Drucksache 17 / 11 895 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 15. April 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. April 2013) und Antwort Interkulturalität im Strafvollzug Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. In welcher Weise wird auf die religiösen bzw. kul- turellen Belange von Strafgefangenen reagiert? Welche Aspekte werden hierbei berücksichtigt? Zu 1.: Entsprechend des Grundsatzes, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebens-verhältnissen soweit als möglich angeglichen werden soll, werden auch religi- öse und kulturelle Belange der Strafgefangenen in den Berliner Vollzugseinrichtungen beachtet. Im Strafvoll- zugsgesetz (§§ 53 ff StVollzG) und analog im Jugend- strafvollzugsgesetz Berlin (§§ 43 ff JStVollzG Bln) sind insbesondere zur Religionsausübung geregelt: - Seelsorge (Seelsorge durch Vertreterinnen oder Vertreter der entsprechenden Religions-gemeinschaft, Besitz religiöser Schriften und Belassung von Gegenständen zum religiösen Gebrauch), - Religiöse Veranstaltungen (Teilnahme an Gottesdiensten und anderen religiösen Veranstaltungen des entspre- chenden Bekenntnisses), - Weltanschauungsgemeinschaften (Gleichstellung für Inhaftierte mit weltanschaulichen Bekenntnissen). 2. Werden die unterschiedlichen Essengewohnheiten bzw. Essenkulturen - beispielweise der Verzicht auf Schweinefleisch - respektiert? Zu 2.: Den Strafgefangenen ist es entsprechend des § 21 StVollzG und analog des § 31 JStVollzG Bln zu er- möglichen, Speisevorschriften ihrer Religionsgemein- schaft zu befolgen. Religiösen und kulturellen Essge- wohnheiten wird in der Vollzugspraxis durch sogenannte Sonderkost im Austausch oder in Ergänzung zur soge- nannten Normalkost begegnet. Entsprechend der Größe der betreffenden Insassengruppe werden kulturelle und/oder religiöse Bedürfnisse bereits in der Anstaltsver- pflegung berücksichtigt. Durch die Möglichkeit des Einkaufes können die Strafge- fangenen in den Berliner Vollzugsanstalten zusätzliche Nahrungsmittel erwerben. In begründeten Einzelfällen können sich Inhaftierte das Einbringen besonderer Spei- sen durch Vertreterinnen oder Vertreter ihrer Religions- gemeinschaft genehmigen lassen. 3. Werden die religiösen Bedürfnisse von Strafgefan- genen respektiert? a) Können Strafgefangene ihren religiösen Verpflich- tungen nachkommen? Werden beispielsweise entspre- chende Gebetsmöglichkeiten bzw. Gebetsräume zur Ver- fügung gestellt? b) Dürfen Strafgefangene an besonderen religiösen Feiertagen ihren entsprechenden Verpflichtungen nach- kommen und auch Besuch empfangen? Zu 3.: Siehe zu 1. Zu 3 a): In den Justizvollzugsanstalten werden regel- mäßig Gottesdienste und andere religiöse Veranstaltungen angeboten. Neben den Gottesdienstdiensträumen für die christlichen Konfessionen werden in den Justizvollzugs- anstalten Gemeinschaftsräume und Veranstaltungsräume für religiöse Veranstaltungen genutzt. In der Justizvoll- zugsanstalt Heidering wurde ein multikonfessioneller Religionsbereich in der Bauplanung vorgesehen und um- gesetzt. Zu 3 b): Zusätzlich zu den regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen werden auf Initiative der Justizvollzugs- anstalten und entsprechend der Größe der betreffenden Insassengruppen an besonderen religiösen Feiertagen der verschiedenen Konfessionen Sonderveranstaltungen an- geboten. Diese werden in der Regel in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen oder Vertretern der entsprechenden Religionsgemeinschaften organisiert und durchgeführt. Weitergehende Ansprüche zur Religionsausübung werden im Einzelfall entschieden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 895 2 Die Möglichkeit des zu den üblichen Besuchsregelungen ergänzenden anlassbezogenen Besuches kann auf der Grundlage des § 24 StVollzG und analog des § 47 JSt- VollzG Bln durch die Justizvollzugsanstalten im Einzel- fall genehmigt werden. 4. Ist die religiöse Betreuung von Strafgefangenen durch geistliche bzw. andere Personen ihrer Religion ge- währleistet? Zu 4.: Entsprechend des § 53 StVollzG und analog des § 43 JStVollzG Bln haben die Strafgefangenen Anspruch auf seelsorgerische Betreuung durch Vertreterinnen oder Vertreter ihrer Religionsgemeinschaft. Durch die Justiz- vollzugsanstalten sind die Inhaftierten bei der Kontakt- aufnahme zu unterstützen. Auf diese Möglichkeit werden die Inhaftierten bereits im Aufnahmeverfahren hingewie- sen. Auf der Grundlage der Staatsverträge des Landes Berlin mit der Katholischen Kirche, der Evangelischen Kirche und der Jüdischen Gemeinde ist die innervollzu- gliche Seelsorge geregelt. Es werden den Justizvollzugs- anstalten fest zugeordnete Seelsorgerinnen und Seelsorger benannt und eingesetzt. Bei der seelsorgerischen Betreuung muslimischer Inhaf- tierter haben die Vollzugsanstalten eigeninitiativ Verab- redungen mit Imamen der Berliner muslimischen Ge- meinden getroffen. Für andere Religionen werden nach Bedarf Religionsvertreterinnen oder Religionsvertreter angefragt. 5. Wie entwickelt ist die interkulturelle Kompetenz der im Strafvollzug beschäftigten Personen? Werden ent- sprechende Schulungen durchgeführt, falls ja, welche Angebote (Themen) hat es 2011 und 2012 gegeben und wie viele Personen haben daran teilgenommen? Zu 5.: Zur Förderung der interkulturellen Kompetenz der Bediensteten des Berliner Justizvollzuges werden im Rahmen der Fortbildung von der Bildungsstätte Justiz- vollzug Berlin regelmäßige Seminare angeboten die sich thematisch mit „Migration, Ausländern, fremden Kulturen “ beschäftigen bzw. Hintergrundwissen zum Umgang mit Inhaftierten aus verschiedenen Kulturen vermit- teln, wie z. B.: Seminarthema Teilneh. 2011* Teilneh. 2012* Umgang mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit - aktuelle Probleme und Gegenreaktionen - 18 18 Hintergrundwissen für den Umgang mit muslimischen Inhaftierten 40 58 Fortbildung in interkultureller Kompetenz - Umgang mit muslimischen Inhaftierten - - 22 Hintergrundwissen für den Umgang mit vietnamesischen Inhaftierten 18 - Vollzugsrelevante ausländerrechtliche Bestimmungen 20 - * Erfasst sind nur die Zahlen der Bildungsstätte Justizvollzug, zusätzliche Fortbildungen der Bediensteten bei der Verwaltungsakademie bzw. anderen Trägern, oder Inhouse-Schulungen sind hier nicht erfasst. Zielgruppe der Seminare sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (u. a. Sozial- und Psychologischer Dienst, Allgemeiner Justizvollzugsdienst) aus den Berliner Jus- tizvollzugsanstalten, sowie Bedienstete der Sozialen Dienste der Justiz. Auch im Rahmen des Lehrplanes für die Ausbildung des allgemeinen Vollzugs-, Werk- und Krankenpflegedienstes ist das Thema „Multikulturelle Problemstellung im Vollzug“ enthalten. 6. Werden im Strafvollzug gemäß dem Partizipations- und Integrationsgesetz Personen mit Migrationshinter- grund eingestellt? Wie viele Personen mit Migrationshin- tergrund sind zurzeit im Strafvollzug beschäftigt? Zu 6.: Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbrau- cherschutz, vertreten durch die Bildungsstätte Justizvoll- zug, hat an der Auftaktveranstaltung der Kampagne „Berlin braucht Dich!“ am 9. September 2009 teilgenommen und ist seit dem Partnerin dieser Kampagne. Es besteht ein enger Kontakt zum Beruflichen Qualifizierungsnetz- werk für Migrantinnen und Migranten (BQN Berlin) und etwaige Stellenausschreibungen für den Allgemeinen Vollzugsdienst werden seitdem auch auf der Website www.berlin-braucht-dich.de veröffentlicht. In den Berliner Justizvollzugsanstalten werden Ein- stellungen im Sinne des Partizipations- und Integrations- gesetzes (PartIntG) vorgenommen, wenn die Bewerberin- nen und Bewerber die Staatsangehörigkeit eines Mitglied- staates der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzen und die weiteren Einstellungsvoraussetzungen erfüllen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 895 3 Einstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund wurden und werden in den Justizvollzugsanstalten bei Eignung vorgenommen und sind ausdrücklich erwünscht. Für den aktuellen Personalstand werden keine Statistiken über einen möglichen Migrationshintergrund erhoben. Es ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl der Beschäftig- ten über einen Migrationshintergrund im Sinne des Par- tIntG verfügen. Eine Angabe über die konkrete Anzahl kann somit nicht ohne einen erheblichen Aufwand und unter Beachtung personal- und datenschutzrechtlicher Vorgaben erfolgen. Berlin, den 15. Mai 2013 Thomas Heilmann Senator für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mai 2013)