Drucksache 17 / 11 803 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Oliver Höfinghoff (PIRATEN) vom 18. März 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. März 2013) und Antwort Tod in der Kälte: Verstorbene Wohnungslose in der kalten Jahreszeit in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Menschen sind nach Erkenntnissen bzw. Schätzungen des Senats in Berlin aktuell von Wohnungs- losigkeit betroffen (bitte nach Alter, Geschlecht, Staats- angehörigkeit und Aufenthaltsstatus aufschlüsseln)? Zu 1.: Die Bezirksämter sind gemäß Nr. 19 Zustän- digkeitskatalog des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln) verantwortlich für die Ordnungsaufgaben bei Wohnungslosigkeit . Im Jahr 2011 wurden ca. 5000 Menschen untergebracht, weitere 4959 Menschen erhielten Maß- nahmen nach § 67 SGB XII zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (Stichtag: 31.12.2011). Die Auf- schlüsselung nach Geschlecht liegt für das Jahr 2011 noch nicht vor. Andere Kriterien wie Alter, Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus o. a. sind nicht bekannt. (Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg) Die Erhebung valider Daten über wohnungslose Per- sonen, die nach ASOG untergebracht werden, ist seit 2005 erschwert. Bis Ende 2005 wurden wohnungslose Personen nur über die Bezirksämter versorgt und von diesen die dafür notwendigen Unterbringungskosten übernommen. Mit Einführung des SGB II und SGB XII verteilten sich für wohnungslose, erwerbsfähige Leistungsberechtig- te die Zuständigkeiten auf zwei Behörden. Da die große Mehrheit der wohnungslosen Personen erwerbsfähig ist, waren fortan für die Bewilligung von Regelleistung und Kosten der Unterkunft /der Unterbringungskosten die Jobcenter zuständig, für die Vermittlung von Unterbrin- gungsplätzen aber die zwölf Bezirksämter. Ob die Vermittlung des Unterbringungsplatzes auch tatsächlich von der wohnungslosen Person in Anspruch genommen, eine Kostenübernahme für die Unterkunft durch das Jobcenter ausgestellt wurde und wie lange der Aufenthalt in der Unterbringung dauerte, erfahren die Bezirksämter nicht in ausreichendem Umfang. Alle Bemühungen, das Informationsdefizit zu beheben , schlugen bislang fehl. Dies ist vor allem in dem Um- stand begründet, dass im Rahmen der SGB II bundesweit vorgegebenen Datenerhebung der Bundesagentur für Ar- beit keine Kennziffer „wohnungslose Person“ vorhanden ist und damit der Personenkreis nicht erfasst wird. Die zwölf Bezirke versuchen seit längerem, die beste- hende Datenlücke bei unter-gebrachten Wohnungslosen gemäß Allgemeinem Zuständigkeitsgesetz (AZG)/ASOG Berlin in Eigeninitiative zu schließen, was u. a. aus daten- schutzrechtlichen Gründen nicht bislang umsetzbar war. 2. Wie viele Menschen leben nach Erkenntnissen bzw. Schätzungen des Senats in Berlin derzeit ganz ohne Unterkunft auf der Straße (bitte nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus aufschlüsseln)? Zu 2.: Über Menschen, die auf der Straße leben, kön- nen keine validen Daten erhoben werden. Die elf niedrigschwelligen Angebote der Wohnungs- losenhilfe im Integrierten Sozial-programm (ISP) sollen und können - konzeptionell gewollt - anonym genutzt werden. Dieses hat zur Folge, dass ein nicht zu beziffernder Teil der Klientel an einem Tag mehrere unterschiedli- che Angebote aufsucht, z. B. eine Notübernachtung, eine Beratungsstelle, die ambulante medizinische Versorgung und/oder einen Bahnhofs-dienst. Datenerhebungen bein- halten somit zwangsläufig Mehrfachzählungen von Nut- zerinnen und Nutzern. 3. Welche Erkenntnisse hat der Senat zur Anzahl und Zusammensetzung der wohnungslosen Menschen Berlin, die in der kalten Jahreszeit trotz Angebot der „Berliner Kältehilfe“ im Freien, unter Brücken, auf Parkbänken, in Hauseingängen, Abrisshäusern, Gartenlauben und sonsti- gen Unterständen übernachten? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 803 2 Zu 3.: Der Senat hat keine Erkenntnisse über woh- nungslose auf der Straße lebende Menschen, die im Freien, unter Brücken auf Parkbänken, in Hauseingängen, Abrisshäusern, Gartenlauben und sonstigen Unterständen übernachten. 4. Wie viele Wohnungslose sind nach Erkenntnissen des Senats seit 2002 in Berlin aufgrund von Unterkühlung oder infolge von Unfällen mit Feuer, Gas o.ä., die im Zu- sammenhang mit behelfsmäßigen Beheizungsarten auf- grund kalter Außentemperaturen standen, verstorben (bit- te nach Datum, Alter, Geschlecht, Ortsteil/Bezirk, Todes- ursache, Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus auf- schlüsseln)? 5. Wie viele der unter 4. genannten aufgefundenen Personen standen zum Zeitpunkt ihres Todes unter Ein- fluss von Suchtmitteln? Zu 4. und 5.: Im Zeitraum der letzten zehn Jahre - über diesen Zeitraum hinaus liegen keine Angaben vor - wur- den beim Landeskriminalamt - LKA 12 - drei Todesermittlungsverfahren bearbeitet, bei denen Obdachlose die Opfer waren, deren Tod durch unachtsamen Umgang mit Feuer, Gas, o. ä. verursacht wurde. Lediglich beim ersten dieser Fälle besteht ein Zusammenhang mit behelfsmäßi- gen Beheizungsarten, die beiden anderen Brände wurden durch unachtsamen Gebrauch von Kerzen oder durch Ta- bakglut verursacht. Datum Alter Geschlecht Ortsteil /Bezirk Todesursache/ Brand- ursache Staatsange- hörigkeit Aufent- haltsstatus 05.03.07 unbekannt m Spandau Rauchgasintoxikation/ Koch- oder Feuerstelle im Zelt unbekannt vermisst ohne festen Wohnsitz 20.03.08 40 m Rummelsburg Lichtenberg Rauchgasintoxikation/ fahrlässige Verursachung durch den Verstorbenen, vermutlich durch den Gebrauch von Kerzen oder Tabakglut Deutschland Ohne festen Wohnsitz 19.03.12 31 m Charlotten- burg Rauchgasintoxikation/ fahrlässige Verursachung durch Dritte durch den Gebrauch von Kerzen Polen Ohne festen Wohnsitz Im Polizeilichen Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung der Polizei Berlin (POLIKS) erfolgt zur Todesursache eines Menschen kei- ne Merkmalserfassung „Kältetod“ oder „möglicher Kältetod “. 6. Wurden die unter 4. genannten aufgefundenen To- ten obduziert? Wenn nein, wieso nicht? Zu 6.: Eine Beantwortung der Frage ist dem Senat lei- der nicht möglich. Zum einen werden die Daten größten- teils nicht digital vorgehalten. Die Beantwortung der Fra- ge würde eine mehrwöchige händische Auswertung der Daten erfordern. Zudem müsste das Universitätsinstitut der Humboldt-Universität mit einbezogen werden. Beides kann im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfra- ge nicht geleistet werden. 7. Wie verfährt das Land Berlin mit den unter 4. ge- nannten aufgefundenen Toten, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit oder einen regulären Aufenthaltssta- tus haben? Zu 7.: Verstirbt in Berlin eine nichtdeutsche Staatsan- gehörige oder ein nichtdeutscher Staatsangehöriger, die/der keine Meldeanschrift in Berlin hat und Poli- zei/Staatsanwaltschaft sind eingeschaltet, wird wie folgt verfahren: Die entsprechende Vertretung des Staates (Botschaft/Konsulat) erhält Kenntnis und wird gebeten, die Angehörigen der/des Verstorbenen im Heimatland zu ermitteln und zu benachrichtigen. Sollten die Angehöri- gen die Bestattungskosten übernehmen, wird durch diese alles Weitere veranlasst. Sind keine Angehörigen zu er- mitteln oder sollten die Angehörigen nicht in der Lage sein, die Bestattungskosten zu übernehmen, wird in Berlin eine so genannte Sozialbestattung veranlasst. Zuständiger Leistungsträger ist der Sozialhilfeträger für das Land Berlin . Berlin, den 13. Mai 2013 In Vertretung Michael B ü g e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Mai 2013)