Drucksache 17 / 11 361 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Jasenka Villbrandt (GRÜNE) vom 10. Dezember 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Dezember 2012) und Antwort Ambulante Hilfe zur Pflege (I): Rechte und Pflichten von Pflegediensten und dem Träger der Sozialhilfe Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Auf welcher vertraglichen Grundlage mit welchen wesentlichen Rechten und Pflichten beruht die Zusam- menarbeit zwischen Pflegediensten und den bezirklichen Sozialämtern? Zu 1.: Die Zusammenarbeit zwischen Pflegediensten und den bezirklichen Sozialämtern beruht auf dem Berli- ner Rahmenvertrag (BRV) gemäß § 79 Absatz 1 SGB XII für Hilfen in Einrichtungen einschließlich Diensten im Bereich Soziales - BRV - (http://www.berlin.de/sen/soziales/vertraege/sgb12/ko75/ brv.html) und den Vereinbarungen gemäß § 75 Absatz 3 SGB XII (siehe Anlage zum BRV über die Erbringung von Leistungen der Haushilfe und der Haus- pflege nach § 27 Absatz 3, § 61 ff., § 70 SGB XII) mit den Beschlüssen 2/2001 und 6/2011 der Kommission 75 vom 13.09.2011. Dabei sind Regelungen des SGB XI (siehe etwa § 61 Absatz 2 Satz 2, Absatz 6 SGB XII, § 62 SGB XII, § 75 Absatz 5 SGB XII) und der Rahmen- vertrag (RV) gemäß § 75 Absatz 1 und 2 SGB XI zur ambulanten pflegerischen Versorgung – RV SGB XI (siehe etwa Ziff. 17.4. BRV, § 3 Anlage zum BRV = Verein- barung gemäß § 93 Bundessozialhilfegesetz anzuwenden (http://www.berlin.de/sen/soziales/vertraege/- sgb11/pambu/index.html). Wesentliche Rechte und Pflichten sind: Die Pflege- dienste müssen die im Einzelfall bedarfsgerechte und notwendige Versorgung Leistungsberechtigter nach dem SGB XII übernehmen. Der Pflegedienst muss die im RV nach SGB XI festgelegten organisatorischen Vorausset- zungen, Qualitätsmaßstäbe, Voraussetzungen im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Spar- samkeit, den Nachweis des Personaleinsatzes sowie die Anforderungen an die Pflegedokumentation erfüllen. Die Leistungen werden gewährt, wenn den Bezirksämtern von Berlin als zuständigem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass ein leistungsauslösender Hilfebedarf vorliegt. Der gesamte Hilfebedarf der leistungsberechtigten Person ist zu berücksichtigen. Der Pflegedienst muss Kontakt zum zuständigen Bezirksamt aufnehmen, wenn sich Än- derungen im Betreuungsbedarf abzeichnen und einen Be- treuungsplan vorlegen. Die Leistungen werden nach Leis- tungskomplexen vergütet. Diesen sind Punktzahlen zuge- ordnet. Die Multiplikation von Punktzahl und Punktwert ergibt den Abgeltungs-betrag. Der Punktwert ergibt sich aus der Vereinbarung nach § 89 SGB XI. 2. Ist es zutreffend, dass der entsprechende Rahmen- vertrag seit mehr als zehn Jahren schwebend unwirksam ist? Wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus diesem Umstand, warum hat er diesen Zustand seit Jahren geduldet und welche finanziellen oder qualitativen Nachteile hat das Land aufgrund dieses Umstandes erlit- ten? Wenn nein, welcher der die Leistungserbringung und Leistungsabrechnung im Bereich der ambulanten Hilfe zur Pflege betreffende Vertrag ist wann in und wann au- ßer Kraft getreten? Zu 2.: Nein. Der BRV ist wirksam. Die für ambulante Hilfe zur Pflege geltende Anlage zum BRV (Vereinba- rung nach § 93 BSHG alt = § 75 Absatz 3 SGB XII) ist nach wie vor wirksam und wurde zudem durch mehrere Beschlüsse der Kommission 75 aktualisiert und bestätigt, Beschluss 2/2001 und Beschlüsse 6/2011. 3. Wie beurteilt der Senat in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des Rechtsamts des Bezirksamts Neu- kölln zum Rahmenvertrag? Zu 3.: Der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung liegt eine interne Stellungnahme des Bezirksamts Neu- kölln als Anlage zu einem Schreiben des Bezirksamts Neukölln vor. Rechtliche Fragen dazu wurden bereits mehrfach mit Vertreterinnen und Vertretern der Bezirks- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 361 2 ämter in einer Arbeitsgruppe („AG Teilstrategie 1“) erörtert , die von der für Soziales zuständigen Senatsverwal- tung initiiert wurde und sich mit Regelungsänderungs- bedarf zur Bekämpfung von Missbrauch in der ambulan- ten Hilfe zur Pflege in Berlin befasst. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden zurzeit noch erarbeitet und werden in die für 2013 anstehenden jeweiligen Rahmenvertrags- verhandlungen ein-fließen. Änderungsvorschläge können vor Einbringen in die Verhandlungen nicht veröffentlicht werden. 4. Welche Veränderungen an den bestehenden, ggf. auch schwebend unwirksamen Regelungen hält der Senat im Bereich der ambulanten Hilfe zur Pflege für notwen- dig, wie und mit welchem Ergebnis wurden die Bezirke in dieser Frage eingebunden, wie und bis wann will der Se- nat die für notwendig gehaltenen Änderungen vertraglich vereinbaren und welche der geplanten Änderungen stär- ken die Stellung der öffentlichen Hand gegenüber den zumeist privatwirtschaftlich organisierten Pflegediensten? Zu 4.: Seit Mitte 2012 erarbeiten Vertreterinnen und Vertreter aller Bezirksämter und des Landesamtes für Gesundheit und Soziales mit Vertreterinnen und Vertre- tern der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung unter Einbindung der Senatsverwaltung für Finanzen Ände- rungsbedarfe, die in Regelungen zur besseren Bekämp- fung von Missbrauch in der ambulanten Hilfe zur Pflege in Berlin münden werden. Die Ergebnisse der Arbeits- gruppe werden zurzeit noch erarbeitet und in die für 2013 anstehenden jeweiligen Rahmenvertragsverhandlungen einfließen (siehe auch Antwort zu Frage 3). 5. Hält der Senat an seiner Auffassung fest, dass die Regelungen rund um die ambulante Hilfe zur Pflege mit den Pflegeverbänden ausgehandelt werden müssen und nicht – wie sonst üblich bei der Vergabe von vergüteten Dienstleistungen – die öffentliche Hand festlegen kann, in welcher Qualität und in welchem Verfahren die Dienst- leistung zu erfolgen hat? Wenn ja, warum hält er an seiner Auffassung fest und wie will der Senat die Rechte der öffentlichen Hand unter diesem Vorzeichen stärken? Zu 5.: Das Vergaberecht findet auf die Rechtsbezie- hungen zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Träger der Pflegeeinrichtung keine Anwendung. Voraussetzung für die Anwendung des Vergaberechts wäre ein entgeltli- cher Vertrag zwischen öffentlichem Auftraggeber und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen. Die zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer nach § 75 Absatz 3 SGB XII zu schließenden Vereinbarungen sind keine entgeltlichen Verträge in diesem Sinne. Gegen- stand dieser Vereinbarungen ist ein Sachleistungsver- schaffungsanspruch im Rahmen des sozial-rechtlichen Dreiecks zu Gunsten der leistungsberechtigten Person. Die konkrete Beauftragung eines Pflegedienstes nimmt nicht der Sozialhilfeträger, sondern die leistungsberech- tigte Person in Ausübung seines ihm zustehenden Wunsch- und Wahlrechts vor. Das Aushandeln von Regelungen zwischen Kosten- trägern und Pflegeverbänden hat der Bundesgesetzgeber im SGB XI und SGB XII vorgegeben. Die Inhalte für den Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI sind - gesetzlich ver- bindlich - mit den Vereinigungen der Träger der ambulan- ten Pflegeeinrichtungen („Pflegeverbände“) auszuhandeln . Dies gilt ebenso für die Inhalte des Rahmenvertrags nach § 79 SGB XII. Auch hier sind die Pflegeverbände per Gesetz Verhandlungspartner. Vergütungen müssen gemäß § 89 Absatz 1 Satz 1 SGB XI nach einheitlichen Grundsätzen vereinbart werden. Deshalb verhandeln die Kostenträger - einschließlich des Sozialhilfeträgers - auch über die Vergütungsvereinbarungen nach § 89 SGB XI mit den Pflegeverbänden. Im Verhandlungswege wird der Sozialhilfeträger al- lerdings Vorschläge zur Stärkung seiner Rechte einbrin- gen (siehe auch Antwort zu 3). 6. Hat der Senat den Bezirken eine umfassende, pra- xisorientierte und verständliche Zusammenfassung ihrer Rechte und Kontrollmöglichkeiten im Bereich der Hilfe zur Pflege zur Verfügung gestellt und welche Sanktions- möglichkeiten ergeben sich derzeit aus den vertraglichen Regelungen bei Verstößen durch die Pflegedienste? Wenn ja, wann und kann diese der Antwort des Sena- tes beigefügt werden? Wenn nein, warum nicht und bis wann soll dieser Mangel behoben werden? Zu 6.: Den Bezirksämtern liegt ein Rundschreiben von 2005 zur ambulanten Hilfe zur Pflege vor. Die Bezirks- ämter erarbeiten derzeit gemeinsam mit der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung aktualisierte Regelungen zu Rechten und Kontrollmöglichkeiten (siehe auch Ant- wort zu Frage 3 und Frage 4). Die derzeitigen Sanktions- möglichkeiten ergeben sich aus dem BRV und dem RV nach § 75 SGB XI sowie aus dem außerordentlichen Kündigungsrecht gemäß § 78 SGB XII. 7. Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus dem Pflegeneuausrichtungsgesetz und welche Maßnahmen hat er bezüglich der seit langem diskutierten und ab dem 1. Januar 2013 geschaffenen Möglichkeit zur Abrechnung der Pflege in Stundenkontingenten unternommen? Zu 7.: Die Neuregelungen des Pflege-Neuausrich- tungs-Gesetzes (PNG) zu Stundenvergütung und Häusli- cher Betreuung hat der Senat positiv zur Kenntnis ge- nommen, da in der Vergangenheit die Pflegebedürftigen, deren Angehörige und die Bezirksämter immer wieder das Fehlen einer solchen Zeitabrechnung kritisiert haben. Er erwartet dadurch nicht nur Verbesserungen für die Pflegebedürftigen, sondern im Ergebnis in geeigneten Fällen auch eine finanzielle Entlastung des Sozialhilfeträ- gers. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und die Senatsverwaltung für Finanzen haben sich ge- meinsam mit den Pflegekassen im Vorfeld und unmittel- bar nach Inkrafttreten des PNG am 30.10.2012 zu den im ersten Schritt angestrebten Verhandlungszielen abge- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 361 3 stimmt und am 08.11.2012 die Pflegeverbände zu Ver- handlungen der Vergütungsvereinbarungen nach § 89 SGB XI aufgefordert. Diese wurden am 10.12.2012 in einer ersten Sitzung aufgenommen. Die Pflegeverbände und die Kostenträger haben wechselseitig zu Rahmenver- tragsverhandlungen nach § 75 SGB XI aufgerufen und diese ebenfalls am 10.12.2012 aufgenommen und dort ein gemeinsames Informationsschreiben zum aktuellen Stand der Verhandlungen vereinbart und zwischenzeitlich abge- stimmt. Weitere Ergebnisse liegen zurzeit noch nicht vor. Über das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz hat der Senat die Bezirksämter mit Rundschreiben vom 05.12.2012 informiert (Rundschreiben II Nr. 06/2012 über Art. 1 des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes -PNG-; Neuregelungen im SGB XI und ihre Auswirkungen in Bezug auf Leistun- gen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII). Berlin, den 16. Januar 2013 Mario C z a j a _____________________________ Senator für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Jan. 2013)