Drucksache 17 / 11 889 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Albers (LINKE) vom 15. April 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. April 2013) und Antwort Vertrauensbruch der Senatsverwaltung für Gesundheit gefährdet Zusammenarbeit mit impfwilligen Ärzten bei zukünftigen Epidemien Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass wegen einer vermeintlich in Fol- ge einer „Schweinegrippe-Impfung“ im Jahr 2009 aufgetretenen seltenen Nebenwirkung die Klage einer Patientin gegen einen Berliner Impfarzt vor einer Zivilrechtskam- mer des Landgerichts Berlin anhängig ist? 2. Trifft es zu, dass sich die Senatsverwaltung für Gesundheit in diesem Verfahren vor Gericht darauf zu- rückgezogen hat, dass diese Angelegenheit nicht nach öffentlichem, sondern nach zivilem Recht zu entscheiden sei? 3. Trifft es zu, dass die Senatsverwaltung für Ge- sundheit auf diese Weise versucht, sich möglichen Haf- tungsansprüchen zu entziehen? 4. Trifft es zu, dass die damaligen Impfverträge, die zwischen der Senatsverwaltung für Gesundheit und ein- zelnen Impfärzten abgeschlossen werden mussten, weil der Öffentliche Gesundheitsdienst mit der Durchführung der Impfung personell überfordert gewesen ist, im § 5 Absatz 1 eindeutig eine Haftung des Landes Berlin für Impfschäden enthalten? Zu 1. bis 4.: Im Zusammenhang mit den Impfungen gegen die sog. Schweine-Grippe sind beim Landgericht Berlin zwei Klagen gegen das Land Berlin rechtshängig. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales tritt in diesem Verfahren nicht selbst vor Gericht auf. Prozess- führende Stelle im Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Finanzen, die einen Rechtsanwalt beauftragt hat, das Land Berlin vor dem Landgericht Berlin anwaltlich zu vertreten und Klageabweisung zu beantragen. Zunächst sind die Klagen ausschließlich gegen die je- weils behandelnden Ärztinnen und Ärzte gerichtet gewe- sen. Auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Berlin sind diese Klagen gegen das Land Berlin erweitert wor- den. In diesen Beschlüssen äußert das Gericht Bedenken an der Passivlegitimation der beklagten Ärztinnen und Ärzte und vertritt die vorläufige Auffassung, dass die je- weils streitgegenständlichen Behandlungs-verhältnisse in Gestalt der Impfungen gegen die „Schweinegrippe“ öffentlich -geprägt sein dürften. Dieser Auffassung des Gerichts ist der mit der Prozessvertretung beauftrage Rechts- anwalt detailliert entgegengetreten. Eine endgültige Ent- scheidung des Landgerichts Berlin unter Berücksichti- gung der Rechtsauffassung des Landes Berlin zu dieser Rechtsfrage liegt bislang nicht vor. Hinsichtlich einer möglichen Haftung des Landes Ber- lin im Zusammenhang mit einer Impfung gegen die Schweinegrippe ist auf die entscheidende Differenzierung zwischen a) dem öffentlich-rechtlichen Versorgungsanspruch gegen das Land Berlin im Falle eines eingetretenen Impfschadens und b) dem zivilrechtlich einzuordnenden Anspruch ge- impfter Patientinnen und Patienten im Falle eines ärztli- chen Behandlungs- und Aufklärungsfehlers hinzuweisen. Personen, die durch die empfohlene Influenzaschutz- impfung einen Impfschaden im Sinne des § 2 Nr. 11 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) erleiden, erhalten nach § 60 IfSG vom Land Berlin auf Antrag Versorgung entspre- chend den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Gesundheitliche Schäden, die auf ärztlichen Fehlern beruhen , stellen hingegen keinen Impfschaden im Sinne des Impfschadensrechts gemäß Infektionsschutzgesetz dar. Da in der Berliner Ärzteschaft Bedenken gegenüber dem Impfwirkstoff „Pandemrix“ geäußert wurden und die grundsätzlich zur Übernahme der Impfleistung bereiten Ärztinnen und Ärzte befürchteten, ein etwaiges aus die- sem Impfstoff herrührendes Risiko übernehmen zu müs- sen, wurde in § 5 Absatz 1 des Impfvertrages die im In- fektionsschutzgesetz geregelte Versorgung wegen eines Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG ausdrücklich erwähnt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 889 2 Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz kommunizierte 2009 stets transparent gegenüber der Berliner Ärzteschaft, dass dem Berliner Impfkonzept folgend die Impfaktion gegen die „Schweinegrippe “ so weit wie möglich im Regelsystem laufen sollte. Für die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte bedeu- tete dies - und dies wurde seinerzeit ebenfalls eindeutig kommuniziert -, dass sie die Impfungen nicht als Verwal- tungshelferinnen und Verwaltungshelfer, also nicht als Teil des öffentlichen Gesundheitssystems, sondern in ih- rer Eigenschaft als niedergelassene Ärztinnen und Ärzte eigenverantwortlich durchführten. Bereits in der Hochphase der Pandemie widersprach die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Ver- braucherschutz der Annahme, im Impfvertrag sei eine über das normale Haftungsrisiko hinausgehende Regelung vorhanden. Für ärztliche Behandlungs- und Aufklärungsfehler sollten von Anfang an die impfenden Ärztinnen und Ärzte ausschließlich selbst haften. Diese eindeutige Positionierung des Landes Berlin geht u. a. auch aus der Beantwortung des Senats von Berlin auf die Kleine An- frage des Abgeordneten Kai Gersch (FDP) vom 23. Sep- tember 2009 (Drucksache 16/13741) hervor, in der Staats- sekretär a. D. der Senatsverwaltung für Gesundheit, Um- welt und Verbraucherschutz, Dr. Hoff, darauf hinweist, dass ungeachtet eines Versorgungsanspruches gemäß § 60 IfSG gegen das Land Berlin „das Haftungsrisiko für Schäden auf Grund von fehlerhafter Aufklärung oder Anwendung (z. B. Spritzenabzess durch Verimpfung, falsche Indikationsstellung) – wie bei der saisonalen Impfung auch – bei der impfenden Ärztin oder dem impfenden Arzt“ liege. Dieselbe Rechtsauffassung vertritt das Land Berlin in den beiden Verfahren vor dem Landgericht Berlin. Von einem Vertrauensbruch seitens der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales sowie dem Versuch, sich mögli- chen Haftungsansprüchen zu entziehen, kann deshalb keine Rede sein. 5. Trifft es zu, dass die damalige CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus öffentlich die Position vertrat, dass die durch das Influenza-A-Virus H1N1 verursachte Erkran- kungswelle erst „der Anfang einer beginnenden Pandemie “ sei? Zu 5.: Die CDU-Fraktion hat eine Pressemitteilung mit diesem Wortlaut auf der Grundlage der Einschätzung von Experten veröffentlicht. 6. Trifft es zu, dass solche politisch motivierten und gesundheitspolitisch nicht zu verantwortenden Äußerun- gen zur öffentlichen Verunsicherung in Sachen Schweine- Grippe-Schutzimpfung beigetragen haben? Zu 6.: Vom damaligen Abgeordneten und jetzigen Se- nator Czaja wurden keine politisch motivierten Äußerun- gen getätigt; in seiner damaligen Funktion als gesund- heits-politischer Sprecher der CDU Fraktion war für ihn jederzeit die bestmögliche Versorgung der Berliner Be- völkerung mit Impfstoff der Antrieb für sein Engagement. 7. Teilt die Senatsverwaltung für Gesundheit die Auf- fassung, dass gerade weil die Verunsicherung der Bevöl- kerung damals aus politischem Kalkül auch bewusst ge- schürt wurde, eine besondere politische Verantwortung für die möglichen Folgen nach einer Schutzimpfung er- wächst? Zu 7.: Unabhängig davon, dass von Seiten der CDU Fraktion keine Verunsicherung der Bevölkerung bewusst geschürt wurde, steht die Senatsverwaltung für Gesund- heit und Soziales selbstverständlich zu den gesetzlich zu erbringenden Versorgungsleistungen nach dem Infekti- onsschutzgesetz. 8. Trifft es zu, dass der damalige CDU-Abgeordnete und heutige Gesundheitssenator Mario Czaja in einer Pressemitteilung am 12. November 2009 „Impfchaos beenden – CDU-Fraktion unterbreitet Vorschläge zum besseren Schutz der Bevölkerung“ ein eindeutiges Bekenntnis des Landes zur Übernahme der ohnehin bereits durch das Infektionsschutzgesetz geregelten Haftung bei der Erkrankung von immungesunden Menschen in Folge der Impfung eingefordert hat? Zu 8.: Dies trifft zu. 9. Wie verträgt sich dieses Auftreten 2009 mit dem Verhalten des Gesundheitssenators 2013? Zu 9.: Es bestehen keine Widersprüche im Auftreten des damaligen Abgeordneten und jetzigen Senators Czaja. 10. Wie stellt sich die Senatsverwaltung für Gesund- heit die zukünftige Zusammenarbeit mit impfwilligen Ärzten im Falle einer auftretenden Epidemie nach einem solchen Vertrauensbruch gegenüber zur Zusammenarbeit bereiten Ärztinnen und Ärzten vor, gerade angesichts der Tatsache, dass bereits 2009 auf dem Höhepunkt der Schweine-Grippe-Epidemie eine große Anzahl von Ärz- tinnen und Ärzten wenig Kooperationsbereitschaft zu den Bedingungen der Senatsverwaltung zeigte? Zu 10.: Die Senatsverwaltung für Gesundheit und So- ziales kann im vorliegenden Fall keinen Vertrauensbruch erkennen. Sie geht auch zukünftig von einer guten Zu- sammenarbeit mit den Berliner Ärztinnen und Ärzten sowie deren Interessensvertreterinnen und Interessenver- tretern aus, wie dies schon während der von Ihnen ange- führten Ereignisse in 2009 der Fall war. Berlin, den 07. Mai 2013 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Mai 2013)