Drucksache 17 / 11 439 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Daniel Buchholz (SPD) und Ina Czyborra (SPD) vom 17. Januar 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Januar 2013) und Antwort Forschungsreaktor Wannsee (I): Keine Sicherheit im Katastrophenfall – wann werden Forderungen des „Stresstests“ und der Reaktor-Sicherheits-Kommission umgesetzt? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie beurteilt der Senat den Bericht der Re- aktor-Sicherheits-Kommission vom 3.5.2012 „Anlagenspezifische Sicherheitsüberprüfung deutscher Forschungs- reaktoren (…)“? Antwort zu 1: Die Reaktor-Sicherheits-Kommission (RSK) hat auf Basis der von den zuständigen Aufsichts- behörden durchgeführten Sonderüberprüfungen und unter Verwendung zusätzlicher Unterlagen die Robustheit der deutschen Forschungsreaktoren bei Einwirkungen, die die Auslegung der Anlagen überschreiten, betrachtet. Im Fal- le des BER II schloss sich die RSK weitgehend der Auf- fassung der Aufsichtsbehörde an. An einigen Stellen iden- tifizierte sie darüber hinausgehenden Prüfbedarf. Dieses Ergebnis wird vom Senat in Anbetracht der Erfahrungen aus Fukushima als sinnvoll angesehen. Der Senat schließt sich der Feststellung der RSK an, dass in der Stellungnahme die für die Forschungsreakto- ren ausgewiesenen Kriterien allein einer Bewertung der vorhandenen Reserven dienen. Sie stellen keine Sicher- heitsanforderungen im Sinne eines Regelwerks dar, wie sie Voraussetzung der Genehmigung einer kerntechni- schen Anlage sind und deren Einhaltung im laufenden Betrieb ständig nachzuweisen ist. Die Hinweise in der RSK-Stellungnahme wurden verwendet, um weitere mögliche Maßnahmen zur Erhö- hung der Robustheit der Anlage gegenüber auslegungs- überschreitenden Ereignissen zu identifizieren, zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen. Frage 2: Welche der in dem Bericht genannten Maß- nahmen bei naturbedingten Ereignissen am Forschungsre- aktor Wannsee BER II a) sind bereits umgesetzt, b) sind noch zu prüfen, c) erfordern Nachrüstungen, die bis wann abgeschlos- sen sind? Antwort zu 2: Naturbedingte Einwirkungen werden in der RSK-Stellungnahme im Abschnitt 1.1.1 zusammen- fassend bewertet und im Abschnitt 5.2.2 für den BER II detaillierter betrachtet. Bezüglich der Auswirkungen na- turbedingter Auswirkungen auf den BER II sieht die RSK keinen über die Empfehlungen des von der Aufsichtsbe- hörde beauftragten Sachverständigen hinausgehenden Bedarf an ergänzenden Prüfungen und Nachrüstungen. Zu dieser Thematik hatte der Sachverständige zwei Maßnahmen empfohlen: 1) Durch das Anbringen weiterer Notüberläufe an den Flachdächern der Reaktorhalle und der Experimen- tierhalle solle sichergestellt werden, dass auch bei ver- stopften Entwässerungsleitungen und bei Eintritt des Last- falls Jahrhundertregen ein mittlerer Wasserstand von 5 cm nicht überschritten werden kann. Sachstand: Die Installationen sind technisch bereits Anfang 2012 umgesetzt worden und sind funktionsbereit. Die Begutachtung ist allerdings noch nicht abgeschlossen. (Eine Maßnahme gilt formal erst dann als umgesetzt und abgeschlossen, wenn ihre technische Durchführung durch einen Sachverständigen der Aufsichtsbehörde mit positi- ven Ergebnis begutachtet wurde und die Aufsichtsbehörde dies dem Betreiber gegenüber bestätigt hat.) 2) Ergänzende Prüfung von Ermüdungsbeanspruchungen des Abluftkamins durch Windlast. Sachstand: Die Ergebnisse einer Nachbetrachtung des Betreibers liegen der Aufsichtsbehörde noch nicht vor. Frage 3: Welcher der in dem Bericht genannten Ver- besserungsvorschläge bei anlageinternen Problemfällen beim BER II (Überflutungen, Brände …) a) sind bereits umgesetzt, b) müssen noch umgesetzt werden, c) sind bis wann voraussichtlich umgesetzt? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 439 2 Antwort zu 3: Die Robustheit der Vorsorgemaßnah- men – die in der Frage mutmaßlich angesprochen ist – wurde in der RSK-Stellungnahme im Abschnitt 1.1.3 zu- sammenfassend dargestellt. a) Folgende Maßnahmen wurden bereits technisch umgesetzt und befinden sich in der Sachverständigenprü- fung: 1) Installation von Feuchtemeldern im Bereich der Kellerräume, um massive Wassereinbrüche (z.B. durch Bruch einer Stadtwasserleitung) frühzeitig zu erkennen und das Wartepersonal zu informieren. 2) Einer der vorgesehenen Einspeisepunkte für den Anschluss externer Notstromaggregate an die Stromver- sorgung und/oder die Notstromversorgung des BER II, um im Bedarfsfall die Zeit für deren Anschluss an die Elektroversorgung zu verkürzen, ist bereits installiert. Ein zweiter wird voraussichtlich bis Oktober 2013 installiert werden. 3) Die seitens der RSK geforderte Aktualisierung des Brandschutzkonzeptes wurde vorgelegt. Hierin wird, wie von der RSK empfohlen, auch auf eine Beeinträchtigung des Reaktorbeckens und des Umsetzbeckens qualitativ eingegangen. Die Begutachtung der Unterlage durch den Sachverständigen ist in Arbeit. b)+ c): Folgende Maßnahmen sind noch nicht umge- setzt, befinden sich derzeit noch in Arbeit bzw. werden derzeit noch geprüft: 1) Die RSK empfiehlt, die Maßnahme „Einspeisung von Kühlwasser in das Reaktorbecken“ im Rahmen der Überprüfung des Notfallschutzkonzepts und der Erstel- lung eines Notfallhandbuches zu präzisieren und ggf. durch technische Maßnahmen so zu ergänzen, dass in keinem Fall ein Betreten der Reaktorhalle erforderlich wird. In diesem Zusammenhang soll auch die Rückspei- sung von Leckagewasser betrachtet werden. Sachstand: Es existieren bereits unterschiedliche Sys- teme und Optionen, um in einem Notfall Wasser in das Reaktorbecken nachspeisen zu können. Auch stehen meh- rere Wasserreservoire zur Verfügung. Inwieweit es mög- lich ist, der Empfehlung der RSK vollständig Rechnung zu tragen, wird zzt. noch geprüft, da ihre Umsetzung nicht zu sicherungstechnischen Nachteilen führen darf. 2) Das Notfallhandbuch für den BER II ist in Anlehnung an die „Rahmenempfehlung für die Planung von Notfallschutzmaßnahmen durch die Betreiber von Kern- kraftwerken" zu überarbeiten. Im Notfallhandbuch wird auch die Behandlung von Maßnahmen der Informa- tionsgewinnung bei einem durch einen Unfall verursach- ten Ausfall der regulären Messysteme erfolgen. Sachstand: Wesentliche Teile des Notfallhandbuches existierten bereits vor der Sonderüberprüfung, wenn auch unter anderem Titel. Die Erstellung einer an die Rahmen- empfehlungen angepassten Fassung eines Notfallhand- buchs für den BER II ist in Arbeit. Teile einer Entwurfs- fassung wurden bereits vorgelegt. Bis zum Ende des 1. Quartals 2013 soll ein vollständiger Entwurf zur Prü- fung vorliegen. Im Übrigen ist ein Notfallhandbuch keine statische Unterlage, sondern unterliegt einer ständigen Aktualisierung und Weiterentwicklung. Frage 4: Welche der für den Fall eines Flugzeugab- sturzes mit anschließender Kernschmelze des BER II ge- forderten weitergehenden Überlegungen und Maßnahmen a) sind bereits eingeleitet, b) werden noch geprüft, c) sind bis wann voraussichtlich umgesetzt? Antwort zu 4: Die RSK stellt fest, dass der BER II nicht ungeschützt gegenüber einem Flugzeugabsturz ist, obgleich er nicht über ein äußeres Containment verfügt. Sie regt aber an, weitergehende Überlegungen zur Ro- bustheit des BER II bezüglich Flugzeugabsturz im Hin- blick auf den Erhalt der Wirksamkeit von Notfall- und Katastrophenschutzmaßnahmen anzustellen. Sachstand: Zu diesem Thema befinden sich Behörde und Sachverständige mit dem Betreiber und externen Fachorganisationen in der Diskussion, um entsprechende Erfahrungen in die Planung des Betreibers einfließen las- sen zu können. Eine Gesamtdarstellung des Themas steht noch aus und erfordert – auch aus Sicht der Behörde – aufgrund der Komplexität der Frage, die sich auch in den Ausführungen der RSK widerspiegelt, eine entsprechende Bearbeitungszeit bei dem Betreiber und bei der anschlie- ßenden Prüfung. Zum Teil dienen auch die unter Frage 3 diskutierten Maßnahmen dem Ziel der Verbesserung der Robustheit. Frage 5: Welche Maßnahmen sind für den Fall von Explosionsdruckwellen beim BER II noch notwendig, um den RSK-Schutzgrad 3 zu erreichen, wie er auch für die anderen beiden deutschen Forschungsreaktoren gilt? Bis wann werden sie umgesetzt sein? Antwort zu 5: Es trifft nicht zu, dass die RSK einem der drei deutschen Forschungsreaktoren bezüglich der Abtragung von Lasten aus Explosionsdruckwellen den Schutzgrad 3 zuerkennt. Allen Forschungsreaktoren wur- de vielmehr auf der Grundlage der von der RSK her- angezogenen Unterlagen der Schutzgrad 1 zugeordnet. Für den BER II vermutet die RSK, dass nach Vorlage entsprechender Nachweise der Schutzgrad 2 oder sogar 3 zuerkannt werden könnte (siehe S. 10 der Stellungnahme der RSK). Der Schutzgrad 3 wird nur zuerkannt, wenn in der Umgebung der Anlage keine Mengen von explosionsfähi- gen Stoffe vorliegen, die sie massiv gefährden könnten. Für den BER II liegen keine Indizien dafür vor, dass in der relevanten Umgebung der Anlage brennbare oder explosive Gase und Flüssigkeiten in solchen Mengen ge- lagert oder transportiert werden, dass deren Explosion die Vitalfunktionen der Anlage gefährden könnten. Bei einem bereits im Rahmen des Genehmigungsverfahrens unter- suchten hypothetischen Unfall eines Gas-Tankschiffs auf dem Teltowkanal – welcher im Übrigen nicht von Tankschiffen befahren wird - wäre das z.B. nicht der Fall. Auf Grund dieser Sachlage wurde die Nachweisfüh- rung zunächst zurückgestellt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 439 3 Frage 6: Hält der Senat die neue Festlegung des Flug- beschränkungsgebietes um und über dem Reaktor für aus- reichend? a) wenn ja, warum? b) wenn nein, welche ergänzenden Maßnahmen sind erforderlich und welchen neuen Antrag zur Aus- weitung des Flugbeschränkungsgebiets wird er beim Bundesministerium für Verkehr stellen? Antwort zu 6: Das Flugbeschränkungsgebiet ED R4 rund um den Forschungsreaktor dient dazu, die Wahr- scheinlichkeit von Überflügen – und damit die eines Absturzes auf die Anlage – von nach Sichtflugregeln operierenden Fluggeräten zu reduzieren. Derartige Fluggeräte (Hubschrauber, Sportflugzeuge und ähnliche Fluggeräte, nicht aber Flugzeuge im Linienverkehr) sind wegen ihrer geringen Masse und Geschwindigkeit nicht in der Lage, bei einem Absturz das Reaktorbecken so zu schädigen, dass es zu einer Gefährdung vitaler Funktionen kommt. Das seit März 2011 auf einen Radius von 2 nautischen Meilen (3,7 km) ausgeweitete Flugbeschränkungsgebiet wird daher aus Sicht des Senats für ausreichend erachtet, zumal in den vergangenen Jahren die konsequente Ver- folgung von Verstößen Wirkung gezeigt hat. Frage 7: Wie beurteilt der Senat die für den neuen Flughafen in Schönefeld vorgesehenen Flugrouten im Hinblick auf die Gefährdung des Forschungsreaktors durch Flugzeugabsturz? Ist es weiterhin vertretbar, Pilo- ten zu erlauben, von den vorgesehenen Flugrouten ober- halb von 5.000 Fuß (ca. 1.500 Meter) abzuweichen und den Forschungsreaktor BER II zu überfliegen? Welche Initiativen wird der Senat hierzu ergreifen? Antwort zu 7: Das Oberverwaltungsgericht Berlin- Brandenburg hat am 23.01.2013 die Festsetzung der in der geringsten Entfernung zum BER II verlaufenden Flugroute, der sogenannten Wannseeroute, für rechtswid- rig erklärt. Das Gericht bewertete allerdings nicht unmittelbar die von den Flugzeugen für die Bevölkerung ausgehende Ri- sikoerhöhung, sondern es erachtete die vom Bundesamt für Flugsicherung angestellten diesbezüglichen Ermitt- lungen als nicht ausreichend. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesamt für Flugsi- cherung auf das Urteil reagieren wird. Berlin, den 13. Februar 2013 In Vertretung Gaebler ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Feb. 2013)