentrierten sich die Maß- nahmen der Schulen vor allem auch deshalb, weil damit erst die Voraussetzungen für weitere Lernfortschritte ge- rade auch lernschwacher Schüler gegeben sind. Für die in den Ergebnissen noch nicht so erfolgreichen Fächer, wie etwa Fremdsprachen und Naturwissenschaften, wird jetzt ein besonderes Augenmerk auf die Fortbildungen gerich- tet und entsprechende Unterstützungsmaßnahmen werden entwickelt. 7. Lediglich in zwei der untersuchten 11 Gemein- schaftsschulen kooperieren Lehrkräfte hervorragend. Welche Maßnahmen ergreift der Senat dafür, dass in Ge- meinschaftsschulen Bedingungen geschaffen werden, sodass z.B. gegenseitige Hospitationen (Unterrichtsbesu- che) ermöglicht werden oder Zeiten für kollegiale Bera- tungen eingerichtet werden können? Zu 7.: Auch für die Bereiche der individuellen Lernbe- ratung oder Prozessreflexion sowie zur Kooperation der Lehrkräfte gilt das unter Punkt 3 und 4 Gesagte. Die er- reichten Fortschritte liegen im Bereich dessen, was realis- tisch zu erwarten ist oder darüber. Um diese Entwicklung weiter voranzubringen, gibt es zusätzliche Angebote ge- rade auch im Bereich kollegialer Beratungen und Hospita- tionen. 8. Es gibt - so die Ergebnisse der Begleitstudie 2012 - Entwicklungsbedarf bei der Kooperation der Eltern mit Gemeinschaftsschulen. Wie wird der Senat hierauf reagie- ren? Welche Ursachen sieht der Senat? Wird der Senat sich dafür einsetzen, Anreize für Eltern zu schaffen, so- dass diese enger mit den Gemeinschaftsschulen zusam- menarbeiten? Zu 8.: Eine weitergehende Einbindung der Eltern wird von allen Beteiligten sehr ernst genommen. Hierzu wer- den von den Schulen mit Unterstützung der für Bildung zuständigen Senatsverwaltung weitergehende Initiativen zur Zusammenarbeit - gerade auch mit Eltern nichtdeut- scher Herkunft - entwickelt und durch vielfältige Ange- bote von Kooperationspartnern unterstützt. 9. Frau Gabriela Anders-Neufang, Schulleiterin der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule bemängel- te in der Sitzung des Ausschusses Bildung, Jugend und Familie am 18.10.2012 den Erzieher/-innen-Kind- Schlüssel von drei Schulgruppen mit 26 Kindern und zwei Erzieher/-innen. Gedenkt der Senat das Problem zu klären und mehr Erzieher/-innen an Gemeinschaftsschu- len einzustellen? Zu 9.: Gemäß der "Verwaltungsvorschriften von Er- zieher/innen und Sozialarbeiter/innen, Pädagogischen Unterrichtshilfen und Betreuer/innen/sonstiges pädagogi- sches Personal an öffentlichen allgemein bildenden Schu- len und Internaten“ werden an gebundenen Ganztagsgrundschulen , zu denen die Grundstufe der Gemein- schaftsschule gehört, für die Zeit von 7:30 Uhr bis 16:00 Uhr in der Schulanfangsphase 0,75 Stellen für Erzieherinnen und Erzieher pro Lerngruppe bereitgestellt und in den Jahrgangsstufen 3 bis 6 erhalten die Lerngruppen für die- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 339 3 sen Zeitraum 0,5 Erzieherinnen und Erzieher pro Lern- gruppe. Für die über die Zeit des gebundenen Ganztags- betriebs hinausgehende Zeit der ergänzenden Förderung und Betreuung erhält die Schule auf der Grundlage der durch die Eltern gebuchten Module eine Ausstattung ge- mäß der o. g. Verwaltungsvorschrift. Dieser Zumessung liegt eine Gruppengröße von 22 Schülerinnen und Schü- lern zugrunde. 10. Wird der Senat in der Planungsphase der kom- menden wissenschaftlichen Begleitungen dafür sorgen, dass wichtige empirische Fragen sauber formuliert wer- den, dass z.B. auf „Oder“-Konstruktionen in standardisierten Fragebögen verzichtet wird? Zu 10.: Die weitere Planung der wissenschaftlichen Begleitung folgt national und international anerkannten Standards, die auch in der Umsetzung der wesentlichen Fragestellungen in empirisch relevanten Items eingehalten werden. 11. Ist es geplant, in einer der kommenden wissen- schaftlichen Begleitstudien das Vorhandensein einer Grundstufe oder einer Oberstufe an der Gemeinschafts- schule und die hieraus resultierenden Auswirkungen jeweils tiefergehend zu analysieren? Zu 11.: Ja. 12. Ist es möglich, dass das Abgeordnetenhaus das Studiendesign bzw. die Planungen der kommenden wis- senschaftlichen Begleitstudien erhält oder dass diese im Vorfeld veröffentlicht werden, sodass Abgeordnete, Ver- antwortliche und Interessierte bereits vorher wissen, wo- ran konkret geforscht wird und woran nicht? Zu 12.: Die grundlegende Konzeption der wissen- schaftlichen Begleitung für die Fortsetzung ihrer Arbeit ist in ihrem letzten Bericht enthalten und auf den Internet- seiten der für Schule zuständigen Senatsverwaltung do- kumentiert. Die weitere Planung erfolgt in kontinuierli- cher Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlicher Be- gleitung und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Die Dokumentation entsprechender Konzepte und Ergebnisse erfolgt über Zwischenberichte. Berlin, den 11. Februar 2013 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Feb. 2013)