Drucksache 17 / 11 594 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 18. Februar 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Februar 2013) und Antwort Umsetzung der Verschlechterungsverbote des EWG-Türkei-Assoziationsrechts im Land Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. In welcher Weise (durch welche Stellen, in welchem Verfahren) werden Urteile des Europäischen Ge- richtshofs (EuGH) zum EWG-Türkei-Assoziationsrecht (AssR) vom Senat rezipiert, interpretiert und deren Inhalte an die Ausländerbehörde übermittelt? Zu 1.: Die veröffentlichte Rechtsprechung einschließ- lich die des Europäischen Gerichtshofes zum Ausländer- recht und damit auch zum Europäischen Wirtschaftsge- meinschaft-Türkei-Assoziationsrecht wird von der Aus- länderbehörde zusammen mit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die die Fachaufsicht über die Auslän- derbehörde führt, in einem fortlaufenden Prozess darauf- hin geprüft, ob die ausländerrechtliche Praxis entspre- chend angepasst werden muss oder angepasst werden sollte. Ggf. werden die Verfahrenshinweise der Auslän- derbehörde (VAB) - abhängig von der Bedeutung der Änderung in Abstimmung mit meinem Haus - entspre- chend ergänzt oder geändert. 2. Welche allgemeinen Vorgaben zu den Verschlechterungsverboten des AssR hat der Senat der Aus- länderbehörde in welcher Form gemacht und wie wird der Personenkreis definiert, der sich hierauf berufen kann? 3. Zu welchen letzten zehn EuGH-Urteilen mit Bezug zum AssR hat der Senat Rundschreiben oder sonstige Anweisungen oder Informationen an die Ausländerbe- hörde übermittelt, um die Beachtung des AssR sicherzu- stellen (bitte jeweils das Urteil benennen, sowie wie die- ses Urteil konkret umgesetzt werden soll)? Zu 2. u. 3.: Die ausländerrechtlichen Sonderregelun- gen für türkische Staatsangehörige aufgrund des Assozia- tionsratsbeschlusses (ARB) Nr. 1/80 sind in den Verfah- renshinweisen der Ausländerbehörde detailliert geregelt. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf die Homepage der Ausländerbehörde, über die die VAB eingesehen wer- den können (vgl. hier zur Beschluss Nr. 1 /80 des Assozi- ationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Asso- ziation - ARB 1/80 - insbesondere E.Türk.1. - zuletzt ge- ändert am 5.2.2013 in Bezug auf das Urteil des EuGH vom 8. November 2012 (C-268/11)). Hier sind auch alle sonstigen einschlägigen Entschei- dungen des EuGH einschließlich seiner Vorgaben zu Ver- schlechterungsverboten berücksichtigt. 4. Inwieweit sind aus Sicht des Senats die von der Bundesregierung herausgegebenen Vorgaben, Informati- onen, Anwendungshinweise, gesetzlichen Regelungen usw. zum AssR bzw. zu den Verschlechterungsverboten und zu maßgeblichen Urteilen des EuGH hinreichend detailliert und präzise zur Anwendung durch Berliner Behörden in der Praxis? Zu 4.: Die von der Bundesregierung herausgegebenen Vorgaben, Informationen, Anwendungshinweise, gesetz- lichen Regelungen usw. zum Assoziationsratsbeschluss 1/80 bzw. zu den Verschlechterungsverboten und zu maßgeblichen Urteilen des EuGH werden als hinreichend detailliert und präzise zur Anwendung durch Berliner Behörden in der Praxis angesehen. 5. Hat der Senat (wie Baden-Württemberg und Hamburg ) inzwischen die Standesämter und/oder die Auslän- derbehörde (bitte differenziert beantworten) darüber in- formiert, dass in Deutschland geborene Kinder türkischer Staatsangehöriger auch dann die deutsche Staatsangehö- rigkeit nach § 4 Absatz 3 des Staatsangehörigkeits- gesetzes (StAG) erworben haben können, wenn deren ausländische Eltern nicht über einen im entsprechenden Formblatt eigens aufgeführten unbefristeten Aufenthaltsti- tel verfügen? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 594 2 Zu 5.: Die entsprechenden Behörden sind mit Rund- schreiben der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 23.10.2010 und 20.08.2012 umfassend über die Sach- und Rechtslage informiert worden. Insbesondere die Berliner Ausländerbehörde hat bestätigt, dass darüber hinausgehende Informationen für eine sachgerechte Rechtsanwendung nicht erforderlich sind. 6. Welche Vorgaben hat der Senat der Ausländerbehörde in Bezug auf die Gebührenerhebung für Aufent- haltstitel türkischer Staatsangehöriger gemacht, da die derzeitigen Gebühren nicht mit dem Verschlechte- rungsverbot nach Artikel 13 ARB 1/80 vereinbar sind (vgl. Ünal Zeran, ASYLMAGAZIN, 12/2011, S. 403 f., vgl. die Praxis z. B. in Dänemark und in den Niederlan- den, vgl. auch VG Aachen - 8 K 1159/10)? Zu 6.: Gebührenerhebungen sind nicht Regelungsge- genstand des Assoziationsrechts mit der Folge, dass der ARB 1/80 keine rechtlichen Auswirkungen auf die Ge- bührenerhebung für Aufenthaltstitel türkischer Staatsan- gehöriger hat und sie dieselben Gebühren bezahlen müs- sen wie alle anderen Ausländerinnen/Ausländer. 7. Inwieweit stellt der Senat bei türkischen Staatsangehörigen vor dem Hintergrund der Verschlechte- rungsverbote sicher, dass ein eigenständiges Aufenthalts- recht für Ehegatten entsprechend der bis Mitte 2011 gel- tenden Rechtslage bereits nach zwei Jahren erlangt wird? Zu 7.: Eine entsprechende Anwendung wird durch die Regelungen in der VAB.A.31.0 sichergestellt. Der Passus lautet wie folgt: „… Für türkische Staatsangehörige gilt aufgrund von Art. 13 ARB 1/80 (Stand-Still-Klausel) die bis zum 01.07.2011 geltende Rechtslage fort. Somit erwerben tür- kische Staatsangehörige und geschiedene Ehegatten türki- scher Staatsangehöriger unabhängig von ihrer eigenen Staatsangehörigkeit ein eigenständiges Aufenthaltsrecht weiterhin bereits nach einer zweijährigen Ehebestands- zeit." 8. Inwieweit stellt der Senat sicher, dass türkische Selbstständige vor dem Hintergrund der Verschlechte- rungsverbote für ein Aufenthalts- und Niederlassungs- recht keine Mindestinvestitionssumme, keine bestimmte Zahl von Beschäftigten und auch kein übergeordnetes öffentliches Interesse vorweisen müssen, da entsprechend der Rechtslage vor 1990 lediglich glaubhaft gemacht werden musste, dass eine Einfügung ins Wirtschaftsleben erfolgen wird? Zu 8.: Hier ist keine einschlägige Regelung des Senats oder Rechtsprechung des EuGH bekannt. Es gilt § 21 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten- richtlinie der Europäischen Union vom 1.6.2012. 9. Inwieweit hat der Senat durch Anweisung an die Ausländerbehörde sichergestellt, dass auch nach der Ver- schärfung des § 8 Absatz 3 AufenthG zum 1. Juli 2011 die Nichtteilnahme an einem Integrationskurs bei türki- schen Staatsangehörigen nicht zu einer Aufenthaltsbeen- digung führen darf, wie zu Nummer 44a.3.3 in der All- gemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz klargestellt wurde? Zu 9.: Die genannten Verwaltungsvorschriften sind bekannt und werden von der Ausländerbehörde angewen- det. Danach können die gesetzlich vorgesehenen Sanktio- nen bei Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme an Integrationskursen auch gegenüber türki- schen Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern und deren Fa- milienangehörigen angewendet werden. Die Nichtteil- nahme an einem Integrationskurs ist allerdings kein Um- stand, der bei der Entscheidung über die Beendigung des Aufenthaltes eines türkischen Staatsangehörigen in Be- tracht gezogen werden kann, der einem Tatbestand des Artikels 6 oder 7 ARB 1/80 unterfällt. Mangelnde In- tegration stellt nämlich für sich genommen keinen Grund zur Aufenthaltsbeendigung dar, die i. S. d. Artikels 14 Absatz 1 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ord- nung, Sicherheit oder Gesundheit erfolgen würde. 10. Inwieweit stellt der Senat sicher, dass bei türkischen Staatsangehörigen vor dem Hintergrund der Ver- schlechterungsverbote für die Erteilung einer Niederlas- sungserlaubnis einfache Deutschkenntnisse genügen und keine fünfjährige Beitragszahlung zur Rentenversicherung verlangt wird (entsprechend § 24 AuslG 1990)? Zu 10.: Diese Rechtsauffassung wird hier nicht vertre- ten. Ein entsprechendes Urteil des EuGH ist hier auch nicht bekannt. Berlin, den 04. April 2013 Frank Henkel Senator für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Apr. 2013)