Drucksache 17 / 11 614 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Simon Weiß (PIRATEN) vom 22. Februar 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Februar 2013) und Antwort IT-Fachverfahren in der Justiz Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Was ist der derzeitige Stand bei der Einführung der Fachverfahren forumSTAR und MESTA in der Berliner Gerichtsbarkeit bzw. Staatsanwaltschaft? Zu 1.: Am 12. November 2012 wurde das forum- STAR-Modul für den Insolvenzbereich im Amtsgericht Charlottenburg eingeführt. Mit Inkrafttreten der Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung am 1. Januar 2013 wurde das Modul für das neue Zentrale Voll- streckungsgericht im Amtsgericht Mitte produktiv gesetzt. Die Einführung weiterer Module wird vorbereitet, für 2013 diejenigen für Mobiliarvollstreckung und Familien- sachen. MESTA (Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automa- tion) wurde am 1. Januar 2012 bei den Berliner Strafver- folgungsbehörden (Generalstaatsanwaltschaft, Staatsan- waltschaft und Amtsanwaltschaft) eingeführt. 2. Zu welchem Ergebnis kommt das zu forumSTAR in Auftrag gegebene Ergonomiegutachten und welche Kon- sequenzen werden daraus gezogen? a) Liegen dem Senat weitere Gutachten oder Erhebun- gen zu forumSTAR oder MESTA vor, insbesondere in Hinblick auf Ergonomie und Nutzerakzeptanz, und wenn ja mit welchem Ergebnis? Zu 2.: Im Ergonomiegutachten wurden keine Fehler festgestellt, die den Verfahrensbetrieb verhindern. Die Änderungserfordernisse der ermittelten 15 als bedeutsam („F2“) und 21 als weniger bedeutsam („F3“) klassifizierten Ergonomiefehler wurden bereits in den Länderver- bund eingebracht. Dieser hat die hohe Priorität einer Op- timierung der Ergonomie und Benutzerfreundlichkeit an- erkannt; erste für die Praxis bedeutsame Lösungen sollen bereits in 2013 möglichst umgesetzt oder zumindest ein- geleitet sein. Zu a): Das Modul für das Zentrale Vollstreckungsge- richt wurde ebenfalls einer softwareergonomischen Un- tersuchung unterzogen; es wurden zwei Fehler der Kate- gorie F2 und sechs der Kategorie F3 festgestellt. Zu MESTA gibt es keine Gutachten oder Erhebungen. 3. Treten bei der Einführung von forumSTAR in der Berliner Gerichtsbarkeit ähnliche Probleme auf, wie sie im Jahresbericht 2012 des sächsischen Rechnungshof und in der Denkschrift 2012 des Rechnungshof Baden-Würt- temberg beschrieben sind, insbesondere bezüglich Per- formanceproblemen, Nutzerakzeptanz und Verzögerun- gen bzw. Zusatzkosten bei der Einführung? Zu 3.: Berlin ist als achtes Bundesland dem forum- STAR-Verbund beigetreten. Die Erfahrungen der anderen Bundesländer wurden bei der Einführung in Berlin be- rücksichtigt. Trotzdem lässt es sich nicht vermeiden, dass Performance-Probleme auftreten. Auch das IT-Dienst- leistungszentrum Berlin (ITDZ) als beauftragter Dienst- leister muss zunächst Betriebserfahrungen sammeln. Eine lange Projekt- und Einführungszeit lässt sich ressourcen- bedingt in keinem Bundesland vermeiden. Zusatzkosten wie in Sachsen entstehen in Berlin nicht, weil die durch die übrigen Verbundländer entwickelte Textlösung über- nommen wird und die Projektstruktur auf die gesamte Projektlaufzeit ausgelegt ist. 4. Welche Regelungen bzw. vertragliche Vereinba- rungen bestehen bei den genannten Fachverfahren bezüg- lich von Anpassungen der Software im Betrieb? Wie und innerhalb welcher Zeiträume werden erforderliche oder sinnvolle Anpassungen identifiziert und umgesetzt? Zu 4.: Bei MESTA regelt der mit dem Dienstleister Dataport abgeschlossene Pflegevertrag MESTA, dass Pflege- und Änderungswünsche das Fachverfahren betref- fend der Lenkungsgruppe MESTA mitzuteilen sind. Die Lenkungsgruppe ist das höchste Gremium des Verbunds und mit Vertretern der MESTA-Länder sowie des Dienst- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 614 2 leisters besetzt. Dort erfolgt eine Priorisierung der ver- schiedenen Pflegewünsche, der Dienstleister erstellt einen Kostenvoranschlag. Die Lenkungsgruppe nimmt auch den umgesetzten Pflegewunsch ab. Änderungen im Schreibwerk können in der Regel durch das Berliner Projektteam der Strafverfolgungsbe- hörden selbst vorgenommen werden. Anpassungsbedarf ermittelt das Berliner Projektteam, zudem werden ihm fortlaufend Anpassungswünsche durch die Nutzerinnen und Nutzer des Fachverfahrens gemeldet. Das Projektteam bewertet die Vorschläge und setzt erforderliche oder sinnvolle Anpassungswünsche unverzüglich selbst um, soweit dies mit eigenen Mitteln möglich ist, also insbesondere im Schreibwerk. Ansons- ten wird ein Pflegewunsch an die Lenkungsgruppe for- muliert. Die Umsetzung erfolgt entsprechend der Dring- lichkeit. Der Zeitraum bis zur Realisierung kann, abhän- gig von Dringlichkeit und Komplexität, wenige Stunden oder mehrere Monate betragen. Ähnliches gilt auch für die Abläufe im forumSTAR- Verbund. Nach einem abgestimmten Prozess werden Än- derungserfordernisse und -wünsche in ein gemeinsames Ticketsystem eingestellt, fachlich abgestimmt, die Kosten ermittelt und priorisiert. Gegebenenfalls entscheidet das Lenkungsgremium auf Ministeriumsebene über die Prio- rität. Wichtige und dringliche Änderungen werden schnellstmöglich umgesetzt, bei komplexen oder weniger dringlichen Änderungen kann die Umsetzungszeit bis zu 24 Monate betragen. Die für die gerichtliche Praxis wichtigen Textanpas- sungen können je nach Dringlichkeit und zu wahrender Einheitlichkeit im Verbund auch durch die Projektgruppe vor Ort vorgenommen werden. 5. Welche Konsequenzen ergeben sich nach Auffas- sung des Senats aus der am 06.11.2012 auf einer Veran- staltung des dbb Brandenburg, des Bund Brandenburger Staatsanwälte und der DJG von Senator Heilmann ver- tretenen Auffassung, bei den genannten Verfahren han- dele es sich um technisch veraltete Insellösungen, die keine Hilfe für die betroffenen Dienstkräfte darstellen und deren Einsatz mit zahlreichen organisatorischen Proble- men verbunden sei? Zu 5.: Ich bin in der Verlautbarung des dbb Branden- burg (beamtenbund und tarifunion landesbund branden- burg) zu der Veranstaltung nicht korrekt zitiert worden. Meine Kritik richtete sich gegen die Qualität der in den Verbünden entstandenen und auch nur darüber zu ändern- den Funktionalität der Software-Produkte, die nicht die Erleichterungen und Einsparungen bringen, die möglich gewesen wären. Die hohen Anforderungen an IT-Fachverfahren in der Justiz, die aus den verschiedenen Prozessordnungen und sonstigen gesetzlichen Vorgaben resultieren, können wirt- schaftlich vertretbar nur noch in Verbünden umgesetzt werden. Die Einführung einer länder-übergreifend entwi- ckelten Fachanwendung verlangt eine größere Kompro- missbereitschaft der Anwenderinnen und Anwender; im Rahmen des Akzeptanzmanagements ist aber dafür Sorge zu tragen, die Anwenderinnen und Anwender nicht zu überfordern. Ein Redesign der zugrunde liegenden Basistechnolo- gie kann nur in größeren Zyklen durchgeführt werden und erzeugt schnell den Eindruck einer veralteten Technolo- gie. IT-Fachverfahren, die von sieben bzw. zehn Bundes- ländern genutzt werden, sehe ich nicht als Insellösungen an. Im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können wir uns jedoch angesichts der unumgänglichen Personaleinsparungen nicht mit der bestehenden IT-Un- terstützung begnügen. Es ist zwingend, die Möglichkeiten der IT noch weit stärker zu nutzen. Mein Haus treibt da- her nicht nur in den Entwicklungsverbünden die weitere Optimierung der Fachverfahren voran. Darüber hinaus wurde es von mir gebeten, im gesamten Spektrum der IT ohne Denkverbote die Produktivität verbessernde Maß- nahmen zu betrachten und im Hinblick auf ihre Nutzbar- machung für mein Ressort zu bewerten. 6. Welche Maßnahmen in Bezug auf die zukünftige Beschaffung und den Einsatz von IT-Fachverfahren sind nach Auffassung des Senats sinnvoll bzw. bereits geplant oder in Umsetzung befindlich? Inwieweit stehen hierfür Personalmittel zur Verfügung und inwieweit lassen sich Schlussfolgerungen auch auf andere Senatsverwaltungen übertragen? Zu 6.: Die Beschaffung von IT-Fachverfahren hat - wie bei forumSTAR und MESTA geschehen - auf Grund- lage einer IT-Strategie zu erfolgen, die unter Be- rücksichtigung der in Berlin und in der deutschen Justiz bestehenden Rahmenbedingungen erstellt wurde. Ein zentraler Aspekt dieser IT-Strategie ist daneben die hohe Gewichtung der Zukunftsfähigkeit der Fachverfahren. In den kommenden Jahren wird der öffentliche Dienst in zunehmendem Maße mit der Wirtschaft um Arbeits- kräfte konkurrieren. Daher muss der Einsatz der IT-Fach- verfahren nicht nur eine effektivere Bearbeitung und ei- nen verbesserten Bürgerservice ermöglichen. Er muss auch so gestaltet sein, dass die damit ausgestatteten Ar- beitsplätze als modern und attraktiv wahrgenommen wer- den. Gesonderte Personalmittel stehen dafür grundsätzlich nicht zur Verfügung. Berlin, den 19. März 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Apr. 2013)