Drucksache 17 / 11 443 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 15. Januar 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Januar 2013) und Antwort Wie und wo bringt Berlin seine Kinder und Jugendlichen geschlossen unter? Betroffene Kinder und Jugendliche, die sich gemäß § 1631 b BGB in einer Freiheitsentziehenden Maßnahme befinden, am Beispiel der umstrittenen gewinnorientierten Haasenburg GmbH Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Berliner Kinder und Jugendliche werden derzeit wo geschlossen untergebracht (bitte aufzählen nach Alter, Jugendamt, Einrichtung und Bundesland), wie viele waren es 2010, 2011 und 2012? 5. Wie viele Kinder und Jugendliche in welchem Alter und aus welchen Bezirken befinden sich derzeit wie lange in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH, wie viele waren es 2010, 2011 und 2012? Zu 1. und 5.: Eine so genannte „geschlossene Unterbringung “ mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Jugendhilfe ist rechtlich nur zur Gefahrenabwehr auf Grundlage des § 42 Abs. 5 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zulässig und bedarf der familiengerichtlichen Genehmigung nach § 1631 b BGB. In der Berliner Hilfe- planstatistik werden diese richterlichen Genehmigungen nicht erfasst. Eine Abfrage in den Bezirken 2011 ergab, dass insgesamt 53 Kinder/Jugendliche auf Grundlage des § 1631b BGB untergebracht waren; davon sieben in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH. Zum Stichtag 1.2.2013 waren nach Auskunft der Berliner Jugendämter 4 Jugendliche in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH untergebracht. 2. In welchen Abständen werden die Kinder und Ju- gendlichen in den Einrichtungen durch die fallführenden SozialarbeiterInnen besucht, die ihr Wohl und ihre Si- cherheit garantieren sollen? 3. Wie kontrolliert das Land Berlin die pädagogische Qualität der Einrichtungen? 4. Wie garantiert das Land Berlin den Schutz vor al- lem der Persönlichkeitsrechte der Kinder und Jugendli- chen in den geschlossenen Einrichtungen? Zu 2., 3. und 4.: Die Prüfung der Voraussetzungen für eine Jugendhilfeleistung nach § 27 ff SGB VIII sowie einer Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII obliegt dem fall- zuständigen Jugendamt. Auf Grundlage der Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII erfolgt die Auswahl eines geeig- neten Angebots, die Überprüfung des Hilfeverlaufs und die Überprüfung der Qualität der Leistungserbringung. Nach Maßgabe des Einzelfalls wird die Häufigkeit der Hilfeplangespräche festgelegt, in Krisensituationen erfol- gen diese in kürzeren Abständen. Dabei ist im Zusam- menhang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen zwin- gend darauf zu achten, dass insbesondere die Rechte der Kinder/Jugendlichen (z.B. Unterstützung durch einen Verfahrensbeistand) eingehalten werden. Weitere Qualitätsprüfungen erfolgen im Rahmen von Qualitätsentwicklungsvereinbarungen mit den Trägern der Einrichtungen nach § 78 c SGB VIII sowie im Rahmen der Betriebserlaubniserteilung durch die jeweiligen Lan- desjugendämter. Die Jugendhilfeeinrichtungen der Haa- senburg GmbH befinden sich in Brandenburg. Für die Erteilung der Betriebserlaubnis gemäß § 45 SGB VIII und alle damit zusammenhängenden Aufgaben ist das Lan- desjugendamt (LJA) Brandenburg zuständig. Grundsätzlich gilt, dass gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII das Wohl der Kinder und Jugendlichen in der Ein- richtung gewährleistet sein muss. Hierzu zählt auch, dass die Träger der Einrichtungen nachvollziehbar und praxis- bezogen bei der Antragsstellung darlegen müssen, dass in den Einrichtungen geeignete Verfahren der Beteiligung sowie Beschwerdemöglichkeiten in persönlichen Angele- genheiten gewährleistet sind. Im Rahmen der Auf- sichtstätigkeiten nach §§ 45, 46 SGB VIII wird auch Be- schwerden von Jugendlichen und Personensorgeberech- tigten nachgegangen. Die Einrichtungen sind ferner ver- pflichtet, besondere Vorkommnisse zu melden. Diese sind Anlass zur Überprüfung der Einrichtung, in deren Folge Auflagen erteilt werden können. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 443 2 6. Nach welchem pädagogischen Konzept und mit welchem Fachkräfteschlüssel arbeitet die gewinnorien- tierte Haasenburg GmbH? 7. Wann, wie lange und unter welchen Umständen werden Kinder und Jugendliche in der Haasenburg „weggeschlossen “? 8. Entspricht das pädagogische Konzept und die Rea- lität, die die Kinder und Jugendlichen in der gewinnori- entiert arbeitenden Haasenburg erleben, den für die Berli- ner Senatsverwaltung geltenden Qualitätsstandards mo- derner Jugendhilfe des 21. Jahrhunderts? 9. Wie wird die Arbeit der Einrichtungen der Haasenburg evaluiert? 10. Welche Einschätzung hat die Berliner Senatsverwaltung vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Treberhilfeskandalen vom Geschäftsgebahren der Haasenburg GmbH und seiner Akteure? 11. Wie hoch ist der Tagessatz, den ein Berliner Jugendamt für ein Kind oder Jugendlichen für die Unterbringung in einer Einrichtung der Haasenburg bezahlen muss? Zu 6. - 11.: Das pädagogische Konzept und der Fach- kräfteschlüssel der Haasenburg GmbH sind im Rahmen des Betriebserlaubnisverfahrens nach § 45 SGB VIII durch das Landesjugendamt Brandenburg geprüft worden. Nach Mitteilung des Landesjugendamtes Brandenburg werden für die Betreuung der Jugendlichen in den Ein- richtungen der Haasenburg GmbH sozialpädagogische, psychologische, therapeutische Fachkräfte, Lehrerinnen und Lehrer, Hauswirtschaftskräfte, Handwerkerinnen und Handwerker sowie Nachtwachen eingesetzt. Die Verweil- zeiten in den verschiedenen Standorten der Einrichtungen der Haasenburg GmbH seien konzeptionsbedingt unter- schiedlich. Der Träger Haasenburg GmbH schließt für seine Leis- tungsangebote mit den für den jeweiligen Standort örtlich zuständigen Landkreisen Leistungs-, Entgelt- und Quali- tätsentwicklungsvereinbarungen gemäß § 78a ff. SGB VIII ab. Für die Standorte des Trägers in Neuendorf und Jessern ist der Landkreis Dahme-Spreewald, für den Standort Müncheberg ist der Landkreis Märkisch-Oder- land zuständig. Der für Jugend und Familie zuständigen Senatsverwaltung ist die Höhe der jeweiligen Entgelte nicht bekannt. 12. Wie viele der in den Einrichtungen der Haasenburg untergebrachten Berliner Kinder und Jugendlichen stehen unter Vormundschaft? Zu 12.: Nach Auskunft der für die vier in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH untergebrachten Berliner Kinder und Jugendlichen zuständigen bezirk- lichen Jugendämter bestehen 2 Vormundschaften. 13. Wie oft besuchen die Amtsvormünder und die fallführenden SozialarbeiterInnen die Kinder und Ju- gendlichen in diesen Einrichtungen konkret? Zu 13.: Grundsätzlich ist für die Amtsvormünder, wie auch für die fallzuständige Fachkraft, die Beurteilung des Einzelfalles zum jeweiligen Zeitpunkt für die Kontaktdichte und Kontaktgestaltung ausschlaggebend. Für die Tätigkeit der Amtsvormünder gelten die im Artikelgesetz "Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts" vom 29. Juni 2011 erfolgten Än- derungen des BGB und des SGB VIII. Seit dem 6. Juli 2011 ist im § 1793 Abs. 1a BGB (BGBl. I S. 1306/1307, Art. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 3 Satz 2) bestimmt, dass der Vor- mund mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten hat und diesen in der Regel einmal im Monat in dessen übli- cher Umgebung aufsuchen soll. Es sei denn, dass im Ein- zelfall kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten sind. Dem jeweils zuständigen Familiengericht obliegt mit der zum 05. Juli 2012 erfolgten Änderung des § 1837 Absatz 2 BGB (BGBl. I S. 1306/1307, Art. 1 Nr. 3 i.V.m. Art. 3 Satz 1) die zusätzliche Verpflichtung, insbesondere die Einhaltung der erforderlichen persönlichen Kontakte des Vormundes zum Mündel zu beaufsichtigen. Dieses korrespondiert mit der bereits zum 06. Juli 2011 erfolgten Änderung des § 1840 Absatz 1 BGB (BGBl. I S. 1306/1307, Art .1 Nr. 4 i.V.m. Art. 3 Satz 2), welche dem Vormund verpflichtend aufgibt, im Rahmen der Berichts- pflicht dem Familiengericht gegenüber auch Angaben zu den Mündelkontakten aufzunehmen. 14. Wurden von Seiten Berliner Jugendämter, anderer Jugendämter, Landesjugendämter oder Dritter Mängel in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH festgestellt? Zu 14.: Im Januar 2012 wurde die für Jugend und Fa- milie zuständige Berliner Senatsverwaltung durch ein nachrichtlich erhaltenes Schreiben eines Berliner Jugend- amtes an den Geschäftsführer der Haasenburg GmbH auf einige Kritikpunkte aufmerksam gemacht. Das Schreiben erhielt auch das zuständige Landesjugendamt Branden- burg. 15. Welche Sanktionsmaßnahmen auf Grund welcher Rechtsgrundlage ergreifen die Einrichtungen der Haasen- burg bei Regelverstößen von Insassen? 16. Zu wie vielen Regelverstößen mit anschließender Sanktionierung kam es 2012 durch Berliner Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Haasenburg GmbH? 17. Wie oft sind 2011 und 2012 Berliner Kinder und Jugendliche aus Einrichtungen der Haasenburg GmbH „geflüchtet“? 18. Wie viele dieser Kinder und Jugendlichen wurden anschließend wieder ergriffen und was ist mit ihnen im Anschluss passiert? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 443 3 Zu 15. – 18.: Der für Jugend und Familie zuständigen Berliner Senatsverwaltung liegen hierzu keine Informati- onen vor. Die bezirklichen Jugendämter sind im Rahmen der Hilfeplanung verpflichtet, die konkrete Umsetzung des erzieherischen Konzepts zu prüfen, gerade dann, wenn Kritikpunkte bekannt werden. 19. Welche Beschwerdemöglichkeiten haben Kinder und Jugendliche, die sich in Einrichtungen der Haasenburg GmbH befinden, wie werden sie über diese Rechte aufgeklärt und wie wird durch die öffentliche Jugendhilfe Berlins garantiert, dass die Kinder und Jugendliche ihre Rechte wahrnehmen können? Zu 19.: Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII ist im Rahmen der Betriebserlaubniserteilungen sicher zu stellen, dass geeignete Verfahren zur Beteiligung und zur Implementierung von Beschwerdemöglichkeiten geprüft und beachtet werden. 20. Welche Schlüsse zieht der Berliner Senat aus der Berichterstattung der taz Hamburg vom 07.12.2012 und den aufgezeigten Mängeln, den Anmerkungen verschiedener Landgerichte zu unmöglichen Zuständen insbesondere der pädagogischen Arbeit in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH, verschiedenen Skandalen um die Haasenburg GmbH seit mehreren Jahren und den Berichten von Jugendlichen? 21. Welche rechtlichen Grundlagen und welche Verwaltungsvorschriften gibt es zur Aufsicht und Kontrolle von Trägern, die es dem Land Berlin ermöglichen bei Bedarf auf Einrichtungen Einfluss zu nehmen in denen Berliner Kinder und Jugendliche außerhalb der Stadt durch die öffentliche Jugendhilfe untergebracht werden? Zu 20. und 21.: Über die zuvor dargelegten Rechts- grundlagen und Verwaltungsvorschriften hinaus erarbeitet die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwaltung im Zusammenwirken mit den Berliner Jugendämtern Ver- fahrens- und Qualitätsstandards, die zwingend bei der Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 42 Abs. 5 SGB VIII zu beachten sind. Diese Grundsätze gelten auch bei einer Unterbringung Berliner Kin- der/Jugendlicher in der Haasenburg GmbH. Anlässlich von besonderen Vorkommnissen und auf- grund der aktuellen Berichterstattung werden die Stan- dards und Verfahrensvorschriften zum Umgang mit frei- heitsentziehenden Maßnahmen in den Facharbeitsgruppen mit den Bezirken aufgegriffen und weiter- entwickelt. Berlin, den 13. Februar 2013 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Feb. 2013