Drucksache 17 / 11 506 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Turgut Altug (Grüne) vom 31. Januar 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Januar 2013) und Antwort Eichenprozessionsspinner: Biologisch und ökologisch bekämpfen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass die Senatsverwaltung den flächendeckenden Einsatz von Insektiziden gegen den Ei- chenprozessionsspinner plant? Wenn ja, warum werden nicht alternative Methoden, wie z.B. Produkte auf Nee- möl-Basis verwendet? 5. Sind dem Senat die schädlichen Folgen und Probleme bekannt, die bei einem flächendeckenden Einsatz auch "milder" Insektizide entstehen können? Wenn ja, warum werden solche Mittel trotzdem eingesetzt? Zu 1. und 5.: Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales entwickelt in Zusammenarbeit mit der Se- natsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, dem Pflanzenschutzamt Berlin, den Berliner Forsten sowie den Bezirksämtern von Berlin Strategien zur Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners (EPS). Ein Bestandteil dieser Strategien ist kein flächendeckender, sondern ein lokal begrenzter, präventiver Einsatz von Bioziden ausschließ- lich an solchen Stellen im Stadtgebiet, an denen Eichen wachsen, die nach Mitteilung der Bezirke vom EPS be- reits wiederholt verstärkt befallen wurden und an denen sich Menschen häufig oder über längere Zeit aufhalten (müssen). Als Bekämpfungsmittel ist ein Produkt auf Neemöl- Basis vorgesehen. 2. Ist dem Senat bekannt, dass andere Großstädte, wie z.B. Stuttgart, bei der Bekämpfung des Eichenprozes- sionsspinners ökologisch und gesundheitlich unbedenkli- che Neemöl-Produkte verwenden? Zu 2.: Ja. 3. Trifft es zu, dass der Einsatz von Insektiziden in diesem Zusammenhang auch in Naturschutz- und Trink- wasserschutzgebieten angestrebt wird? Wenn ja, mit wel- chem Mittel soll gearbeitet werden und wie sind die sys- temischen Wirkungen auf die dort lebende Population? Zu 3.: Der Einsatz eines Produktes auf Neemöl-Basis auch in Naturschutz- und Trinkwasserschutzgebieten wird nicht angestrebt. Er kann allerdings in Naturschutzgebie- ten nach Abwägung der Vor- und Nachteile und in Ab- hängigkeit der jeweiligen Lage und Bedeutung für die Bevölkerung als letztes Mittel von dem zuständigen Be- zirksamt von Berlin in Betracht gezogen werden. Zuvor jedoch sind Maßnahmen wie mechanische Beseitigungen durchzuführen und/oder Absperrungen vorzusehen. Der Einsatz des Biozids in der engeren Schutzzone der Trinkwasserschutzgebiete kommt nicht in Betracht. 4. Wie wirkt das Mittel auf andere Organismengruppen sowie auf den Boden und die Oberflächenwasser bzw. das Trinkwasser? Zu 4.: Für das Biozidprodukt NeemPro ® tect (Wirk- stoff Azadirachtin = Margosa-Extrakt = Neem/Niem) wurden anhand international zugänglicher Datenbanken die ökotoxiko-logischen und humantoxikologischen Ei- genschaften ermittelt. Da für Biozide keine detaillierten Datenbanken existieren, wurden die Eigenschaften der Wirkstoffe mittels Pflanzenschutzmitteldatenbanken zu- sammengestellt. Detaillierte Werte und Einschätzungen sind u. a. unter http://sitem.herts.ac.uk/aeru/footprint/en/Reports/46.htm zu finden. Die Bodeneigenschaften (Bodendegradation, Bodenabsorption) werden als nicht persistent bzw. mäßig mobil bewertet. Der Biokonzentrationsfaktor liegt unter 100 und weist ein geringes Risiko auf. Das Bioakkumula- tionspotential wird mäßig eingeschätzt. Der GUS Leaching potential index (Auswaschung) wird als niedrig bewertet. Gegenüber Säugetieren ist die akute Toxizität (LD 50) gering. Gegenüber aquatischen Organismen (Chironomiden, Daphnien) wurde ein schädigender Cha- rakter festgestellt. Deshalb kommt der Einsatz dieses Bio- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 506 2 zids in den sensiblen Gebieten nicht in Betracht (siehe oben, Antwort zu 3.) beziehungsweise werden die vorge- schriebenen Abstände zu Oberflächengewässern einge- halten. 6. Ist dem Senat bekannt, dass solche Produkte Auswirkungen nicht nur für einen Protagonisten, sondern auch für andere Arten (hier: Falter) haben können? Wenn ja, warum werden solche Mittel trotzdem eingesetzt? 7. Ist dem Senat bekannt, dass Auswirkungen auf andere Lebewesen im Ökosystem Eichenwald (andere Wir- bellose, Reptilien etc.) bzw. auf die natürlichen Antago- nisten des Eichenprozessionsspinners meist nicht abzuse- hen sind? Zu 6. und 7.: Ja, dem Senat sind Auswirkungen be- kannt (siehe Antwort zu Frage 4), die Anwendung erfolgt punktuell an Einzelobjekten, für die eine Risikoabwägung zwischen der Nutzung der Fläche durch eine Vielzahl von Menschen und dem nachgewiesenen mehrjährigen Auf- treten von Raupen des EPS erfolgte. Die zu behandelnden Bäume wurden durch sachkundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirke ermittelt. Dabei handelt es sich vorwiegend um Eichen an Spielplätzen, auf Schulhöfen und Kindertagesstätten sowie am Straßenrand. Die in Ber- lin bisher festgestellten natürlichen Gegenspieler des EPS sind an diesen Stellen vorwiegend Raupenfliegen- und Brackwespen-Arten, die nicht auf den EPS spezialisiert sind. Sie wandern witterungsabhängig erst im Juni zu. Durch die punktuelle Anwendung bestehen ausreichende Ausweich- bzw. Zuwanderungsmöglichkeiten für die Nicht-Zielorganismen. 8. Wie wirkt das Pflanzenschutzamt, welches immer noch den großflächigen Einsatz von Round Up im Stra- ßenland zulässt, allen erwiesenen Nebenwirkungen zum Trotz, an dem geplanten Einsatz von Insektiziden mit? Zu 8.: Das zum Geschäftsbereich der Senatsverwal- tung für Stadtentwicklung und Umwelt gehörende Pflan- zenschutzamt Berlin unterstützt die unter der Leitung der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales fach- und ressortübergreifende Arbeitsgruppe „Berliner Aktionsprogramm gegen den Eichenprozessionsspinner“ bei der Erarbeitung eines einheitlichen Vorgehens zum Schutz der Berliner Bevölkerung vor den vom Eichenprozessi- onsspinner ausgehenden gesundheitlichen Gefahren. Das Pflanzenschutzamt berät die Arbeitsgruppe auf Grund der im Pflanzenschutzamt vorhandenen umfangreichen Kenntnisse und Erfahrungen über die Möglichkeiten und Grenzen von Maßnahmen der Regulierung von Krank- heiten, Schädlingen und nicht-parasitären Beeinträchti- gungen der Kulturpflanzen nach den Grundsätzen des integrierten Pflanzenschutzes und der guten fachlichen Praxis unter Beachtung des Schutzes von Mensch, Tier und Naturhaushalt. Die Entscheidung der ressort-über- greifenden Arbeitsgruppe, bei Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Menschen vor den gefährlichen Brennhaaren des Eichenprozessionsspinners im Bedarfs- fall ein ökologisch und gesundheitlich unbedenkliches Biozidprodukt mit dem Wirkstoff Azadirachtin/Margosa- Extrakt („Neem-Öl“) zu verwenden, entspricht einer Empfehlung des Pflanzenschutzamtes, weil nach gelten- der Rechtslage die Anwendung von insektiziden Pflan- zenschutzmitteln zur Bekämpfung von Gesundheitsschäd- lingen derzeit ohnehin ausgeschlossen ist. Darüber hinaus wurden im Pflanzenschutzamt Berlin Untersuchungen zur Wirksamkeit alternativer und be- kannter Bekämpfungsmöglichkeiten des EPS für die Ent- scheidungsfindung durchgeführt. Es hat ein stadtweites Monitoring zum EPS eingerichtet, um neben der Aus- breitung die Intensität des Befalls genauer feststellen zu können. Weiterhin erfolgt jährlich eine Ermittlung der biologischen Entwicklung des EPS, um im Rahmen des pflanzenschutzlichen Warndienstes den genauen Appli- kationszeitpunkt für Behandlungen mitteilen zu können. Hierdurch sollen eine zielgerichtete Behandlung ermög- licht sowie unnötige und nicht wirksame Behandlungen vermieden werden. Berlin, den 27. Februar 2013 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Mrz 2013)