Drucksache 17 / 11 458 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 17. Januar 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Januar 2013) und Antwort Wie werden die Rechte von Berliner Kindern, deren Eltern oder Elternteile inhaftiert sind, gewahrt? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Angebote an spezialisierten Hilfen für be- troffene Kinder und Jugendliche, deren Eltern oder El- ternteile inhaftiert sind, gibt es im Land Berlin? Zu 1.: Alle Angebote und individuelle Leistungen der Jugendhilfe in ambulanter, teilstationärer und stationärer Form stehen Kindern von Inhaftierten offen. Eltern haben einen individuellen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Er- ziehung nach dem Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Im Rahmen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII wird im Einzelfall die jeweils geeignete und notwendige Hilfe ermittelt und gewährt. Dabei wird generell großes Gewicht auf Elternarbeit gelegt, sofern das Kindeswohl nicht eine Einschränkung der elterlichen Sorge erfordert. In der Hilfeplanung wird die Tatsache, dass durch die Inhaftierung die Erziehungsfähigkeit eingeschränkt ist, angemessen berücksichtigt. Spezialisierte Hilfen für die Zielgruppe der Kinder von Inhaftierten sind jedoch nicht entwickelt worden, da aus pädagogischen Gründen diese zielgruppenbezogene Bündelung nicht für sinnvoll erach- tet wird und nach den Maßgaben des Einzelfalles indivi- duelle Zusatzleistungen gewährt werden können, um den Eltern-Kind-Kontakt in besonderer Art und Weise zu un- terstützen. Die damalige Senatsverwaltung für Bildung, Wissen- schaft und Forschung hat darüber hinaus in dem Rund- schreiben Jug Nr. 4/2003 die Jugendämter über die mit der damaligen Senatsverwaltung für Justiz und der dama- ligen Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen entwickelten Richtlinie „Gemeinsame Richtlinie über die Standards der gemeinsamen Unterbringung von Müttern und Kindern im Strafvollzug/Untersuchungshaft- vollzug“ informiert. Danach ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen Säuglinge und Kleinkinder bis 3 Jahre nicht von ihren inhaftierten Müttern getrennt werden und welche Betreuungsstandards in der Haftanstalt beachtet werden müssen. Circa 10 Entscheidungen pro Jahr sind in der Vergangenheit für eine gemeinsame Unterbringung von Müttern und Kindern im Strafvollzug getroffen worden. 2. Wie viele Kinder sind in Berlin davon betroffen, dass mindestens ein Elternteil in Haft lebt? 3. Wie viele Kinder von inhaftierten Eltern leben in Einrichtungen der Jugendhilfe oder bei Pflegeeltern? Zu 2. und 3.: In der Jugendhilfestatistik wird nicht er- fasst, wie viele Kinder in Berlin davon betroffen sind, dass mindestens ein Elternteil in Haft lebt. Die Berliner Hilfeplanstatistik für den Leistungsbe- reich „Hilfe zur Erziehung“ nach § 27 ff. SGB VIII erfasst in der Kategorie „hilfeplanrelevante Lebensumstände der Eltern“ auch das Merkmal „Inhaftierung“. Aus einer Auswahl von 20 Lebensumständen sind im Einzel- fall bis zu drei Nennungen ohne Gewichtung möglich. Am 31.12.2012 war bei 81 in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII untergebrachten jungen Menschen das Merk- mal "Inhaftierung" als eines von drei hilfeplanrelevanten Lebensumständen der Eltern angegeben, das sind rd.3 % aller Hilfen in Vollzeitpflege am Stichtag. Bei den in sta- tionärer Hilfe in Einrichtungen untergebrachten jungen Menschen wurde das Merkmal "Inhaftierung" 129-mal erfasst, das entspricht rd. 2 % aller Hilfen in Einrichtun- gen am Stichtag. 4. Welche Möglichkeiten gibt es in den verschiedenen Hafteinrichtungen, damit Kinder ihr Umgangsrecht mit ihren inhaftierten Elternteilen wahrnehmen können? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 458 2 Zu 4.: Es bestehen die gesetzlich vorgesehenen Mög- lichkeiten des Umgangs: Schriftverkehr, Besuche, Tele- fonate. Im geschlossenen Vollzug wird das Umgangsrecht von Gefangenen mit ihren Kindern unter anderem mit der Durchführung von regulären Sprechstunden gewährleis- tet. Gemäß § 24 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz darf eine Strafgefangene bzw. ein Strafgefangener regelmäßig Be- such empfangen, die Gesamtdauer beträgt mindestens eine Stunde im Monat. Untersuchungsgefangene dürfen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 Berliner Untersuchungshaft- vollzugsgesetz für mindestens zwei Stunden im Monat Besuch empfangen. Die jugendlichen und heranwachsen- den Gefangenen in der Jugendstrafanstalt Berlin sowie in der Justizvollzugsanstalt für Frauen haben gemäß § 47 Abs. 1 Berliner Jugendstrafvollzugsgesetz (JStVollzG Bln) das Recht, regelmäßig mindestens vier Stunden im Monat Besuch zu empfangen. Es besteht gemäß § 47 Abs. 2 JStVollzG Bln die Verpflichtung, die Kontakte von Ge- fangenen zu ihren Kindern unter Berücksichtigung des Erziehungsauftrags und des Kindeswohls be-sonders zu fördern. Dadurch sollen die emotionale Bindung und das Verantwortungsgefühl gestärkt werden. In den Berliner Justizvollzugsanstalten werden großzügigere Besuchs- zeiten gewährt, als das gesetzlich geforderte Mindestmaß. Außerdem werden die besonderen Bedürfnisse von Fami- lien in allen Justizvollzugsanstalten durch weitergehende Besuchsmöglichkeiten und Sondersprechstunden berück- sichtigt, die nicht auf die Regelsprechstunden angerechnet werden. Darüber hinaus haben Kinder die Möglichkeit, mit ih- ren inhaftierten Elternteilen außerhalb der Mauern umzu- gehen, soweit diesen aus dem geschlossenen Vollzug Vollzugslockerungen gewährt werden oder eine Freiheits- strafe im offenen Vollzug verbüßt wird. In der Justizvollzugsanstalt Tegel werden die ge- setzlichen Besuchsmöglichkeiten durch die familien- freundliche Langzeitsprechstunde ergänzt, die den Rah- men für unbeaufsichtigte Besuche - auch von Kindern - über mehrere Stunden in einer wohnlich ausgestalteten Umgebung bildet. Diese Möglichkeit wird gegenwärtig auch in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee geprüft. In der Justizvollzugsanstalt Moabit gilt für die re- gulären Besuchssprechstunden von Untersuchungsgefan- genen auch bei inhaltlicher Gesprächskontrolle kein grundsätzliches Berührungsverbot. Bei Besuchen von Familienangehörigen ist körperlicher Kontakt, z. B. das auf den Schoß nehmen von Kleinkindern, zugelassen. In der Justizvollzugsanstalt für Frauen Berlin haben Mütter die Möglichkeit, einmal in der Woche in einer „Kinderspielstunde“ Besuch von ihren Kindern (bis zum 12. Lebensjahr) zu bekommen. Darüber hinaus stehen an drei Standorten der Justizvollzugsanstalt für Frauen insge- samt bis zu sechs Plätze für eine gemeinsame Unterbrin- gung von Kleinkindern mit ihren inhaftierten Müttern zu Verfügung (siehe dazu auch Antwort zu Frage 1). Die Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges sowie die Standorte des offenen Vollzuges der Jugend- strafanstalt Berlin und der Justizvollzugsanstalt für Frauen Berlin bieten grundsätzlich vielfältige Möglichkeiten zur Wahrnehmung der Kontaktpflege der Kinder zu ihren inhaftierten Elternteilen. Inhaftierte können an den Wo- chenenden Besuch empfangen, wobei minderjährige Kin- der von einem Erwachsenen begleitet werden müssen. Inhaftierte, die zu Vollzugslockerungen zugelassen sind, haben die Möglichkeit, ihre Kinder im Rahmen von Aus- gängen und Urlaub aus der Haft zu besuchen. Sobald Ge- fangene zum Freigang zugelassen sind, besteht zusätzlich die Möglichkeit für tägliche Besuche. Bei der Bemessung der täglichen Ausgangsrahmenzeit sollen die Inhaftierten in die Lage versetzt werden, nach Arbeitsende ihre Fami- lie aufzusuchen und somit einen annähernd normalen Fa- milienalltag zu leben. 5. Wie werden Väter und insbesondere junge Väter darin unterstützt, ihren Rechten und ihrer Pflicht nachzu- kommen, Umgang und Kontakt zu ihren Kindern zu hal- ten? Zu 5.: Gefangene werden vom Sozialdienst darin un- terstützt, Kontakt zu ihren Kindern auf-zubauen und zu erhalten. Die Förderung der Beziehung der jungen Gefan- genen zu ihren Kindern erfolgt ausgerichtet am individu- ellen Bedarf und entsprechend den Vorgaben im jeweili- gen Vollzugsplan. Väter, insbesondere junge Väter, wer- den in der Weise unterstützt, dass sie durch die zuständi- gen Dienstkräfte in Bezug auf Unterhaltsangelegenheiten gezielt beraten werden. Zu Fragen des Umgangsrechts wird mit den Jugendämtern kooperiert. Ferner wird an der Umsetzung von Familien-/Hilfe-Plänen bei den zuständi- gen Jugendämtern mitgewirkt. Die Aufarbeitung von Familienproblematiken sowie Themen, die den Umgang mit Kindern während der Haft- zeit betreffen, werden in den bestehenden Beratungsange- boten in den Justizvollzugsanstalten einbezogen. Darüber hinaus werden in der Jugendstrafanstalt und in der Justiz- vollzugsanstalt des Offenen Vollzuges spezielle „Vätergruppen “ durchgeführt. Hier wird mit den teilnehmenden Inhaftierten im Rahmen eines Gruppentrainings die Vater- rolle erörtert, diskutiert und mit praktischen Übungen thematisiert. Berlin, den 13. Februar 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Feb. 2013)